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P 89 -106 Die Wechselwirkungen zwischen Beschäftigungspolitik und sozialer Sicherung

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und sozialer Sicherung

Richard Hauser

Richard Hauser, geh. am 08.10.1936 in München, 1968 Dr. oec. publ., 1974 o. Prof, an der TU Berlin, seit 1977 Professor für Sozialpolitik an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt, war im April 1989 Gast bei der Arbeitsgruppe Sozialberichterstattung am Wissen­

schaftszentrum für Sozialforschung Berlin.

Der Text dieses am 11.04.1989 im Kolloquium des WZB gehaltenen Vortrages ist in leicht veränderter Form zur Veröffentlichung vor­

gesehen in:

Institut für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsforschung der

Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Beiträge zur Arbeitsmarkt- und

Berufsforschung, Nürnberg 1989

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Richard Hauser

Die Wechselwirkungen zwischen Beschäftigungspolitik und sozialer Sicherung

I . Zur Einführung

Das Them a des heutigen Kolloquiums, m it dem ich mich u.a. während meines Gastaufenthalts am WZB beschäftigt habe, hatte ich mir schon seit längerem vorge­

nommen. Inzwischen habe ich etwas intensiver die vielfältigen und beeindrucken­

den Studien hier am WZB zu Arbeitsmarktfragen zur Kenntnis genommen und halte es nunmehr fast für verwegen, in diesem Kolloquium noch etwas sagen zu wollen, was nicht alle Teilnehmer langweilt. Andererseits habe ich auch die offene, selbst spekulativen Überlegungen nicht abholde Diskussionsatmosphäre am W ZB ken- nengelemt, die mich nun wieder ermutigt, auch einige noch nicht ganz ausgegorene Gedanken vorzubringen. Ich werde also einige Steine ins W asser werfen und se­

hen, welche Wellen sie hervorrufen.

Ich will damit beginnen, knapp die Ziele und Instrumente der Beschäftigungspolitik und der Politik der sozialen Sicherung zu umreißen.

Dann werde ich mich den W echselwirkungen zwischen beiden eng verflochtenen Politikbereichen zuwenden, wobei ich - in der Tradition der Theorie der W irt­

schaftspolitik - meine Aufmerksamkeit vor allem auf Zielkonflikte und Zielverein­

barkeiten zwischen beiden Politikbereichen richte. Die Frage lautet also: Welche M aßnahmen, die in einem Politikbereich zur Annäherung an die dort verfolgten Ziele ergriffen werden, führen gleichzeitig zu einer Verbesserung im anderen Poli­

tikbereich und welche M aßnahmen führen zw ar in einem B ereich zu einer Verbesserung, im anderen aber zu einer Verschlechterung. A uf diese W eise soll verdeutlicht werden, an welchen Punkten bei Zielkonflikten eine Abwägung vorzu­

nehmen ist und welche Optionen bestehen. Das Problem wird wesentlich kom pli­

zierter, wenn man gleichzeitig eine kurzfristige und eine langfristige Perspektive im Auge behält. Abschließend will ich dann einige Reformvorschläge skizzieren, die aus m einer Sicht Verbesserungen bringen könnten, wenn ich auch keineswegs von

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der Hoffnung ausgehe, daß bei ihrer Verwirklichung alle Probleme gelöst wären.

So einfach ist Politik nicht.

I I . Ziele und Instrum ente der Beschäftigungspoliiik und der Poli­

tik der sozialen Sicherung.

Zunächst werde ich nunmehr thesenartig die beiden Politikbereiche charakterisieren:

1. Beschäftigungspolitik

Als Ziele der Beschäftigungspolitik kann man ansehen:

- Herbeiführung eines hohen Beschäftigungsstandes

- Ausgleich von regionalen, sektoralen und qualitativen Diskrepanzen zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage

- Verbesserung der Erwerbschancen von Problemgruppen und Reduzierung von Benachteiligungen am Arbeitsmarkt

- Schutz der Arbeitskräfte vor Gesundheitsschäden, vor unfairen Arbeitsvertragsbedingungen und Gewährleistung der Sicherheit des Arbeitsplatzes.

Eine gewisse Zweideutigkeit scheint m ir im Hinblick auf die freie Arbeitszeitwahl (globale Arbeitszeitverkürzung) und auf die Abgrenzung des freiwilligen Arbeitsan­

gebots bei gegebenen Lohnsätzen zu bestehen (Stille Reserve). Außerdem enthalten die üblichen Zielformulierungen keine Abwägungsregeln dahingehend, welche Gruppen bei einer unzureichenden Arbeitsnachfrage bevorzugt werden sollen.

Beschäftigungspolitik wird hier in einem auf den Arbeitsmarkt beschränkten Sinn interpretiert. Sie umfaßt sowohl die Ausgestaltung der institutionellen Regelungen, die die Arbeitsmarktordnung konstituieren (Tarifautonomie, Arbeitsschutzgesetze) als auch die Schaffung von Instrumenten zur Beeinflussung des Arbeitsmarktes (z.B. im AFG) und den Einsatz dieser Instrumente. Als wichtigste Gruppen von Instrumenten sind zu nennen:

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- Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung (Fortbildung, Umschulung, betriebliche Einarbeitung)

- Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation - Lohnzuschüsse (z.B. Eingliederungsbeihilfen) - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

- Mobilitätsförderung und -Zuschüsse

- Beschäftigungsvorschriften (Gebote und Verbote, Quoten, z.B. für Behinderte)

- Abgaben bei Nichterfüllung von Vorschriften bzw. Vorgaben (z.B.

