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Archiv "Von Froschschenkeln und „thierischer Elektrizität“: Vor 200 Jahren erschien Galvanis berühmte Schrift zur Neurophysiologie" (14.11.1991)

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is zum Ende des 18.

Jahrhunderts bekunde- ten die Mediziner kein besonderes Interesse an dem elektrischen Phänomen, ob- wohl gerade ein Arzt die Elektrizität als eigenständige Naturkraft nachgewiesen hat- te: William Gilbert (1544- 1603), zuletzt Leibarzt der englischen Königin Elisabeth 1., hatte schon im Jahre 1600 ein umfassendes Werk zu diesem Thema ("De magne- te . . . ") vorgelegt, in dem die seit der Antike bekannten Erscheinungen des Magnetis- mus und der Elektrizität erst- mals klar unterschieden und eindeutig charakterisiert wor- den waren.

In den folgenden J ahr- zehnten hatte man gelernt, mittels der Elektrisiermaschi- ne hohe Spannungen und durch deren Entladungen Funken zu erzeugen; um 1750 fanden deutsche und hollän- dische Naturforscher (v.

Kleist, Musschenbrook) in Gestalt der sogenannten Lei- dener Flasche auch eine Möglichkeit, Elektrizität zu speichern.

Feld für Autodidakten und Dilettanten ...

Es war außerdem bekannt, daß man mit elektrischen Entladungen Menschen er- schrecken und ihre Muskeln zum Zucken bringen konnte.

Wenngleich der Schweizer Gelehrte Albrecht von Haller (1708-1777) im Rahmen sei- ner umfangreichen physiolo- gischen Untersuchungen be- reits die Irritabilität als Ei- genschaft des Muskel-Gewe- bes und die Sensibilität als Charakteristikum der Nerven erkannte, interessierten sich die akademischen Mediziner wenig für die biologischen Ef-

fekte der Elektrizität: man überließ das Feld weitgehend den Autodidakten und den Dilettanten.

Diese Situation änderte sich schlagartig, als im Jahre 1791-vor nunmehr 200 Jah- ren - das Werk eines italieni- schen Anatomieprofessors, Luigi Aloysios Galvani aus

Von Froschschenkeln

und "thierischer Elektrizität"

Vor 200 Jahren erschien -

Galvanis berühmte Schrift zur Neurophysiologie Franz Kohl

Bologna, erschien: Sein Buch unter dem Titel "De viribus electricitatis in motu muscu- lari commentarius" stellte scheinbar ein neues Phäno- men, die "animalische Elek- trizität" vor und wirkte wie ei- ne Initialzündung für den Aufschwung der Neurophy- siologie.

Die Naturforscher stürz- ten sich geradezu auf das neue Gebiet, und bald schon jagte ein~ Publikation zu die- sem Thema die andere. "Die Physiologen glaubten ihren hergebrachten Traum einer Lebenskraft mit Händen zu greifen" - kommentiert Emil DuBois- Reymond (1818- 1896) fünfzig Jahre danach -,

"den Ärzten ... schien keine Heilung mehr unmöglich und zum wenigsten scheintodt konnte niemand mehr begra- ben werden, der zuvor galva- nisiert worden war".

Alessandro Volta (1745- 1827), der bald der wichtigste Kritiker des "Galvanismus"

werden sollte, erfuhr von der Arbeit 1792 und wiederholte sogleich die beschriebenen Experimente; ähnlich verfuh-

Luigi Galvani (1737-1789), Kup-

ferstich um 1840, nach einem zeitge·

nössischen Bildnis gezeichnet von Francesco Spag- nuoli und gesto- chen von Antonio Marchi

foto: ArchiV für Kunst und Geschichte, Berlll1

ren Alexander von Humboldt (1769-1859) und viele ande- re. Die Diskussion um die

"galvanische Elektrizität" er- faßte bald die ganze gebildete Welt, und "wo es Frösche gab, ... wollte Jedermann sich von der wunderbaren Wiederbelebung der verstüm- melten Gliedmaßen durch den Augenschein überzeu- gen" (DuBois-Reymond 1848).

Galvanis Lebensweg Luigi Galvani wurde am 9.

