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Gegenüber den Pyr

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Academic year: 2022

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Von Ebebhaed Otto, Hamburg

Die Bedeutung der unter dem Namen ,, Sargtexte" bekannten In¬

scliriften ist auf Grund ihres Inhalts, ihrer Herkunft und ihrer Entste¬

hungszeit vielseitig. Es handelt sich bei ihnen um religiöse Texte, die auf

Särgen aus der Zwischenzeit zwischen AR und MR (,,Herakleopoliten-

zeit") und dem MR geschrieben sind, zeitlich also zwischen den könig¬

lichen Pyramidentexten des AR und den Totenbuchhandschriften des

NR stehen. Zu den Texten auf Särgen gehören drei Papyri, Textsamm¬

lungen, denen die eigentlichen Sargtexte entnommen sind. Die Fundorte

der Särge verteilen sich auf Ober- und Unterägypten; das ist wichtig,

weil deshalb, wenn überhaupt, in ihnen lokales religiöses Gut gefunden

werden müßte^. Ihre örtliche Herkunft und ihre zeitliche Zugehörigkeit

zu einer der historisch und kulturgeschichtlich wichtigsten Epochen der

altägyptischen Geschichte machen sie zu einer erstrangigen Quelle der

ägyptischen Religion. Hinzu kommt die breite soziale Basis, der sie ent¬

stammen. Gegenüber den Pyr. , deren theologische Lehren eklektisch auf

die Person des Königs zugeschnitten sind, repräsentieren die Sargtexte

religiöse Anschauungen einer sehr viel breiteren Schicht.

Der Plan, die gewaltige Textmasse vollständig zu veröffentlichen, geht

bis in die Jahre nach dem ersten Weltkrieg zurück, als zwar einzelne

Texte und Särge veröffentlicht waren und ein Anfang der Edition durch

P. Lacau aus verschiedenen Gründen aufgegeben werden mußte. Be¬

sonders bemühten sich James H. Bbeasted *tnd Sib Alan H. Gaedinek

um sein Zustandekommen und gewannen als Mitarbeiter und jetzigen

Herausgeber A. de Bück. Ohne den wirtschaftlichen Rückhalt, den das

Oriental Institute Chicago gewährte, wäre das umfangreiche und lang¬

fristige Unternehmen nicht denkbar gewesen. Welche Mühen der Text¬

beschaffung aus den Museen der Welt und des Kollationierens, sowie der

möglichst fehlerfreien Wiedergabe der Abschriften aufgewendet werden

mußten und welche Schwierigkeiten in der Anordnung und Gliederung

der Textmasse zu überwinden waren, setzt klar und sachlich de Buck in

der Einleitung des ersten Bandes ausein^der. Unter den vielen Möglich-

^ Eine zusammenhängende Würdigung der Texte bei Jacques Vandiee,

La rehgion figyptienne, Mana I, Paris 1949, S. 86 ff. Heemann Kees, Sarg¬

texte und Totenbuch, Handbuch der Orientalistik, hrg. B. Spuleb, I Ägyp¬

tologie, 2. Abschnitt, Leiden 1952, S. 39ff.

J13 ZDMG 102/2

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188 Ebebhard Otto

keiten, wie eine Edition hätte vorgenommen werden können, wählten die

Herausgeher folgende : Alle Texte sind vollständig wiedergegeben (nicht

nur Angabe von Varianten in Paralleltexten) und gleichmäßig aus dem

kursiven Schriftcharakter in Hieroglyphen übertragen. Begonnen wurde

mit Texten, die nicht als zusammenhängende Partien dem Corpus der

Pyr. entnommen worden sind. Die Anordnung im einzelnen ist in ge¬

wissem Sinne willkürlich. Am Anfang stehen die Texte, von denen eine

Menge Parallelen vorhanden sind. Eine Gliederung der Texte etwa nach

Themen oder nach innerlich zusammengehörigen Hs-Gruppen oder

(welche Möglichkeit nach dem Inhalt der Texte offenbar gar nicht er¬

wogen zu werden brauchte) nach Herkunft, hätte das Erscheinen des

Werkes um viele Jahre hinausgezögert; die Vorarbeiten, die eine solche

Gliederung ermöglichen, sollen und können im Gegenteil erst dann

durchgeführt werden, wenn das gesamte Material der wissenschaftlichen Welt zugänglich ist. Ein Schlußband der Publikation soll die notwendigen

Materialien dazu enthalten (Paläographische Einzelheiten, Verteilung

der Texte auf den Särgen, Textbestand der einzelnen Särge usw.).

Der erste Band des Werkes erschien 1935 als Vol. XXXIV der Or.Inst.

Publ. Ihm folgte 1938 der 2. Band (= Or. Inst. Publ. Vol. XLIX), 1947

der 3. Band (= Or. Inst. Publ. Vol. LXIV). Nun liegt der 4. Band

(= Or. Inst. Publ. LXVII) vor, der ebenso einen Überblick über Form,

Inhalt und wissenschaftliche Bedeutung der Textgruppe vermittelt, wie

er die Wichtigkeit des Editionsunternehmens deutlich werden läßt.

Zunächst und als Voraussetzung zu ihrem inhaltlichen Verständnis ein

Wort über die Sprache der Sargtexte. Gemäß ihrer Entstehungszeit

zwischen AR und MR enthalten sie noch manches Altertümliche in

Formen- und Wortschatz und zugleich (Gebrauch von Konjunktionen

und Hilfsverben) einen guten Teil der sprachlichen Elemente, die das

,, klassische" MittelägyptiscJi charakterisieren, ohne freilich den stilisti¬

schen und syntaktischen Reichtum der klassischen Literatursprache auf¬

zuweisen. Die altertümlichen Passiva mit Gemination des letzten Radi¬

kals (bei starken Verben) sind noch verhältnismäßig häufig (z. B. S. 20.

