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Arbeiten und Texte zu Slawistik ∙ Band 55

(eBook - Digi20-Retro)

Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D.C.

Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG-Projekt „Digi20“

der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner:

http://verlag.kubon-sagner.de

© bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages

Jan Paul Hinrichs

Verbannte Muse

Zehn Essays über russische Lyrik der Emigration

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A R B E I T E N U N D T E X T E Z U R S L A V I S T I K • 55 H E R A U S G E G E B E N V O N W O L F G A N G K A S A C K

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Jan Paul Hinrichs V E R B A N N T E M U S E

Z ehn Essays ü b e r russische L y r ik e r d e r E m igration

A.Nesmelov, G.Ivanov, V.Lebedev, D.Knut, V.Lourié, B.Poplavskij, A. Štejger, V.Perelešin, N.Moršen, I.Elagin

1 9 9 2

M ü n c h e n • V e r l a g O t t o S a g n e r i n K o m m i s s i o n

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Die vorliegenden Essays wollen einen Beitrag leisten zur Erschließung der russischen Emigrantenlyrik, eines noch immer wenig untersuchten Teil- bereichs der russischen Literatur. Sie enthalten biographische Porträts so- wie Darstellungen der poetischen Entwicklung von zehn Dichtern, wobei die wichtigsten Momente in der Rezeptionsgeschichte, Memoirenliteratur und aktuelle Forschungsbeiträge berücksichtigt worden sind. Die meisten Aufsätze in dieser Sammlung wurden in den Jahren 1982-1990 in niederländischen literarischen Zeitschriften publiziert. In Buchform er- schienen sie unter dem Titel Verbannen muze. Vijftien essays over schrij- vers van de Russische emigratie (Leiden: De Slavische Stichting te Leiden, 1990).

Übersetzung aus dem Niederländischen und Russischen:

Thomas Hauth

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hinricha, Jan Paut

Verbannte Muse : zehn Essays über russische Lyriker der Emigration ; A. Nesmelov, G. Ivanov, V. Lebedev, D. Knut, V.

Lourié, В. Poplavskij, A. Štejger, V. Perelešin, N. Moršen, I.

Elagin / Jan Paul Hinrichs. [Ubers, aus dem Niederländ. und Russ.: Thomas Hauth]. - München : Sagner, 1992

(Arbeiten und Texte zur Slavistik; 55) Einheitssacht: Verbannen muze <dt>

Teiiausg.

ISBN 3-87690-513-3 *--- \

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l München I

Alle Rechte Vorbehalten ISSN 0173-2307 ISBN 3-87690-513-3

GesamthersteUung : Kleikamp Druck GmbH, Köln

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IN H A L T

V o rw o rt 7

A rs e n ij Nesmelov 17

G e o rg ij Ivanov 32

Vjačeslav Lebedev 45

D ovid K n u t 53

Vera L o u rié 68

B oris P oplavskij 75

A n a to lij S tejger 87

V a le rij Perelešin 96

N ik o ła j Moršen 111

Ivan E lagin 125

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VORWORT

Nach dem U m sturz von 1917 und dem darauffolgenden russischen B ürgerkrieg, der m it dem Sieg der B olschew iken endete, bildeten die A u to re n der russischen E m igration - anfangs in B erlin und später vor allem in Paris, Prag und H arbin - ihre eigene Welt m it Verlagen, Tageszeitungen, Z e its c h rifte n und Theatern. Der Z w e ite W eltkrieg bereitete dem Zusammenhalt der "ersten E m ig ra tio n ” ein Ende. In den Ländern Osteuropas und in China kamen kom m unistische Re- gierungen an die M acht, die die einstigen A k tiv itä te n der Em igranten n ic h t länger tolerierten. Außerdem entschlossen sich im m er mehr Russen sow ohl in Westeuropa als auch im Fernen Osten dazu, in die V e re in ig te n Staaten bzw. nach A ustralien auszuwandern oder - unter dem D ru c k von Stalins Versprechen, den E m igranten Am nestie zu verleihen - in ih r Vaterland zurückzukehren. Von der enormen V iel- fa lt des literarischen Lebens aus der Z e it v o r dem Z w eiten W eltkrieg w ar bald w enig mehr übrig, um so mehr, als viele prom inente A utoren während des Krieges gestorben waren (z.B. D m itr ij M erežkovskij, Z inaida G ippius, K onstantin B a l'm o n t, M a t' M arija, J u rij F el'ze n, J u rij M and el'š ta m und A n a to lij Stejger).

Für frisches B lu t sorgte die große Gruppe Russen, die während des Z w e ite n W eltkrieges die S ow jetunion verließ. Diese sogenannte zw eite E m ig ra tio n setzte sich aus Russen zusammen, die es als Z w angsarbeiter nach Deutschland verschlagen hatte oder die a u f die eine oder andere Weise in den Westen geflüchtet waren. Aus dieser Gruppe wurden nach dem Ende des Krieges viele gegen ihren W illen in die S ow jetunion re p a triie rt; andere kehrten fr e iw illig zu- rück, und w ieder andere konnten in Westeuropa bleiben oder wan- derten nach einer Internierung in Deutschland in die V ereinigten Staaten oder in andere Em igrationsländer aus. D ie zw eite Em igra- tio n um faßte im Gegensatz zur ersten nur wenige Intellektuelle, jedenfalls aber keinen einzigen A utoren, der sich in der Sow jetunion bereits einen Namen gemacht hätte.

U m das Jahr 1970 herum begann die " d ritte E m ig ra tio n ” : die er- zwungene oder fre iw illig e E m ig ra tio n zahlreicher Intellektueller, die K r i t i k an der kom m unistischen Führung geäußert hatten. N icht

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selten handelte es sich dabei um S chriftsteller, die ihre Werke in einem w estlichen Verlag bzw. in der S ow jetunion im 'S a m izd a t' v e rö ffe n tlic h t hatten. Es ist die Frage, ob man diese E m ig ra tio n s- welle n ic h t im Jahre 1986 enden lassen sollte, als eine Liberalisierung im k u ltu re lle n K lim a in der Sow jetunion die V e röffen tlichung zahl- reicher Werke erm öglichte, die bis zu diesem Z e itp u n k t verboten gewesen waren. Eine E m ig ra tio n aus der S ow jetunion aus p o liti- sehen Gründen w ar ab diesem Moment n ic h t mehr naheliegend.

Es ist eine andere Frage, ob seitdem überhaupt noch von einer russischen E m ig ra n te n lite ra tu r im politischen Sinne die Rede sein kann. Diese muß ja ih r E xistenzrecht aus der Tatsache ableiten, daß es im M utterland verboten ist, bestim m te literarische Werke zu veröffentlichen. Besonders seit der V e rö ffe n tlich u n g von A us- zügen aus Solźenicyns A rch ip e la g G U Lag (A rchipel Gulag) in der M oskauer L ite ra tu rz e its c h rift ”N ovyj M ir ” (Neue W elt) im Jahre 1989 is t diese Frage a ktu e ll geworden. Die ” R ückkehr" dieses einst aufs schärfste verbotenen Werkes m a rk ie rt die Aufhebung des einst so krassen Gegensatzes zwischen der o ffiz ie ll genehmigten "S o w jet- lite ra tu r” einerseits und der E m igrantenlite ratu r und dem ' Samizdat ' andererseits. Wohl muß hinzugefügt werden, daß zwischen 1986 und 1992 le d ig lich ein einziger bekannter A u to r aus der E m igration, die L y rik e rin und P rosaikerin Irin a Odoevceva (die kurz danach starb), d e fin itiv nach Rußland zurückkehrte.

D ie russische L ite ra tu r nach geographischen K rite rie n einzu- teilen, also h in s ic h tlic h des Wohnortes des A utoren und des E rschei- nungsortes seines Werkes, ist w enig e ffe k tiv , da manch ein A u to r im V erlauf seiner K arriere von der einen K ategorie in die andere überwechselte. D ie tra d itio n e lle E in te ilu n g , der zufolge Strömungen nach form ellen Kennzeichen der A utoren unterschieden werden (”Sym bolisten", "F uturisten", "A km eisten", " S o z ia lis te n ” usw.), sollte dann vorgezogen werden. Aber es is t genau dieser Punkt, der L ite ra tu rh is to rik e r bei Em igranten vor Probleme gestellt hat. Die E m ig ra tio n hat zwar bedeutende S chriftsteller, aber keinen echten

”Ismus” hervorgebracht; ihre A utoren würden - m it diesen tra d itio - nelien E inteilungen als Ausgangspunkt - w illk ü rlic h Bewegungen zu g e te ilt werden, denen sie nie ganz angehört haben. In einer tradi- tionellen Literaturgeschichte können sie dann doch am besten

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” sej a ra t” aufgeführt werden, und zw ar unter der Ü b e rschrift "E m i- granten” . A ber gerade das is t selten geschehen. Es s te llt sich heraus, daß die russische L ite ra tu r in vielen Handbüchern im p liz it eben doch nach geographischen M erkm alen behandelt w ird: Wer den S chw erpunkt seiner K arriere außerhalb Rußlands hatte, w ird häufig n ic h t oder kaum genannt.