September 1737 in der tradi- tionsreichen Universitätsstadt Bologna geboren. Er ent- stammte einer der zahlrei- chen Patrizierfamilien der Stadt, seine Vorfahren waren zumeist Juristen oder Theolo-

gen. Auch er dachte zunächst

an eine theologische Lauf- bahn, wurde aber zum Medi- zinstudium angehalten und studierte an der berühmten medizinischen Fakultät sei- ner Heimatstadt, wo schon Malpighi, Valsalva, Morgagni und viele andere Vertreter

der neuzeitlichen Anatomie gewirkt hatten.

Nach erfolgreichen Stu- dien- und Dozentenjahren wurde Galvani 1766/1767 Cu- stos des Anatomischen Muse- ums und zugleich Professor an der Anatomieschule. Er interessierte sich vorwiegend für grundlagenwissenschaftli- che und experimentelle Fra- gen, eine praktische Tätigkeit übte er nur vorübergehend aus, wirkte allerdings zeitwei- lig auch als Dozent für Gynä- kologie.

Zusammen mit seiner Frau Lucia, der Tochter eines Naturkundeprofessors, bilde- te er den Mittelpunkt eines wissenschaftlichen Kreises, der intensiv die Grundfragen medizinischer und philoso- phischer Forschung debat- tierte, wobei das Problem der

"Lebenskraft" eine besonde- re Rolle spielte.

Seim: anatomischen Un- tersuchungen führte Galvani häufig an Fröschen durch, wobei ihn wohl auch der Wunsch beseelte, den Sitz der

"Lebenskraft" - dieser zen-

tralen Hypothese des zeitge- nössischen Vitalismus - zu finden und die Gesetze des sogenannten "animalischen Fluidums" zu ergründen.

Galvani entdeckte zu- nächst die elektrischen Orga- ne des Zitteraals neu. 1773 erschien seine Arbeit "Über die Muskelbewegung des Fro- sches" und wenig später

"Über die Wirkung von Opi- aten auf die Nerven des Fro- sches". Er vermu tete auch be- reits, daß die Nervenleitung auf elektrischer Basis erfolg- te, wußte aber anfangs recht wenig über Physik und Elek- trizi tä t.

Mit diesen Forschungen hatte er "einen viel größeren Fisch an der Angel, als er dachte" (Segre) und kam so 1780 zu seiner epochema- chenden Entdeckung. Er überlegte und experimentier- te noch über ein Jahrzehnt, ehe er die Ergebnisse 1791 publizierte. Nach einer kur- zen Phase des Ruhms trafen ihn dann mehrere Schicksals- schläge: 1793 starb seine Frau, 1796 wurde er von sei- Dt. Ärztebl. 88, Heft 46, 14. November 1991 (91) A-4045

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nem Amte dispensiert, nach- dem die Franzosen Oberitali- en erobert hatten und Galva- ni ihnen den Treue-Eid ver- weigerte. Gesundheitlich an- geschlagen starb er am 4. De- zember 1798, bis zuletzt da- von überzeugt, "daß tierische Elektrizität nicht das gleiche sei wie die gewöhnliche Elek- trizität" (Segre).

Die große Entdeckung Wann genau Galvanis ent- scheidender Versuch statt- fand, läßt sich wohl nicht mehr sicher feststellen, wenn- gleich manche Autoren den 6.

November 1780 angeben.

Galvani selbst schildert seine bahnbrechende Beobachtung - nach einer deutschen Über- setzung von 1864 wie folgt:

"Ich secierte einen Frosch

und präparierte ihn ... und legte ihn ... auf einen Tisch, auf dem eine Elektrisierma- schine stand ... , weit von de- ren Conductor getrennt ... Wie nun der eine von den Leuten, die mir zur Hand gin- gen, mit der Spitze des Skal- pellmessers die inneren Schenkelnerven ... des Fro- sches zufällig ganz leicht be- rührte, schienen sich alle Muskeln an den Gelenken wiederholt derart zusammen- zuziehen, als wären sie an- scheinend von heftigen toni- schen Krämpfen befallen."

Galvani war überrascht, weil offensichtlich keine Ver- bindung zwischen dem Kon- duktor und dem Präparat be- stand und sich die Frage steil- te, wie dann die Kontraktion der Muskeln zu erklären sei.