115. 232). Merkwürdig ist die Gemination beim starken, dreiradikaligen

Verbum hsd ,, schimmeln o. ä." vom Brot (S. 163, vgl. Bd. I 284): das

'BTot ,,{i)hm hsdd.w, das nicht schimmelt" (d.h. nicht schimmeln kann?),

in welcher Verbindung die Pyr. den zu erwartenden Infinitiv hsd haben

(z. B. Pyr. 655. 859. 1226). Das Verbum iw(t) ,, kommen" bildet S. 146

noch eine ,, emphatische" Form: iww.sn ,,wenn sie kommen", entspre¬

chend Pyr. 1268a ein fem. Infinitiv iw.t, also Formen, die auf ein Verbum

Illae inf. hinweisen. Dagegen lautet an der gleichen Stelle (S. 146) die

gewöhnliche Form sdm.f (nach rdj ,, veranlassen") iwt, also als handele es

sich um ein dreiradikaliges Verbum, dessen auslautendes -t zum Wort-

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stamm gehört; zu diesem Verbum vgl. weiterhin Sethe, Verbum I

§ 469ff. Auch die Verwendung des , .Pseudopartizips" in optativischer

Bedeutung ist mehrfach anzutreffen, so S. 152 (ähnlich S. 66): hr.tj r.j

,, halte dich ferne von mir!"; zu dieser Verwendung der Form vgl.

Gabdineb, Grammar § 313.

Besonders reich ist auch dieser Band an lexikalischen Neuheiten,

sei es durch das Vorkommen tatsächlich bisher nicht belegter Wörter, sei

es durch Ableitungen von bekannten Wörtern oder durch das Vorkommen

von Wörtern, die erst aus viel späteren Texten belegt waren. Es sei nur

auf einige Beispiele hingewiesen, die als bisher unbekannte Ableitungen

zu bekannten Wortstämmen erklärt werden können oder die im WB

gegebenen Bedeutungen ergänzen, ohne alle jene Wörter aufzuzählen,

die zunächst einfach als hapax legomena mit meist sehr unsicherer Be¬

deutung zu notieren sind.

gw} H "^g^ WB V 160, 2 cc. r. Neuerdings schon von Vandiee,

Mo'allah, Inscr. II 7] 3 für diese frühe Zeit belegt. WB gibt ,, kriegerisch

vorgehen gegen" (nach der Pianchi-Inschrift) . Nach CT III 97, IV 13 und

59 (an letzter Stelle, falls kein Verschreiben vorliegt, transitiv) scheint

die im WB gegebene Grundbedeutung ,, ziehen" über die Verwendung

,,das Schiff ziehen an. .." =,, landen" zu einem allgemeinen „sich nähern"

zu kommen (vgl. Pyr. 662b, 709d).

sndndn 1 S. 83,, entflammen", trans, vgl. de Buck, JEA

35, 96. Das Verb ist klärlich als Kausativ (s-) eines intransitiven, redupli¬

zierten Verbums *n-dn-dn (mit w-Präfix gebildet) ,, feurig sein o. ä." auf¬

zufassen. Vom nicht belegten Simplex ist eine Nominalableitung dndn.t

„Feuer o. ä." belegt (WB V 580,1 = CT II 150). Vielleicht, falls ein Ver¬

schreiben vorliegt, gehört hierher auch der S. 328 genannte Dämon

imj-dndd.f [ - - -^^^^ ^ ,,Der in seinem Feuer".

nhd |—I c=^>*=^ S. 21. Das Verbum dürfte die nicht reduplizierte zu Form

n-hd-hd sein, ,, zittern, pulsieren" (WB II 288,8. Zu diesem Wort vgl.

Breasted, Pap. Edw. Smith S. 168/9) und die Bedeutung haben ,,(aus

Furcht) zittern". Es ist wohl identisch mit nhd Pyr. 397 vom Herzen des

Stieres ,,(aus Wut) zittern", für das WB II 288,2 etwas farblos ,, grimmig o. ä." gibt. Wahrscheinlich liegt ebenfalls eine Intransitivbildung mit n-

vor und das Simplex steckt in dem Verbum hd (Grundbedeutung

,, stoßen" ?), für das WB II 504/5 u. a. ,, entgegentreten (vom Stier)"gibt.

hibnw.t *f ^ le^ S. 5. Diese Göttin wird hier als Amme des Toten ge-

25-^

nannt, ähnlich CT I 48 als seine Ernährerin neben Isis, die ihn geboren

13*

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190 Eberhard Otto

hat, und Hj.t, die seiner gewartet hat. Es handelt sich wohl um eine geier-

gestaltige Muttergottheit (zur Gestalt vgl. WB III 229,14: hsbj.t als

Bezeichnung eines Brustschmuckes in Geiergestalt = Kairo Cat. g6n.

28 123). Das Wort ist offenbar eine Ableitung vom Stamme hib/fi;b/h;m

mit der Grundbedeutung ,, krumm, gebückt sein, sich beugen" mit der

fem. Ableitungsendung -n{w).t (wie Tf.nw.t, rs-n.t, mh-n.t u. a. m.) im

Siime: ,, Die zum Krummsein Gehörige" = ,,die Gekrümmte, Gebeugte".

(Zu diesen Bildungen vgl. Sethe, Von Zahlen und Zahlworten S. 121ff.).

Es liegt also das Appellativum einer Himmels-Muttergöttin vor, die über

die Erde gebeugt gedacht ist ; als eine Sinnparallele ist an die späte Be¬

zeichnung Gb.t ,,die Gebeugte" = Himmel zu denken.

'^^ 1 1 P^i'^l'ß^ '^^'"^ ,, essen", vgl. II 394 und //,'/

in derselben Parallele. Nach dem Det. liegt offenbar eine Bezeichnung für

das Picken des Vogels vor, die in verschiedenen Verbalklassen (Illae inf.,

zweiradik., redupliz.) als in verschiedenen Aktionsarten ausgedrückt

werden kann. In dem Spruch unseres Bandes (Sp. 278) handelt es sich

um ,, Verwandlung in eine smw-Gans"; der Spr. des Bandes II ist der

bekannte Spruch von den vier Winden.

sib J S. 81 dürfte ebenfalls ein Ausdruck aus dem Tierreich

sein : wie ein Schakal (ssb) laufen. Dann wird das Wort auch speziell von

Flüssigkeiten gebraucht, vgl. WB III 420, 3/4. Belegstellen für die wohl

urspüngliche Bedeutung s. Bbeasted, Pap. Edw. Smith, Kommentar

zu XI 5.

Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, in welcher

Richtung die Texte unsere rein sprachlichen Kenntnisse zu erweitern

vermögen. Es wird daraus ebenfalls deutlich, daß auch von dieser Seite

die vollständige Veröffentlichung aller Parallel texte, wie die vorliegende

Edition es tut, erforderlich ist. Besonders bei bisher garnicht belegten

Wörtern können Unterschiede in der Orthographie oder Determinierung

aufschlußreich sein.

