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Archiv "Rentenreform in Raten: CDU auf Blüm-Kurs /Absage an Biedenkopfs Grundrente / FDP und CSU spielen mit / Die SPD bremst ohne Konzept" (11.04.1997)

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A-957

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997 (17)

Rentenreform in Raten

CDU auf Blüm-Kurs /Absage an Biedenkopfs Grundrente / FDP und CSU spielen mit / Die SPD bremst ohne Konzept

W

as aus der von der Koali- tion angestrebten Ren- tenreform ’99 wird, ver- mag derzeit niemand zu- verlässig einzuschätzen. Sicher ist nur, daß die von der CDU beschlos- senen Leitlinien Grundlage aller weiteren Verhandlungen sein wer- den. Das gilt sowohl für die Ge- spräche innerhalb der Koalition als auch für die von der Koalition ge- wünschten Gespräche mit der SPD, wenn diese denn überhaupt zustan- de kommen sollten. Derzeit sieht es nicht danach aus. Parteichef Lafon- taine bevorzugt die Konfrontations- Strategie, zumal die SPD nicht über ein in der Partei konsensfähiges Rentenreform-Modell verfügt.

Klar ist im übrigen auch, daß es keine parlamentarische Mehrheit für die Einführung einer steuerfi- nanzierten Grundrente gibt, wie sie vom sächsischen Ministerpräsiden- ten Biedenkopf (CDU) vorgeschla- gen worden ist und für die sich auch die SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Simonis, ausge- sprochen hat.

Die Grundentscheidung für ei- ne Reform im System ist auch für die berufsständischen Versorgungswer- ke der Freien Berufe von Bedeu- tung, denn die Einführung einer Grundrente würde zwangsläufig den Charakter der berufsständischen Versorgung verändern; sie würde damit auf ein System der ergänzen- den Versorgung reduziert.

Die vorösterlichen Beschlüsse der CDU bedeuten für den zeitweise hart angeschlagenen Bundesarbeits- minister Blüm neuen Prestige-Ge- winn, auch wenn dessen Konzept nur in Teilen die Zustimmung seiner Partei gefunden hat und manche Fragen offengeblieben sind. So hat die CDU nicht den Vorschlag Blüms und der Regierungs-Kommission übernommen, eine Familienkasse einzurichten, der die Aufgabe zuge- dacht war, die kind- und familienbe-

zogenen Transfers über das Renten- system zu bündeln. Aus dieser Kasse sollten aus Steuermitteln vor allem das Erziehungsgeld an junge Famili- en und Beiträge für die Anrechnung von Erziehungszeiten an die Ren- tenversicherung und andere Versor- gungssysteme gezahlt werden. Da- von hätten auch die Versicherten der Versorgungswerke profitiert.

Der Vorschlag der Blüm-Kom- mission lief darauf hinaus, die Ren- tenversicherung bei den als versi- cherungsfremd bezeichneten Fami- lien-Leistungen zu entlasten. Dieses Konzept hat sich jedoch nicht durch- gesetzt. Der Widerstand der Finanz- politiker in der Union war nicht zu überwinden. Sie fürchteten, daß schon durch die Existenz der Famili- enkasse ständig neue und nicht fi- nanzierbare Begehrlichkeiten ent- stehen könnten. Die CDU hat daher die Reform der familienpolitischen Leistungen in der Alterssicherung mit der Neuordnung der Hinterblie- benenversorgung verknüpft, an die man erst in der nächsten Wahlperi- ode herangehen will. Es kommt also zu einer Rentenreform in Raten.

Anrechnung weiterer Einkünfte

Als erster Schritt zur Verbesse- rung der Anrechnung von Erzie- hungszeiten auf die Rente sollen diese mit Beitragszeiten additiv bis zur Beitragsbemessungsgrenze be- rücksichtigt werden; auch wird dar- an gedacht, den Anrechnungssatz von jetzt 75 Prozent des Durch- schnittsverdienstes auf 100 Prozent anzuheben. Für die Deckung der Kosten gibt es bisher keinen Vor- schlag. Die FDP tritt für aufkom- mensneutrale Regelungen ein, was heißt, daß bei einer Verbesserung der Erziehungszeiten die Renten von Versicherten ohne Kinder durch Abschläge zu kürzen wären.

