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Archiv "Ausgewählte urologische Notfälle" (18.10.2002)

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A2780 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4218. Oktober 2002

A

usgewählte urologische Notfäl- le werden anhand ihrer Patho- physiologie und Symptomatik dargestellt. Diagnostische Maßnah- men und therapeutische Optionen werden erörtert.

Koliken der Harnwege

Neuere Untersuchungen zeigen, dass ein akuter Druckanstieg im oberen Harntrakt als bedeutsamer auslösen- der Faktor für eine Kolik anzusehen ist. Dabei tritt keine Hyperperistaltik auf, sondern die Uretermotilität wird abgeschwächt oder hört sogar gänzlich auf. Lokale Irritationen der Schleim- haut mit Schwellung und Ödem so- wie Reizungen der glatten Muskulatur des Nierenhohlsystems mit konse- kutiv gesteigerter muskulärer Wand- spannung scheinen eine zusätzliche Rolle bei der Schmerzentstehung zu spielen (1).

Bei der Kolik der Harnwege han- delt es sich um einen akut auftreten- den Schmerz, entweder im Bereich der Flanke oder des Mittel- und Unter- bauches entlang des Harnleiterver- laufs. Bei tiefsitzenden Harnleiterstei- nen wird häufig – neben imperativem Harndrang und Pollakisurie – ein Aus- strahlen der Schmerzen in den Hoden beziehungsweise die Labien angege-

ben. Der Schmerz wird von den Pa- tienten als stechend, schneidend und meist wellenartig, von Frauen oft als wehenförmig beschrieben. Zusätzlich wird häufig über Brechreiz, Schweiß- ausbruch und Kollapsneigung geklagt.

Die motorische Unruhe des Patienten ist besonders typisch für eine Kolik der Harnwege.

Wichtig sind Urinuntersuchung (zum Nachweis einer Erythrozyturie), So- nographie und Röntgenuntersuchung.

Die Sonographie zeigt meist eine Harn- stauung. Harnleitersteine können ge- wöhnlich nicht nachgewiesen werden (Ausnahmen: unmittelbar subpelvin oder intramural). Als Hinweis auf ein Harnsteinleiden finden sich nicht selten weitere Konkremente im Nierenhohl- system.

Die Abdomenleeraufnahme zeigt in vielen Fällen ein schattengebendes Konkrement in Projektion auf die Nie- re, den Harnleiterverlauf oder den Blasenschatten. Dabei ist zu beachten, dass röntgenographisch ein ausrei- chend großer Bereich abgebildet sein muss (cave: Übersehen eines präve- sikal liegenden Konkrementes). Die

Aussagekraft der Leeraufnahme allein ist jedoch begrenzt (zum Beispiel Stei- ne in Knochendeckung, nicht schatten- gebende Konkremente). Zur exakten Diagnosestellung ist deshalb ein Aus- scheidungsurogramm erforderlich. In der Regel ist eine verzögerte, manch- mal auch – bei kompletter Abfluss- behinderung – eine fehlende Kon- trastmittelausscheidung (so genannte

„stumme Niere“) nachzuweisen. Auf Spätaufnahmen (halbseitig, zum Bei- spiel nach einer Stunde) ist oft die ex- akte Lokalisation auch nicht schatten- gebender oder in Knochendeckung befindlicher Harnsteine festzustellen.

Alternativ kann ein Spiral-CT durch- geführt werden.

Ein rascher Medikamenteneffekt ist bei der Therapie durch die intravenöse Applikation gewährleistet. Das peri- pher angreifende Pyrazolderivat Meta- mizol, ein Prostaglandin-Synthesehem- mer, wirkt am Ort der Schmerzent- stehung und senkt den Druck im Nie- renbecken (5). In einer Studie und im Rahmen einer Literaturrecherche wur- de eine nahezu gleiche Inzidenz ei- ner Agranulozytose bei verschiedenen Prostaglandin-Synthesehemmern er- mittelt (15). Anaphylaktische Reaktio- nen sind außerordentlich selten (19). N- Butylscopolamin ist weniger wirksam.

Wenn diese Medikamente nicht zur Schmerzfreiheit führen, können Opioi-

Ausgewählte

urologische Notfälle

Zusammenfassung

Ausgewählte urologische Notfälle werden an- hand ihrer Pathophysiologie und Symptomatik dargestellt. Diagnostische Maßnahmen und therapeutische Optionen werden systematisch erörtert. Dabei wird auf die Koliken der Harn- wege, die Urosepsis und die Anurie besonders eingegangen. Die postrenale Anurie mit infra- vesikaler oder supravesikaler Obstruktion wird der prärenalen und renalen Form gegenüber- gestellt. Diagnostik und Therapie der die Pati- enten besonders erschreckenden Hämaturie mit ihrer Sonderform einer Blasentamponade sind besonders vermerkt. Das akute Skrotum, die Samenstrangtorsion, die Hydatidentorsion,

die akute Epididymitis, die Orchitis, die inkar- zerierte Leistenhernie, Hodenruptur und Hoden- tumor sind ein für die Praxis und Klinik beson- ders wichtiges Kapitel. Ein schnelles, gezieltes Eingreifen muss im Vordergrund stehen.

Schlüsselwörter: urologische Notfälle, Koli- ken, Urosepsis, Anurie, Hämaturie, akutes Skro- tum

Summary

Special Urological Emergencies

Special urological emergencies and their patho- physiology and symptoms are presented.

Diagnostic methods and therapeutic manage-

ment are described systematically. Renal colic, urosepsis and anuria are illustrated specifically.

Postrenal anuria caused by subvesical or supra- vesical obstruction is listed besides the prerenal and renal causes. Diagnosis and therapy of hematuria and clot retention of the bladder are described specifically. The acute scrotal pain (testicular torsion, torsion of the appendix testis, acute epididymitis, orchitis, incarcerated hernia, rupture of the tunica albuginea, testicular tu- mour) is a very important chapter for the clinical colleagues, wherein there is a need of a fast and specific treatment.