Behindertenabgabe)

- Arbeitszeitregelungen ( Mindest- oder Höchstgrenzen) - Mindestlohnregelungen

- Nicht-Diskriminierungsvorschriften - Investitionshilfen (z.B. Winterbau)

Die M aßnahm en zur Sicherung des Lebensunterhalts der A rbeitnehm er bei temporärer Arbeitsverhinderung oder Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld, Arbeitslo­

senhilfe, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, U nterhaltsgeld bei beruflicher Weiterbildung, Erziehungsgeld, Ausbildungsbeihilfe) möchte ich hier zum Bereich der sozialen Sicherung rechnen.

Außerdem wird Arbeitsmarktpolitik eng aufgefaßt. Allgemeine W achstums- und Strukturpolitik sowie globale, konjunkturbeeinflussende Maßnahmen der Geld- und Fiskalpolitik bleiben außerhalb der Betrachtung. Auch staatlich erzwungene sprunghafte Wochenarbeitszeitverkürzungen betrachte ich hier nicht.

M it dieser Abgrenzung wird einerseits deutlich, daß das Ziel des hohen Beschäfti­

gungsstandes nicht ausschließlich für die Arbeitsmarktpolitik gilt, und andererseits kann man von vornherein feststellen, daß weder der auf den Arbeitsm arkt be­

schränkten Beschäftigungspolitik in dem hier gemeinten engen Sinn noch der Poli­

tik der sozialen Sicherung ein durchgreifender Einfluß auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungslage zugeschrieben werden kann. Die einzelnen Elemente aus beiden

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Politikbereichen können lediglich als beschäftigungsfördemd oder -hemmend im Kleinen eingeschätzt werden.

2, Politik der Sozialen Sicherung

Das Ziel der Politik der sozialen Sicherung kann man allgemein umschreiben als die präventive Vermeidung des Eintretens von gesellschaftlich anerkannten Schutztat­

beständen oder die kompensierende Absicherung bei Eintritt solcher Schutztat­

bestände für alle Gesellschaftsmitglieder oder für als schutzbedürftig angesehene Gruppen. Ein wesentliches Element besteht darin, daß sowohl aus subjektiver wie aus objektiver Sicht - d.h. aus der Sicht eines informierten neutralen Betrachters - eine möglichst hohe Sicherheit in bezug auf die Absicherung bei Eintritt des Risiko­

falles bestehen soll, und zwar sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht und sogar auch für die noch ungeborene Generation.

Die wichtigsten Schutztatbestände sind:

- Einkommensausfall bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Alter

- Unterhaltsausfall, falls diese Schutztatbestände oder der Tod bei einem Unterhaltsverpflichteten eintreten

- zusätzliche Kosten bei Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit - Familienlasten und Kinderbetreuung

- Ausbildung

- unzureichende Wohnungsversorgung oder Vermögensausstattung - Unterschreiten des sozio-kulturellen Existenzminimums

- Folgen von Kriegsereignissen, Verbrechen u.ä.

Als Instrumente kommen in Frage:

- Absicherung über beitragsfinanzierte Sozialversicherungen - Absicherung über steuerfinanzierte monetäre oder reale Transfers - Steuerbegünstigungen.

Daneben bestehen noch präventive Instrumente im Bereich der Gesundheitsvor- sorge und des Arbeitschutzes.

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Grundsätzlich kann die Absicherung dabei in Anlehnung an den früher erreichten Lebensstandard oder in Höhe eines Existenzminimums erfolgen. Eine Entscheidung für das eine oder andere Prinzip hat Konsequenzen sowohl für die Finanzierung als auch für die Umverteilungswirkungen der Politik der sozialen Sicherung.

Bei der folgenden Analyse der Wechselbeziehungen gehe ich von der gegenwärti­

gen Gestaltung der Beschäftigungspolitik und der Politik der sozialen Sicherung und allenfalls inkrementalistischen Änderungen aus. Tiefgreifende Systemverände­

rungen, wie etwa

- soziale Absicherung durch ein unbedingtes Grundeinkommen für alle - ein integriertes Steuer- und Transfersystem in Form einer negativen

Einkommenssteuer

- Aufhebung der Tarifautonomie und/oder grundlegende Arbeitsschutzgesetze werden nicht in die Diskussion einbezogen, obwohl selbstverständlich die Frage­

stellung auch auf die W echselwirkungen zwischen beiden Politikbereichen bei grundlegend andersartiger Ausgestaltung bezogen werden könnte.

III. Wechselwirkungen zwischen Beschäftigungspolitik und Politik der sozialen Sicherung bei anhaltender hoher Unterbe­

schäftigung

Die Wechselwirkungen zwischen der Beschäftigungspolitik und der Politik der so­

zialen Sicherung stellen sich je nach Ausgangszustand der Volkswirtschaft unter­

schiedlich und müssen getrennt analysiert werden. Als wesentlich unterschiedliche Ausgangszustände unterscheide ich hier:

Erstens eine Situation langanhaltender hoher Unterbeschäftigung ohne ausgeprägte immanente Tendenz zur Wiedererreichung der Vollbeschäftigung,

zweitens eine Situation des hohen Beschäftigungsstandes ohne ausgeprägte imma­

nente Tendenz zu einem starken Beschäftigungsrückgang. Überdies sind absehbare Änderungen der demographischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

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A uf kurze und mittlere Sicht ist mit weiter anhaltender hoher Unterbeschäftigung und m it vemachlässigbar geringen Änderungen der demographischen Rahmenbe­

dingungen zu rechnen; allenfalls könnten größere Zuwanderungen (Aussiedler) schnell ins Gewicht fallende Verschiebungen bewirken, die die Arbeitsmarktlage weiter verschlechtern würden. Zunächst bezieht sich die Analyse der W echselwir­

kungen daher auf den Unterbeschäftigungsfall. Außerdem werden die W echselwir­

kungen zunächst aus der Sicht der Seschäftigungspolitik behandelt.