E m ig ra n te n lite ra tu r ist in w estlichen Handbüchern nach dem Z w e ite n W eltkrieg häufig schlecht weggekommen. Marc Slonim äußert sich in M odern Russian L ite ra tu re (New Y o rk 1953) unum- wunden negativ über die L ite ra tu r der E m igration. In einem Ab- s c h n itt von zehn Seiten (in einem Buch von 467 Seiten, das die L ite ra tu r nach Cechov behandelt) behauptet er, daß "sich keine neuen Trends, keine neuen Schulen oder individuelle Autoren von Bedeutung aus der E m ig ra tio n hervorgehoben hätten. Diese S c h rift- steiler schlossen ein K a p ite l russischen Lebens und künstlerischer E n tw ic k lu n g ab, aber man kann kaum von ihnen behaupten, daß sie neue e rö ffn e t haben (...).” 1 In einem anderen bekannten Buch aus den fü n fz ig e r Jahren, W ilhelm Lettenbauers Russische L ite ra - tu rg e sch ich te (Wiesbaden 1958^), werden der E m ig ra tio n nur fü n f Seiten gewidm et, und zw ar nur der Prosa, die in der E m igration entstanden is t2. Besser steht es um E tto re L o G attos H is to ire de la litté ra tu re russe des o rig in e s à nos jo u rs (Paris 1965). Die E m i- g ra tio n is t in diesem Buch m it einem gesonderten K a p ite l vertreten, in dem - bei aller Kürze - viele A utoren der ersten E m ig ra tio n m it großer Sachkenntnis behandelt werden3.

In A Panorama o f Russian L ite ra tu re (London 1973) tu t Janko L a vrin die E m igration a u f anderthalb Seiten ab4. Thais S. Lindstrom schenkt der E m igration in A C oncise H is to ry o f Russian L ite ra tu re , II: From 1900 to the Present (New Y o rk 1978) überhaupt keine Be- achtung. Robert Lord behauptet in Russian L ite ra tu re . A n In tro - d u ctio n (London 1980), daß er keinen Platz habe, um das Schaffen von S ch riftste lle rn w ie Chodasevič und G. Ivanov zu behandeln5.

Johannes H olthusen läßt in Russische L ite ra tu rg e s c h ic h te im 20. Jahrhundert (München 1978) die E m ig ra tio n ebenfalls lin ks liegen, auch wenn er Chodasevič ein K a p ite l w idm et (ohne dessen in der E m ig ra tio n ve rö ffe n tlich te s W erk zu nennen)6. Edward J. Brown behandelt in Russian L ite ra tu re since the R evolution

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(Cambridge, Mass., 1982) von den A u to ren der ersten E m igration nur Chodasevič und Nabokov, um danach a u sfü h rlich a u f verschie- dene A u to ren der d ritte n E m igration einzugehen; die zw eite E m i- g ra tio n ko m m t n ic h t an die Reihe7. Auch in einem neuen Buch von Slonim, S o vie t Russian L ite ra tu re . W riters and Problems (New Y o rk 1977) dient die erste E m ig ra tio n nur als E in le itu n g von einer Seite zu einem K a p ite l Uber die d ritte E m ig ra tio n 8.

A m stärksten in einer w estlichen L ite ra tu rg e s c h ic h te vertreten ist die E m igrantenliteratur in einem vor kurzem erschienenen fra n - zösischen Standardwerk, das von einem A u to re n k o lle k tiv zusam- m engestellt wurde, H is to ire de la litté ra tu re russe. Le X X e siècle:

la R é vo lu tio n e t les années v in g t (Paris 1988). In diesem Buch w e r- den der E m ig ra n te n lite ra tu r der zw anziger Jahre mehr als 160 Seiten eingeräumt. Es is t dennoch schade, daß sich die A u fm e rksa m ke it a u f nur neun A utoren ric h te t9. Im V ergleich h ie rm it ein R ü c k s c h ritt is t The Cam bridge H is to ry o f Russian L ite ra tu re (Cambridge 1989), in der die E m ig ra tio n in einem K a p ite l k u rz zur Sprache kom m t, das der Periode des sozialistischen Realismus gew idm et ist (!). Es ist bemerkenswert, daß alle A utoren der ersten und zweiten Em igra- tio n a u f 14 Seiten abgetan werden, während einem S ch riftste lle r der d ritte n E m igration w ie B ro d skij allein schon vie r Seiten einge- räum t werden. Eine derartige Beachtung eines lebenden A utoren ist unverhältnism äßig groß, wenn w irk lic h großen D ichtern aus der Vergangenheit w ie Vladislav Chodasevič und G e o rg ij Ivanov nur wenige Z eilen zugestanden w erden10.

Großen Verdienst um die D arstellung der E m ig ra n te n lite ra tu r haben zwei enzyklopädische Nachschlagewerke: L e x ik o n der russischen L ite ra tu r ab 1917 (S tu ttg a rt 1976; Ergänzungsband, München 1986, 2., neu bearbeitete A uflage, M ünchen 199211 ) von W olfgang Kasack und Handbook o f Russian L ite ra tu re (New Haven 1985) von V ic to r Terras. H ie rin sind v ie l m ehr Em igranten aufge- nommen worden, als man in jedem anderen allgemeinen Handbuch finden kann. Kasacks Nachschlagwerke gehen dabei von dem Stand- pu n kt aus, daß die russische L ite ra tu r des 20. Jahrhunderts als eine E in h e it aufgefaßt werden muß und n ic h t in T eilgebiete w ie "Inlands- lite ra tu r” und "E m igranten" a u fg e te ilt werden kann. Dieser A us- gangspunkt hat sich, vor allem, da seit e in ig e r Z e it viele ideolo­

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gische Barrieren zwischen ” Ost" und ”West” n ic h t m ehr bestehen, als sehr fru ch tb a r erwiesen.

D ie einzige allgemeine A rb e it Uber E m ig ra n te n lite ra tu r is t im m er noch Gleb Struves Russkaja lite ra tu ra v iz g n a n ii. O p yt is to riče sko g o obzora zaru bežnoj lite ra tu ry (Russische L ite ra tu r in der Verbannung.

Versuch einer historischen Ü bersicht über die im Ausland erschie- nene L ite ra tu r), im Jahre 1956 in New Y o rk erschienen und im Jahre 1984 m it einigen Änderungen in Paris neu aufgelegt. T ro tz der T a t- sache, daß dieses Buch über 30 Jahre alt ist, s te llt es im m er noch die beste Abhandlung über die L ite ra tu r der ersten E m ig ra tio n dar, vor allem sofern diese sich in Paris abspielte. In bezug a u f die russische L ite ra tu r, die in anderen Gebieten w ie den baltischen Staaten und im Fernen Osten erschien, bietet es wenige und n ic h t im m er rich tig e Inform ationen. D ie einzige in einer w estlichen Sprache geschriebene E inführung in die E m ig ra n te n lite ra tu r is t A Russian C u ltu ra l R evival. A C ritic a l A n th o lo g y o f E m ig ré L ite ra tu re before 1939 (K n o x v ille 1981) von Tem ira Pachmuss. Dieses W erk enthält eine E in fü h ru n g in das Schaffen von zahlreichen D ich te rn und Prosaikern aus der ersten E m igration, begleitet von einer Auswahl aus ihren Werken. Es ist demnach sowohl E in fü h ru n g als auch A nthologie.

Obwohl das Buch in hohem Maße an Struve angelehnt is t und nur in begrenztem Maße die P rim är- und Sekundärliteratur, die seitdem erschienen ist, in h a ltlic h und bibliographisch erschließt, kann dieses W erk zur ersten O rie n tie ru n g dienen.