Key words: urological emergencies, renal colic, urosepsis, anuria, hematuria, acute scrotal pain

1Klinik für Urologie und Kinderurologie (Chefarzt: Prof.

Dr. med. Georg Hofmockel), Medizinisches Zentrum, Kreis Aachen, Würselen

2Urologische Klinik und Poliklinik (emer. Direktor: Prof.

Dr. med. Hubert Frohmüller), Universität Würzburg

Georg Hofmockel

1

Hubert Frohmüller

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de eingesetzt werden (18); Beispiele sind Piritramid und Pethidin. Wegen der möglichen Nebenwirkungen wie Atemdepression und Blutdruckabfall sind diese klinischen Parameter zu kontrollieren.

Führen auch diese Medikamente nicht zu einer ausreichenden Schmerz- linderung, sollte interventionell eine Druckentlastung im Nierenhohlsystem herbeigeführt werden. Dies kann durch die zystoskopische Einlage einer inneren Harnleiterschiene („Double- J-Stent“) oder durch eine perkutane Nephrostomie erfolgen.

Bei einer Fornixruptur kann unter antibiotischer Prophylaxe zugewartet werden. Bei anhaltenden Koliken, größerer Extravasation oder einer In- fektion sollte ebenfalls eine Druckent- lastung mittels Harnleiterschiene oder perkutaner Nephrostomie erfolgen.

Urosepsis

Allgemein wird die Sepsis als eine Form des systemic inflammatory res- ponse syndrome (SIRS), die aufgrund einer Infektion eintritt, aufgefasst (3).

Als Urosepsis wird eine lebensbe- drohliche Erkrankung bezeichnet, de- ren Ursache die Ausschüttung von Endotoxinen von aus dem Harntrakt in die Blutbahn übergetretener Bakte- rien ist.

Durch Aktivierung humoraler und zellulärer Mediatorsysteme kommt es zu einer gestörten Mikrozirkulation und einer disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC), die zu einer Or- ganminderperfusion und Ödembil- dung und schließlich zum Organversa- gen führen (11, 14). Als Auslöser kom- men verschiedene urologische Er- krankungen wie die Obstruktion der ableitenden Harnwege, (zum Beispiel durch Harnleiterstein, Blasenentlee- rungsstörung, Harntraktdilatation wäh- rend der Schwangerschaft), Organ- entzündungen, (beispielsweise Pyelo- nephritis, Prostatitis und Epididymi- tis) und Organabszedierungen in Be- tracht.

Die für die Sepsis verantwortlichen Keime sind gewöhnlich gramnegati- ve Enterobakterien, grampositive En- terokokken, Proteus, Pseudomonas

oder Serratia. Bei der Urosepsis ist nur in 10 bis 15 Prozent, gegenüber 50 Prozent bei sonstiger Sepsis, mit gram- positiven Erregern zu rechnen (16).

Besonders gefährdet sind alte, ab- wehrgeschwächte Patienten und sol- che mit Begleiterkrankungen, wie Diabetes mellitus oder unter Immun- suppression.

Je nach Herd wird ein entsprechen- der lokaler Schmerz angegeben. Zu- dem besteht häufig hohes Fieber und Schüttelfrost. Zunächst ist eine, zum Teil sehr deutliche, Leukozytose, im weiteren Verlauf eine Thrombozytope- nie als Zeichen der Progredienz der

Sepsis nachzuweisen. Tachykardie und Tachypnoe werden ebenso beobachtet wie Blutdruckabfall und periphere Zy- anose. Im weiteren Verlauf kann es zum Funktionsausfall lebenswichtiger Organe kommen. Im Extremfall geht die Urosepsis in den septischen Schock über, der durch einen Zusammenbruch der Kreislaufregulation gekennzeich- net ist. Die Mortalität der Sepsis liegt immer noch bei circa 30 Prozent, die des septischen Schocks bei über 50 Prozent (14).

Wesentlich für die Diagnostik ist die Suche nach dem Ausgangspunkt des

Infektionsgeschehens. Meist gibt der Patient lokalisierte, eventuell auch schon einige Tage zurückliegende Be- schwerden an.

Das können Flankenschmerzen, Schmerzen im Dammbereich oder im Skrotum sein. Neben der klinischen Untersuchung (beispielsweise starker Klopfschmerz in der Flanke, erhebli- cher Palpationsschmerz am Hoden/

Nebenhoden, teigig weiche, extrem schmerzempfindliche Prostata bei der digitorektalen Untersuchung), der Urin- analyse und der Bestimmung der Blut- werte ist die Durchführung einer So- nographie von wesentlicher Bedeu-

tung. Mit dieser Methode kann eine Harnstauung ebenso wie eine Absze- dierung im Bereich der Niere (Abbil- dung 1a), des Nebenhodens (Abbil- dung 1b)oder der Prostata (Abbildung 1c) (transrektale Sonographie) fest- gestellt werden. Zusätzlich sollte bei unklaren Befunden im Bereich der Niere (Nierenabszedierung, parane- phritischer Abszess) mit einer compu- tertomographischen Untersuchung ei- ne weitergehende Diagnostik erfolgen (Abbildung 1d).

Entscheidend bei der Therapie ist die unverzügliche Beseitigung der Ur- Abbildung 1: a)

Sonographischer Befund eines Nie- renabszesses; cir- ca 4 cm im Durch- messer großer, echoarm imponie- render Prozess in der rechten Niere (Pfeil). b) Sono- graphischer Be- fund eines Neben-

hodenabszesses. Der rundliche echoarme Bezirk auf dem linken Bild entspricht dem Abszess (Pfeil). Der übrige Nebenhoden ist deutlich vergrößert im Sinne einer Epididymitis. Auf dem rechten Bild sind der unauffällige Hoden sowie eine Hodenzyste (Pfeil) zu erkennen. c) Trans- rektaler Sonographiebefund eines Prostataabszesses. Darstellung des Abszesses als echoarme Region (Pfeil). d) CT-Darstellung eines Nierenabszesses. Deutliche Abgrenzung des Abszesses (Pfeil) vom Nierenparenchym am oberen Nierenpol.

a b

c d

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sache, das heißt die Herdsanierung.