1, Wechselwirkungen aus der Sicht der Beschäftigungspolitik

Erfolge der Beschäftigungspolitik in Form von zusätzlich voll Beschäftigten, die sich - je nach der Entwicklung des Arbeitsangebots - in einem Rückgang der regi­

strierten A rbeitslosen oder in einer verringerten Zunahm e der registrierten Arbeitslosen oder in einem Rückgang der stillen Reserve äußern, verbessern auch den Zielerreichungsgrad der sozialen Sicherung, da teilweise der Absicherungsgrad erhöht wird und das System der sozialen Sicherheit und/oder die unterstützenden Familien entlastet werden, so daß Mittel für andere Aufgaben frei werden. Grenzen für die Ziel Vereinbarkeit ergeben sich dort, wo der M ittelaufwand der beschäfti­

gungserhöhenden Politik pro zusätzlich Beschäftigtem den Aufwand für eine ange­

messene soziale Absicherung dauerhaft weit übersteigt und ihm auch keine ange­

messene zusätzliche Wertschöpfung gegenübersteht.

Im Hinblick auf die Ziele der Beschäftigungspolitik könnte es zweifelhaft sein, ob es als Erfolg bezeichnet werden kann, wenn die zusätzlich Beschäftigten keine ih­

rem Qualifikationsniveau entsprechende Volizeit-Beschäftigung erhalten oder wenn der Wunsch auf Vollzeittätigkeit besteht, aber lediglich eine Teilzeitbeschäftigung zustande kommt oder wenn Teilzeitbeschäftigung gewünscht wird, aber ein Voll­

zeitarbeitsplatz angenommen werden muß. Weiterhin kann die Lage der Arbeitszeit oder die räumliche Lage des Arbeitsplatzes unerwünscht sein. Auch die Vermittlung von ABM-Stellen oder befristeten Stellen stellt keine volle Zielerreichung dar, son­

dern allenfalls eine second best-Lösung.

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Trifft man die normative Annahme, daß auch solche Arbeitsverhältnisse Verbesse­

rungen gegenüber dem Zustand der Arbeitslosigkeit darstellen, so bleibt die vorer­

wähnte Aussage über die Zielvereinbarkeit der Politik der sozialen Sicherung gültig.

A uf die äußerst schwierige, nur empirisch abschätzbare Frage, in welchem Ausmaß die Beschäftigungspolitik denn kurz- und mittelfristig tatsächlich zu zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen geführt hat, kann ich hier nicht eingehen. Ich verweise auf die einschlägigen Studien, insbesondere den ausgezeichneten Überblick von G.

Schmidt (1987).

Erfolge der Beschäftigungspolitik, die sich bei einer nicht ausgeweiteten Nachfrage nach Arbeitskräften lediglich in einer Umverteilung der Beschäftigung bzw. der Ar­

beitslosigkeitsrisiken, d.h. in Verdrängungen zeigen, können in einem System, in dem der Zugang zu den Sozialversicherungen im wesentlichen nur über eine un­

selbständige Tätigkeit erfolgt, ebenfalls den Zielerreichungsgrad der sozialen Siche­

rung erhöhen oder zumindest neutral sein. Dies gilt jedoch nur dann uneinge­

schränkt, wenn diese Umverteilung der Beschäftigungschancen zugunsten von nicht oder schlecht abgesicherten erwerbsfähigen Personen (Sozialhilfeempfänger, nicht abgesicherte Berufsanfänger oder nicht abgesicherte wieder in den Arbeits­

markt eintretende Personen, Langzeitarbeitslose) geschieht. Eine Umverteilung der Beschäftigungschancen zugunsten von bereits gut Abgesicherten stünde jedoch in einem Zielkonflikt zur Politik der sozialen Sicherung, weil dann die Anzahl der schlecht abgesicherten Verdrängten zunähme. Auch für das Ausmaß des Finanz­

mitteleinsatzes pro neu Beschäftigten bestehen in diesem Fall engere Grenzen.

Im ersten Fall - Verdrängung von gut Gesicherten durch schlecht Gesicherte - er­

höht sich der Mittelaufwand der sozialen Sicherung zusätzlich zu dem beschäfti­

gungspolitischem Aufwand für neu Beschäftigte. Aus sehr enger finanzieller Sicht der sozialen Sicherung könnte dies sogar als Zielkonflikt gesehen werden; ich schließe mich jedoch dieser Sicht nicht an, sondern bewerte die Erhöhung des Absicherungsgrades der neu Beschäftigten höher. Trotzdem zeigen sich hier Gren­

zen.

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Ira zweiten Fall - Verdrängung von schlecht Gesicherten durch gut Gesicherte unter Einsatz beschäftigungspolitischer Mittel - läge der M ittelaufwand der sozialen Sicherung niedriger, jedoch sänke der Absicherungsgrad und die finanzielle und subjektive Last der Arbeitslosigkeit würde bei den Familien der neuen Arbeitslosen konzentriert, d.h. daß extreme Konsumeinschränkungen einträten, selbst wenn So­

zialhilfe als letztes Auffangnetz ein Absinken unter ein knapp bemessenes soziales Existenzminimum verhindert. Hier würde ich einen Zielkonflikt für gegeben halten.