Der Inhalt der Sprüche des vorliegenden Bandes gibt einen guten

Querschnitt durch die thematische Mannigfaltigkeit und textgeschicht¬

liche Kompliziertheit der Sargtexte. Dabei soll hier die Frage nach dem

Verhältnis zwischen Sargtexten und Pyr. einerseits, und Sargtexten und

Totenbuch andererseits nicht erörtert werden. Sie würde notwendig zu

sehr weitreichenden Überlegungen der Tradierung von Texten, ihrer Aus¬

legung, den Möglichkeiten der Überarbeitung und Kompilation und

dergl. mehr führen und eine solche Fragestellung könnte nicht befriedi¬

gend auf der Basis der relativ bescheidenen Textmenge eines Bandes

gestellt werden. Aus diesem Fragenkreis sei nur auf das Verhältnis zwi-

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schen Texten auf Särgen und auf Papyri hingewiesen. Es sind nur drei

Pap. bekannt, die Sargtexte enthalten: Pap. Berlin 10 482, Pap. Gardiner

II (im British Museum) und Pap. Gardiner III (im Museum des Oriental

Institute Chicago). Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Papyri und

Särgen ist aufschlußreich : Im vorliegenden Bande entsprechen den drei

Papyri Texte von 75 Särgen. Von den publizierten 86 Sprüchen dieses

Bandes finden sich nur vier in einem oder mehreren der Pap. (In den

anderen Bänden sind die Verhältniszahlen z. T. nicht so krass). Die

Papyrustexte zeichnen sich gegenüber den eigentlichen Sargtexten durch

strengere Zusammenfassung, weniger Einschübe und oftmals bessere

Orthographie aus^. Wir haben in ihnen eine Art ,, Quellenbücher" zu

sehen, aus deren Bestand die eigentlichen Sargtexte durch Kompilation,

Zerlegungen, Erweiterungen, Interpretationen usw. entwickelt sind.

Wie Inhalt und Art der Niederschrift anzeigt, sind die Texte zum

Nutzen des Toten gedacht. Sie sollen ihm zu den gewünschten Lebens¬

bedingungen im Jenseits verhelfen. Sie sollen ihn davor schützen, auf

seinem Weg zu dem ,, schönen Westen" oder zum himmlischen Jenseits

angehalten, verstümmelt oder vernichtet zu werden. Sie sollen ihm

Macht verschaffen und als ihren sichtbaren Ausdruck Wandelbarkeit der

Gestalt, sollen ihn befähigen, ,,die Gestalt eines jeden Gottes, den er will,

anzunehmen" (S. 42.51.53). Aber der magische Gehalt der Sprüche kann

auch Lebenden zugute kommen. Das lehren die ,, Gebrauchsanweisungen' ',

die bisweilen einzelnen Sprüchen beigegeben sind. Ein hübsches Beispiel

dafür lautet (S. 345):,, Ein Mann soll diesen [Spruch] sagen über 7 gemalten

Udjat-Augen; sie sollen abgewaschen werden mit Bier (bzw. Natron) und

von dem Manne getrunken werden". Diese bis heute geübte magische

Praktik zum buchstäblichen ,, Einverleiben" bildlich oder schriftlich fixierter Macht dürfte hier das erste Mal inschriftlich belegt sein.

Die religiöse Welt, die uns in den Sargtexten entgegentritt, ist grund¬

sätzlich eine andere als in den Pyr. Während in diesen der Gang des

Begräbnisrituals den Leitfaden der Texte gibt und die Welt, in der sie

wirksam werden, die der Mythe ist, in die der tote König eingeht^, liegt

für die Sargtexte die Sache grundsätzlich anders: Als Zeugnisse einer

späteren Zeit und einer sozial breiteren Schicht, als Texte einer offenbar meist nicht rituellen Bestimmung, ist die Fülle der religiösen Vorstellun¬

gen und Bilder, Begriffe und Formeln wesentlich vielschichtiger und un¬

einheitlicher. Gewiß liegt auch ihnen (und das oft noch viel unmittelbarer

1 Vgl. etwa Pap. Gardiner II Z. 317/319, zwei durch Titel getrennte

Sprüche, die auf drei Särgen unter Vertauschung ihrer Reihenfolge zu einem

Spruch zusammengefaßt sind = Sp. 301.

2 Siegfried Schott, Bemerkungen zum ägyptischen Pyramidenkult, Bei¬

träge zur ägyptischen Bauforschung 5, Kairo 1950.

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192 Eberhabd Otto

als den Pyr.) der Wille zugrunde, dem, der sie , .besitzt", Macht zu ver¬

schaffen. Aber die Quelle dieser Macht und ihr Ziel lassen sich in keiner

Weise in einheitliche Begriffe fassen, weniger noch als bei den Pyr., wo

die Wesenheit des göttlichen Königs in seinen verschiedenen Aspekten

den Brennpunkt aller Beziehungen darstellt. Neben dem himmlischen

Jenseits beim Sonnengott steht das chthonische bei Osiris; der ,, schöne

Westen", offenbar eine der ältesten Jenseitsvorstellungen, gilt als Ziel

wie der Osten als Geburtsstätte des Sonnengottes, der aber zugleich auch

als Schlachtstätte der Götter" gefürchtet wird. Die Reise durch die

Unterwelt mit ihren Toren (Sp. 336), das Gericht an zahlreichen Kult¬

stätten des Landes (Sp. 337/38), aber auch das alte ,, Opfergefilde", der ,, gewundene See", die Himmelsleiter, alle diese Vorstellungen schieben

sich aus verschiedenen Sphären stammend übereinander und ergeben ein

mosaikartiges Bild, dessen Zerlegung im Einzelnen Ziel künftiger Arbeit

bleiben wird. Wie das Aufrollen textkritischer Fragen würde das Ein¬

gehen auf diese Probleme innerhalb des gegebenen Rahmens zu keinem

Ergebnis führen.

Hingegen erscheint es mir lohnend, an Hand des vorliegenden Text¬

bandes eine, wie ich glaube, wesentliche Frage zu stellen: Wie verhalten

sich die Texte zur mythischen Welt ? Daß in den Sargtexten die mythi¬

sche Welt der Pyr. weitgehend übernommen worden ist, war schon ange¬

deutet : Die Osirismythe, Horus und Seth als feindliches Paar, die Mythe

vom Horuskinde und auch vom König Horus, der Mjdihenkreis um das

Gottesauge, das Bild vom Schöpfergott in der Barke usw., das alles sind

Begriffe, mit denen die Sargtexte wie mit handlichem Werkzeug arbeiten.

Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Texten unter ihnen, die mythi¬

sche Themen zum Gegenstand haben, ja, bei denen ihre Verwendung als

Totentext durchaus sekundärer Art zu sein scheint. Aus dem II. Band

ist das ,, Göttergespräch" zwischen Isis und Atum über die noch in der

Zukunft liegende Gebmt des Horuskindes zu nennen, das Drioton^ zu den

,, dramatischen Texten" zählt. Im vorliegenden Band wäre besonders auf

Sp. 335 hinzuweisen, das spätere Totenbuchkapitel 17, das hier in nicht

weniger als 27 Paralleltexten vorliegt^. Seine Bedeutung für die Religions¬

und Literaturgeschichte beruht neben seinem Reichtum an mythischen

Einzelheiten vor allem in der Tatsache, daß mythische Begriffe bereits

hier theologisch kommentiert werden; den Nennungen von göttlichen

Wesen, Orten, Ereignissen ist häufig eine Glosse beigefügt, eingeleitet

mit der Frage: ,,Was ist das ?", der sich die Deutung anschließt. Oder es

wäre Sp. 312 zu normen, den de Buck in JEA 35, 87 ff. besprochen hat

^ IStienne Drioton, Le thöätre Egyptien, Kairo 1942, S. 54ff.

^ Hebsiann Grabow, Religiöse Urkunden = Urkunden des ägyptischen

Altertums, Abt. V.

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(= Totenbuch 78), der ebenfalls zum guten Teil in Gesprächsform in die

mythische Welt führt. In Sp. 277 (,, Verwandlung in Thot") liegt eben¬

falls ein mythisches Thema vor: Die Wirksamkeit des Thot als Richter

im Streit des Horus und Seth und als Schöpfer der Zeiteinteilung (als

Mond = Horusauge), die sich der Tote mit magischer Gewalt nutzbar

machen will.

Aber so schätzenswert und unentbehrlich dergleichen für uns ist, als

Quellenmaterial zur Mythe und ihrem Werden, so wenig scheint es mir

die religiöse Welt der Sargtexte gegenüber und zum Unterschied von der

der Pyr. zu charakterisieren. Um die gleichsam ,, zusätzliche" Rolle

mythischer Stoffe in den Sargtexten zu verdeutlichen, möchte ich von

zwei Sprüchen, bzw. Spruchgruppen ausgehen. In Sp. 334, der den

Titel trägt: ,, Verwandlung in Ihi", wird die Wesensgleichheit des Toten

mit dem Götterkind Ihi, dem Sohn der Hathor und des Re, ausgespro¬

chen, der als urzeitliches Wesen erzeugt und entstanden ist. Am Schluß

werden die Körperteile des Toten mit den Emblemen seiner göttlichen

Mutter Hathor gleichgesetzt, um die unzerstörbare Qualität des Toten

Glied für Glied zu gewährleisten. Hier ist es selbstverständlich die

mythische Welt, in die der Tote emgehen soll, die Mächtigkeit des in der

Urzeit gezeugten Götterkindes, wobei die Namengebung wie meist etwas

relativ Willkürliches ist: Ihi — Hathor — Re, im Kult gilt gemeinhin

Horns von Edfu als Gemahl der Hathor von Dendera. Un-mythisch

begegnet der diesem Spruch zugrunde liegende Gedanke und Wunsch in

Sp. 290/91: Der Tote verwandelt sich in ein Kind, um der Fürsorge von

Vater und Mutter teilhaftig zu werden. Und damit treffen wir wohl

eigentlich auf die Grundvorstellung : Es ist der allgemeine Wunsch des

Kindseins, des Umsorgtwerdens; diesen Zustand schlechthin hält der

Tote für wünschenswert und seine behauptete Gleichheit mit Ihi ist nur

eine mögliche mythische Verwirklichung davon. Ähnlich steht es mit dem

zweiten Hauptgedanken des Spruches 334, mit der Behauptung, in der

Urzeit ,, entstanden", nicht nach menschlicher Weise geboren zu sein.

(,,Ich bin entstanden, als die Scheide noch nicht geschaffen und die

Gebärmutter noch nicht geboren hatte"). Es dürfte auch hier zunächst

eine un-mythische Wunschvorstellung vorliegen, daß nämlich der Prä¬

existenz auch eine unvergängliche Postexistenz innewohne. Und diese

Wunsch Vorstellung kann mythisch erhärtet werden: Es kann Wesens¬

gleichheit mit den Urgott-Begriffen Hu und Sia (Ausspruch und Er¬

keimen) behauptet werden (Sp. 325), mit dem ,,Einauge" als der urzeit¬

lich präexistenten ,, Göttin" (Sp. 331). In allen Fällen ist das zunächst

Gegebene, der Ausgangspunkt, eine un-mythische Vorstellung, zu deren

Erhärtung verschiedene (nicht notwendig einheitliche) mythische Bilder

und Begriffe herangezogen werden können. In der Freiheit, mit der sie

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194 Ebebhasd Otto

verwendet werden, liegt auch jetzt noch ein wirkendes Element zur

Mythenbildung und -variation^.

Zm Verdeutlichung des Verhältnisses zwischen Vorstellungsbild und

Mythe noch ein Beispiel aus einem Spruch (Sp. 353), der den Titel trägt:

,, Gewalthaben über Wasser" und der zu den zahlreichen Sprüchen ge¬

hört, die verhindern sollen, daß der Tote Durst leide. Es heißt an der

einen Stelle (S. 394/97): ,,0 großer Nil des oberen Himmels in jenem

deinem Namen ,Befruchter'2 ! Mögest du geben, daß ich Gewalt habe

(shm) über das Wasser wie die Sachmet-Löwin, die Raubende, in jener

Nacht des Unwetters". Wunsch und Vorstellung sind deutlich: Der

himmlische Nil in seiner Qualität als Befruchter des Landes soll dem

Toten freie Verfügung über Wasser geben. Die erwünschte Gewalt soll

durch ein mächtiges, zwingendes Wort gesichert werden. Das Wort

,, Gewalt haben über" (shm) ist das Stichwort, um den etymologisch

davon abgeleiteten Namen der mächtigen Löwengöttin Sachmet einzu¬

führen. Ihre Gewalt ist ,, räuberisch", besonders in der ,, Nacht des Un¬

wetters", womit wohl nicht — wie es sonst oft in diesen Wortprägungen

der Fall ist (,,in jener Nacht des Kampfes und des Niederwerfens der

Rebellen", ,,in jener Nacht des Aufstellens der beiden Djedpfeiler" usw.)

