• Keine Ergebnisse gefunden

Impfpflicht – ja oder nein?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Impfpflicht – ja oder nein?"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Impfpflicht

– ja oder nein?

Interview Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Mont- gomery, hat die Ablehnung der Impfpflicht für bestimmte Berufsgrup- pen durch die Bundesregierung als falsch kritisiert. In anderen Ländern wird der Druck erhöht, die Impfung ist für einige Berufe obligatorisch.

Wir fragten Prof. Dr. phil. habil. Annette Riedel, seit 2020 Mitglied im Deutschen Ethikrat, Vizepräsidentin der Akademie für Ethik in der Medizin, was sie von einer Impfpflicht für Pflegefachpersonen hält.

_Frau Professor Riedel, Frankreich hat eine Impfpflicht gegen das Corona-Virus für Menschen, die im Gesundheitswesen arbei- ten, eingeführt. Andere Länder ziehen ein ähnliches Vorgehen in Betracht. Wie be- werten Sie einen solchen berufsbezogenen Ansatz?

Riedel: Zunächst einmal ist herauszustellen, dass es eine große Leistung ist, dass uns in so kurzer Zeit wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, die dem individuellen Selbstschutz wie auch dem solidarischen Gemeinwohl im Sinne eines Gemeinschaftsschutzes dienen.

Die in Frankreich für Pflegende eingeführte Impfpflicht stellt eine wirkmächtige und äu- ßerst direktive Maßnahme dar, eine massive Beeinträchtigung der Grundrechte. Im Rah- men jeglicher Impfpflicht stellen sich umfas- sende ethische und rechtliche Fragen dahin- gehend, inwieweit und ob dieser massive Ein- griff in die Grundrechte gerechtfertigt und ver- hältnismäßig ist. Zum Thema Impflicht hat sich der Deutsche Ethikrat im Jahr 2019 in sei- ner Stellungnahme „Impfen als Pflicht“ um- fassend auseinandergesetzt. Im Kontext der Ad-hoc-Empfehlung aus dem Jahr 2020 „Soli- darität und Verantwortung in der Corona-Kri- se“ stellt der Ethikrat zwei zentrale Werte in den Fokus: Solidarität und Verantwortung.

Die Reflexion der moralischen Pflicht bzw. des moralischen Gebots, die Frage der ethischen Verantwortung zur Impfung erscheint mir in- des bedeutsamer, als die Frage nach der Ein- führung einer Impfpflicht für eine spezifische Berufsgruppe. Denn: Eine individuelle Impf- entscheidung betrifft stets auch den Grund-

wert der Solidarität und tangiert den Gemein- schaftsschutz innerhalb und außerhalb der Institutionen im Gesundheitswesen. Zwangs- maßnahmen bzw. ein gesetzlicher Zwang er- scheinen mir nicht als der angemessene und rechtfertigbare Weg, vielmehr bedarf es ein Zugehen auf die Pflegenden, die noch nicht geimpft, die unsicher und/oder unentschlos- sen sind und bei denen es auch keine medizi- nischen Gründe dafür gibt, sich nicht impfen zu lassen.

_Nehmen wir an, es kommt auch in Deutschland zu einer Impfpflicht im Ge- sundheitssektor. Welche Folgen könnte das für die Situation in der Pflege haben?

Riedel: Ich hoffe, dass es in Deutschland im Gesundheitssektor und somit für die Pflegen- den zu keiner Impfpflicht kommen wird, und ich bin auch der Überzeugung, dass es diesen Schritt nicht braucht. Wir Pflegenden sollten allerdings auch alles dafür tun, dass diese Op- tion nicht weiter diskussionswürdig ist und zu- gleich, dass die Pflege nicht in den Generalver- dacht gerät, sich gegen eine Impfung zu stel- len oder dieser unreflektiert kritisch gegen- überzustehen. Zudem: Eine Impfpflicht fordert parallel stets auch Instrumente zur Regulie- rung, dann wenn die Rechtspflicht verletzt wird. Diese Regularien könnten zum Beispiel

in Tätigkeitsverboten oder Einschränkungen © Deu

tscher Ethikrat/Foto: Reiner Zensen

Die in Frankreich für Pflegende eingeführte Impfpflicht stellt eine massive Beeinträchtigung der Grundrechte dar.

der Lohnfortzahlung (so in Frankreich) mün- den. Diese wiederum sind angesichts der ak- tuellen Personalsituation prekär für die Ver- sorgungssicherheit und -qualität. Tätigkeits- verbote könnten die Frage nach dem Berufs- verbleib provozieren – und zwar sowohl bei den Pflegenden, die sich gegen eine Impfung entscheiden, wie auch bei den Pflegenden, die in der Folge eine noch höhere Arbeitslast zu bewältigen hätten. Meines Erachtens haben wir noch nicht alle Möglichkeiten ausge-

schöpft, die bereits hohe Impfbeteiligung der Pflegenden – in den vereinzelten Einrichtun- gen, in denen diese bislang nicht erreicht ist – weiter zu erhöhen. Diese konstruktiv, kreativ- motivierend durch Aufklärungs- und nieder- schwellige Impfangebote anzustreben, ist Auf- gabe, Pflicht und Auftrag der jeweiligen Ein- richtungen und Träger – Stichwort: Nudging.