Gleichzeitig, aber niemals allein, muss eine breit angelegte antibiotische The- rapie erfolgen, da eine Keimbestim- mung zunächst nicht vorliegt (zum Beispiel Cephalosporin der vierten- Generation plus Aminoglykosid) (22).

Je nach Ursache der Urosepsis müssen unverzüglich interventionelle Maß- nahmen durchgeführt werden (Text- kasten). Gelegentlich tritt nach der Herdsanierung kurzfristig eine weite- re Verschlechterung des Allgemeinzu- standes des Patienten ein, eventuell mit septischem Schock. Eine intensiv- medizinische Überwachung und The- rapie (zum Beispiel Gabe von Volu- men, Katecholaminen, Gerinnungs- faktoren) ist deshalb notwendig.

Anurie

Das Vorliegen einer Anurie (Aus- scheidung < 100 ml/24 h) bringt den Patienten in eine lebensbedrohliche Situation. Prinzipiell werden drei For- men der Anurie unterschieden: die postrenale, die renale und prärenale Anurie. Bei der postrenalen Anurie ist eine der möglichen Ursachen eine Ob- struktion im Bereich der ableitenden Harnwege.

Chronisch destruierende, entzündli- che, toxische und allergische Nephro- pathien sowie lang dauernde intra- renale Druckerhöhung und Nieren- gefäßverschluss können Ursache der renalen Anurie sein. Die prärenale Anurie kann Folge einer länger dau- ernden Blutdrucksenkung, Elektrolyt- störungen, Exsikkose und Hypovol- ämie sein. Es gilt die jeweilige Form der Anurie so schnell wie möglich zu diagnostizieren und einer Behandlung zuzuführen sowie eine weitergehende Diagnostik zu veranlassen.

Postrenale Anurie

Beim Harnverhalt (infravesikale Ob- struktion) handelt es sich um eine Bla- senentleerungsstörung. Mögliche in- fravesikale Ursachen können benigne Prostatahyperplasie, Blasenhalssklero- se, Prostatakarzinome, Blasentumoren sowie Harnröhrenstriktur und Harn- röhrentumoren sein. Weitere Gründe

können auch vorhandene Fremdkör- per in der Harnröhre sowie neurogene Ursachen wie zum Beispiel Detrusor- Sphinkter-Dyssynergien und Diskus- prolaps sein. Medikamente mit pa- rasympatholytischer beziehungsweise sympathomimetischer Wirkung kön- nen ebenfalls Grund des Harnverhal- tes sein. Besteht die Blasenentlee- rungsstörung über einen längeren Zeitraum – zum Beispiel bei einer Überlaufblase mit oft nur tropfenwei- sem Urinabgang –, kommt es sekundär zu Veränderungen der oberen Harn- wege mit Harnstauung. Dies führt mit der Zeit zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zur Urämie.

Bei ungestörter Blasensensorik wird über meist akute, starke Schmerzen im Unterbauch und ausgeprägten Harn- drang geklagt. Gelegentlich wird auch über eine Vorwölbung des Unter- bauchs berichtet.

Bei der Inspektion im Rahmen der Diagnostik ist häufig ein „Unter- bauchtumor“ zu erkennen. Typisch ist der starke Druckschmerz oberhalb der Symphyse. Perkutorisch, palpato- risch und sonographisch ist die mit Ur- in prall gefüllte Blase nachzuweisen.

Bei neurogen bedingtem Harnverhalt (zum Beispiel Wirbelsäulenverletzun- gen, Diskusprolaps, diabetische Polyn- europathie oder Operationen im klei- nen Becken, zum Beispiel Rektum- amputation) werden vom Patienten gewöhnlich keine Schmerzen angege- ben. Auch eine sich über einen länge- ren Zeitraum entwickelnde Überlauf- blase geht oft ohne Schmerzen einher und imponiert klinisch aufgrund der Überlaufsymptomatik häufig als Harn- inkontinenz.

Nach Diagnosestellung sollte eine Drainage der Blase durchgeführt wer- den. Dies kann durch sterilen trans- urethralen Katheterismus oder – bei normalen Gerinnungsparametern – durch eine suprapubische Blasenfiste- lung erfolgen. Die fraktionierte Ablei- tung des Urins ist überflüssig. Eine eventuell auftretende venöse Blutung nach Entlastung der Blase sistiert

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Interventionelle Maßnahmen bei Urosepsis in Abhängigkeit von der Grunderkrankung

>bei Harnstauung: Einlage einer Harnleiterschie- ne oder perkutane Nephrostomie

>bei Nierenabszessen, paranephritischen Ab- szessen oder Urinomen: perkutane Drainage oder operative Ausräumung, gegebenenfalls mit Nephrektomie (zum Beispiel bei multiplen Nierenabszessen)

>bei Pyozystis: Blasenspülung

>bei Prostataabszess: transurethrale Eröffnung beziehungsweise perineale Drainage des Ab- szesses

>bei abszedierender Epididymoorchitis:

Epididymektomie oder erforderlichenfalls Epididymorchiektomie.

Textkasten

a b

Abbildung 2: a) Bei operativer Einzel- niere links ist ein hochsitzender Harn- leiterstein mit Kontrastmittelstopp als Ursache einer postrenal bedingten Anurie zu erkennen. b) Retrograde Uretherographie links zum Nachweis eines nicht schattengebenden Harn- leitersteines links. Gut zu erkennen ist die längsovale Umfließungsfigur am Oberrand des knöchernen Beckens.

Unterhalb davon unauffällige Kon- trastmittelpassage. Es tritt kein Kon- trastmittel nach proximal in den oberhalb des Konkrementes befindli- chen Harnleiter über. Das linke Nie- renbeckenkelchsystem ist flau und di- latiert zu erkennen bei Zustand nach vorausgegangenem Ausscheidungsu- rogramm mit erheblich verzögerter Kontrastmittelanreicherung.

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spontan. Kommt es zu einer Blutung im Bereich der Einstichstelle des su- prapubischen Katheters in die Blase, so ist das Anlegen einer Dauerspü- lung, in sehr seltenen Fällen die trans- urethrale Koagulation der Blutungs- quelle, erforderlich.