Obwohl auch Einzelstudien über E m ig ra n te n lite ra tu r in westlichen Sprachen erschienen sind, hat dieses Thema in der w estlichen S law i-

s tik bisher eine bescheidene Rolle gespielt. Ich habe n ic h t den E in - druck, daß dieser Tatsache ein negatives W e rtu rte il zugrunde liegt, da die m eisten E m igranten, den w estlichen slaw istischen V e rö ffe n t- lichungen nach zu urteilen, w enig gelesen wurden und es som it auch ke in a u f einer breiten Rezeption beruhendes qualitatives U rte il über ih r W erk geben konnte. Was h ie r w ahrscheinlich eine Rolle spielte, w ar eine w estliche in te lle ktu e lle T ra d itio n , die davon ausging, daß das ” Erneuernde” in der russischen L ite ra tu r aus der S ow jetunion selbst kom m en mußte. Em igranten schienen eine verlorene Sache zu repräsentieren und aus diesem Grunde w eniger interessant zu sein. Im Westen konnte sich ein E m igrant nur dann einen Namen

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machen, wenn er zuvor in Rußland oder in der S ow jetunion a u f sich aufm erksam gemacht hatte. Darum kennt man von der ersten E m i- g ra tio n im allgemeinen solche A utoren w ie Bunin, Chodasevič, G ip p iu s und M erežkovskij, w e il diese bereits vor 1917 eine Rolle im russischen literarischen Leben gespielt hatten, aber w esentlich seltener jene A utoren, die zu ju n g waren, als sie Rußland verließen, um sich als S ch riftste lle r einen Namen gemacht zu haben, w ie Stejger, K n u t, P oplavskij oder Perelešin.

A u to re n der zw eiten E m igration, die sich im Westen einer allge- m einen B ekanntheit erfreuen würden, g ib t es n ich t. Aus der d ritte n E m ig ra tio n sind ausgerechnet solche A utoren w ie lo s if B ro d skij, A leksandr Solźenicyn, Andrej S in ja vskij und V la d im ir M aksim ov bekannt, die noch in der S ow jetunion wohnten, als ein G roß teil ih re r Werke im Westen bereits erschienen war.

Als Faustregel kann also gelten, daß der Bekanntheitsgrad eines E m igranten im Westen, der darin zum Ausdruck kom m t, daß Bücher und A r tik e l über ihn erscheinen und sein Werk übersetzt w ird, w e- se n tlich von der Größe des ”K apitals” abhängt, das er in Rußland bzw. der S ow jetunion bereits angehäuft hatte. Es g ib t Ausnahmen w ie z.B. das Œ uvre von V la d im ir Nabokov; dieser hat - genau w ie B ro d s k ij - seinen Durchbruch allerdings der Tatsache zu verdanken, daß er begonnen hat, außer a u f Russisch auch a u f Englisch zu schreiben.

Das mangelnde Interesse fin d e t seinen Niederschlag darin, daß ein G ebiet zum großen T e il brachliegt, welches die w estliche S la w is tik w ie keine andere zu ihrem Forschungsgebiet hätte machen können.

Denn schließ lich bestand in der S ow jetunion im Grunde ein Verbot, über die E m ig ra n te n lite ra tu r zu schreiben, während sich das gesamte M a te ria l a u f diesem Gebiet im Westen befand.

E ine große Frage, die die S la w is tik in den kommenden Jahren zu beantw orten hat, ist, welche Stellung die A utoren der E m ig ra tio n bei der E n tw ic k lu n g der russischen L ite ra tu r des 20. Jahrhunderts einnehmen. Viele von ihnen, insbesondere die, die zur ersten und zw eiten E m ig ra tio n gehören, stehen gleichsam im Schatten und müssen noch einen Platz unter der Sonne zugewiesen bekommen.

Bevor von einer ernsthaften N eugew ichtung in der russischen L ite - raturgeschichtsschreibung dieses Jahrhunderts die Rede sein kann,

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w ird das Schaffen vieler A utoren der E m ig ra tio n durch Neuauflagen a lte r Werke, Textausgaben von u n ve rö ffe n tlich te m M a te ria l und die V e rö ffe n tlich u n g einführender Studien zugänglich gem acht werden müssen. A u f diesem Gebiet g ib t es noch so vie l zu tun, daß man sagen kann, daß sich die S la w is tik gerade erst am A nfang einer Aufgabe befindet, die letztendlich zu einer neuen russischen L ite - raturgeschichte des 20. Jahrhunderts führen muß.

Verbannte Muse, die erste V e rö ffe n tlich u n g dieser A rt außerhalb des russischen Sprachraums, is t eine Essaysammlung über Leben und Schaffen von zehn russischen D ich te m , die ih r Vaterland nach 1917 verlassen haben. Der S chw erpunkt der dichterischen K a rrie re der besprochenen A utoren lie g t in allen Fällen in der E m ig ra tio n . Ob- w o h l G e o rg ij Ivanov (1894-1958) und A rse n ij Nesmelov (1889-1945) bereits in Rußland p u b lizie rt hatten, stammen ihre besten G edichte aus der E m igration: Das E x il w ird sogar zum H auptthem a ihres Schaffens. Von frühen V e rö ffen tlichung en Vjačeslav Lebedevs (1896-1969) is t nichts bekannt, während die ersten G edichte von Vera L o u rié (*1901) in Rußland erschienen, nachdem sie das Land bereits verlassen hatte. D ovid K n u t (1900-1955) und B oris P oplavskij (1903-1935) publizierten noch in Rußland; A n a to lij S tejger (1907 -1944) und V a le rij Perelešin (*1913) aber waren zum Z e itp u n k t, als sie ih r Vaterland verließen, zu jung, um bereits als A u to r in E rschei- nung getreten sein zu können. Die bisher genannten A u to re n ver- ließen Rußland in den ersten Jahren nach 1917. N ik o ła j Moršen (*1917) und Ivan Elagin (1918-1987), denen ebenfalls B eiträge gew id- m et sind, kamen im Zusammenhang m it dem Z w e ite n W e ltkrie g in den Westen. Soweit bekannt, v e rö ffe n tlic h te Elagin v o r seiner A us- reise ein einziges G edicht (eine Übersetzung aus dem U kra in isch e n ) in der Sow jetunion.

Bei den vorgestellten A u to ren handelt es sich um D ic h te r, die n ic h t nur in Frankreich, dem w ic h tig s te n E m igrationsland in den Zw ischenkriegsjahren, sondern auch in Deutschland, der Tschecho- Slowakei, den V ereinigten Staaten, Brasilien, der M andschurei und C hina wohnten. Zu den m eisten von ihnen g ib t es kaum Sekundär- lite ra tu r - in w estlichen Sprachen ebensowenig w ie a u f Russisch.

K ritis c h e Ausgaben ihres gesamten poetischen Schaffens, so w ie

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sie Z.B. von E m igranten w ie Vladislav C hodasevič12 und Anna Prism anova13 vorliegen, g ib t es von keinem dieser zehn D ichter.

S ow eit m ir bekannt is t, wurden le d ig lic h von Vera L o u rié se it 1986 keine G edichte in Rußland neu aufgelegt. Buchausgaben in Rußland erschienen bisher nur m it W erken von G. Ivanov und A. Nesmelov.

W ohl aber w urde deutlich, daß viele dieser D ic h te r, lange bevor die P erestrojka die V e rö ffe n tlic h u n g ih re r W erke erm öglichte, auch in Rußland gelesen wurden.

D ie vorliegenden Essays w o lle n einen B e itra g leisten zur E r- Schließung eines noch im m er w enig untersuchten Teilbereichs der russischen L ite ra tu r. Sie enthalten biographische P orträts und Skizzen über die poetische E n tw ic k lu n g der besprochenen D ichter, w obei die w ic h tig s te n M om ente in der Rezeptionsgeschichte, M e- m o ire n lite ra tu r und a ktu e lle Forschungsbeiträge b e rü c k s ic h tig t worden sind. Z itie r te G edichte werden n ic h t n u r in Russisch ange- fü h rt, sondern auch in einer w o rtg e tre u e n Prosaübersetzung. A u f diese Weise s te llt dieser Band auch eine kle in e A n th o lo g ie russischer E m igrantenpoesie dar. Dies scheint umso m ehr von N utzen zu sein, als sich die russischen O rig in a le in manchen Fällen in schwer zu- gänglichen V e rö ffe n tlich u n g e n befinden.

D ie m eisten A ufsätze in dieser Sammlung wurden in den Jahren 1982-1990 in niederländischen lite ra risch e n Z e its c h rifte n p u b lizie rt.