Die Verknüpfung der beiden Themen – Ausbau der familienbezo- genen Leistungen und Einschrän- kungen bei den Hinterbliebenen- renten – führt zu einer politisch ex- plosiven Mischung, nachdem die Hinterbliebenenversorgung erst vor zehn Jahren durch die Einführung des Anrechnungsverfahrens erheb- lich verschlechtert worden war. Jetzt wird wieder über die Einführung des Rentensplittings für Ehepaare, aber auch über eine Ausweitung des um- strittenen Anrechnungsverfahrens diskutiert, was auch Versicherte der Versorgungswerke treffen könnte.

Dabei geht es nicht nur um eine ver- stärkte Anrechnung von Arbeitsein- kommen, eigenen Renten, Pensio- nen und Bezügen aus den Versor- gungswerken auf die Hinterbliebe- nenrenten des gesetzlichen Renten- systems, sondern auch um die Ein- beziehung von Zins- und Mietein- nahmen in die Einkommensanrech- nung. Mit den noch in dieser Wahl- periode durchsetzbaren Konsolidie- rungs-Maßnahmen wird damit keine Rentensicherheit geschaffen. Die Politik bedient sich wieder einmal der bekannten Salami-Technik.

Der Stand der Beratungen über die Konsolidierung des Rentensy- stems läßt sich wie folgt zusammen- fassen:

lRentenniveau:In der Koali- tion ist man sich einig, daß das heuti- ge Standard-Niveau der Rentenver- sicherung – 70 Prozent des Netto- Einkommens nach 45 Versiche- rungsjahren – nicht mehr zu finan- zieren ist. Regierungs-Kommission, CDU/CSU und FDP halten eine Abschmelzung des Rentenniveaus auf 64 Prozent für vertretbar; dies soll für den Rentenbestand, aber auch für die künftigen Anwartschaf- ten gelten. In diesem Zusammen- hang wird daran erinnert, daß das Rentenniveau in den sechziger Jah- ren auch nur etwas über 60 Prozent betragen habe.

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Umstritten ist, in welchem Tem- po das Rentenniveau abgebaut wer- den kann. Blüm und die Mehrheit der CDU-Spitzenpolitiker wollen den Prozeß bis 2030 strecken; die FDP und namhafte Unionspolitiker halten einen schnelleren Abbau des Renten- niveaus bis etwa 2015 für notwendig, um zu einer Stabilisierung des Bei- tragssatzes bei etwa 20 Prozent zu kommen. Langfristig wird auch ein Abschmelzen des Rentenniveaus auf 60 Prozent für möglich gehalten. Dem hält Blüm entgegen, daß dann die Renten der Bezieher kleinerer Ein- kommen auf das Niveau der Sozialhil- fe sinken könnten und daß sich bei den jährlichen Rentenanpassungen Leistungskürzungen ergeben könn- ten.

lRentenformel:Nach den Vor- stellungen der CDU soll die Absen- kung des Rentenniveaus dadurch er- reicht werden, daß die Rentenformel durch einen demographischen Faktor ergänzt wird. Dieser soll die steigende Lebenserwartung der Versicherten und damit auch die steigenden Ren- tenlaufzeiten seit 1992 berücksichti- gen. Dieser Vorschlag zielt darauf, den geltenden Regelmechanismus für die Rentenanpassung beizubehalten.

Dagegen will die FDP das bestehende

Rentenniveau durch gesetzliche Vor- gaben schrittweise abbauen.

lBundeszuschuß:Nach den Be- schlüssen der CDU soll der Bundeszu- schuß an die Rentenversicherung von derzeit rund 20 Prozent der Renten- ausgaben so angehoben werden, daß der Beitragssatz um einen Prozent- punkt gesenkt werden kann. Damit würde ein größerer Anteil der versi- cherungsfremden Leistungen durch Steuermittel gedeckt. Die höhere Be- lastung des Bundes soll durch eine höhere Besteuerung des Verbrauchs ausgeglichen werden. Dabei wird vor allem an die Mehrwertsteuer und die Mineralölsteuer gedacht. Mit diesen Beschlüssen der CDU-Gremien ist der Konflikt zwischen der Sozial- und der Finanzpolitik aber noch nicht gelöst, da Finanzminister Waigel die Erhöhung der Mehrwertsteuer um ei- nen Prozentpunkt zur Finanzierung seiner Steuerreform benötigt und auch die FDP die Verlagerung der La- sten von der Rentenversicherung auf den Bund ablehnt.