Bedeutsam scheint m ir darüber hinaus zu sein, daß selbst aus der Sicht der Ziele der Beschäftigungspolitik diese Verdrängungsprozesse nicht eindeutig als Verbesserung eingeschätzt werden können. Nur wenn man die zusätzliche normative Annahme über den positiven W ert der Arbeit und über die Erwünschtheit einer weniger un­

gleichen Verteilung des Arbeitslosigkeitrisikos einführt, kommt man zu einer ein­

deutigen Bewertung zugunsten der schlecht Gesicherten. Eine solche normative Annahme dürfte leichter Anerkennung finden, wenn die Beschäftigungsförderung auf jene Personen konzentriert wird, die prinzipiell noch ein langes Arbeitsleben vor sich haben und bei denen eine hohe W ahrscheinlichkeit besteht, daß sie - selbst in einer Situation anhaltender gesamtwirtschaftlicher Unterbeschäftigung - in dauer­

hafte Arbeitsplätze einrücken. Beschäftigungspolitik, die nur zu Verdrängungen, d.h. Risikoumverteilung führt, ist daher sehr ambivalent einzuschätzen.

Erfolge der Beschäftigungspolitik, die sich lediglich in einer Erhaltung oder Ver­

größerung des Humankapitalbestandes, d.h. der Qualifikation von weiterhin ar­

beitslos bleibenden Personen, zeigen, müssen in Relation zu den dafür getätigten Aufwendungen und den verbesserten Beschäftigungschancen bei einer möglicher­

weise künftig günstigeren gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarktlage gesehen wer­

den. Im Hinblick auf die Politik der sozialen Sicherung scheinen diese Aspekte zunächst zielneutral. Das gleiche gilt, soweit die Beschäftigungspolitik lediglich zu Mitnahmeeffekten führt. Dieser Fall ist allerdings bereits aus der Sicht der Beschäf- tigungspclitik unerwünscht.

Allerdings ist auch bei einer Beschäftigungspolitik, die lediglich "Investitionen in Humankapital" vomimmt, ein Zielkonflikt mit der Politik der sozialen Sicherung in

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dem Sinn festzustellen, daß durch diesen Mitteleinsatz bei einem gegebenenfalls wegen Belastungsgrenzen nicht erweiterbaren Sozialbudget notwendigerweise das Leistungsniveau für Sozialleistungsempfänger global oder selektiv absinken muß.

Hier sind daher ebenfalls schwierige Abwägungen erforderlich.

Erfolge der Beschäftigungspolitik, die sich in einer Verringerung des Arbeitsange­

bots äußern, bringen eine besondere Problematik ins Spiel. Man kann sich fragen, ob dies aus beschäftigungspolitischer Sicht überhaupt als Erfolg gewertet werden kann. A uf jeden Fall ist dies höchstens eine second best-Lösung. Als Beispiele können genannt werden:

- längeres Verweilen im Bildungssystem

- Vermeidung des Eintritts oder Wiedereintritts von Frauen in den Arbeitsmarkt - Vorzeitige teilweise oder vollständige Verrentung

- Verdrängung vom Arbeitsmarkt durch administrative Maßnahmen (z.B.

Arbeitsverbote für Asylanten) - Verbot von Überstunden.

Selbst wenn man dies als Erfolge der Beschäftigungspolitik betrachtet, dürften hier aus der Sicht der Politik der sozialen Sicherung meist Zielkonflikte vorliegen, zum Teil, weil Leistungen für Schutztatbestände erbracht werden müssen, die normaler­

weise noch gar nicht eingetreten sind, zum Teil, weil Lasten in die Familie der Be­

troffenen oder auf sie selbst verlagert werden und dadurch der Absicherungsgrad sinkt. Nur wenn letztlich das gegebenenfalls entfallende Arbeitslosengeld gerade zu Einsparungen in Höhe der neu gewährten anderen Sozialleistungen führt, könnte man Zielneutralität konstatieren.

D ie D urchführung der B eschäftigungspolitik bedingt die Schaffung von Arbeitsplätzen im Administrations- und Bildungsbereich; dies ist mit den Zielen der Sozialpolitik vereinbar.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß in einer Situation anhaltender globaler Unterbeschäftigung arbeitsplatzschaffende Maßnahmen der Beschäftigungspolitik weitestgehend mit der Politik der sozialen Sicherung vereinbar sind, sofern be­

stimmte Aufwands grenzen nicht überschritten werden, daß aber bei allen arbeitsan-

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gebotsmodifizierenden ivlaßnahmen Zielkonflikte kaum vermeidbar sind und zu schwierigen Abwägungen führen.

2. Wechselwirkungen aus der Sicht der Politik der sozialen Sicherung

Bei der gegebenen Unterbeschäftigungssituation kann eine Politik der sozialen Si­

cherung, die

- den geschützten Personenkreis erweitert und/cder

- neue Leistungen, insbesondere Lohn- oder Unterhaltsersatzleistungen, einführt und/oder

- die Leistungsvoraussetzungen erleichtert und/oder - das Leistungsniveau erhöht und/oder

- die Leistungsdauer verlängert

und damit ihren Zielerreichungsgrad verbessert, mit den Zielen der Beschäftigungs­

politik vereinbar sein oder mit ihnen in Konflikt geraten. Die Schärfe des Zielkon­

flikts kann davon beeinflußt werden, ob Steuer- oder Beitragsfinanzierung der zu­

sätzlichen Leistungen vorgesehen wird.

Vereinbarkeit besteht zum ersten in bezug auf den gütemachfragestützenden und ar- beitsnachfragefördemden Effekt einer Ausweitung von Sozialleistungen. Dieser Aspekt stößt an Grenzen, sobald durch die erhöhten Steuer- oder Beitragsbelastun­

gen die private Investitionsnachfrage stark beeinträchtigt w ird und/oder die beschäftigten Arbeitnehmer diese erhöhten Belastungen nicht hinzunehmen bereit sind, sondern die Gewerkschaften sie durch erhöhte Lohnforderungen im Sinn ei­

ner Nettolohnstrategie zu kompensieren suchen.