In B u chform erschienen sie unter dem T ite l Verbannen muze. V ijf- tie n essays over s c h rijv e rs van de Russische e m ig ra tie (Verbannte Muse. Fünfzehn Essays Uber S c h rifts te lle r der russischen E m igra- tio n , Leiden 1990). Sie wurden fü r die vorliegende Übersetzung über- arbeitet und gegebenenfalls a k tu a lis ie rt. Der Ausgangspunkt der niederländischen Ausgabe, daß sich alle B eiträge sow ohl an den Slaw isten als auch an den interessierten Leser ric h te n und selbstän- dig gelesen werden können, wurde beibehalten.

E in W ort des Dankes m öchte ich ric h te n an Prof. D r. W olfgang Kasack, den Herausgeber der Reihe, in der dieses Buch erscheint, und an Thomas H auth fü r die Übersetzung des niederländischen T extes und der russischen Z ita te . Beide haben die V e rö ffe n tlic h u n g dieser Essays m öglich gemacht.

Jan Paul H in ric h s Leiden, September 1992

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A N M E R K U N G E N

1 M. S lonim , Modern Russian Literature. From Chekhov to the Present,

N ew Y o rk 1953, S. 406.

2 W. L e tte n b a u e r, R ussische Literaturgeschichte, W iesbaden 1958^, S . 255-260.

3 E. Lo G atto, Histoire de la littérature russe des origines a nos jo u rs, Paris 1965, S. 867-886.

4 J. L a v rin , A Panorama o f Russian Literature, London 1973, S. 263-264.

5 R. L o rd , Russian Literature. An Introduction, London 1980^ , S. 76.

6 J. H o lth u se n , Russische Literatur im 20. Jahrhundert, M ünchen 1978, S. 91-92.

ך

E. J. B ro w n, Ä u s s iim life ra fu re - s/лсе f/?e Revolution, Cambridge (M ass.) 1982, S. 345-387.

8 M. S lonim , Soviet Russian Literature. WWters and Problems 1917-1977, N ew Y o rk 1977.

9 // is f o ir e de /a littérature russe. Le X X e siècle: la Révolution e t les années vingt. Hrsg. E. E tk in d , G. N iva t, I. Serman, V. Strada. Paris 1988, S. 61-212.

10 The Cambridge H istory o f Russian Literature. Hrsg. C. A. M oser.

Cam bridge 1989, S. 460-470, 516-519, 591-594.

11 W . K asack, Lexikon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetära (2., neu b e a rb e ite te und e rw e ite rte Ausgabe), M ünchen 1992. *

12 V . C hodasevič, Stichotvorenija, Leningrad 1989.

13 A. Prismanova, Sobranie soäinenij, The Hague 1990.

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ARSENU N E S M E LO V

Im Jahre 1988 erschien im Verlag ”A n tiq u a ry ” , der seinen S itz in Orange im am erikanischen Bundesstaat C o n n e c tic u t hat, ein Buch m it dem T ite l O stro v L a ris s y (Larissas Insel). Dem U n te rtite l zu- fo lg e (A n to lo ģ ija ru s s k o j d a l'n e vo sto čn o j p o é z ii) handelt es sich um eine ”A n th o lo g ie russischer Poesie aus dem Fernen O sten” . Das Buch is t jedoch keine A n th o lo g ie , sondern eine A r t R eprint des Poesiealbums von Larissa Andersen, einer russischen D ic h te rin , die in den dreiß ige r und v ie rz ig e r Jahren in H arbin und Shanghai w ohnte, in Städten in der M andschurei bzw. China, die damals um fangreiche russische E m ig ra n te n ko lo n ie n beherbergten. Z um gegenw ärtigen Z e itp u n k t w o h n t Andersen hochbetagt in Yssingeaux in dem fra n - zösischen D epartem ent H a u te -L o ire .

Der Herausgeber von Larissas Album , in dem zahlreiche russische D ic h te r aus C hina eines oder mehrere ih re r G edichte niedergeschrie- ben haben, is t der Buchhändler Ê. Štejn. Er zeichnete auch fü r das V o rw o rt und den K om m en tar in dieser Ausgabe ve ra n tw o rtlic h , in der er gleichsam als A ppend ix auch einig e verstreut erschienene G edichte Andersens sow ie einen N achdruck der ersten Seite der vo r kurzem v e rö ffe n tlic h te n M em oiren von N a ta l'ja I I 'i n a 1 aufnahm, in denen sich die sow jetische S c h rifts te lle rin an Andersen erinnert.

O bw ohl zu bedauern w ar, daß die G elegenheit n ic h t genutzt wurde, Andersens einzigen, schwer e rh ä ltlich e n Gedichtband Po zem nym lugam ... (U ber die irdischen Felder..., Shanghai 1940) - von Štejn versehentlich Po zelenym lugam ... (Uber die grünen Felder...) b e tite lt ־ neu aufzulegen, stim m te m ich diese Ausgabe sehr neugierig.

Leider ste llte sich heraus, daß zahlreiche essentielle D inge in diesem Buch unausgesprochen bleiben: Weder im V o rw o rt noch in den A nm erkungen w ird angeführt, ob Larissas Album vollständig abgedruckt ist, welches Form at es ursp rü n g lich gehabt hat und ob die R eihenfolge der Seiten in dieser Ausgabe m it der im Album übereinstim m t. Diese Fragen drängen sich auf, da die G edichte, die in C hina in das A lbum geschrieben wurden, manchmal m it gleich- falls handgeschriebenen G edichten russischer ” E x-C hinesen” ab- wechseln, die eine D a tie ru n g aus den siebziger Jahren aufweisen.

D ie F o to ko p ie n , die Štejn von den Seiten des Album s a n g e fe rtig t

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hat, sind m anchm al so undeutlich, daß zahlreiche G edichte, vor allem d ieje nigen , die anscheinend m it B le is tift in das O rig in a l geschrieben w orden w aren, unleserlich sind. Manche G edichte sind sow ohl u nleserlich als auch te ilw e is e von der Seite weggefallen. In e in ig e n Fällen hat Štejn neben einem handgeschriebenen Gedicht den T e x t setzen lassen; w enn er aber die H a n d sch rift n ic h t lesen kann, dann ste h t in dem gedruckten T e x t die A bkürzung ” nerazb.”

fü r ” u n leserlich ", und zw ar auch in den Fällen, in denen eine starke Lam pe und ein Vergrößerungsglas noch A b h ilfe hätten schaffen können. W arum das eine G edicht gesetzt und das andere n u r in der ursp rü n g lich e n H a n d s c h rift aufgenom m en ist, w ird n ic h t e rk lä rt.

H in te n im Buch stehen einig e "C h a ra k te ris tik e n ” der D ic h te r, die in dem A lb u m v e rtre te n sind. Diese T e x te sind o ft w ö rtlic h von den 1987 in A m sterdam erschienenen M e m o ire n V a le rij Perelesins2, des bekanntesten noch lebenden D ich te rs aus dem ” russischen C hina” , abgeschrieben worden. D ie Fotos, die in manche C h a ra k te ris tik e n e in g e a rb e ite t sind, sollen angeblich ” aus dem A rc h iv von Ê. S tejn”

stammen. E in ig e Fotos sind jedoch unverkennbar K o p ie n aus Pere- lešins Buch, auch was e in z ig a rtig e fo to g ra fis c h e Abdrücke b e trifft, z.B. F otos m it e in e r S ig n a tu r oder Fotos, bei denen eine Ecke abge- rissen w ar. S im on K a rlin s k y schrieb im Jahre 1969, daß sich das W erk der russischen D ic h te r aus dem Fernen Osten "beinahe a u f dem G ebiet der A rc h ä o lo g ie ” befände3. Den H in te rg ru n d zu dieser B em erkung s te llt die Tatsache dar, daß in C hina gedruckte russische Bücher in w e s tlic h e n B ib lio th e k e n nahezu unauffindbar sind und - ganz a llge m ein gesprochen ־ über das ”russische H a rb in ” und das

"russische S hanghai” w e n ig Tatsachenm aterial v o rlie g t, das anhand von Q uellen n a ch g e p rü ft werden kö n n te . O s iro v L a iis s y h ä tte zu einer solchen Q uelle werden können, aber der Herausgeber hat daraus eine K a r ik a tu r e in e r Textausgabe gem acht.

