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Archiv "Hausärzte beklagen „Verelendungsstrategie“" (30.10.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Der 25. Geburtstag des „BPA" bot für den Berufspolitiker wenig An- laß, in Freuden- und Jubelstürme auszubrechen. Ganz im Gegen- teil. Der mit überwältigender Mehrheit wiedergewählte 1. Bun- desvorsitzende des BPA, Dr. med.

Helmut Klotz (Darmstadt), sagte vor der BPA-Delegiertenversamm- lung während des 8. Deutschen Hausärztetages (vom 19. bis 21.

September in Landshut), daß zwei Hauptforderungen seines Berufs- verbandes bundesweit noch nicht realisiert worden seien: nämlich die Etablierung der Allgemeinme- dizin als eigenständiges Fachge- biet neben den weitgefächerten Gruppen der Spezialärzte und ei- ne spezifische obligatorische Qualifikation für die allgemein- ärztliche Berufsausübung.

Heute sehen sich die Allgemein- ärzte weiter denn je entfernt von der allseits anerkannten Forde- rung, nämlich eine Verhältniszahl der „Hausärzte" zu Spezialärzten von 60 zu 40 Prozent zu erreichen.

Heute lautet die Relation genau umgekehrt; die Spezialisten do- minieren mit 60 Prozent, gemes- sen an der Gesamtzahl der nieder- gelassenen Ärzte, während die Zahl der weitergebildeten Allge- meinärzte stagniert oder nur ge- ringfügig wächst. Die Ursachen für diese Minderschätzung der primär- und allgemeinärztlichen Versorgung durch niederlas- sungswillige Ärzte sind vielfältig, wie Bundesvorsitzender Klotz in seinem Grundsatzreferat vor der Delegiertenversammlung in Landshut darlegte. Der Trend zur spezialärztlichen Versorgung ist zweifellos durch die Ausdifferen- zierung und die Subspezialisie- rung im Bereich der Hochschul-

medizin nachhaltig gefördert wor- den. So sehr die Spezialisierung der Medizin in der Forschung und Lehre ihre Berechtigung habe, so falsch sei ihre spiegelbildliche In- karnation auf dem Sektor der praktizierten Medizin und ihrer Applikation am Patienten, sagte Klotz. Auch säkulare Trends hät- ten einen Gebietsarztboom in den vergangenen Jahren begünstigt:

die Anfang der 70er Jahre noch günstige Situation der gesetzli- chen Krankenversicherung, als den Kassenmitgliedern ziemlich alle Wünsche frank und frei erfüllt werden konnten.

Keine holländischen Verhältnisse schaffen ...

Heute das Rad um 180 Grad her- umzuwerfen, sei mehr als eine bloße Kärrnerarbeit, meinte Dr.

Klotz. Dabei sei der hochqualifi- zierte, weitergebildete Allgemein- arzt, der in der primärärztlichen, hausärztlichen Versorgung einge- spannte Arzt der eigentliche „Bil- ligmacher im Gesundheitswe- sen". Klotz zitierte eine Mainzer Dissertation'), die vorgerechnet hat, daß jährlich rund 1,4 Milliar- den DM einzusparen wären, wenn die primärärztliche Krankenver- sorgung „durch die Bank" durch qualifizierte weitergebildete Ärzte erfolgen würde.

Die BPA-Delegiertenversamm- lung beugte einem Mißverständ- nis vor: Mit den Forderungen, die ärztliche Versorgung „der ersten

1) Renate Klotz, Was verbirgt sich hinter der Beratungsgebühr des Allgemeinarztes?, Diss., Medizinische Fakultät der Universität Mainz, 1983 (bei Dr. med. Benno König, Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin)

Linie" zu verstärken, sollten hier- zulande keine holländischen Ver- hältnisse geschaffen werden in der Art, daß der Allgemein- und Hausarzt zum ausschließlichen Patientenverteiler und damit zur ersten Anlaufstelle für den Patien- ten wird. Auch wollen die BPA-Be- rufspolitiker „keinen Naturschutz- park, kein Indianerreservat"; sie wollen vielmehr einen Platz in der ärztlichen Versorgung der Bevöl- kerung, der ihrem Können und ih- rer Aus- und Weiterbildung ent- spricht.