Mögliche Ursachen einer supravesi- kalen Obstruktion der Harnwege mit nachfolgender Anurie können Harn- steine, Harnleitertumoren, Harnleiter- strikturen, Nierenbeckenabgangsenge sowie Ureterkompression und iatroge- ne Ureterligatur sein. Ursächlich hier- für ist die komplette Obstruktion eines oder beider Harnleiter. Als Folge resul- tiert eine Dilatation des beziehungs- weise der Nierenhohlsysteme. Bei an- haltender Obstruktion kommt es im Rahmen der renalen Destruktionspha- se zu einem Rückgang des glome- rulären Filtrates und dann zu einer Ein- schränkung der tubulären Nierenfunk- tion (7).

Zu welchem Zeitpunkt bei kom- pletter Obstruktion eine irreversible Schädigung des Nierenparenchyms erwartet wird, ist nicht exakt vorher- sehbar.

Die Reflexanurie ist eine seltene Form der postrenalen Anurie. Bei meist kurzzeitiger Obstruktion eines Harnleiters (besonders des distalen Anteils) kommt es trotz nicht abfluss- gestörter kontralateraler Seite zu ei- ner Anurie, vermutlich aufgrund eines viszeroviszeralen Reflexes, der zu ei- ner präglomerulären Vasokonstrikti- on in beiden Nieren führt (7).

Bei akut aufgetretener Obstruktion klagen die Patienten über ein- oder beidseitige, eventuell auch kolikartige Flankenschmerzen. Bei langsam fort- schreitender Harntransportstörung kann der Verlauf asymptomatisch sein. In solchen Fällen kann der Pati- ent gegebenenfalls erst durch eine ur- ämisch bedingte Somnolenz auffällig werden. Ein Harndrang besteht bei leerer Blase nicht.

Die primäre diagnostische Maßnah- me ist die Sonographie, bei der eine Stauung des beziehungsweise der Nie- renhohlsysteme bei leerer Harnblase nachzuweisen ist. Röntgenologisch sind obstruierende Harnsteine in den ableitenden Harnwegen zu erkennen (Abbildung 2a). Es liegen erhöhte Re-

tentionswerte im Blut, eventuell be- reits eine Entgleisung der Elektrolyte, insbesondere des Kaliumwertes, vor.

Als nächster Schritt dient die Zysto- skopie mit retrograder Darstellung der oberen Harnwege der Diagnosesi- cherung und Lokalisation des Abfluss- hindernisses (Abbildung 2b).

Ziel der Therapie ist die möglichst rasche Wiederherstellung eines unge- störten Harnabflusses. Nach retrogra- der Darstellung der oberen Harnwege kann zur Beseitigung der Obstruktion eine innere Harnleiterschiene einge- legt oder bei Vorliegen von Konkre- menten im Ureter (besonders im di- stalen Abschnitt) ureteroskopisch die Entfernung des Steines vorgenommen werden. Bisweilen ist auch die Durch- führung einer perkutanen Nephrosto- mie erforderlich. Nach Sicherung des Harnabflusses kommt es meist zu ei- ner polyurischen Phase. Aufgrund des dann zum Teil erheblichen Flüssig- keits- und Elektrolytverlustes muss ei- ne entsprechende Substitution, gege- benenfalls unter intensivmedizini- scher Überwachung, erfolgen.

Renale Anurie

Als Ursache kommen krankhafte Ver- änderungen im Bereich des Nierenpa- renchyms (von der Rinde bis zu den Papillen) sowie des Nierengefäßsy- stems infrage.

Zu den akut und chronisch ent- zündlichen Nephropathien zählen die verschiedenen Formen der Glomeru- lonephritis und die akute interstitielle Nephritis. Diese Erkrankungen erfor- dern eine möglichst frühzeitige ne- phrologische Diagnostik und gegebe- nenfalls Therapie. Das gleiche gilt für die toxische und allergische Nephro- pathie.

Bei renaler Anurie findet man häu- fig eine Mikrohämaturie sowie eine arterielle Hypertonie und Ödeme. So- nographisch ist keine Harnstauung nachzuweisen, die harnpflichtigen Substanzen im Serum sind erhöht. Es kann eine Hyperkaliämie und eine metabolische Azidose vorliegen. Ge- fäßprozesse sind auszuschließen.

Bei renaler Anurie mit entspre- chender Entgleisung des Kaliumwer- tes (Hyperkaliämie) und des Säure-

Basen-Haushaltes (metabolische Azi- dose) ist es therapeutisch erforderlich, diese Störungen sofort auszugleichen.

Die Letalität des akuten Nierenversa- gens ist trotzdem sehr hoch (bis zu 60 Prozent). Gewöhnlich sind eine inten- sivmedizinische Betreuung und zu- sätzlich eine Dialysebehandlung er- forderlich.

Das seltene Vorkommen des Ver- schlusses der Nierengefäße führt bei Vorliegen einer Einzelniere bezie- hungsweise bei beidseitig auftreten- dem Verschluss aufgrund des akuten Nierenversagens zur Anurie.

Der thrombotische Verschluss der Nierenvene ereignet sich meist im Rahmen einer immunologischen Nie- renerkrankung (zum Beispiel mem- branoproliferative Glomerulonephri- tis, Lupus erythematodes disseminatus visceralis) oder raumfordernder Pro- zesse im Retroperitoneum. Andere Ursachen sind Hyperkoagulabilität des Blutes nach Verbrennung und eine ausgeprägte Dehydratation (20).

Der Verschluss der Nierenarterie oder ihrer Äste ist Folge einer arteriel- len Embolie (Thromben im linken Vorhof) oder selten einer Thrombose (9).

Typisch sind akute Flankenschmer- zen (vor allem bei der Nierenarterien- stenose aufgrund des partiellen oder kompletten Niereninfarktes), Mikro- oder Makrohämaturie, Proteinurie und arterielle Hypertonie, LDH- so- wie CK-Erhöhung (MB-Isoenzym ne- gativ). Beim venösen Verschluss sind auch klinisch stumme Verläufe mög- lich.