lRentenbesteuerung: Waigel hält daran fest, daß die Renten und auch andere Versorgungsleistungen höher belastet und auch die Zinser- träge der Lebensversicherung wäh- rend der Ansparphase steuerlich er- faßt werden sollen. Ge- gen eine höhere Ren- tenbesteuerung weh- ren sich die Sozialpoli- tiker in der Union. Die FDP hält dagegen die zusätzliche Belastung der privaten Vorsorge für falsch; sie drängt darauf, daß wegen der Absenkung des Ren- tenniveaus die Bedin- gungen für die private Vorsorge und die be- triebliche Altersvor- sorge verbessert wer- den. Die CDU sagt da- zu nichts.

lPersonenkreis:

In die Beitragspflicht sollen die Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung einbe- zogen werden, sofern daneben eine sozial- versicherungspflichtige Hauptbeschäftigung be-

steht. Auch sollen Selbständige, die einer arbeitnehmerähnlichen Be- schäftigung nachgehen („Scheinselb- ständige“), künftig der Beitragspflicht unterliegen.

Das von der CDU vorgelegte Re- formpaket führt mittel- und langfri- stig zu einer beträchtlichen Entla- stung des Rentensystems, jedoch zu einer Mehrbelastung der Arbeitslo- senversicherung und vor allem des Bundes. Die Zweifel sind groß, daß diese Neuordnung ausreichen wird, die Renten zu sichern und die Abga- benbelastung der künftigen Genera- tionen zu begrenzen. Der Beitragssatz wird von heute 20,3 Prozent langfri- stig immer noch auf 22 bis 23 Prozent steigen müssen. Da auch bei der Krankenversicherung und der Pflege- versicherung auf mittlere und längere Sicht mit Beitragserhöhungen zu rechnen ist, dürfte sich die Absicht, den Gesamtbeitragssatz unter 40 Pro- zent zu drücken, als Illusion erweisen.

Hohe Beitrags- belastung

Eine Umstellung auf ein Grund- renten-Modell oder eine Kapitalfun- dierung des bestehenden Systems, wie sie von liberalen Ökonomen, CDU- Politikern und dem SPD-Sozialex- perten Dreßler vorgeschlagen wird, könnte in den nächsten 20 bis 30 Jah- ren keine Entlastung bringen. Im Ge- genteil. Da die bestehenden Anwart- schaften eingelöst werden müßten, die Grundrente aber jedermann zustünde, ergäbe sich für lange Jahre eine Mehr- belastung. Das würde auch für die An- sammlung eines Kapitalstocks gelten, denn die künftige Generation hätte nicht nur die bestehenden Renten und Anwartschaften zu finanzieren, son- dern auch den Kapitalstock anzuspa- ren und wegen des sinkenden Renten- niveaus mehr privat vorzusorgen.

Es bleibt nur der Weg, das Ren- tenniveau schrittweise abzusenken, die Altersgrenzen von etwa 2015 an über 65 Jahre hinaus weiter anzuhe- ben, durch eine auf Wachstum und In- novation ausgerichtete Politik die Ar- beitslosigkeit zu verringern und An- reize für die individuelle und kapital- gebundene Vorsorge zu setzen.

Walter Kannengießer A-958

P O L I T I K LEITARTIKEL

(18) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 15, 11. April 1997

Die 18 ärztlichen Altersversorgungswerke im Überblick

1995

Anwartschaftsberechtigte Mitglieder 288 105 Zahl der Rentenempfänger 56 999

Beiträge (Mrd. DM) 4,403

Monatlicher Durchschnittsbeitrag (DM) 1 324,71 Vermögensanlagen (Mrd. DM) 48,774 Vermögenserträge (Mrd. DM) 3,570 Jahresbetrag der Renten (Mrd. DM) 2,324 durchschnittliche mtl. Berufsunfähig-

keitsrente (ohne Kinderzuschuß) (DM) 4 135,41 durchschnittliche monatliche

Altersrente (ohne Kinderzuschuß) (DM) 3 826,17 Tabelle

Das durchschnittliche Altersruhegeld lag bei den 18 ärztlichen Versor- gungswerken per Ende 1995 bei 3 826,17 DM. Die ärztlichen Versor- gungswerke hatten Ende 1995 288 105 Mitglieder und verwalteten ein Deckungsvermögen von 48,7 Milliarden DM, das insgesamt 3,57 Milliar- den DM an Zinsen erbrachte. Quelle: ABV, Köln

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