Die Allgemeinärzte sind es leid, zusammen mit den anderen Kolle- ginnen und Kollegen der „Arztfa- milie" als „Preistreiber" öffentlich diffamiert zu werden. Daß auch aus dem Regierungslager solche Vorwürfe ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erhoben würden, an dem die sparsame und gezielte Arbeit der Kassenärzte eindeutig mit Zahlen zu belegen ist, sei mehr als ein politischer Skandal.

Damit werde das Vertrauen von Patienten und Ärzten in die Politik weiter geschwächt, sagte Dr.

Klotz.

Trotz der unfairen Angriffe werde der BPA seine Mitglieder auch weiterhin zur gebotenen Spar- samkeit und zur gezielten Thera- pie auffordern. Den Allgemeinärz- ten helfe aber bloßes Schulter- klopfen wenig. Mittlerweile sei die größte Gruppe der niedergelasse- nen Ärzte in der Einkommensska- la unvertretbar weit nach unten abgerutscht. Mehr denn je werde der BPA darauf drängen, daß im Zuge der jetzt in Angriff genom- menen Neubewertung des kas- senärztlichen Vergütungssystems (eine Arbeitsgruppe der KBV will bis Mitte 1986 ein entscheidungs- reifes Konzept vorlegen) die pri- mär- bzw. hausärztlichen Leistun- gen gegenüber den medizinisch- technischen Leistungen besser als bisher bewertet werden. Die Reform des Bewertungsmaßsta- bes Ärzte müsse neue Schwer- punkte setzen; sie müsse eine gleichmäßige Verteilung der ärzt- lichen Gesamtvergütung auf alle

Hausärzte

beklagen „Verelendungsstrategie"

Reichhaltiger Wunschzettel des Berufsverbandes der Praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin (BPA)

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 44 vom 30. Oktober 1985 (37) 3249

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hausärztetag

Arztgruppen gewährleisten, heißt es in einer Entschließung der De-

legiertenversammlung. Aufgrund überwiegender Orientierung an medizinisch-technischen Leistun- gen beinhalte das geltende Hono- rierungssystem in der gesetzli- chen Krankenversicherung aus der Sicht des BPA „gravierende Wettbewerbsnachteile für die All- gemeinärzte gegenüber den übri- gen Gebietsärzten". Dies wirke sich zunehmend auf den ärzt- lichen Nachwuchs hemmend aus, sich weiterzubilden und sich als Allgemeinarzt niederzulassen.

Die Wünsche und Forderungen des Allgemeinarzt-Verbandes an das neue Vergütungssystem lau- ten, thesenartig zusammengefaßt:

> Sicherstellung der kontinuier- lichen Betreuung, insbesondere Langzeitbetreuung einschließlich der erforderlichen Hausbesuche und häuslichen Betreuung. Ver- mittlung der notwendigen pflege- rischen und sozialen Hilfen (Ver- mittlung von Hilfen zur Verhütung von Erkrankungen durch Verein- samung der Patienten, Erste Hilfe bei Notfällen, Langzeitbetreuung Schwerkranker wie etwa Tumor- Patienten und hilfloser Patienten sowie Betreuung von Patienten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind). Darüber hinaus sollten, so der BPA, die in der All- gemeinpraxis häufig anfallenden

Mehrfachberatungen und Mehr- fachuntersuchungen berücksich- tigt werden.

ZITAT

Renaissance

„Wir erleben wohl eine Re- naissance des Hausarztes, ohne das goldene Vlies eines Renaissancefürsten streicheln zu können. Im Gegenteil, jeder Duodez- fürst hatte eine bessere fi- nanzielle Ausstattung."