— auf ein bestimmtes, kultisch geformtes nächtliches Ereignis angespielt

ist, sondern die Nacht mit Unwetter als die Zeit genannt wird, in der die

räuberische Gewalt der Löwin am gefährlichsten in Erscheinung tritt' .

Die Nennung der Göttin aber, angeregt durch ein Wortspiel, führt das

Denken in die Mythe: Was soll die ,, Mächtige" rauben? Hier ist ein

mythischer Begriff von passiver Mächtigkeit einzuführen; es könnte

Osiris oder das ,, geraubte" Horusauge sein. Die Texte, die das Objekt des

Raubens einführen, wählen übereinstimmend Osiris, weil die Sargtexte

besonders gern mit Begriffen der Natursymbolik arbeiten, weil der Be¬

griff des Wassers, um den es hier geht, durch Ideenassoziation zu Osiris

führt und weil das hier für „rauben" gebrauchte Wort zugleich ,, ernten"

bedeutet. Damit wird aber ein neuer Sirm angedeutet und im Hinter¬

grund erscheint ein natmhaftes Bild : Macht, die die Kornernte in einer

Unwetternacht hinwegrafft. Ist aber einmal der Name Osiris gefallen, so

zieht er den seines Gegners gleichsam zwangsläufig nach; so fügt eine

Anzahl Texte auch diesen Namen noch ein und ersetzt den Namen der

Sachmet durch das Verbum shm. Nun lautet der macht-tragende Ver¬

gleichssatz: ,,Wie Seth Gewalt hat, den Osiris zu rauben in jener Nacht

1 Siegfried Schott, Mythe und Mythenbildung, Untersuchungen zur

ägyptischen Altertumskunde XV, Leipzig 1945, S. lllff.

2 Zum Wort vgl. Kubt Sethe, Pyr. Kom. III S. 438.

" Vgl. Lacau TR 11 (noch nicht bei de Buck): „die mit scharfen Augen

und spitzen Krallen, die Löwin, die bei Nacht Nahrung erblickt und errafft."

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des großen Unwetters (oder: der großen Wut)". Ganz abgesehen von all

diesem Tasten und Suchen nach mächtigen Worten und Vergleichen, hat

am Anfang eine große Zahl der Texte anstelle des angerufenen ,, großen

Nil", den Gott Heka (,, Zauber") selbst, wodurch zwar die Bildhaftigkeit

verschwimmt, die Mächtigkeit aber durch die Nennung des in den Sarg¬

texten sehr beliebten ,, Gottes" eher zunimmt.

Alle diese Beispiele, die sich natürlich noch um ein Vielfaches vermehren

ließen, zeigen einerseits, wie wenig auch jetzt noch die Mythe etwas

Festes, Unveränderliches ist, welche Möglichkeiten der Variierung und

des Weiterbauens bestehen. Sie zeigen aber auch (und das ist hier das

Wichtigere), daß die religiöse Welt der Sargtexte primär und vorwiegend

nicht die Welt der Mythe ist. Diese tritt vielmehr fallweise als mögliche

Form der Präzisierung und Verdeutlichung religiöser Begriffe und An¬

liegen hinzu. Ihr gegenüber erscheint die Welt der Sargtexte weiter, ur¬

sprünglicher, reichhaltiger undogmatischer; sie ist von sich aus un¬

mythisch und — wie man vielleicht sogar sagen kann — vor-mythisch.

Zur weiteren Verdeutlichung dessen, was ich hier die eigentliche reli¬

giöse Welt der Sargtexte nenne, möchte ich auf drei Bild- oder Begriffs¬

kreise hinweisen, in denen diese Welt überzeugend zum Ausdruck

kommt: Die vegetative Unsterblichkeit; die urzeitliche Schöpfungs¬

macht ; die vogelgestaltige Überirdischkeit.

Der Gedanke der vegetativen Unsterblichkeit, d. h. das mächtige

Symbol des in der Erde absterbenden und wiederauferstehenden Saat¬

kornes, ist in Äg5rpten uralt^. In unseren Texten ist als Kernstück und

deutlichste Formung dieses Gedankens auf Sp. 330 zu verweisen, wo es

heißt: ,,Ich lebe, ich sterbe, ich bin Osiris, — Ich bin hervorgekommen

aus dir, ich bin eingetreten in dich, ich bin fett geworden in dir, ich bin

gewachsen in dir, ich bin in dich gefallen, ich bin auf meine Seite gefallen.

Die Götter leben von mir. Ich lebe, ich wachse als Nepre (Korngott), der

die Ehrwürdigen (Toten) (mit sich) herausnimmt. Geb hat mich ver¬

borgen. Ich lebe, ich sterbe; ich bin die Gerste; nicht vergehe ich". Oder (Sp. 269): ,,N ist jene 6/.<-Pflanze, die aus Osiris hervorgeht, die aus den

Rippen des Osiris wächst, die die Menschen am Leben erhält, die die

Götter göttlich macht, die die Verklärten verklärt sein läßt, die die

Herren der Nahrung und die Herren der Speisen speist, die die Opferbrote

für die Verklärten macht, die die Lebenden stärkt, die die Leiber der

Lebenden festigt. Dieser N ist lebendig als Nepre-Hetit (Korngott), dieser

N ist Nepre-Hetit [für] die Lebenden. Dieser N lebt und wird fett auf den

Rippen des Geb. Und die Liebe zu diesem N (wohl = der Wunsch nach

ihm) ist im Himmel und auf Erden, in den Gewässern und in der Weite

des Feldes". Das mächtige Symbol und die menschliche Not, für die es

' Alexander Scharit, Frühe Vorstufen des „Kornosiris", FuF Mai 1947.