N ic h ts d e s to tro tz is t es derselbe E. S tejn, der sich zum Z ie l gesetzt hat, die russische L ite r a tu r aus C hina aus dem Stadium der A rchäo- lo g ie zu holen und sie fü r den Leser von heute zum Leben zu er- w ecken. O s tro v L a ris s y is t im m e rh in T e il 4 seiner Reihe "K n ig i russkogo K ita ja " (B ücher des russischen C hina). Im Jahre 1987 w ar als T e il 2 ein Buch (Izbrannaja proza, A usgew ählte Prosa) eines Mannes erschienen, der als der große Abwesende in O stro v L a ris s y

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be tra ch te t werden kann: der D ic h te r A rs e n ij Nesmelov. Im Jahre 1990 v e rö ffe n tlic h te Stejn einen photom echanischen R e p rin t a lle r Gedichtbände Nesmelovs unter dem T ite l B ez R o s s ii (O hne Ruß- land). M it dieser Ausgabe hat er der U ntersu chung von Nesmelovs Schaffen einen großen D ie n st erwiesen, da h ie rm it auch die bis zu diesem Z e itp u n k t fü r ” verschwunden” gehaltenen Gedichtbände Nesmelovs, die dieser unter dem Pseudonym D ozorov v e rö ffe n tlic h t hatte, zugänglich wurden.

U ber das Leben von A rs e n ij Nesmelov (Pseudonym fü r A rs e n ij Ivanovič M it r o p o l's k ij) läßt sich w e n ig m it S ich e rh e it sagen. E in persönliches A rc h iv von ihm besteht n ic h t. A ls G eburtsjahr w urden in den w enigen Quellen - E in le itu n g e n zu unlängst in sow jetisch en Z e its c h rifte n erschienenen ausgewählten G edichten und A u fsä tze aus der russischen E m ig ra tio n - 1890, 1891 und 1892 genannt. E rst in der ersten großen Nesmelov-Ausgabe, die 1990 in Rußland selbst erschien, w urde bekannt, daß Nesmelov am 20. Juni 1889 (nach altem S til: am 8. Juni) geboren w urde4. In der L ite r a tu r is t ein e inzig er, sehr k u rz e r autobiographischer A briß von ih m bekannt, a u f dem unser nahezu ganzes w eiteres Wissen über sein Leben beruht: ” Ich wurde in M oskau geboren; in M oskau begann ic h auch zu schreiben.

Z w e im a l verließ ich M oskau, beide Male, um K rie g zu führen. N ach- dem ich 1918 nach O m sk gegangen war, k e h rte ic h n ic h t m ehr zu- rü ck, sondern g e rie t m it der Arm ee K o lča ks nach V la d ivo sto k, w o ich auch m einen ersten Gedichtband v e rö ffe n tlic h te . V orher, noch in M oskau, hatte ich einen kle in e n Band m it Erzählungen Uber den K rie g herausgegeben. Z u publizieren begann ic h in ” N iva ” (A cke r), 1912-1913, glaube ich. Als O berleutnant k ä m p fte ic h in den Reihen des 11. F anagurijskoe-G renadierregim ents gegen D eutsche und Ö sterreicher. Seit 15 Jahren wohne ich in H arbin; ic h schreibe G e- dichte, Erzählungen. Irgendw ie g ib t es m ich noch. Im Som m er is t es übrigens h e rrlich . Ich habe ”bewegliches G u t” - das B o o t ” Udača”

(E rfo lg ), in dem ich m it einem Freund w e it von der Stadt w egfahre.

Ich h o ffe , daß dies genügt. A rs e n ij Nesmelov.”

A bgedruckt steht dieser T e x t in Stejns E in le itu n g zu der oben- erw ähnten Nesmelov-Ausgabe Izbrannaja proza, e in e r g rö ß te n te ils k o p ie rte n Neuauflage von Nesmelovs R asskazy о vojne (E rzählun-

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gen über den K rie g , Shanghai 1936). An zw ei Stellen hat S tejn Ne- smelovs T e x t eigenhändig e rw e ite rt, indem er einige B u c h tite l in K lam m ern e in fü g te . Dies ließ sich nachprüfen, da sich das b le is tift- geschriebene O rig in a l dieses A rtik e ls , der w ahrscheinlich fü r die R edaktion einer Z e its c h r ift geschrieben worden war, in e in e r der 30 Dosen von V a le rij Perelešins A rc h iv w iederfinden läßt, das sich in der U n iv e rs itä ts b ib lio th e k zu Leiden b e fin d e t5. E in T e il dieser flü c h tig e n S kizze - dessen In h a lt Perelešin offenbar verschiedenen Personen zukom m en ließ - tauchte im Jahre 1988 in einer Ausgabe der M oskau er Z e its c h r ift "O k tja b r (O ktobe r) auf, in der eine A u s- w ähl aus Nesmelovs G edichten aufgenom m en w urde6. A u f einem anderen N o tiz z e tte l in der Leidener Sammlung ־ acht g e tip p te Z e i- len und Nesmelovs U n te rs c h rift a u f der R ückseite - nennt Nesmelov die T ite l je n e r Bücher, die von ihm erschienen sind. E r fü g t hinzu:

"Das E rscheinungsjahr dieser Ausgaben habe ich in den m eisten Fällen bereits vergessen, und ich bin zu faul, um m ich noch daran zu e rin n e rn .” M it Jahreszahlen h a tte Nesmelov so seine S ch w ie rig - k e ite n , und u.a. aus dem G rund, daß er keine zuverlässigen Angaben über sich selbst hinterlassen hat, tappen seine Leser in bezug a u f seine biographischen D aten h ä u fig im D unkeln.

In demselben N o tiz z e tte l te ilt er m it, daß sein erstes Buch, Voennye s tra n ič k i (K rie g s k a p ite l), das sow ohl Erzählungen als auch G edichte e n th ä lt, im Jahre 1914 erschienen sei. Andere Quellen melden 1916; r ic h tig dagegen is t 1915. Im ” ersten” B rie f b e rich te t Nesmelov, daß er schon 15 Jahre in H arbin wohne. A ls A n k u n fts ja h r melden die Q uellen neben 1924 auch noch 1925.

A uch Nesmelovs T odesjahr w ar lange Z e it fra g lic h : 1945 oder 1946.

In der obengenannten Z e its c h r ift ” O k t ja b r '” w ird jedoch ein B r ie f eines E x -E in w o h n e rs von H arbin abgedruckt, von dem nur die In i- tia le n (” I. N. P-v” ) genannt werden und der behauptet, im September 1945 Zeuge des Todes des D ich te rs gewesen zu sein. Nachdem er von so w je tisch e n Truppen, die im A ugust 1945 in die M andschurei eingefallen w aren und H a rb in besetzt hatten, a u f den T ransport in die S o w je tu n io n g e s c h ic k t w orden war, kam er m it einigen S ch ick- salsgenossen in der sib irisch e n O rtsch a ft G rodekovo an, w o sie die N acht in einem D urchgangsgefängnis verbringen mußten. D o rt ve r- lo r Nesmelov, la u t P-v in fo lg e einer G ehirnblutung, das Bewußtsein.

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A lle ve rzw e ife lte n Versuche, die Wache zu bewegen, einen A rz t zu rufen, fü h rte n zu nichts. ” Ich erinnere m ich n ic h t mehr, w ie lange er lit t , aber allm ählich verstum m te er und starb. Das alles passierte a u f dem Boden; P ritschen gab es n ic h t.” 7

Nachdem Nesmelov 1921, 1922 und 1924 in V la d iv o s to k drei G e- dichtbände v e rö ffe n tlic h t hatte, die abwechselnd E inflü sse von A km eism us und F uturism us aufweisen, erschienen in H a rb in v ie r neue Bände aus seiner Feder, aufgrund derer er in den R u f eines D ichters m it eigenem Ton und eigener T h e m a tik kam : K ro v a v y j otblesk (B lu tig e r W iderschein, 1928), Bez R o s s ii (Ohne Rußland, 1931), P olu stano k (H altestelle, 1938) und B ela ja f lo t ilija (D ie w eiße F lo ttille , 1942). Ebenso erschienen zw ei k le in e Ausgaben m it langen G edichten: Cerez okean (Uber den Ozean, Shanghai 1934) und P ro to p o p ica (D ie Frau des Protopopen, H a rb in 1939). U n te r dem Pseudonym N. D ozorov p u b lizie rte er zw e i Bände: T o i'k o ta k ie (Nur solche, Shanghai 1936) und G e o rg ij Semena (G e o rg ij Semena, Bern 1936; w ahrscheinlich aber wurde dieses Buch n ic h t w ie a u f dem T ite lb la tt angegeben in der Schweiz, sondern in H a rb in oder Shanghai gedruckt). In beiden Fällen handelt es sich um propagan- distische V e rö ffe n tlich u n g e n der im Fernen O sten sehr a k tiv e n russischen faschistischen P artei von K. R odzaevskij.