Patienten mit einem arteriellen oder venösen Verschluss der Nieren- gefäße weisen häufig eine klinische Symptomatik und Laborbefunde auf ähnlich denen von Steinpatienten. Bei sonographisch unauffälligen Nieren, jedoch im Ausscheidungsurogramm ein- oder beidseitig verminderter oder fehlender Funktion, müssen zunächst nicht schattengebende Harnsteine mit- tels einer retrograden Ureteropyelo- graphie ausgeschlossen werden. Zei- gen sich hierbei normale obere Harnwege, muss an die Möglichkeit ei- ner Nierengefäßerkrankung gedacht werden. Dann ist zunächst eine Farb- doppler-Sonographie der Nierenge-

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fäße, bei vermindertem Blutfluss ei- ne digitale Subtraktionsangiographie (DSA) beziehungsweise eine Kavo- graphie indiziert (20). Eventuell kann eine zusätzliche CT-Untersuchung die Diagnose sichern (6).

Bei Verschluss der Nierenvene kann über den in situ liegenden in- traarteriellen Angiographiekatheter eine frühzeitige Thrombolyse mit Uro- kinase oder Streptokinase als Thera- pie durchgeführt werden. Daran anschließen sollte sich eine Antikoa- gulanzientherapie (Heparinisierung).

Die Thrombektomie zeigte keinen Vorteil gegenüber der Thrombolyse plus Antikoagulantien hinsichtlich ei- ner Verbesserung der Nierenfunktion (13). Da sich die Nierenfunktion rasch verschlechtert, kann nur eine frühe Diagnose und Therapie zur Rekanali- sierung der Nierenvene und dem Er- halt der Nierenfunktion führen. Der Grad der Einschränkung der Nieren-

funktion zum Zeitpunkt der Diagnose ist der wichtigste prognostische Faktor für die spätere Verbesserung der Nie- renfunktion.

Entscheidend für den Organerhalt bei Verschluss der Nierenarterie ist die möglichst rasche Diagnose. Gelingt dies, stehen die operative Embolekto- mie und die Thrombolyse als wahr- scheinlich gleichwertige Behandlungs- optionen zur Verfügung (10). Eventu- ell muss bei der Operation zur Siche- rung der arteriellen Versorgung der Niere ein Bypass oder eine Autotrans- plantation durchgeführt werden. Nach Diagnosestellung im Rahmen der An- giographie kann über den liegenden Katheter die thrombolytische Sub- stanz appliziert werden.

Bei zu langer Ischämiezeit (häufig!) kommt lediglich eine Antikoagulanzi- entherapie infrage. Als Langzeitpro- phylaxe sollte in Abhängigkeit von der Grunderkrankung eine Marcumarisie- rung erwogen werden. Falls sich bei der Entwicklung einer funktionslosen Schrumpfniere eine arterielle Hyper- tonie einstellt, ist die Nephrektomie erforderlich.

Prärenale Anurie

Diese beruht vor allem auf länger dau- ernden Blutdrucksenkungen, meist hervorgerufen durch einen Schock.

Bei dieser so genannten Schockniere ist die Durchblutung des Organs auf- grund der Hypovolämie erheblich ver- mindert. Dies führt zu einer Abnahme der glomerulären Filtration und infol- ge der Hypoxie zu einer Schädigung der Tubuluszellen. Es entsteht eine akutes Nierenversagen, das klinisch als Anurie symptomatisch wird.

Im Vordergrund steht bei der präre- nalen Anurie die Schocksymptomatik.

Sonographisch sind die Nieren beid- seits unauffällig und die Harnblase leer. Entsprechend dem akuten Nie- renversagen sind laborchemisch die harnpflichtigen Substanzen je nach Dauer der Funktionsstörung unter- schiedlich stark erhöht. Die Behand- lung der Schocksymptomatik steht im Vordergrund. Im Rahmen einer inten- sivmedizinischen Therapie sind gege- benenfalls Dialysebehandlungen er- forderlich.

Hämaturie

Es muss zwischen Makro-und Mi- krohämaturie unterschieden werden.

Die Mikrohämaturie (> 5 Erythro- zyten/µL) ist keine urologische Not- fallsituation und wird deshalb nicht erörtert.

Die Makrohämaturie lässt sich un- terteilen in schmerzlose und schmerz- hafte Hämaturie. Die akute Makrohä- maturie ist eine den Patienten er- schreckende urologische Notfallsitua- tion, die je nach Schweregrad einer so- fortigen Behandlung bedarf (2). Die Makrohämaturie ist so lange als Sym- ptom einer schwerwiegenden Erkran- kung anzusehen, bis eine solche durch eine eingehende Diagnostik ausge- schlossen wird.

Makrohämaturie

Bei der schmerzlosen Makrohämat- urie berichten die Patienten meist über eine plötzlich auftretende, totale Hä- maturie, das heißt das Blut ist im ge- samten Urin gleichmäßig verteilt.

Möglich sind auch Blutbeimengungen zu Beginn (initiale Hämaturie) und am Ende der Miktion (terminale Hä- maturie). Bei der totalen Hämaturie liegt die Blutungsquelle gewöhnlich in der Blase oder in den oberen Harnwe- gen. Bei der initialen ebenso wie bei der terminalen Hämaturie ist eher ei- ne Blutungsquelle im Blasenhalsbe- reich oder in der hinteren Harnröhre zu erwarten.

Häufige Ursachen sind Tumoren (Nierentumoren, Urothelkarzinome der Harnwege (Abbildung 3a), Prosta- takarzinome, Prostataadenome mit Blasenhalsvarizen, vorausgegangene, zum Teil schon länger zurückliegende Traumata und Gerinnungsstörungen (zum Beispiel Marcumar-Therapie).

Auch die so genannte „Marsch- oder Jogging-Hämaturie“ nach starken sportlichen Anstrengungen ist erwäh- nenswert (10). Rot gefärbter Urin oh- ne Blutbeimengung, zum Beispiel bei Ausscheidung von Nahrungsstoffen (Rote Beete), kommt differenzialdia- gnostisch ebenfalls in Betracht.