Vereinbarkeit besteht zum zweiten im Hinblick auf die das Arbeitsangebot ein­

schränkende W irkung von verbesserten oder neu eingeführten Lohn- und U nter­

haltsersatzleistungen (Bafög, Erziehungsgeld, vorzeitige Rentengewährung, Unter­

haltsgeld bei Umschulung, Fortbildung), weil damit das Ausscheiden aus dem Ar­

beitsmarkt gefördert wird. Die Vereinbarkeit ist dabei umso größer, je stärker diese Maßnahmen der sozialen Sicherung auf schwer vermittelbare Arbeitnehm er und Problemgruppen konzentriert werden.

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Vereinbarkeit besteht zum dritten, wenn Maßnahmen der sozialen Sicherung zur Wiedereingliederung und Rehabilitation auf gut vermittelbare und längerfristig zur Verfügung stehende Arbeitnehmer konzentriert werden.

Bei dieser Aussage über die Vereinbarkeit ist unterstellt, daß das temporäre oder dauerhafte Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt der durch Sozialleistungen neu abgesicherten oder besser abgesicherten Personen auch aus der Sicht der Beschäf­

tigungspolitik erwünscht ist oder zumindest im Sinn einer second best-Lösung hin­

nehmbar erscheint. Dies ist offensichtlich ein schwieriger Punkt. Die second best- Lösung erscheint umso leichter akzeptabel, je pessimistischer sich die Einschätzung in bezug auf eine schnelle Rückkehr zur Vollbeschäftigung darstellt. Ich würde die­

sen Pessimismus für die nächsten 5 bis 10 Jahre teilen, und daher eine solche second best-Lösung befürworten.

Im Gegensatz zu dem Verdrängungseffekt bei aktiver Arbeitsmarktpolitik, der es nicht gelingt, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, liegt hier also ein

"Verführungseffekt" vor.

Zielkonflikte treten generell auf, wenn die verbesserten Leistungen im Rahmen der sozialen Sicherung die Mittel für arbeitsnachfrageerhöhende beschäftigungspoliti­

sche Maßnahmen schmälern. Es erhebt sich dann die Frage, in welchem Bereich mit einem gegebenen Mitteleinsatz die Arbeitsmarktentlastungswirkung und der soziale Absicherungseffekt größer sind.

Zielkonflikte treten ferner auf, falls die Politik der sozialen Sicherung kurzfristig ar­

beitsangebotserhöhend wirkt (z.B. finanzielle Förderung der Wiedereingliederung von bisher nichterwerbsfähigen oder -willigen Personen in den Arbeitsmarkt) oder sofern sie arbeitsnachfragemindemd wirkt oder Anreize zu starker Selektion der Arbeitskräfte nach Effizienzgesichtspunkten durch die Arbeitgeber bietet. Letzteres ist umso stärker der Fall, je mehr Elemente des sozialen Risikoausgleichs in die Unternehmen verlagert werden (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz, zusätzlicher Urlaubsanspruch für die Betreuung krankgewordener Kinder, Einstel­

lungspflicht für Schwerbehinderte, Differenzierung von Beitragssätzen oder Abga­

ben nach Belegschaftsmerkmalen).

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Demgegenüber besteht in einer anhaltenden Unterbeschäftigungssituation kein Ziel- konfiikt, sofern Lohnersatzieistungen Arbeitsanreize der Leistungsempfänger tem­

porär schwächen bzw. den ökonomischen Zwang zur Arbeitsaufnahme temporär mildem.

IV . W echselwirkungen zwischen der Beschäftigungspolifik und der Politik der soziales Sicherung auf lange Sicht u nter B erück­

sichtigung dem ographischer Veränderungen

Bei einer Betrachtung auf lange Sicht - wie sie im Hinblick auf den "Generatio­

nenvertrag" angemessen ist - sind trendmäßige Änderungen der demographischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit zu berücksichtigen. Es zeichnen sich folgende Trends ab:

- eine deutliche Abnahme des Anteils der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sowie eine entsprechende Zunahme des Altenanteils (partiell gesehen resultiert hieraus eine Erhöhung der Inaktivenquote nach Köpfen)

- eine Zunahme der Frauenerwerbsquote bzw. des Anteils der erwerbswilligen Frauen (partiell gesehen resultiert hieraus eine Senkung der Inaktivenquote nach Köpfen)

- eine Tendenz zur Zwei-Generationen-Kleinfamilie sowie zu einer weiteren Zunahme von temporären Lebensgemeinschaften sowie von Ein-Eltemteil- Familien (hieraus dürfte eine weitere Abnahme des Potentials zur Absicherung innerhalb der Familie resultieren)

- eine weitere Diversifizierung der Arbeitsverhältnisse nach Dauer und Lage der Arbeitszeit einschließlich einer weiteren Jahresarbeitszeitverkürzung (partiell gesehen ergibt sich hieraus ebenfalls eine Vergrößerung der Inaktienvquote, gemessen nach Arbeitsstunden bzw. umgerechnet auf Vollzeit-Arbeitskräfte) - per saldo keine massenhafte Zuwanderung aus dem Ausland (als Randbedingung

unterstellt).

Inwieweit die Abnahme des Bevölkerungsanteils im erwerbsfähigen Alter und die gegenläufige Tendenz einer sich weiter erhöhenden Frauenerwerbsquote zu einer

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Verringerung der Unterbeschäftigung oder gar zur Erreichung eines dauerhaften Vollbeschäftigungszustandes führen, ist äußerst ungewiß, selbst wenn die sozial­

politischen Überlegungen über die Aufrechterhaltung des Generationen-Vertrages insbesondere in bezug auf die Rentenversicherung dies in der Regel unterstellen.