_Was ist aus Ihrer Sicht eine Alternative?

Welche Impf-Anreize halten Sie für wirk- sam?

Riedel: Gerade in der Pflege, in der ein erheb- licher Personalmix die Personalstrukturen prägt, die kulturelle Diversität die Teams kennzeichnet, ist es wichtig, genau hinzuhö- ren was die individuellen Hintergründe dafür sind, sich (noch) nicht impfen zu lassen, einer Impfung kritisch oder unsicher gegenüberzu-

PFLEGE KOLLEG

32 HEILBERUFE 9.2021 / 73

(2)

stehen, ohne indes zu stigmatisieren. Diese psychosozialen Befürchtungen, Ängste und Verunsicherungen – gleich welcher Herkunft und Genese – sind zunächst und möglicher- weise auch wiederholt sensibel einzuholen und wahrzunehmen. Den individuellen Grün- den, sich (noch) nicht impfen zu lassen, sind informierende und beratende Angebote ent- gegenzusetzen, bestenfalls ohne damit Druck auszuüben. Vor allem sind jegliche Formen der Stigmatisierung zu vermeiden, so dass die Pflegenden eine informierte Entscheidung treffen können. Ich bin der Überzeugung, dass es hier Vertrauen und der klaren, fundierten und angemessenen non-direktiven Argumen- tation und Information bedarf. Es benötigt eine Auseinandersetzung, die neben der indi- viduellen Perspektive (Individualprävention) auch den Aspekt des Gemeinschaftsschutzes (Populationsprävention), insbesondere gegen- über den vulnerablen Gruppen – wie den pfle-

gebedürftigen Menschen, gegenüber den Gruppen, die sich aus gesundheitlichen Grün- den nicht impfen lassen können, aber auch gegenüber Kindern, die aktuell noch nicht ge- impft werden – aufgreift. Denn: neben der in- dividuellen Freiheit steht das gesellschaftliche Interesse. Das heißt: Es geht meines Erachtens gegenüber den (noch) nicht geimpften Pfle- genden primär darum Vertrauen zu erwecken, um durch Aufklärung und Information die Ak- zeptanz für eine Impfung zu erreichen. Es ist unerlässlich, die Relevanz einer Impfung im je- weiligen Handlungsfeld wiederholt fundiert zu verdeutlichen, aber auch darum, Solidari- tät und professionelle Verantwortung zu ver- stärken. Der Ethikrat spricht 2019 von Solidari- täts- und Gerechtigkeitspflicht, auch im Sinne einer intergenerationellen Dimension der Ver- antwortung.

Darüber hinaus sollten wir hinsichtlich der ethischen Verhaltensweisen als Pflegende uns in diesem Kontext wiederholt die professions- eigenen Verpflichtungen gemäß dem ICN- Ethikkodex in Erinnerung rufen: „Die Pflegen- de achtet in ihrem persönlichen Verhalten je- derzeit darauf, ein positives Bild des Pflegebe- rufes zu vermitteln und das Ansehen sowie das Vertrauen der Bevölkerung in den Pflege-

beruf zu stärken.“ (aus Element 2 des ICN, 2012). Parallel zu den Gesprächen erscheint es mir wichtig, regelmäßige, niederschwellige Impfangebote seitens der Arbeitgeber zu un- terbreiten – für alle in der Pflege Tätigen, auch über die Pflegenden hinausgehend.

_Zurück zum Thema Impfpflicht: Bei der Bundeswehr gibt es die sogenannte Dul- dungspflicht für Impf- und Prophylaxe- maßnahmen. Außerdem gilt seit dem 1. März 2020 eine Impfpflicht gegen Masern auch für Personen, die in medizinischen Ein- richtungen arbeiten. Eine Premiere seit dem Ende der DDR. Halten Sie das in diesen Fäl- len für gerechtfertigt?

Riedel: Impfpflichten fordern einen umfas- senden ordnungsrechtlichen Rahmen. Impf- pflichten müssen stets verhältnismäßig, ge- eignet, erforderlich und angemessen sein.

Hinzu kommen zentrale Public-Health-ethi-

sche Abwägungen. Diese komplexe, verant- wortungsvolle Analyse und Abwägung sowie die geforderten Antworten stehen meiner Meinung nach noch aus bzw. sind angesichts der aktuellen Erkenntnisse zu COVID-19 der- zeit und möglicherweise auch zukünftig nicht abschließend zu treffen. Eine Impfpflicht ist auch angesichts dessen nicht zu rechtfertigen.

Indes sehe ich vielmehr die Chance darin, die berufsbedingte professionelle Verantwortung der Pflegenden zu stärken und zu unterstüt- zen, das heißt auch die bereits hohe Impfbe- reitschaft anzuerkennen und noch weiter zu fördern versus die Impfpflicht zu diskutieren.