Die schmerzhafte Makrohämaturie tritt oft auf im Zusammenhang mit dys- urischen Beschwerden (zum Beispiel A

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a

b

Abbildung 3: a) Zystoskopisches Bild eines exophytischen papillären Blasentumors als Ursache einer Makrohämaturie. b) Typisches zystoskopisches Bild einer hämorrhagischen Zystitis mit in der gesamten Blase verteilten, geröteten, leicht blutenden Arealen.

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bei hämorrhagischer Zystitis bei Frau- en [Abbildung 3b]) oder mit Harnlei- terkoliken (hervorgerufen zum Bei- spiel durch Steine oder Abgang von Blutkoageln bei Tumoren der ablei- tenden Harnwege). Weitere mögliche Ursachen sind Nierentraumata, Ge- fäßmissbildungen (zum Beispiel Häm- angiome) sowie das so genannte „Nuß- knacker-Phänomen“ (10). Bei Letzte- rem wird die Vena renalis durch die Arteria mesenterica superior einge- engt und durch den venösen Rückstau in die Niere eine Makrohämaturie be- wirkt.

Sonographie (Nierentumoren, Stau- ungsniere, Blasentamponade), Labor- untersuchungen (Hb-Wert, Gerin- nung) und Kreislaufkontrolle sind wichtige diagnostische Verfahren. Die

Untersuchung des Urinsedimentes und gegebenenfalls eine bakteriologi- sche Urinuntersuchung können den Nachweis eines Harnwegsinfektes er- bringen. Weitergehende diagnostische Maßnahmen sind Ausscheidungsuro- gramm und Urethrozystoskopie (Ab- bildungen 3a und b).

Bei einmaliger Makrohämaturie oder geringer Ausprägung der Hämat- urie muss eventuell zunächst keine Behandlung erfolgen. Bei stärkerer Blutung ist meist die Anlage einer Bla- sendauerspülung über einen transure- thral eingelegten Spülkatheter ausrei- chend.

In seltenen Fällen muss eine trans- urethrale Elektrokoagulation durch- geführt werden. Bei der schmerzhaf- ten Makrohämaturie steht zunächst die Schmerzbekämpfung mit Spasmo- analgetika im Vordergrund. Bei Vor- liegen einer Harnwegsinfektion sollte eine testgerechte antibiotische Be-

handlung erfolgen. Im seltenen Falle einer kreislaufrelevanten Makrohä- maturie ist als erste Maßnahme eine Kreislaufstabilisierung erforderlich.

Unabhängig von der Versorgung der Notfallsituation muss nachfolgend ei- ne genaue Abklärung der Ursache der Makrohämaturie vorgenommen wer- den.

Blasentamponade

Bei einer Blasentamponade (mit Blut- koageln gefüllte Blase) sollten zunächst die Kreislaufverhältnisse sta- bilisiert werden. Unter wirksamer Analgesie (zum Beispiel mit einem Opioid) erfolgt über einen transure- thral eingeführten großlumigen, rela- tiv starren Katheter (sonst kollabiert

das Lumen des Katheters durch den beim Ansaugen entstehenden Unter- druck), eventuell auch über einen Zy- stoskopschaft, die Evakuierung der Blasentamponade mit einer Blasen- spritze. Häufig ist danach eine Dauer- spülung der Blase, selten eine Elektro- koagulation der Blutungsquelle, not- wendig (2, 10).

Akutes Skrotum

Dabei handelt es sich um einen kurz- fristig einsetzenden, starken, meist einseitigen Schmerz im Skrotum, ein- hergehend mit einer Schwellung der betroffenen Skrotalhälfte.

Wichtig sind eine rasche Schmerz- bekämpfung und eine sehr zügige Dia- gnostik, weil bei einer eventuell vor- liegenden Hodentorsion nur rasches Handeln einen Organverlust vermei- den kann. Differenzialdiagnostisch

kommen Samenstrang-, Hydatiden- torsionen, akute Epididymitis, Orchi- tis, inkarzerierte Leistenhernie, Ho- denruptur sowie Hodentumoren in Be- tracht.

Samenstrangtorsion (so genannte Hodentorsion)

Anlagebedingt kann es spontan, manchmal durch plötzliche Bewegun- gen bedingt, zu einer Torsion des Sa- menstranges, der so genannten „Ho- dentorsion“ kommen (Häufigkeitsgip- fel: Säuglingsalter sowie 15. bis 20.

Lebensjahr). Im Säuglingsalter über- wiegt die extravaginale Torsion (Dre- hung des Samenstranges außerhalb der Tunica vaginalis), während in der Pubertät ebenso wie beim Erwachse- nen die intravaginale Torsion (Dre- hung innerhalb der Tunica vaginalis) im Vordergrund steht. Bei der Samen- strangtorsion weist die Drehrichtung des Hodens, bezogen auf seine Längsachse, jeweils nach innen, das heißt nach medial. Es treten partielle (Drehung um 180 Grad) und komplet- te Torsionen (360 Grad) auf. In Ab- hängigkeit vom Ausmaß der Torsion wird die Blutzufuhr zum Hoden unter- brochen.

Bei einer partiellen Torsion kommt es primär zu einer Drosselung des venösen Abflusses bei noch erhalte- ner arterieller Blutzufuhr. Im weiteren Verlauf führt die hämorrhagische In- farzierung wie auch die abrupte Un- terbrechung der arteriellen Blutzu- fuhr bei einer Torsion von > 360 Grad zu einer hypoxischen Schädigung des Hodens. Das Keimepithel wird dabei zunächst wesentlich mehr geschädigt als die weniger empfindlichen Sertoli- und Leydig-Zellen (17).

Die Patienten klagen über einen meist akut auftretenden, starken Schmerz in einem Hoden. Nicht selten wachen sie nachts durch diesen hefti- gen Schmerz auf. Die Schmerzen strahlen häufig in die Leistengegend und den Unterbauch der betreffenden Seite aus. Gewöhnlich wird dieser Schmerz begleitet von Allgemeinsym- ptomen wie Übelkeit und Erbrechen.