Außer als D ozorov p u b liz ie rte Nesmelov auch u n te r den Pseudo- nymen A n a stig m a t und T e tja Rozga (Tante Ruß). Das kann man in Perelešins M em oiren nachlesen, der sch reibt, daß Poesie fü r Nesmelov zw ar das W ich tig ste a u f der W elt w a r, daß er andererseits aber fü r Geld Konzessionen machte: E r schrieb R e kla m e te xte fü r Ä rzte und Restaurants8 und G elegenheitsgedichte, z.B. fü r ein S p o rt- b la tt zu Ehren eines B oxers9.

Wie is o lie rt die lite ra risch e W elt H arbins auch gewesen sein möge, Nesmelov gelang es, seine G edichte sporadisch in W esteuropas zu publizieren, hauptsächlich in ”V o lja R ossii” (D e r W ille Rußlands).

Noch bem erkensw erter ist, daß er als ehem aliger O ffiz ie r der Weißen Armee in K o n ta k t m it seinem Vaterland blieb; bis zu B eginn der dreißiger Jahre erschienen seine G edichte in den sib irisch e n Z e it- S chriften "S ib irskie o g n i” (S ibirische Feuer) und ” D a l'n e v o s to č n o e obozrenie” (Fernöstliche Rundschau).

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In der spärlichen L ite ra tu r über das lite ra ris c h e Leben H arbins erscheint Nesmelov als Z y n ik e r. E lizaveta R ačinskaja sch re ib t über ih n in ih re n M em oiren: ” E r w ar ein re c h t k o rp u le n te r M ann von d u rc h s c h n ittlic h e r Größe, m it rö tlic h e n Haaren und hellen Augen ohne v ie l A usdruck. E r w ar sehr verschlossen, schweigsam , m it langsamen Bewegungen, m it w eichen, w eißen Händen. A n seinem ganzen Äußeren w a r n ich ts Poetisches. Und auch in n e rlic h erschien er als z ie m lic h k a lte r, skeptischer, von vielem e n ttä u s c h te r Mann, der v ie l m itg e m a ch t hatte.” 10 In den 1988 erschienenen E rinnerungen N. Reznikovas heiß t es: ” Im tä g lich e n Leben w a r er unangenehm, düster, boshaft; er m ochte nahezu niem anden und w a r m it kaum jemandem befreundet (...). N a tü rlich , Nesm elov hat n ic h t die H ä lfte von dem geschrieben, was er geschrieben haben w ürde, w enn er in seinem V aterland gelebt hätte. Aber auch in einem frem den Land ko n n te er die N a tu r in tu itiv erfassen und lieben. E r lie b te den gelben, m ächtigen Sungari, a u f dem er seine ganze F re iz e it verbrachte (...).

Im m er gelangw eilt, im m er unzufrieden, suchte Nesmelov Vergessen- h e it in Wein, G edichten und der N a tu r.” 11

Z u den w ic h tig s te n Stücken aus Perelešins A rc h iv gehören die 42 B riefe, die M ic h a il R okotov (1895-1985), in H a rb in jahrelang Redakteur der führenden Z e its c h rift ” Rubež” (G renze), in den Jah- ren 1967-1982 aus den V e re in ig te n Staaten an Pereleśin ric h te te . In ihnen sind zahlreiche e in z ig a rtig e D e ta ils über das lite ra ris c h e Leben in H arbin enthalten. Im allerersten B r ie f (vom 13. O k to b e r 1967) schreibt er über Nesmelov: ” Ich m ochte ih n n ic h t, hauptsäch- lie h wegen seines Z ynism us (...). Sein Lachen w a r im m e r falsch, o ft übertrieben laut. Und er h a tte n ich ts von dem O ffiz ie r, von dem ehrlichen russischen O ffiz ie r, w ie dieser in m e in e r V o rste llu n g sein sollte. A ber daß A rs e n ij außergew öhnlich ta le n tie rt w a r - das habe ich im m er anerkannt und gesagt, sage es auch je tz t.”

Vielsagend sind die T ite l der ersten beiden G edichtbände Nesme- lovs aus H arbin: K ro v a v y j otb le sk (das bezieht sich a u f den B ü rg e r- k rie g ) und Bez R ossii. B ü rg e rkrie g und E m ig ra tio n - das sind die im m er w ieder auftauchenden Themen Nesmelovs, und es is t kaum denkbar, daß er in der S o w jetunio n darüber so h ä tte schreiben können, w ie er das in H arbin konnte. K ro v a v y j o tb le sk gehö rt zu r besten K rie g sd ich tu n g , die in Russisch geschrieben w orden ist. M it

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großer S u g g e s tiv itä t und N ü ch te rn h e it beschreibt Nesmelov Szenen aus dem B ü rg e rkrie g . E r schreibt aus der P erspektive eines O f fi- ziers der Weißen, ohne gänzlich e in s e itig zu sein. Das kürzeste G edicht in diesem Band heißt ” K a z n '” (E x e k u tio n ). Als etwas M aschinales und B eiläufiges werden die letzten, dram atischen M om ente eines Lebens beschrieben. D ie fü n fte Z e ile - in der der Mond, die N atur, fu n g ie rt als eine M acht, die M itle id hat ־ is t die w ic h tig s te in dem G edicht und v e rle ih t der Szene eine breitere

Perspektive.

Казнь

Ш т ы к и , блеснув, роняю т дряблы й звук.

В зъ ерош енны й за ты л о к к р о т к о , тупо К а ча ется и замирает. «Пли!»

И вот л е ж и т, - дрожа, хрипия, - в пыли.

Луна вприщ ур гл я д и т на корни трупа.

И тороплив к у р к о в с те кл я н н ы й с т у к .12 (H in ric h tu n g

D ie B ajonette b litz e n auf und geben ein schwaches G eräusch von sich.

K u rz und dum pf bewegt sich d e r zersauste H in te rk o p f H in und her und kom m t zum S tills ta n d . ” F e u e r!”

Und da lie g t e r z itte rn d , rö ch e ln d im Staub.

D e r M ond schaut m it zusam m engekniffenen Augen auf die le tz te n Zuckungen des Leichnam s.

Und hastig is t das gläserne K lo p fe n der Hähne.)

Neben K riegsschaubildern überw iegt in dem Gedichtband Bez R o ssii das Them a der E m ig ra tio n . E rinnerungen an Rußland werden h ä u fig von aussichtslosen S tim m ungen begleitet. Aber es g ib t auch lyrisch e A rb e ite n . Eines der schönsten G edichte handelt von einer B o o ts fa h rt a u f dem Sungari, dem Fluß, an dem H arbin lie g t. Es be-

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sch re ib t die E rfa h ru n g eines E m igranten, der in der N a tu r die K la r- h e it des G efühls w iede rfindet. E r geht so sehr in der Erhabenheit der U m gebung auf, daß ih m le ic h t zum ute w ird : Seinen G ro ll und den K a m p f von einst ve rg iß t er, er e rin n e rt sich an eine Frau, und er w ird sich - die A b g e stu m p fth e it des A lltä g lic h e n fü r einen M o - m ent h in te r sich lassend ־ w ieder bewußt, daß er lebt und daß das Leben es w e rt ist, gelebt zu werden.

П рикосновения Была похо ж а на т я ж е л ы й гроб Больш ая лодка, и китаец греб

И весла мерно п о гр у ж а л и с ь в вод у...

И ночь висела, и была она,

Б еззвездная, безвы ходно черна И обещала д о ж д ь и непогод у.

Слепой фонарь качался на корм е - Ж ивая то чка в безы сходной тьм е,

Д р о ж а щ и й св е т, беспом ощ ны й и нищ ий...

К р у ти л и с ь волны, и неслась река, И слыш ал я, ка к мчались облака, К а к медленно поскрипы вало днищ е.

И показалось мне, что не меня, В мерцании бессильного огня, На берег, на неведом ую с у ш у -

В лечет греб ец безмолвны й, что у ж е По этой ш аткой водяной м еж е

Не человека он несет, а д уш у.

И позабыв о злобе и борьбе, Я неж но помнил то л ько о тебе,

О ставленной, ж и в ущ е й в мире светлом .

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И гл а з касалась узкая ладонь, И вспы хивал и вздрагивал о го н ь ,

И пену с волн на борт бросало ветром ...

К л и н ко м звенящим сердце обнаж ив, Я, вздрагивая, понял, что я ж и в , И м ига в ж изни не было чудесней.

Фонарь кидал, ш атаясь, в волны - м едь...