_Die nächste Pandemie kommt bestimmt

… was haben wir aus Corona gelernt?

Riedel: Was wir wirklich gelernt haben, wird sich zeigen. Ich wünsche mir, dass wir wahr- nehmen und mitnehmen, dass die Pandemie uns sehr deutlich gezeigt hat bzw. zeigt, dass COVID-19 nicht ausschließlich eine gesund- heitliche Krise darstellt. Die Pandemie verweist zugleich auf die professionellen, institutionel- len und strukturellen Verwundbarkeiten in un- serem Pflege- und Gesundheitswesen. Sie zeigt(e) uns wie durch ein Brennglas zentrale Konfliktfelder und Dilemmata auf allen Pfle-

geebenen und in allen Settings auf. Diese be- standen bereits vor der Pandemie und werden auch nach der Pandemie bestehen bzw. sich gar weiter verschärfen, wenn hier nicht zeit- nah (pflege-)politisch reagiert und gehandelt wird. Zugleich hat die Pandemie uns sehr grundsätzlich vor Augen geführt wie verletz- lich wir als Menschen sind, als Pflegende, als Pflegebedürftige und als Gesellschaft insge- samt. Deutlich wurde aber auch, dass zwar alle Menschen verletzlich sind, aber in einer sehr unterschiedlichen Weise. Wir sollten uns die Zeit nehmen, verantwortungsvoll hinzu- schauen, welcher Handlungsbedarf sich aus den Erfahrungen für die Profession, die Träger, die Politik und die Gesellschaft ableiten lässt, anstatt einen schnellen Weg in eine vermeint- liche Normalität zu suchen. Dies ist im Sinne der Pflegenden und gegenüber allen Wirken- den im Gesundheitswesen sowohl zu deren Gesunderhaltung als auch mit Blick auf den Berufsverbleib (Stichwort Pflegexit) unerläss- lich. Diese notwendige Analyse und Reflexion ist auch hinsichtlich der Achtung professio- nell-ethischer Standards und Werte, zur Siche- rung der Pflegequalität und pflegerischen Ver- sorgung insbesondere für die pflegebedürfti- gen, zumeist vulnerablen Zielgruppen profes- sioneller Pflege aber auch im Hinblick auf An- und Zugehörige evident. Wenn uns eine syste- matisierte Reflexion gelingt, wenn

nachhaltige Akzentsetzungen und Konse- quenzen zur Entlastung der Pflegenden, der Versorgungssicherheit und der -qualität sei- tens der Verantwortlichen (Träger, Verbände und Sozialpolitik) gezogen werden, dann erst wird erkennbar und für die Beteiligten und Be- troffenen erfahrbar, dass wir aus der Pande- mie etwas gelernt haben.

Das Interview führte Ute Burtke

Ich sehe die Chance darin, die berufsbedingte professionelle Verantwortung Pflegender zu unterstützen, das heißt auch, die bereits hohe Impfbereitschaft anzuerkennen und zu fördern versus die Impfpflicht zu diskutieren.

NEUERSCHEINUNG

Verena Breitbach,

Hermann Brandenburg (Hrsg.) Corona und die Pflege Denkanstöße – die Corona- Krise und danach

ISBN 978-3-658-34044-5 69,99 € (Softcover)

springer.com

PFLEGE KOLLEG

HEILBERUFE 9.2021 / 73 33

(3)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Ehe- scheidung bedeutet daher für die Kinder meist nicht nur den Verlust der Möglichkeit, sich auch noch weiterhin mit dem sich trennen- den Elternteil, seinem

Ale- xander Burger gibt aber zu be- denken: «Routine darf sich nie zu sehr einstellen, sonst kann das gefährlich werden.» Auch wenn er sich in der Luft und am Steuer

Sucharid Bhakdi meint dabei, dass die Testung der Impfstoffe gegen Corona gar nicht realisierbar ist: Die Sterblichkeit an Covid-19 selber (ohne Vorerkrankungen) ist so klein, dass

jeden kirchlichen Feiertag gehalten haben und dann nicht die Schule gegangen sind – so dass die gesagt haben: Mensch, ist das eine sympathi- sche Religion, wo es so

Regelmäßig gibt es bereits jetzt schon den vielfach unberechtigten Vorwurf, dass Bürgerinnen und Bürger nur kontrol- liert wurden, weil sie eine bestimmte Haut- farbe oder

Grundsätzlich ist zu bemerken, dass der Einsatz von Medien den Menschen unterstützen, aber niemals ersetzen soll. Der Einsatz von Audioguides ist bereits ein gängiges und

 Die  erhoffte  positive  Veränderung  der  Einstellung   der  Unterrichtsgruppe  gegenüber  gehörlosen  Menschen  durch  die  durchgeführte  

Ich bin sehr dankbar, dass wir noch gemein- sam unterwegs sind. Dankbar bin ich auch für unsere drei Söhne, die Schwiegertöchter und unsere fünf Enkelkinder.