Neugierig geworden, "be- mühte er sich, seine Versuche auf tausenderlei Art abzuän-

dern" (Arago, zit. nach

Fraunberger). Zunächst ver- suchte er, die Rolle des (me- tallischen!) Seziermessers in der genannten Konstellation zu ergründen, dann durch- stieß er Wirbelsäule und Rückenmark mit einem Me- talldraht und ließ die Beine des Frosches eine Metallplat- te berühren. Auch bei dieser Anordnung waren Kontrak- tionen zu beobachten. Im

Zeitgenössische Stiche der Forschungen Luigi Galvanis, oben die Versuche mit Luftelektrizität, unten seine Elektrisiermaschine Jahre 1786 schließlich ging er

ins Freie und versuchte, über eine Metalleitung die Gewit- ter-Elektrizität einzufangen und einem präparierten Frosch zuzuleiten.

Er bemerkte auch bereits, daß man Kontraktionen ohne jede Funkenelektrizität und ohne atmosphärische Elektri- zität erzeugen kann, wenn man Nerv und Muskel über geeignete Metalle in Verbin- dung bringt, wobei verschie- dene Metalle unterschiedlich starke Effekte zeigen. Beson- ders wirksam fand er die Ver- bindung zweier Metalle zu diesem Zweck: "Ist der Bogen aus zwei verschiedenen Me- tallen gemacht, geht alles bes- ser von statten", schreibt er und verwendet sogar schon den Begriff "metallische Elektrizität". Weiter kann er nicht vordringen und muß die Deutung dieses Phänomens J.etztendlich seinem Lands-

mann Volta überlassen, dem er somit ganz entscheidende Vorarbeiten liefert.

Kritik der Ergebnisse und Wirkungsgeschichte Nach diesen Beobachtun- gen war für Galvani die Hauptfrage, wie man die Ex- perimente schlüssig interpre- tieren sollte. Er hoffte wohl,

den "animalischen Geistern"

auf die Spur gekommen zu sein, die man als Ursache al- ler Lebenserscheinungen an- . sah, wobei er sich von einigen

nebulösen zeitgenössischen Vorstellungen nicht genü- gend distanzieren konnte.

Die an seinen Präparaten beobachteten Effekte ver- suchte er zu erklären, indem er annahm, die Frösche seien einer Leidener Flasche ver- gleichbar; durch die Ver- suchsanordnungen würde al-

A-4046 (92) Dt. Ärztebl. 88, Heft 46, 14. November 1991

so eine "Entladung" der im tierischen Körper gespeicher-

ten "inneren Elektrizität" er-

folgen, was wiederum die Kontraktion bewirkte. Die Aut1adung der tierischen Körper geschehe - so postu- lierte er weiter - vermutlich über die Tätigkeit des Ge- hirns, und man habe es also mit einem neuartigen Phäno- men zu tun - eben der "tieri- sehen Elektrizität".

Folgte man dieser Auffas- sung, mußte man dem "Gal- vanismus" eine wesentliche Bedeutung für die Beantwor- tung der Vitalismus-Proble- matik zubilligen. Die kritische Resonanz konnte also nicht lange ausbleiben, und bald gab A\essandro Volta, Profes- sor der Physik in Pavia, eine gänzlich andere Interpretati- on der Experimente Galvanis, welche sich nach 1800 zuneh- mend durchsetzte.

Für Volta war das Frosch- Präparat nicht die Quelle, sondern der Detektor der Elektrizität. Die eigentliche Quelle sah er in den Metallen und erklärte die galvanischen Effekte über die Potentialdif- ferenzen der beteiligten Me- talle. Als er aus verschiede- nen Metallen eine offensicht- liche Stromquelle, die "Volta-

'sehe Säule" konstruieren

konnte, hatte er die physikali- sche Fachwelt von seiner Deutung überzeugt.

An Galvani anknüpfend, entwickelte sich im 19. Jahr-

hundert zunächst die Physio- logie von Nerv und Muskel, die in den "Untersuchungen über die thierische Elektrizi- tät" (1848-1860) von DuBois- Reymond ihren vorläufigen Abschluß fand. Durch die Ar- beiten vor allem von Duchen- ne (1806-1875) und Wilhelm Erb (1840-1921) wurden die Erkenntnisse auch klinisch nutzbar gemacht, und um 1870 bildeten Elektrodiagno- stik und Elektrotherapie we- sentliche 'Elemente der sich neu ausbildenden Neurolo- gie.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Franz Kohl Vorarlberger Weg 20 W-7800 Freiburg

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