Я взял весло, мне захотелось петь, И я запел... И ветер вторил п е сн е .1־*

(B erührungen E inem schweren Grab ähnelte

Das große Boot, und der Chinese ru d e rte ,

Und die Ruder senkten sich rh yth m isch ins W asser...

Und die Nacht hing, und sie war S ternenlos, hoffnungslos schw arz Und verhieß Regen und U n w e tte r.

E ine blinde Laterne schaukelte am H e ck hin und h e r ־ Ein Lebenszeichen in der ausweglosen F in s te rn is , Z itte rn d e s L ic h t, h ilflo s und elend...

W e lle n w irb e lte n auf, und der Fluß ro llte , Und ich hörte, w ie die W olken d a hinstürm ten, W ie langsam der Boden ab und zu k n a rrte . Und m ir schien, als ob n ic h t ich

Im G eflim m er des schwachen Feuers Ans U fe r, ans unbekannte Festland

Gezogen wurde von dem schweigsamen R uderer, daß es N ic h t ein Mensch w ar, den e r ü b e r diese schwankende W assergrenze tru g , sondern eine Seele.

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Und ich vergaß den G ro ll und den K a m p f Und dachte z ä rtlic h n u r an D ic h ,

die verlassen in e in e r h e lle n W e lt le b te .

Und die schm ale H andfläche b e rü h rte ein Auge, Und das F e u e r lo d e rte a u f und z u c k te in die Höhe, Und die G is c h t d e r W e lle n w u rd e vom W ind an Bord

g e s c h le u d e rt״ .

M it k lir r e n d e r K lin g e e n tb lö ß te ich m ein H e rz ,

Und zusam m enzuckend w urde m ir k la r, daß ic h le b te , Und einen schöneren A u g e n b lic k gab es n ic h t in meinem

Leben.

D ie L a te rn e w a rf ic h taum elnd in die W e lle n - K u p fe r...

Ic h nahm das R uder, m ir w a r nach Singen,

Und ic h stim m te ein L ie d an...U nd der W ind w ie d e rh o lte m ein Lied.)

Im G edichtband P o lu sta n o k ü b e rw ie g t der düstere T on eines in tie fe r Is o la tio n schreibenden D ic h te rs . Bezeichnend sind diese Z e i- len aus dem G e d ich t ” É p ile p tik ” (D e r E p ile p tik e r):

Н и кт о не п и ш е т в адрес мой за б ы ты й , Заброш ен я в селении г л у х о м .(...) И лю ди на меня гл я д я т со страхом , И я у гр ю м о о п у с ка ю в з г л я д .14

(N iem and s c h re ib t an m eine vergessene A dresse, Hs hat m ich in ein abgelegenes D o rf v e rs c h la g e n .(.״ ) Und die M enschen schauen m ich v o lle r A ngst an, Und trü b s in n ig schlage ic h die Augen n ie d e r.) D er B ü rg e rk rie g b e sch ä ftig t ih n auch h ie r w e ite rh in :

Н ет ни р од ины , ни дома.

А война еще ־ з о в е т !15

(26)

(Es gibt w e d e r V a te rla n d noch Zuhause.

A b e r d e r K rie g r u ft noch!)

A u f der anderen Seite d ic h te t er auch h ie r über den unverm eid- llich e n U n te rg a n g des ” russischen" H arbin; e in st k o m m t der Tag, so d ic h te t er in ” S tic h i о C harbine, I I I ” (Verse Uber H arbin, III),

Ч то не вспо м н ят, что построен Р усской т ы р у ко й .

(...a n dem man sich n ic h t e rin n e rn w ird ,

daß du von e in e r ru ssisch e n Hand e rbaut w u rd e s t.) E r sie h t einen T o u ris te n über den russischen F rie d h o f gehen,

(...) с собой словарик Н адписи ч и т а т ь .16

C.. m it einem W ö rte rb u c h ,

u m d ie A u fs c h rifte n lesen zu können.)

D er G edichtband B eia ja f lo t ilija aus dem Jahre 1942 is t die le tz te V e rö ffe n tlic h u n g Nesmelovs in B u ch fo rm , die zu seinen Lebzeiten erschienen is t. D ieser G edichtband is t Nesmelovs th e m a tisch reichste r. Neben G edichten Uber die alten Them en K rie g und E m i- g ra tio n v e rö ffe n tlic h t er h ie r auch W erke, in denen er seine person- lich e V ergangenheit m it Episoden aus der g riechischen M y th o lo g ie , de röm ischen G eschichte und der russischen F o lk lo re verbindet.

E in bem erkensw ertes G e d ich t in diesem Band is t ”M o im s u d 'ja m ” (M einen R ich te rn ). In ihm w ird er in einem T raum in einen Ge- richtssaal g e fü h rt und zum Tode v e ru rte ilt:

И без ж а л о б , с у д о р о г, молений, Не в з гл я н у в на злы е ваши лбы , Я УМРУ> прош ед ш ий все с ту п е н и , Все обвалы наш их по раж ений, Но не уб е ж а в ш и й от б о р ь б ы !17

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(Und ohne K lagen, ohne K räm pfe, ohne G ebete, Ohne einen B lic k auf eure bösen S tirn e n zu w erfen,

W erde ic h s te rb e n , nachdem ich alle S tufen durchlaufen habe A lle E in s tü rz e u n s e re r N iederlagen,

Ohne aber dem K a m p f aus dem Weg gegangen zu sein!)

In seinem G e d ich t ” P o to m k u ” (E inem N achkom m en), aus B eiaja fì o t ilija hat sich Nesm elov m it der A u fm e rk s a m k e it auseinander- gesetzt, die ih m in der Z u k u n ft z u te il werden würde:

И н о гд а я дум аю о том ,

На с то л ет вперед перелетая, К а к , р а с кр ы в м н огоречи вы й том ,,Наша эм и гр а ц и я в К и т а е ” , - О суд ьб е и згн а н н и ко в печальной

Ю ноша задум ается дальний.

(M anchm al denke ich darüber nach, W enn 100 Jahre v e rs tric h e n sind,

W ie ein fe rn e r Jüngling, nachdem e r den redseligen Band

” U nsere E m ig ra tio n in C hina” aufgeschlagen hat, Ü b e r das tra u rig e S chicksal d e r V erbannten nachzudenken beginnt.)

E r läßt den ju n g e n M ann sich selbst fragen:

П о ч е м у -ж упорствовали та к;

не вернулись к о ч а гу родному?

(W arum w aren sie so b e h a rrlic h

Und k e h rte n n ic h t an den heim ischen H erd zu rü ck? )

Nesmelov läß t sich selbst aus den Seiten dieses Buches auferste- hen und sagt zu dem Jüngling, daß er die Z e it, in der er lebte, n ic h t verstehen könne:

(28)

В ы рос ты без тю рем и без сте н , Чей кирпич свинцом и ско вы р ял и . В н а ш е -ж время не сдавались в плен, П о то м у -ч то в плен т о гд а не брали!

(Du b is t aufgewachsen ohne Gefängnisse und ohne M auern, D eren B ackstein m it B le i d u rc h s e tz t w aren.

In u n se rer Z e it gab man sich n ic h t gefangen, w e il man damals keine Gefangenen gem acht hat!)

Der junge Mann aber reagiert a u f seine W orte " m it einem L ä che ln”

und ” unglä u b ig -h o ch m ü tig ” . Sie reden aneinander vorbei - und so w ird es noch jahrelang w eitergehen, ”bis zu r T ro m p e te des Jüngsten G e richts.” 18

Aus Nesmelovs G edichten sprach das G e fühl, das der U ntergang - sein persönlicher und der seiner Stadt ־ unabwendbar war. T r o tz - dem verließ er H arbin n ich t. Levan Chaindrava, ein georgischer S c h rifts te lle r, der in H arbin w ohnte, fü h rt als E rk lä ru n g an, daß Nesmelov H arbin n ic h t verlassen w o llte , w e il diese Stadt, die von Russen gebaut worden war und eine russische A tm oshäre aus- ström te, das le tzte war, das ih n m it Rußland verband; dies w a r die le tzte Ecke der alten russischen W elt, so w ie er sie kannte, die noch übrig w a r19.

Ich denke, daß Nesmelov, der sow ohl von der L ite ra tu r als auch von der Reimeschmiederei a u f Bestellung lebte, nirgendw o anders als in H arbin fü r seinen U n te rh a lt hätte sorgen können, so daß es sch w ie rig fü r ihn war, wegzugehen. Aus der Tatsache, daß er seine ganze F re iz e it a u f dem Fluß verbrachte, w ird e rs ic h tlic h , daß er ein Mann war, der große Stücke a u f die N a tu r und v o r allem a u f die F re i- h e it h ie lt. Anderswo hätte er die als S c h rifts te lle r n ic h t genießen können, w e il die Umstände andere waren. In der überfüllten Stadt Shanghai z.B. w ar die russische E m ig ra tio n zu unbedeutend, um einem S ch riftste lle r eine E xiste n z gew ährleisten zu können; außer- dem sprach Nesmelov angeblich keine einzig e Fremdsprache.