Von den Patienten wird eine zuneh- mende Schwellung der entsprechen- den Skrotalhälfte angegeben.

Abbildung 4: a) torquierter Samenstrang; intraoperatives Bild; b) hämorrhagisch infarzierter Hoden nach Hodentorsion (24 Stunden nach Beginn der Symptomatik); intraoperatives Bild.

a b

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Die Anamnese mit der typischer- weise ganz plötzlich einsetzenden Symptomatik gibt wichtige Hinweise auf die Diagnose Hodentorsion. Bei der Inspektion ist teils ein Hochstand des betroffenen Hodens zu erkennen.

Palpatorisch ist bei extremer Druck- schmerzhaftigkeit des Hodens und des Samenstrangs, dessen torquierter An- teil anfangs getastet werden kann, der Nebenhoden nur zu Beginn vom Ho- den abgrenzbar.

Die Farbdoppleruntersuchung und die Hodenperfusionsszintigraphie er- gänzen die Differenzialdiagnose des akuten Skrotums (8). Kann jedoch bei einer akut auftretenden, schmerzhaf- ten Hodenschwellung eine Samen- strangtorsion nicht eindeutig ausge-

schlossen werden, ist primär von einer Torsion auszugehen.

Der Versuch einer manuellen Re- torquierung des Hodens ist gerecht- fertigt (Drehung nach lateral!). Wegen der ausgeprägten Schmerzhaftigkeit einer Hodentorsion ist vor der Durch- führung eine Samenstranganästhesie empfehlenswert. Ansonsten, wie auch in jedem Zweifelsfall, ist die operative Freilegung des Hodens indiziert, um einen möglichen Verlust des Organs zu vermeiden (12).

Die offene Inspektion bei einer möglicherweise vorliegenden akuten Epididymitis richtet weniger Schaden an als eine übersehene Hodentorsion.

Nach circa vier bis sechs Stunden ist mit einer zunehmenden irreversiblen Schädigung des Keimepithels zu rech- nen. Bei einer Anamnesedauer bis fünf Stunden liegt die Erhaltungsrate des Hodens bei 80 bis 100 Prozent, nach über 12 Stunden nur noch bei 20 Prozent (17).

Liegt eine Hodentorsion vor (Ab- bildung 4a) erfolgt intraoperativ zunächst eine Retorquierung des Sa- menstranges. In Abhängigkeit von der Durchblutung des Hodens entscheidet sich das weitere Vorgehen. Erholt sich der Hoden makroskopisch nach Frei- gabe der Durchblutung wieder und er- scheint somit erhaltungswürdig, er- folgt die Orchidopexie dieser und auch der kontralateralen Seite. Bei hä- morrhagisch infarziertem, schwarzen Hoden ist die Orchiektomie indiziert (Abbildung 4b).

Hydatidentorsion

Dabei handelt es sich um eine Tor- quierung von rudimentären Anhäng- seln des Hodens (Reste des Müller- Ganges) beziehungsweise des Neben- hodens (Reste des Wolff-Ganges). Die Symptomatik einer Hydatidentorsion gleicht im Wesentlichen dem Bild der Samenstrangtorsion mit einer akuten Schmerzattacke sowie Schwellung der betroffenen Skrotalhälfte. Hydatiden- torsionen kommen häufig im Kindes- alter vor.

Manchmal ist die stielgedrehte Hy- datide bei dünner Skrotalhaut als blauer Fleck zu erkennen. Sonogra-

phisch kann bisweilen, vor allem bei reaktiver Begleithydrozele, die Hyda- tide nachgewiesen werden (Abbildung 5). In der Farbdopplersonographie ist eine gute Durchblutung des Hodens festzustellen.

Liegt eindeutig eine Hydatidentor- sion vor, ist eine konservative Behand- lung unter Verabreichung von Analge- tika möglich. Jedoch ist die Hydati- dentorsion oft nur schwer von der Sa- menstrangtorsion zu unterscheiden, sodass in diesen Fällen zur Sicherung der Diagnose die operative Freilegung erfolgen muss. Die meist livide bis schwärzlich verfärbte Hydatide wird reseziert (17).

Akute Epididymitis

Die Epididymitis (Nebenhodenent- zündung) entwickelt sich vorwiegend kanalikulär, das heißt über den Ductus deferens. Vom aszendierenden Infek- tionsweg (von der Urethra ausge- hend) sind dabei besonders jüngere, sexuell aktive Männer betroffen. Der deszendierende Infektionsweg (von der Harnblase ausgehend) auf der Grundlage von Harnwegsinfekten be- trifft vor allem ältere Männer mit Bla- senentleerungsstörung (zum Beispiel benigne Prostatahyperplasie) und kleine Jungen mit infravesikaler Ob- struktion. In seltenen Fällen kann auch ein hämatogener Infektionsweg für die Entstehung einer Epididymitis verantwortlich sein.

Leitsymptom der Epididymitis ist die typischerweise langsam beginnen- de, dann aber rasch zunehmende schmerzhafte Schwellung des Neben- hodens. Diese Entwicklung kann sich über Stunden bis Tage hinziehen. Spä- ter kann es zu einer Rötung und Schwellung des Skrotums mit Aufhe- bung der Fältelung kommen (Abbil- dung 6). Dysurische Beschwerden sind häufig mit der Erkrankung vergesell- schaftet. Als Allgemeinsymptome können Fieber und Schüttelfrost auf- treten.

Anfänglich ist lediglich der Neben- hoden geschwollen, erheblich druck- schmerzhaft und zunächst noch palpa- torisch vom Hoden abgrenzbar, nach 24 bis 36 Stunden jedoch nicht mehr, A

A2790 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4218. Oktober 2002

Abbildung 5: Sonographische Darstellung ei- ner torquierten Hydatide (Pfeil) bei zusätzlich vorliegender Hydrocele.

Abbildung 6: Klinischer Befund einer Epididy- mitis rechts. Deutlich erkennbar die gerötete Skrotalhaut, zum Teil mit aufgehobener Fäl- telung.