Man könnte dies damit begründen, daß die erhöhte Inaktivenquote zu einer stär­

keren Umverteilung zugunsten der Inaktiven mit unterdurchschnittlichem Ein­

kommen führen wird und daß dadurch die gesamtwirtschaftliche Konsumquote steigt, so daß nachfrageinduzierte Expansionseffekte entstehen. Trifft diese Hoff­

nung nicht zu, so wird der inaktive, durch Transfers zu unterhaltende Bevöl­

kerungsanteil um die offen registrierten Arbeitslosen und um die in andere Teil­

systeme abgedrängten verdeckt Arbeitslosen sowie die stille Reserve vergrößert, wobei gleichzeitig auch noch das von ihnen zu erzeugende Sozialprodukt bzw. ihr Primäreinkommen ausfällt. Die Belastungsquote der Aktiven erhöht sich in diesem Fall zusätzlich und der Generationenvertrag wird bei einer solchen Entwicklung, die möglicherweise auch noch von Wochenarbeitszeitverkürzungen begleitet sein wird, noch stärker gefährdet werden als bei dem immer unterstellten Vollbeschäftigungs­

wachstumspfad.

1. Wechselwirkungen auf lange Sicht bei anhaltender Unterbeschäftigung

Bei einer auch auf lange Sicht anhaltenden oder nach Phasen geringerer Arbeits­

losigkeit immer wieder einsetzenden hohen Unterbeschäftigung gelten die Aussagen über Zielvereinbarkeiten und Zielkonflikte zwischen der Beschäftigungspolitik und der Politik der sozialen Sicherung auch auf lange Sicht und bedürfen keiner wesent­

lichen Ergänzung. Das Verdrängungsproblem würde jedoch durch die zunehmend auf den Arbeitsmarkt drängenden, gut ausgebildeten Frauen verschärft werden.

Hinzuweisen ist auch darauf, daß sich der Zielkonflikt, der in der Entscheidung darüber liegt, ob die finanziellen Mittel des Sozialbudgets mehr für soziale Ab­

sicherung oder mehr für aktive Beschäftigungspolitik eingesetzt werden sollen, wesentlich verschärfen wird; denn die demographisch bedingte Zunahme des An­

teils der nicht-aktiven Bevölkerung wird zu verstärkten Bemühungen um effizienten

Mitteleinsatz und Einsparungen im Sozialbudget führen. Da aus meiner Sicht die

Belastungsgrenzen für die Aktiven durch den Einkommensanteil determiniert wer-

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den, der in Form von Steuern oder Sozialabgaben abzuführen ist, bietet auch Wachstum bei Unterbeschäftigung keinen leichten Ausweg, obwohl zuzugeben ist, daß Belastungsgrenzen nicht unveränderlich sind. Sie sind aber sicherlich nur all­

mählich und nur in einem eng begrenzten Ausmaß über den bereits jetzt erreichten Stand der Sozialleistungsquote hinaus verschiebbar.

2, Wechselwirkungen auf lange Sicht bei Rückkehr zum Vollbeschäftigungs­

wachstum

Ergibt sich auf lange Sicht wieder eine Rückkehr zu einem Vollbeschäftigungs­

wachstumspfad, so wird diese Entwicklung von einigen marktbedingten Verände­

rungen begleitet sein, die die Ausgangslage für die Beschäftigungspolitik wie auch für die Politik der sozialen Sicherung modifizieren und auch zu einer anderen Kon­

stellation von Zielvereinbarkeiten und Zielkonflikten führen. Als derartige markt­

bedingte Veränderungen kann man erwarten:

- geringerer Selektionsdruck bei Einstellungen von seiten der Arbeitgeber und darausfolgend höhere Einstellungschancen für Frauen, Schwerbehinderte, Rehabilitanden, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen und für Langzeitarbeitslose

- höhere betriebsinteme Ausbildungs-, Fortbildungs- und

Umschulungsanstrengungen und darausfolgend auch verbesserte

Einstellungschancen für nichtqualifizierte und fehlqualifizierte Arbeitskräfte - Bemühungen der Unternehmen zur Aktivierung der stillen Reserve und zum

Wiedereintritt von Frauen nach der Kinderbetreuungsphase in den Arbeitsmarkt sowie zur Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen, die den Arbeitszeitwünschen der umworbenen Arbeitnehmer entgegenkommen

- Bemühungen der Unternehmen um weitere ausländische Arbeitskräfte - Verringerung des Drucks zur Abdrängung von weniger leistungsfähigen

Arbeitskräften in Teilsysteme der sozialen Sicherung (Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigskeitsrenten, Frühverrentung)

- Bemühungen der Unternehmen um verstärkte sektorale und regionale Mobilität von Arbeitskräften aus schrumpfenden Branchen oder weniger prosperierenden

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Regionen und gegebenenfalls Betriebs Verlagerungen in Regionen mit höherem Arbeitsangebot.

Trotzdem dürfte ein beachtlicher Teil der besonders beeinträchtigten Arbeitskräfte ohne Unterstützung nicht wieder integrierbar sein, so daß sich sowohl ein ver­

ringertes als auch ein verändertes Aufgabenfeld für die Beschäftigungspolitik er­

gäbe. Maßnahmen zur beruflichen Erstausbildung, Weiterqualifizierung, Umschu­

lung, Wiedereintrittsförderung, Rehabilitation sowie Mobilitätsförderung - oder allgemeiner: das Arbeitsangebot fördernde, verbessernde und vergrößernde Maß­

nahmen - hätten im Vordergrund zu stehen, während arbeitsplatzschaffende bzw. - verbilligende Maßnahmen in den Hintergrund träten. Besonders stark ausgedehnt werden müßten Maßnahmen zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, wobei hierzu auch Maßnahmen und Umstellungen gehören, die über die Beschäf­

tigungspolitik und die Politik der sozialen Sicherung hinausgehen (insbesondere Maßnahmen zur Kinderbetreuung außer Haus einschließlich Schule).