A u f die Suche zu gehen nach Daten Uber Leben und W erk von Nesmelov, einem der w ic h tig s te n D ic h te r der russischen E m ig ra tio n , is t eine Reise zum Ende der russischen L ite ra tu r; in w ö rtlic h e m

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Sinne, w e il sich sein Leben und sein Tod in geographischer H in s ic h t an der äußersten P eripherie abspielten; in übertragenem Sinne, w e il uns sein Schaffen m it den Grenzen unserer M ö g lic h k e ite n k o n fro n - tie r t, bestim m te lite ra risch e Quellen zu erforschen.

In der m anchm al ” überdokum en tierte n” w esteuropäischen K u ltu r is t es kaum vorstellbar, daß das Schaffen eines w ic h tig e n englischen, französischen oder sonstigen D ich te rs, der vor noch n ic h t ganz 50 Jahren gestorben ist, jahrzehntelang zusam m engescharrt werden muß, bevor es m ehr oder w e nig er zugänglich ist. Das N ü tz lic h e im Falle Nesmelovs ist, daß er le h rt, w ie re la tiv der A usdruck ” D ie russische L ite ra tu r dieses Jahrhunderts” ist: Es muß noch v ie l e rfo rs c h t und zugänglich gem acht werden, bevor w ir die M ö g lic h - k e it haben, dazu eine ”G eschichte” zu entw erfen.

Das poetische W erk Nesmelovs gehört zu den w ic h tig s te n W ieder- entdeckungen der le tzte n Jahre in der russischen L ite ra tu r. Z u g le ich is t d e u tlich geworden, daß Nesmelov n ic h t n u r in E m ig ra n te n - kreisen, sondern auch in der S o w je tu n io n schon Jahrezehnte, bevor sein W erk in Neuauflagen erschien, prom inente Verehrer h a tte 20.

A N M E R K U N G E N

1 N. Il'in a , ”V s tre č i. Iz a vto b io g ra fiče sko j p ro z y ” , in: Oktjabr’ , N r. 5 (1987), S. 83-109.

2 J. P. H in ric h s (H rsg .), Russian Poetry and Literary Life in Harbin and Shanghai 1930-1950. The Memoirs o f Valerij PereleSin, Am sterdam 1987.

3 S. K a rlin s k ij, ” Poézija dal'nevostoCnoj é m ig ra cii i Jużnyj dom V a le rija PereleSina” , in: Novoe russkoe slovo, 9.2.1969.

4 Siehe E. V . V itk o v s k ij, ” Na sopkach M a n 'č ž u rii” , in: A rs e n ij N esm elov,

B e z Moskvy, b ez Rossii. Stichotvorenija. Poèmy. Rasskazy, M oskau 1990, S. 5.

5 Siehe J. P. H in ric h s , ” Hoe het a rc h ie f van PereleSin naar Leiden kw am ” (W ie das A rc h iv PereleSins nach Leiden kam), in: H et Oog in 'I Z eil 3 (1986), N r. 3, S. 14-15.

6 E. V itk o v s k ij (H rsg.), ” A rs e n ij N esm elov. Iz lite ra tu rn o g o n a s le d ija ” , in : Oktjabr', N r. 11 (1988), S. 144.

7 Ib id ., S. 145.

8 Siehe J. P. H in ric h s (H rsg.), Russian Poetry and Literary Life in Harbin

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00056927

and Shanghai 1930-1950. The Memoirs o f Valerij PereleSin, S. 5 7 -5 8 . 9 Siehe É. Š tejn, ” B okser i p o è t” , in: Vestnik, N r. 10 (34), 19.5.1992,

S. 32-33.

10 E. RaCinskaja, Pereletnye pticy. Vospominanija. San F ra n cisco 1982, S. 62.

11 N. R eznikova, ” V russkom C harbine” , in: Novyj žu m a l 172-173 (1988), S. 389.

12 A. N esm elov, Krovavyj otblesk. Stichi, H arbin 1928, S. 12.

13 Idem , B ez Rossii, H arbin 1931, S. 14-15.

14 Idem , Polustanok, H arbin 1938, S. 3.

15 Ib id ., S. 8.

16 Ib id ., S. 13-14.

17 Idem, Belaja flotilija. Stichi, H arbin 1942, S. 37-38.

18 Ib id ., S. 38-39.

19 L. Chaindrava (V o rw o rt), in: ” A rs e n ij N esm elov. V o z v ra š č e n ie ” , in:

Znamja, N r. 9 (1988), S. 78.

20 Es handelt sich u n te r anderem um Samuil MarSak, Leonid M artynov und B o ris M ožaev; siehe B. M ožaev (V o rw o rt), in: ” A rs e n ij N esm elov.

V é to t den' (S tic h i)” , in: Novyj mir, N r. 4 (1991), S. 135-139, und E. V . V itk o v s k ij, ” Na sopkach M a n 'č ž u rii” (siehe Anm. 4), S. 21 - 22.

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G E O R G U IV A N O V

In der Ausgabe der M oskauer Z e its c h rift ” Z nam ja" (Das Banner) vom M ärz 1987 stehen mehrere D utzend G edichte eines Pariser E m i- granten, dessen S chaffen in der S o w je tu n io n bis zu diesem Z e itp u n k t verschw iegen w orden w ar: G e o rg ij Ivanov (1894-1958). Ivanovs R e h a b ilitie ru n g f ie l m it einer ungekannt großen Z ahl an V e rö ffe n t- lich u n g e n in der russischen E m ig ra n te n w e lt von und Uber ihn zusam- men. 1987 erschienen im Westen v ie r neue Buchausgaben: zw ei m it Prosa1, eine A usw ahl aus seinen G e dichten2 und eine Ausgabe m it M a te ria l, das noch zu k e in e r Sammlung g e h ö rt h a tte oder zuvor noch n ic h t v e rö ffe n tlic h t worden w a r3. F ügt man die M onographie4, die D is s e rta tio n 5 und die zahlreichen A r tik e l über Ivanov hinzu, die se it- dem erschienen sind, sow ie die Tatsache, daß im Jahre 1989 auch in der S o w je tu n io n eine A usw ahl aus Ivanovs Poesie und Prosa6 ve rö f- fe n tlic h t und andere ange kündigt wurden, dann w eiß man, daß sein R u f in k u rz e r Z e it s p e k ta k u lä r gestiegen is t.

D ennoch b le ib t die Person Ivanov, ein M ann, dem viele Zeitgenos- sen m iß tra u te n , eine obskure G estalt. D ie Z a h l zuverlässiger Daten über sein Leben is t sehr gering. E in biograph ischer A briß muß darum k u rz bleiben. Geboren w urde er im Jahre 1894 in der Provinz Kovno (Kaunas) als Sohn eines adligen A rtille rie o ffiz ie r s , der starb, als G e o rg ij ungefähr zehn Jahre alt war. Bald nach dem Tod seines Vaters tra t Ivanov in Petersburg in das Z w e ite K adettenkorps ein.

Nach dem Abschluß diente er eine Z e itla n g als O ffiz ie r in der Armee;

fü r L ite ra tu r aber hegte er se it der frü h e ste n K in d h e it größtes Interesse. 1922 zog Ivanov nach Riga und w e ite r nach Berlin; ab 1923 w o h n te er in Paris. 1953 ließ er sich in einem A ltenw ohnheim in H yères bei N izza nieder, w o er 1958 starb.

D ie einzig e um fangreiche Quelle über Ivanovs Leben stellen die M e m o ire n seiner W itw e , der D ic h te rin Irin a Odoevceva (1901 1990), dar, die er im Jahre 1921 heiratete. Dieses Buch, Na bere- g a ch S e n y{A n d e n U fe rn der Seine, Paris 1983), en th ä lt jedoch w enig Angaben, die sich nachprüfen lassen. In den m eisten Büchern m it E rinnerung en an das lite ra ris c h e Leben der Russen in Paris in den Z w is c h e n k rie g s ja h re n s p ie lt Ivanov keine große Rolle. E in ausführ- liches P o rträ t Ivanovs steht gleich w ohl in V. S. Janovskijs Buch

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