(10)

196 Ebbehard Otto

trostwirkend stellt, sind in klaren. Formulierungen beschworen. Nepre

ist noch das Korn und Geb ist die Erde; ,, Osiris" ist die Fruchtbarkeit

der Erde. Es sind Namen für Begriffe, aber keine mythischen Götter. Der

Bildbegriff der vegetativen Unsterblichkeit wird in diesen Texten als

Eigenwert ausgedrückt und weist nur erst durch Namen auf die mögliche

Mythe hin. Deshalb nannte ich diese Welt vor-mythisch.

Aus gleicher Erlebnissphäre stammt das Vorstellungsbild vom Nil als

der jetzt und hier gegenwärtigen Manifestation des vorzeitlichen Ur-

gewässers. Der Nil, das ist ebenso der Inbegriff aller Fruchtbarkeit und

allen Lebens wie der des Urzeitlichen, des Präexistenten schlechthin, wie

der der Unaufhaltsamkeit und Unwiderstehlichkeit. ,,Ich bin der Älteste

der Achtheit, der Nile, der Urzeitlichen. Ich bin erschienen in meiner

Würde. Ich kam heute aus Elephantine (d. h. dem Orte der Nilquellen) ;

da wurde mir Nepre (Korn) zu meinem Gefolge gegeben durch den

, Großen in seiner Opferhalle'. Mir gehören die Speisen; man bereitete mir

Opfer und mir kam das Opferbier zu. Ich bin der mit wachsamen Gesicht

und erhabenen Vorderteil (vgl. Pyr. 507 b dieselbe Wortprägung für das

Suchoskrokodil), der älter ist als die vorzeitlichen. Ich entstand als die

Scheide noch nicht geschaffen und die Gebärmutter noch nicht geboren

hatte. Blickt auf mich, ihr Götter! Kommt in mein Gefolge!" (Sp. 317).

,,Ich habe die beiden Ufer überschwemmt. Meine Macht (bg) kam zum

Vorschein nach dem Nun (Urgewässer) über die beiden Länder hin. Ihr

Menschen! Seht mich: Ich bin der Nil, der vorgeburtliche (hntj miw.t),

der das Seiende schafft und das Nicht-Seiende entstehen läßt (d. h. der

alles erschafft). Die Furcht vor mir existiert. Ich, ich komme zu euch als

diese Seelenmacht {bs), die Licht bringt (?)" (Sp. 320). ,,Denn ich bin der

Nil, der breitgesichtige, der Schöpfer der Götter, der König der Urwesen

(hk.t, eigtl.: ,, Kröten"), der ehrwürdige Gott, mit geheimem Gehör, der,

auf dessen Geheiß alle Götter leben. Ich ließ Beseeltheit (bsw) über die

Länder kommen. Wenn sie kommt, so wachsen Kräuter" (Sp. 321).

Innerlich verwandt, gleichsam nur eine andere Verwirklichungsmög¬

lichkeit für die gleiche Begrtffsreihe, ist die Wandlung in ein Krokodil,

wobei es schon auffällig ist, daß ein Teil der Texte direkt msh (= Kro¬

kodil) schreibt, nicht wie Pyr. nur den Krokodilgott &bk (Suchos) nennt

<S. 4g; 35a)i. Er ist der ,, Greifer, der Herr der Flut" (S. 35 o). Er lebt von

Fischen {nämw.t, S. 3, 35); die Fische im Wasser schützen ihn^. Wer sich

1 Nach WB kommt das Wort msh in den Pyr. überhaupt nicht vor.

" „Fische" = hdw. Das Wort ist sonst erst griech. belegt. Hier begegnet es noch S. 127 e. In einem anderen Spruch (Coff. texts II S. 43), der das ,,Ijeben"

selbst als allgewaltige Gottheit zum Gegenstand hat, kommt dasselbe Wort

nochmals vor: Der Tote als ,, Leben" erhält am Leben „die Fische und das

Gewürm auf dem Rücken des Geb (Erde)."

(11)

dem in den Nil Verwandelten widersetzt, , ,den packen die Krokodile, die vor mir sind; den fressen die Fische, die hinter mir sind".

Es ist kein Zufall, daß die Wortwahl dem ,, unkanonischen" Charakter

der Gedanken entspricht. Der Nil, der in den Pyr. (126; 292) nur eben als

der Strom Ägyptens vorkommt, die Fische, die gemeinhin als ,,uiu-ein"

gelten, das Krokodil, das alt nur in seiner religiös determinierten Form

als ,,Gott" Suchos in die Götterwelt Eingang gefunden hat, — auch in

dieser Beziehung treffen wir hier auf eine maßlose, ungeformte Welt. Das

Jetzt und Hier, der Strom, von dem das Leben jedes Einzelnen abhängt,

das Krokodil, das dem Stromanwohner Angst und Schrecken einflößt,

die Gerste, von der er sein Brot bäckt, die gegenwärtige Welt um ihn ist

dem Menschen noch in all ihrer Buntheit, in jeder Einzelheit ihrer rätsel¬

vollen Erscheinungen religiöse Wirklichkeit, möglicher Träger göttlicher

Macht. Ihre Bilder und Wesen schließen religiöse Werte ein. Es ist

gleichsam der Rohstoff, dessen sich die Mythe bedient, um ihre benannten

und geformten Gestalten zu schaffen. Deshalb ist der Charakter der Welt

der Sargtexte vor-mythisch.

Die Enge und Dunkelheit des Grabes, das Bedrohtsein des bewegungs-

und wehrlosen Toten von bekannten und unbekannten Gefahren läßt den

Wunsch entstehen, in magischer Verwandlungskraft eine Form zu finden,

die von vornherein gerade diesen gefürchteten Beschränkungen am wenig¬

sten ausgesetzt erscheint: Die Gestalt als Vogel, der die Bewegungs¬

fähigkeit, die "Freiheit von erdhafter Gebundenheit, die Möglichkeit des

Himmelsfluges, die Raschheit des Kommens und Gehens am sinnfällig¬

sten ausdrückt. Der Tote möchte der Reiher Nwr sein, der über dem

Lande ,, Grenzenlos" schwebt (Sp. 272). Er ist aufgestiegen als die wr-

Schwalbe und gackert als smw-Gans (Sp. 278, 287). Er ist der *wtü.<-Vogel

(Sp. 293), der rrf-Vogel (S.26), der äiös- Vogel (ib.) und andere mehr^.