Bei Maßnahmen im Rahmen einer derart schwerpunktmäßig veränderten Beschäfti­

gungspolitik, die vermutlich auch weniger Mittel beanspruchen würde, bestünde eine weitgehende Vereinbarkeit mit der Politik der sozialen Sicherung, wenn man das immer gegebene Problem der Konkurrenz um Finanzmittel, das sich auf lange Sicht verschärfen wird, ausklammert. Ein im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Generationenvertrags besonders interessanter Aspekt läge darin, daß die weit stärkere Integration von Frauen in den Erwerbsprozeß - zusammen mit der bereits eingeführten Gewährung von Kindererziehungs Zeiten in der Rentenversicherung - für die ganz überwiegende Mehrheit der Frauen fast lückenlose "Rentenbio­

graphien" und damit eine eigenständige Alterssicherung schaffen würde. Dies würde es ermöglichen, die abgeleiteten Witwer- und Witwenrenten durch Verände­

rung der Anrechungsvorschriften deutlich zu reduzieren und sie vor allem auf Fälle, in denen eine Ergänzung der eigenständigen Sicherung erforderlich ist, zu konzen­

trieren.

Zielkonflikte könnten sich aus der Sicht der Beschäftigungspolitik vor allem dann

ergeben, wenn diese die Entstehung sozial ungeschützter Arbeitsverhältnisse nicht

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verhindert, selbst wenn solche von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen gewünscht würden. Dieses Problem könnte beispielsweise im Altenpflegebereich - verstärkt durch eine Parallelität von ehrenamtlicher und professioneller Pflege - auf- treten. Ähnliche Probleme würden bei arbeitsm arktorientierter Freistellung von Überstunden, Sonntagsarbeit etc. von der Steuer- und Sozialabgabenpflicht ent­

stehen. Schließlich bestünde auch weiterhin die Gefahr, daß die Zahl der "kleinen"

Selbständigen ohne soziale Absicherung weiter zunimmt, selbst wenn die Alter­

native der Tätigkeit in abgesicherter unselbständiger Tätigkeit besteht.

Die Politik der sozialen Sicherung führt in der unterstellten Situation der Vollbe­

schäftigung insbesondere dann zu Zielkonflikten mit der Beschäftigungspolitik, wenn sie das Arbeitsangebotspotential mindert. Gleichzeitig trägt sie dam it zur Gefährdung des Generationenvertrags, auf dem sie selbst teilweise beruht, bei, da sie damit das Verhältnis von erwerbstätigen zu nichterwerbstätigen Bevölkerungs­

gruppen verschlechtert. Im einzelnen kann dieser Zielkonflikt entstehen, wenn durch sozialpolitisch motivierte Lohn- und Unterhaltsersatzleistungen - unabhängig davon, ob sie Steuer- oder beitragsfinanziert werden - Anreize gegeben werden zur - unangemessenen Verlängerung der Ausbildungszeiten

- Vorverlegung des Rentenalters

- großzügigen Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrenten anstelle von Berufsunfähigkeitsrenten

- Aufgabe der Beschäftigung wegen Gewährung von Hinterbliebenenrente an Hinterbliebene im Erwerbsfähigkeitsalter

Verzögerung der Arbeitsaufnahme durch Arbeitslose

- zu langes oder dauerhaftes Ausscheiden von Frauen im erwerbsfähigen Alter aus dem Enverbsleben.

In gleicher Richtung können auch sozialpolitisch motivierte Steuervergünstigungen, insbesondere das Ehegattensplitting, wirken.

Vereinbar mit den Zielen der Beschäftigungspolitik sind dagegen Maßnahmen der sozialen Sicherung zur Unterstützung der Integration oder Reintegration in den Arbeitsmarkt - etwa Unterhaltsgeld für eine befristete Erstausbildung, Umschulung,

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Fortbildung, Rehabilitation, Reaktivierung früher erworbener Berufskenntnisse etc.

Vereinbar wäre auch die Einführung von Teilrenten für ältere Arbeitnehmer, die ihnen eine über die Rentenaltersgrenze hinausgehende Teilzeitbeschäftigung ermög­

lichen würden.

Ebenso sind Maßnahmen vereinbar, die durch Veränderung des Niveaus, der Bezugsfristen, der Altersgrenzen etc. den Zeitraum des Sozialleistungsbezugs auf die durch den intendierten Schutz gerechtfertigte Länge beschränken. Daß hierbei schwierige Abwägungsprobleme zu lösen sind, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Die Analyse hat gezeigt, daß - je nach gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungslage, die weder von der Beschäftigungspolitik noch von der Politik der sozialen Sicher­

ung durchgreifend beeinflußt werden kann - in beiden Politikbereichen unterschied­

liche Aufgabenfelder und Schwerpunktsetzungen auftreten und dementsprechend auch unterschiedliche Konstellationen von Zielvereinbarkeiten und Zielkonflikten.

Bei der auf lange Sicht hohen Ungewißheit über die Wirtschaftsentwicklung muß daher immer wieder mit der Notwendigkeit der Umsteuerung in beiden Politik­

bereichen und der erneuten Abwägung bei Zielkonflikten gerechnet werden. Dabei kann die Tendenz zur Arbeitsangebotsminderung und Arbeitsnachfrageerhöhung in der Situation der Unterbeschäftigung und die gegenläufige Tendenz in der Voll­

beschäftigungslage wegen der originären Ziele jedes Politikbereichs jeweils nur be­

grenzt verfolgt werden.

