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Archiv "Großbritannien: Rationierung ist unvermeidbar" (15.08.1997)

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ie Frage der Rationierung medizinischer Ressourcen wird in der in Deutschland stattfindenden Diskussion über Reformierung des Gesundheits- wesens im Gegensatz zu Großbritan- nien eher zurückhaltend behandelt.

Angesichts eines seit Jahren defi- zitären Gesundheitswesens mit ei- nem massiven Sanierungsbedarf und großen Versorgungsengpässen scheint die britische Ärzteschaft Rationie- rungskonzepte zu akzeptieren.

Bei einer Podiumsdiskussion an- läßlich einer Konferenz der BMA zu dem Thema verglich der Abgeordne- te Simon Hughes von den Liberalde- mokraten das britische Gesundheits- system mit seinen zahlreichen Warte- listen und Beschränkungen mit einer

„Gesundheitslotterie“ und forderte eine Umstrukturierung. Die Regie- rung solle ein Rationierungskonzept vorlegen, um ein Ungleichgewicht der Verteilung von Ressourcen zu vermeiden. Hierauf entgegnete Phyl- lis Starkey von der Labour-Partei, daß Behandlungskosten durch die demographische und medizinische Entwicklung auch in Zukunft steigen würden und Gelder besser auf loka- ler Ebene verwaltet werden sollten.

Ferner muß, so Starkey, zwischen dem Aufstellen von Prioritäten ei- nerseits und der – ihrer Meinung nach nicht anzustrebenden – Ratio- nierung andererseits unterschieden werden.

Dr. David Eddy (USA), der sich seit Jahren mit dem Gesundheitssy-

stem in Südkalifornien beschäftigt, stellte auf der Konferenz die These auf, daß Rationierung unvermeidbar sei, in jedem Gesundheitssystem an- gewendet werde und es daher darauf ankomme, eine möglichst effiziente und auf medizinischen Erkenntnis- sen basierende Rationierung zu schaffen. So gebe es bei gegebenen Grenzwerten immer Patienten, die in die Gruppe der nicht zu behandeln- den Personen fallen würden, obwohl sie von einer Behandlung profitieren würden.

Grenzwerte sind willkürlich

Als Beispiel führte Eddy die Grenzwerte für Cholesterin an, die in den USA gelten. Anhand solcher Richtlinien werde lediglich ein Kol- lektiv behandelt, das einen bestimm- ten Grenzwert überschreite. Perso- nen, die nur etwas darunter liegen, erhielten keine Behandlung, auch wenn ihr Herzinfarktrisiko um ein Vielfaches erhöht sein könne, wenn neben den Cholesterinwerten noch andere Risikofaktoren wie Rauchen oder Bluthochdruck vorliegen. Eddy fuhr fort, daß die Entscheidung zur Behandlung durch den Grenzwert bestimmt werde. Dieses Kriterium sei aber nicht medizinisch indiziert, da wichtige Parameter ignoriert wür- den. Eine rationelle Behandlung hin- gegen müsse zusätzliche Risikofak- toren mit berücksichtigen. Mit dieser

Strategie könnten möglicherweise Ressourcen eingespart werden, weil unnötige Behandlungen vermieden und so Kapazitäten für wichtigere Maßnahmen freigesetzt werden könnten. Durch ständige Evalu- ierung von Therapien und Vorsorge- maßnahmen in bezug auf deren Ko- sten-Nutzen-Relation würden Be- dingungen geschaffen, unter denen der maximale Nutzen bei einem ge- gebenen Budget erreicht werden kann. Dazu ergänzte Prof. Albert Weale von der Universität Essex vom Fachbereich Verwaltung und Staatswesen, daß ein solches Kon- zept nur durchgeführt werden kön- ne, wenn die Bevölkerung über- einstimmend eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Rationierung ak- zeptiere oder bereit sei, die entspre- chenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Nach Ansicht der Delegierten ist hier die Regierung gefordert. Sie müsse Richtlinien erlassen, die für die Versorgung des gesamten Landes bindend seien. Zur Zeit werden die Finanzbudgets lokal verwaltet. Dies bedeutet, daß es zu starken Unter- schieden in der Versorgung kommt.

Ein Beispiel: Der 33jährige Kenneth Fisher war an Multipler Sklerose er- krankt und bekam von zwei Neurolo- gen im Sheffield’s Royal Halmshire Hospital Interferon-Beta verschrie- ben. Die Krankenhausapotheke ver- weigerte die Herausgabe des Medi- kaments, weil die für Fisher zuständi- ge Gesundheitsbehörde die Behand- lungskosten von 10 000 Pfund pro Jahr nicht bezahlen wollte. Nach 18 Monaten hat Fisher jetzt vor dem High Court recht bekommen: sein Zustand hat sich derweil zunehmend verschlechtert. Um solche Mißstände zu beseitigen, forderten die Dele- gierten in einem „offenen Brief“ die Regierung auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und ein landes- weit gültiges Konzept zur Reformie- rung des National Health Service vorzulegen. In ihrem Brief bekann- ten sich die Konferenzteilnehmer ausdrücklich zum Konzept der Ra- tionierung. Diese sollte medizinisch indiziert sein, Kosten-Nutzen-Schät- zungen berücksichtigen und für die Bevölkerung fair und nachvollzieh- bar sein. Dr. Stephan Mertens A-2115 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 33, 15. August 1997 (27)

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Rationierung

ist unvermeidbar

Prekäre Finanzsituation zwingt zur Revision von Versorgungskonzepten Motiviert durch die finanziell angespannte und lückenhafte Gesundheits- versorgung sowie die Aufbruchsstimmung, die mit der Machtübernahme der neuen Labour-Regierung einhergeht, diskutierten Delegierte der British Medical Association (BMA), ob und wie im staatlichen Gesundheitssystem Groß- britanniens rationiert werden sollte. Die Konferenz mit dem Titel „Rationing in the NHS: time to get real“ veranstaltete die BMA am 11. Juli in London.

Großbritannien

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