Dabei ist es für die Einstellung der Sargtexte bezeichnend, daß die beiden

bekannten vogelgestaltigen Machtbegriffe, Ba und Ach, die ursprünglich

zweifellos vom gleichen Sinngehalt der Vogelgestalt ausgegangen waren,

um ihrer begrifflichen Einengung willen — es sind funktionell deter¬

minierte Seelenbegriffe geworden — nicht in diesem Sirme in den Ver¬

wandlungssprüchen auftauchen. Grundsätzlich dasselbe trifft auf den

Horus-Falken zu. Natürlich kennen und verwenden die Texte sowohl den

mythischen Aspekt der Gestalt, den Gottessohn Horus, wie den dog¬

matischen, den Kerrschergott Horns, aber auch hier nur bisweilen als

mögliche und erwünschte mythologische Erhärtung einer erstrebten

Form. In den Spruchtiteln und in den Texten ist es der ,, Falke" oder der

,, göttliche Falke" als die vor-mythische Erscheinung des Horus-Be-

1 Vgl. Hermann Kees, Totenglauben S. 278 ff.

(12)

198 Ebebhaed Otto

griffes, die über noch zahlreichere Wirkungsmöglichkeiten verfügte als

diese selbst^.

Von hier aus ist überhaupt die reichhaltige Tierwelt der Sargtexte zu

verstehen: Noch sind die Tiere die einprägsamsten Erscheinungen mög¬

licher Mächtigkeit; in der Mythe liegt eine Auswahl und Beschränkung

vor. Das trifft, wie oben gezeigt, auf das Krokodil zu ; dieser Schicht ent¬

stammt der Pelikan^; ferner der ,, Kater" (Sp. 294) oder der ,, Große

Kater" (S. 282/3 = Totenbuch 17), den die Glosse als ,,Re" deutet.

Nichts wissen wir über die Bedeutung der Schildkröte, als die der Tote

,, geschmückt" ist (Sp. 310/11). Doch denkt man unwillkürlich an das

frühgeschichtliche Grab von Heluan, in dem über der verstümmelten (?)

Leiche ein Schildkrötenpanzer lag*. Wir halten nur ein typologisch spä¬

teres Stadium fest, wenn wir in solchen Fällen von einer , ,tierischen Er¬

scheinungsform" dieses oder jenes Gottes sprechen (wie bei Kater — Re,

Krokodil — Suchos) ; das Tier ist ein Numen sui generis und der ,,Gott"

ein anderes. Unter den uns vorliegenden religionsgeschichtlichen Quellen

dürften aber die Sargtexte diejenigen sein, die am unmittelbarsten und

reichhaltigsten aus dieser vor-mythischen, vor-göttlichen reichen Welt

der Mächte gespeist werden.

Im Anschluß an diese Überlegung sei schließlich noch eine Frage ange¬

rührt, zu deren Beantwortung die Sargtexte Wichtiges beisteuern können

und die für die gesamte ägyptische Religionsgeschichte von grundlegen¬

der Bedeutung ist: In wieweit enthalten die Sargtexte lokales religiöses

Gut ? Gerade in ihnen wäre die Bewahrung alter lokal geschiedener

religiöser Vorstellungen zu erwarten, da — wie soeben gezeigt — ihre

religiöse Welt zum guten Teil schichtenmäßig auf Vorstellungen zurück¬

greift, die der vereinheitlichenden theologischen Formung des AR vorauf¬

gehen, bzw. zugrunde liegen, und da sie im wesentlichen zu einer Zeit

entstanden sind, als alle Voraussetzungen bestanden, lokale Überliefe¬

rungen gegenüber den Konzeptionen des zentralen AR zur Geltung zu

qringen. Finden wir hier nun tatsächlich geographisch unterscheidbare

religiöse Überlieferungen, die es wenigstens in Grundzügen gestatteten,

etwa in Bersche oder Siut oder Gebelen oder Memphis (Saqqara) behei¬

matete religiöse Anschauungen zu erkennen ? Die Frage ist nicht leicht

zu beantworten. Ich glaube, sie ist in zwei Teilfragen zu zerlegen, deren

eine mit Ja, deren andere mit Nein beantwortet werden muß. Sie ist m.E.

zu bejahen, soweit es sich um Kulte im engeren Sinne und Riten handelt ;

1 Vgl. Hebmann Kees, Göttorglaube S. 41/42.

" Ebebhabd Otto, Das Pelikanmotiv in der altägyptischen Literatur,

Studies pres. to David M. Robinson, S. 215ff.

^ Zaki Saad, Royal excavations at Saqqara and Helwan 1941/45, =

Suppl. aux ASAE, Cahier 3, 1947, S. 108.

(13)

in dieser Sphäre giht es offensichtlich lokale Verschiedenheiten. Sie ist aher zu verneinen dann, wenn es sich um wirklich religiöse Vorstellungen,

Begriffe, um Mächte und Götter handelt. Ein paar Beispiele sollen das

verdeutlichen. Eine große Rolle spielt der Gott Thot, der den Streit

zwischen Horus und Seth schlichtet und Horus ,, rechtfertigt" ; er soll

a.uch den Toten rechtfertigen (Sp. 277, vgl. auch S. 88). Er ist es zugleich,

der die Monate schafft und die Halbmonate abteilt (S. 18). Seine Aspekte

als , .Ordner" und ,, Richter" (,, Stier der Maat") sind deutlich; aber ist er

irgendwie als ,, Lokalgott" von Hermopolis ausgezeichnet? Oder Hathor

sei genannt, deren Bild als gewaltige Urgöttin in Sp. 331 beschworen

wird, die schon bei der ersten Urzeugung zugegen war und als Schlangen-

Augen-Göttin wesenhaft zum ,,Einherrn" gehört, — ist sie die ,, Orts¬

göttin" von Dendera? Die den Text enthaltenden Särge stammen aus

Assuan, Gebelen, Siut. Noch schwieriger ist die Frage mit dem Gott

Snsw (Sp. 310/11, 334, vgl. auch Coff. texts III 90), der als gefährlicher

Mondgott (Mondsichel) und Götterkind Erscheinungsform des Toten

-werden solP ; wie verhält er sich zu dem thebanischen ,, Lokalgott' ' Chons,

dem Mondgott und Götterkind der thebanischen Triade ? Wesentlich ist

in diesem Zusammenhang nochmals Sp. 334 über den Gott Ihi, das

Götterkind des Re, dessen Mutter zugleich Isis und Hathor genannt

wird (s. O.S. 193). Er gilt, wie gesagt, als Sohn der Hathor von Dendera in

der lokalisierten Mythe; aber der Spruch läßt nichts davon ahnen. Hin¬

gegen spielt er auf ein sonst m.W. nicht bekanntes Schöpfungsbild an

(S. 181 j —1): ,, Meine Mutter Isis empfing( ?) mich; sie kannte sich nicht

(mehr) unter den Fingern des Götterherrn. Er zerbrach sie da an jenem

Tage, als die Tiefe erhoben wurde (?).... des Götterherrn an jenem

Tage der Unordnung".