(8)

sodass dann von einer Epididymorchi- tis gesprochen werden muss.

Sonographisch ist eine hypodense Vergrößerung des Nebenhodens, nicht selten kombiniert mit einer Begleithy- drozele, sowie eine unter Umständen bereits eingetretene Abszedierung festzustellen.

Meist zeigen sich eine Leukozyt- urie, gegebenenfalls auch eine Bakte- riurie, sowie häufig eine Leukozytose und eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins. Dopplersonographisch ist ei- ne Hyperperfusion der betroffenen Seite nachzuweisen (8). Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Hoden- torsion, die sicher ausgeschlossen wer- den muss, wenn nicht anders möglich, durch eine operative Freilegung.

Die Therapie erfolgt zunächst kon- servativ mit Verabreichung von An- tibiotika (zum Beispiel Gyrasehem- mer) sowie supportiven Maßnahmen (Hochlagerung und Kühlung des Skrotums, gegebenenfalls Antiphlogi- stika) (21). Bei Auftreten einer ausge- prägten Epididymorchitis oder einer Abszedierung ist gewöhnlich die Ent- fernung von Hoden und Nebenhoden erforderlich. Bei insuffizienter Be- handlung kann eine akute Epididymi- tis einen chronischen Verlauf anneh- men. Nach Abheilung der Nebenho- denentzündung muss eine Abklärung der Miktionsverhältnisse erfolgen (zum Beispiel Durchführung eines Urethro- zystogramms, bei Kindern eines Mikti- onszysturethrogramms). Im Anschluss an eine bilaterale Epididymitis kann eine Verschlussazoospermie auftre- ten.

Orchitis

Bei der Orchitis handelt es sich um eine hämatogen übertragene Ent- zündung des Hodengewebes, meist aufgrund viraler Infektion. Hier ist besonders die Mumpsorchitis zu er- wähnen, die im Rahmen der Mumps- erkrankung in etwa ein Drittel der Fälle überwiegend im postpubertären Alter beobachtet wird. Gewöhnlich tritt sie unilateral (70 Prozent), gele- gentlich auch bilateral auf. Als Folge der Mumpsorchitis zeigt sich in circa 30 Prozent der Fälle eine Defekthei-

lung des Keimepithels. Dies hat eine ir- reversible Spermatogenesestörung zur Folge, die bei beidseitigem Befall zur Infertilität führt (12).

Die gewöhnlich langsam beginnen- de schmerzhafte Schwellung des Ho- dens (ein- oder beidseitig) tritt im Rahmen der Mumpserkrankung circa drei bis vier Tage nach Beginn der Pa- rotitis auf. Häufig leidet der Patient unter Fieber, jedoch fehlen im Gegen- satz zur akuten Epididymitis Mikti- onssymptome.

Bei der klinischen Untersuchung ist zunächst der vergrößerte, druck- schmerzhafte Hoden vom unauffälli- gen Nebenhoden abzugrenzen, im weiteren Verlauf nicht mehr. Der Urinbefund ist unauffällig. Sonogra- phisch sind nicht selten Reflexunre- gelmäßigkeiten im Hodenparenchym nachzuweisen, sodass die Differenzial- diagnose zum Hodentumor schwierig sein kann. Tritt die Hodenschwellung im Rahmen einer Infektionskrank- heit, zum Beispiel einer Mumps, auf, ist hingegen die Diagnose einer infek- tiösen Orchitis relativ einfach zu stel- len.

Die konservative Behandlung be- steht in Bettruhe, Verabreichung von Antiphlogistika sowie lokalen Maß- nahmen wie Hochlagerung und Küh- lung des Skrotums. Eine Therapie mit Interferon-␣und ␤-Globulin wird dis- kutiert (4). Die beste Behandlung der Mumpsorchitis ist die Vorbeugung mittels entsprechender Impfung. Je nach Alter des Patienten ist dieser selbst beziehungsweise sind seine El- tern auf die Möglichkeit einer Sper- matogenesestörung hinzuweisen.

Inkarzerierte Leistenhernie

Kommt es bei einer Skrotalhernie zu einer Einklemmung des Darms, führt dies zur Symptomatik eines akuten Skrotums, später auch eines akuten Abdomens. Sonographisch und aus- kultatorisch können Peristaltik bezie- hungsweise Geräusche des Darmes im Skrotum nachgewiesen werden. Die Therapie besteht in der sofortigen Operation mit Verschluss der Hernie und gegebenenfalls Resektion von Darm- beziehungsweise Omentum- anteilen.

Hodenruptur

Nach meist stumpfer Gewalteinwir- kung sind neben den starken Schmer- zen Hämatome mit zum Teil erhebli- cher Schwellung und livider Verfär- bung des Skrotums zu beobachten.

Die Sonographie erlaubt eine exakte Diagnostik. Nach rascher operativer Ausräumung des Hämatoms wird die Tunica albuginea wieder verschlossen.

Devitalisierte Gewebeanteile müssen reseziert werden.

Hodentumor

Bei Vorliegen eines Hodentumors klagt der Patient nur selten (in etwa 15 Prozent der Fälle) über eine akute Schmerzsymptomatik. Meist wird le- diglich über eine schmerzlose derbe unilaterale Vergrößerung des Skrotal- inhalts mit Schweregefühl berichtet.

Palpation und Ultraschalluntersu- chung erbringen gewöhnlich eine ein- deutige Diagnose. Eine akute Operati- onsindikation im Sinne eines Notfall- eingriffes besteht nicht, jedoch sollte zügig eine inguinale Hodenfreilegung, gegebenenfalls mit Entfernung des Skrotalinhaltes der betreffenden Sei- te, durchgeführt werden.

Manuskript eingereicht: 7. 12. 2001, revidierte Fassung angenommen: 11. 6. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2780–2791 [Heft 42]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Georg Hofmockel Klinik für Urologie und Kinderurologie Medizinisches Zentrum Kreis Aachen Dr. Hans-Böckler-Platz 1

52146 Würselen

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