THEMEN DER ZEIT
N
och immer ist die Gleichbe- rechtigung der Geschlechter in vielen Ländern noch lange nicht annähernd in die Wirklichkeit umgesetzt. Mehr noch als die För- derung der hochentwickelten Medi- zin zugunsten weniger, zum Beispiel in der Reproduktionsmedizin, sei es die Aufgabe des Frauenarztes, sich weltweit für die Rechte der Frauen, für ihre gesundheitliche Unver- sehrtheit und die bestmögliche me- dizinische Versorgung einzusetzen — so ein Fazit auf dem XIV. Weltkon- greß für Gynäkologie und Geburts- hilfe in Montra.l. Die Gynäkologen versprachen, sich intensiver auch im Bereich der Politik für eine bessere Lebensqualität der Frauen und eine Sicherung ihrer vollen Bürgerrechte einzusetzen.Die Frauenärzte bekannten sich dazu, den Frauen der Welt mehr Lebensqualität, eine bessere Gesundheitsvorsorge, eine bessere Familienplanung und einen höhe- ren professionellen Standard im.
ganzen Bereich der Medizin zu ge- währleisten. Die Gesundheit der Frauen rund um den Erdball, insbe- sondere in den Drittweltländern, müsse entscheidend verbessert wer- den.
Die F6d6ration Internationale de Gyn&ologie et d'Obst6trique (FIGO) strebt eine Zusammenar- beit mit staatlichen und privaten Organisationen an. Deshalb wur- den auch einflußreiche Persönlich-
TAGUNGSBERICHT
keiten eingeladen, wie die Direkto- rin der Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen, Dr. Nafis Sadik. Frau Sadik stellte heraus, daß jährlich 500 000 Frauen gerettet werden könnten, wenn sich die so- ziale Situation in den betreffenden Ländern ändern würde. Immer noch stürben zu viele Mütter während einer Entbindung, beson- ders in den Entwicklungsländern.
Das Leid dieser Frauen könnte vermindert werden, wenn sie den gleichen Zugang zu den medizini- schen Fortschritten erlangen wür- den wie der männliche Teil der Be- völkerung. Jungen würden bevor- zugt, wenn es um die Ernährung, um die medizinische Versorgung und um die Schulausbildung geht.
Viele Mädchen und Frauen können nicht ins Krankenhaus, wenn sie krank sind.
Die Gynäkologen der Welt setzten sich in Montral dafür ein, daß Frauen die gleichen gesell- schaftlichen Chancen haben wie Männer und die gleichen Bildungs- möglichkeiten, um ihre Lebensqua- lität verbessern zu können. Nur dann könnten sie in Eigenverant- wortlichkeit das Risiko einer ver- nünftigen Familienplanung tragen und insgesamt mehr Sicherheit in Fragen der Sexualität gewinnen, um sich zum Beispiel auch vor Erkran- kungen wie AIDS besser zu schüt- zen. Die Praxis der Verstümmelung der weiblichen Genitalien existiert
derzeit in ungefähr 40 Ländern in Afrika und Asien, und sie ist mit Ansteigen und durch die Einwande- rung der Moslems nach Nordameri- ka und Europa auch dort immer mehr verbreitet. Das geschätzte Vorkommen von verstümmelnden Operationen des weiblichen Geni- tales wird auf 85 bis 114 Millionen pro Jahr geschätzt, mit einer jährli- chen Zuwachsrate von zwei Millio- nen Fällen — 600 Mädchen werden täglich zirkumzidiert.
Mit emotionaler Entrüstung wurden Filme, die die Beschnei- dung junger Mädchen zeigten, regi- striert. Ohne Narkose und ohne jeg- liche Hygiene werden Kindern die Klitoris und beide kleinen, oft auch die großen Schamlippen mit Rasier- klingen entfernt. Oft wird die Vulva anschließend zugenäht. Lebensge- fährliche Infektionen und Schock- zustände, Menstruationsprobleme, eine Störung des Urinierens, Steri- lität, psychosexuelle Störungen, Komplikationen bei Schwanger- schaft und Geburt sind die Folge. In Somalia und im Sudan zum Beispiel werden noch heute 100 Prozent al- ler Mädchen beschnitten.
Dem entgegneten die mosle- mischen Wissenschaftler, die Sharia und der Koran seien nicht so rigide, wie dies immer dargestellt würde.
Unterschiedliche, zum Teil auch un- vereinbare Ansichten wurden auch bei Fragen der Genmanipulation und anderem deutlich.
Ein weiteres Anliegen der Gynäkologen war es auch, künftig Wege zu finden, die es Frauen er- möglichen, trotz wirtschaftlicher Notlage überhaupt einen Frauen- arzt aufsuchen zu können (von 80 Prozent aller Frauen weltweit kön- nen das nur fünf Prozent), daß die finanziellen Verhältnisse und damit die medizinische Versorgung in den armen Regionen auf der ganzen Er- de sich verbessern und daß ein stär- kerer Einfluß auf die politisch und religiös verantwortlichen Personen gewonnen werden kann.
Dr. med. Reiner Gödtel Gynäkologie, Geburtshilfe, Psychotherapie
Dr.-Albert-Jung-Str.2, 66869 Kusel
XIV. Weltkongre3 für Gynäkologie und Ueburtshilfe
Hommage an die Frauen der Welt Reiner Gödtel Über 8 000 Gynäkologen aus 130 Ländern der Erde trafen sich zum XIV. Welt- kongreß für Gynäkologie und Geburtshilfe im Palais des Congrös von Montreal.
Schwerpunktthemen des alle drei Jahre stattfindenden Kongresses waren unter anderem Reproduktionstechniken, genetische Eingriffe, Kontrazeption, neue Operationsmethoden, gut- und bösartige Tumoren, Infektionen, Hormonthera- pie, Schwangerschaft, Geburt und Menopause. Es ging jedoch nicht nur um die rein praktischen, medizinischen Fragen, ein Hauptanliegen der Wissenschaftler war das Wohl und die Gesundheit der Frauen allgemein.
A-3010 (38) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 44, 4. November 1994