Selbstverständlich ist es unmöglich, die Frage nach der Herkunft der

sogenannten Ortsgötter in Ägypten auf Grund der Sargtexte zu beant¬

worten. Es muß aber doch verwundern, daß es nicht möglich ist, mit

Hilfe des reichhaltigen und örtlich sehr unterschiedlichen Materials das

religiöse Weltbild irgendeines Ortes oder eines Gaues aufzuzeigen und

gegen andere abzugrenzen. Es scheint doch vielmehr so zu sein, daß der

Reichtum an religiösen Bildern, Gestalten und Kräften nicht aus dem

Zusammenwachsen lokaler Traditionen erwachsen ist, sondern einem

Reichtum religiösen Denkens entstammt und z. T. sekundär lokalisiert

worden ist. Wie sehr religiöse Dinge einen ,, Heimatort" finden können,

zeigt im Bereich der Sargtexte die Rolle, die Herakleopolis spielt, die

Residenz der 9./10. Dyn. 2. Eine Geschichte des Ortes ist noch nicht ge¬

schrieben und sein Ursprung, besonders die Bedeutung seines Namens

1 Zu Sp. 310 = S. 66 m vgl. Pyr. 402 und Sethe, Komm. II S. 157.

^ Vgl. Hermann Kees, Götterglaube S. 318/19.

(14)

200 Eberhard Otto, Sprüche auf altägyptischen. Särgen

Hnn-nswt ,, Stadt desKönigskindes" bleibt noch dunkel. Als Herrschafts- ort wird er zu dieser Zeit gern genannt (S. 88, 316ff.). Das Pest des ,, Erd¬

hackens", das vielleicht ursprünglich einen nicht lokalen landwirt¬

schaftlichen Ritus darstellte, dann als Kulthandlung des memphitischen

Erdgottes Sokaris bekannt ist, wird nun auch, verbunden mit memphi¬

tischen Begriffen, nach Herakleopolis verlegt: ,, Meine i/ww-Barke (die

Sokaris-Barke) ist auf ihrem Gestell. Ich bin es, der seinen Götterbart

(hbsw.t) empfängt an jenem Tage des Erdhackens (hbs-ti) in Herakleo¬

polis" (S. 95). Sprüche wie Sp. 313 oder 337 enthalten mit ihren Aufzäh¬

lungen von Göttern und ihren Kultorten, Gerichtsorten und Gerichts¬

tagen zahlreiche Anspielungen auf örtliche Überlieferungen, ohne daß im

einzelnen sich die Frage nach Herkunft und Entstehung solcher lokaler

Überlieferung erübrigte.

Die ganze ProblematUi der ägyptischen Religionsgeschichte schließen

die Sargtexte in sich ein, aber auch ihren Gestalten- und Bilderreichtum,

die Fülle echter religiöser Empfindungen wie das Netzwerk theologischer

Spekulationen. Und sie stellen eine noch keineswegs ausgeschöpfte

Quelle dar. Ihre weitere Bearbeitung wird vielen Zweigen unserer Wissen¬

schaft förderlich sein. Ihre hier vorliegende Veröffentlichung als Voraus¬

setzung dazu zählt nach der Bedeutung des Inhalts wie nach Zweck¬

mäßigkeit und Schönheit der Form zu den Standardwerken unserer

Wissenschaft,

(15)

der gublitischen Inschriften

Von Anton Jibku, Bonn

I. Einleitung

Im Sommer 1946 veröffentlichte E. Dhorme (Paris) seine Entzifferung

archaischer Inschriften^, die bei den französischen Ausgrabungen in

Bybios gefunden und dann von Dunand in der Zeitschrift Syria^ sowie

in seinem Werke , Byblia Grammata"* herausgegeben worden waren*.

Seiner ersten Publikation ließ Dhorme bald eine zweite, ausführlichere

folgen^, in der er die zehn in Frage kommenden Inschriften in Abschrift,

Umschrift und Übersetzung, nebst einem philologischen Kommentar

brachte.

Diese Entzifferung der gublitischen Inschriften durch E. Dhorme hat

in wissenschaftlichen Kreisen lange nicht die Beachtung gefunden, die sie

m. E. verdient; wurde uns durch sie doch die Kenntnis eines neuen (und

dazu noch des ältesten) kana'anäischen Dialektes erschlossen. Es hat

sogar den Anschein, als ob viele Forscher der Entzifferung E. Dhormes

skeptisch gegenüberstünden®.

Nach meinem Dafürhalten sind folgende vier Daten der schlagende

Beweis für die Richtigkeit von E. Dhormes Entzifferung der gublitischen

Inschriften :

1. Auf Grund seiner Deutung von Inschrift c konnte er die lange In¬

schrift d glatt lesen und übersetzen'.

1 Vgl. Oomptes rendus de rAcadömie des Inscriptions et Beiles Lettres.

August und September 1946.

2 1929, S. Iff.

' Beyrouth. 194.5. S. 71ff. Im Folgenden abgekürzt Bybl. Gram.

* Dunand nennt diese Inschriften ,,pseudo-hieroglyphische" (Dhoeme

schloß sich ihm an), welche Benennung ich nicht für glücklich halte, da sie

in keiner Weise charakteristisch ist. Da Bybios zu der Zeit, da diese Schrift

in Gebrauch war, Gublu hieß, habe ich für sie don Namen gublitisch gewählt.

° Syria 1946—48, S. Iff. — Im Folgenden abgekürzt : Dhorme.

° Auch die 1951 erschienene .phönizisch-punische Grammatik' von .1.

Friedeich erwähnt die Entziffenmgsarbeit Dhormes überhaupt nicht.

' Dies war bekanntlich auch eine Bestätigung von Champollions Ent¬

zifferung der ägyptischen Hieroglyphen, als er auf Gnmd seiner Arbeit

am Stein von Rosette eine 2. Inschrift (auch eine Bilinguis) übersetzen

konnte.

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