Dr. med. Helmuth Klotz, Darm- stadt, vor der Delegiertenver- sammlung des BPA

> Erörterung notwendiger prä- ventiver, diagnostischer und the- rapeutischer Maßnahmen mit dem Patienten. Beratende Beglei- tung des Patienten und Famili- enangehöriger bzw. anderer, dem Patienten nahestehender Perso- nen beim aktuellen Krankheitsge- schehen.

Bewältigung von Dokumenta- tions- und Administrationsaufga- ben sowie Koordination mit ande- ren medizinischen sozialen Ein- richtungen.

> Verstärkte Zusammenarbeit mit Sozialstationen.

> Überlegungen, die hausärzt- lich tätigen Ärzte in Zukunft pau- schal zu honorieren und gleich- zeitig den freien Zugang der Pa- tienten zum Spezialarzt zu sper- ren, sind für den BPA nicht akzep- tabel. Sie begünstigten ein ärzt- liches „Zwei-Klassen-System".

Die Nachteile seien so gravierend, daß sie auch nicht durch die auf diesem Wege angestrebte Inte- gration der nachrückenden Ärzte in der kassenärztlichen Versor- gung aufgewogen würden.

Der „Praktiker-Verband" baut dar- auf, daß das Bundesarbeitsmini- sterium seine Ankündigungen wahrmacht, nämlich die kassen- ärztliche Versorgung neu zu strukturieren und bei der Bedarfs- planung die allgemeinärztliche Versorgung zu begünstigen. Der BPA will BMA-Ministerialdirektor Karl Jung beim Wort nehmen, wo- nach eine Pauschalierung der Vergütung für hausärztliche Tätig- keiten nicht in Frage käme; statt dessen wolle das Bundesarbeits- ministerium dem „KBV-Hausarzt- Modell" („Überlaufprinzip") Sym- pathien entgegenbringen.

Den Sektor der geriatrischen Ver- sorgung reklamiert der Allge- meinärzteverband BPA als urei- genstes Versorgungsterrain der primärärztlich tätigen Ärzte. Für eine Etablierung einer entspre- chenden Gebietsbezeichnung sieht der BPA weder einen Bedarf noch eine sachliche Rechtferti-

ZITAT

Strategie?

„Es gilt wachsam zu sein, um einer Verelendungsstra- tegie in der ärztlichen Pri- märversorgung, wie sie in den kommenden Jahren der sogenannten Ärzteschwem- me leicht drohen kann, rechtzeitig ein griffiges Kon- zept entgegenzusetzen.

Strukturänderung und Ver- besserungen durch eine No- vellierung der ‚Gebühren- ordnung` können deshalb nur ein Pfeiler sein, der die künftige kassenärztliche Pri- märversorgung der Bevölke- rung trägt."

Dr. med. Helmuth Klotz vor der Delegiertenversammlung des BPA

gung. Die Diagnostik und die The- rapie des alten Menschen dürfe nicht allmählich zu einer weiteren

„Subspezialität" denaturiert wer- den. An die Lehrbeauftragten für Allgemeinmedizin appellierte der BPA, sich in der „Deutschen Ge- sellschaft für Geriatrie" (Sitz:

Köln) zu engagieren.

Die Therapiefreiheit ist für den

„Praktikerverband" ein unantast- bares Essential. Daher ist jedwede

„Listen-Medizin" aus der Sicht des BPA nicht nur patientenfeind- lich, sondern sie unterminiere ge- rade die Kompetenz des den

„ganzen Menschen" versorgen- den Allgemeinarztes. Mit Skepsis beobachtet der BPA das Vorha- ben, die Preisvergleichsliste künf- tig auch auf Kombinationspräpa- rate auszuweiten. Die neue Preis- vergleichstabelle würde einer

„Positivliste" gleichkommen, wird befürchtet. Dadurch könnten Arz- neimittel mit starker Wirkung un- gerechtfertigt gefördert werden, hingegen leicht wirksame Mittel, die vor allem in der hausärztlichen Praxis eingesetzt werden, von dem „Bannstrahl der Exkommuni- kation" getroffen werden.

Dr. Harald Clade 3252 (40) Heft 44 vom 30. Oktober 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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