Außerdem muß man es für beide Politikbereiche als typisch ansehen, daß sehr lange Institutionalisierungs- und Wirkungsverzögerungen bestehen, die das richtige timing von Maßnahmen stark erschweren. Im Bereich der Sozialversicherungen sind viele Regelungen überhaupt nur unter Berücksichtigung langer Übergangs- ffisten reversibel.

Wegen der Unvorhersehbarkeit der Umsteuerungszeitpunkte ist daher eine Aus­

dehnung solcher institutioneller Regelungen erwünscht, die die Flexibilität erhöhen und arbeitsmarktabhängig automatische Anpassungen erlauben. Sie sollten bei einem breiten Band möglicher Entwicklungen ohne diskretionäre Eingriffe funk­

tionsfähig bleiben.

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V . Thesen zu VerbesserungsmögÜchkesten äm Bereich der

Beschäftigungspolitik und der Politik der sozialen Sicherung im Hinblick auf eine Reduzierung von Zielkonflikten

Lassen Sie mich abschließend noch einige nicht voll abgesicherte Thesen über Ver­

besserungsmöglichkeiten im Bereich der Beschäftigungspolitik und der Politik der sozialen Sicherung zur Diskussion stellen: Dies sind die Steine, die ich ins W asser werfen möchte, um zu sehen, welche Wellen sie hervorrufen.

Dabei muß man immer bedenken, daß die Beschäftigungspolitik und die Politik der sozialen Sicherung nur "im Kleinen" unterstützend oder hemmend auf die gesamt­

wirtschaftliche Beschäftigungslage wirken können. Dies gilt auch für alle inkre- mentalistischen Verbesserungen. Größere Politikänderungen, etwa in Richtung des schwedischen Modells, sind damit nicht gemeint, aber auch nicht ausgeschlossen.

Eine transparente Strukturierung der Arbeitsverhältnisse und ein aus sozialpoli­

tischer Sicht noch akzeptabler Flexibilitätsgewinn würde sich ergeben, wenn

(1) die geringfügige Beschäftigung neu abgegrenzt (maximal 10 Stunden die Woche und höchstens DM 450.- pro Monat; keine anderen Formen) und im Hinblick auf die Behandlung bei den Sozialabgaben, bei der Lohnsteuer und bei der Anrechnung der dabei erzielten Nettoeinkommen im Rahmen von einkom m ensabhängigen Transfers einheitlich definiert würde. Die Anzahl geringfügiger Beschäftigungs­

verhältnisse müßte pro Person definitiv auf eine einzige begrenzt und Begünsti­

gungen bei Kombinationen mit einem Teilzeit- oder Vollzeitarbeitsverhältnis ausge­

schlossen sein; auf der Seite der Arbeitgeber müßte zur Vermeidung einer Ver­

drängung von Vollzeitarbeitsplätzen der Lohnsummenanteil für geringfügige Be­

schäftigungen begrenzt werden;

(2) die Teilzeitbeschäftigung mit einer frei wählbaren Stundenzahl oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze einheitlich geregelt und mit vollem sozialem Schutz aus­

gestaltet würde. Dies gilt auch für die Behandlung bei der Arbeitsvermittlung und der Definition der Arbeitslosigkeit;.

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(3) das Programm der ABM-Maßnahmen ausgeweitet und flexibler gesteuert würde;

(4) ein besonderes außertarifliches Arbeitsverhältnis für gemeinnützige Tätigkeiten geschaffen würde, das auf freiwilliger Basis allen Langzeitarbeitslosen offensteht;

(Entlohnung mit etwa 150% des Sozialhilfeanspruchs für einen alleinstehenden Haushaltsvorstand einschließlich Mietkosten, Heizung und pauschalierte einmalige Leistungen; Sozialbeiträge und pauschalierte Lohnsteuer müßte voll durch den Arbeitgeber übernommen werden; Familienmitglieder hätten weiterhin einen Sozial­

hilfeanspruch bei Bedürftigkeit);

(5) eine Mindestleistung in die Arbeitslosenhilfe integriert würde, die der Höhe des jeweiligen Sozialhilfeanspruchs entspricht, so daß nur noch die Arbeitsverwaltung für arbeitslose Personen im erwerbsfähigen Alter sowohl für die Arbeitsvermittlung und Betreuung als auch für die finanzielle Unterstützung zuständig wäre. Die Last der finanziellen Unterstützung von Arbeitlosen würde damit, soweit die Arbeits­

losengeldansprüche nicht ausreichen, von den Sozialhilfeträgern auf den Bund übergehen; verdeckte Armut bei Arbeitslosen würde weitestgehend vermieden;

(6) eine Regelbindung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung eingeführt würde (evtl, beschränkt auf die Ausgaben für Arbeitslosengeld), um bei gleich­

bleibendem Leistungsrecht die finanzielle Last der sozialen Absicherung bei unterschiedlicher Beschäftigungssituation auf alle Versicherten und Arbeitgeber zu verteilen; erwägenswert wäre auch die Gewährung eines Staatszuschusses für die Reintegration von Langzeitarbeitslosen, damit in diesem nicht zu versichernden Bereich der Bund einerseits voll die Lasten trägt, andererseits aber auch von Erfol­

gen bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit durch Reduzierung seines Zu­

schusses profitieren könnte;

(7) eine Mindestversicherungspflicht für alle Selbständigen eingefühjt würde

(8) die geplanten Regelungen über die Anhebung der Rentenaltersgrenze eingeführt, jedoch bei arbeitsmarktbedingter früherer Verrentung eine Ausgleichspflicht der

Bundesanstalt für Arbeit für den jeweiligen Rentenabschlag vorgesehen würde;

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(9) eine Änderung der Beschäftigungspolitik für Schwerbehinderte dahingehend eingeführt würde, daß

- einerseits die Schwerbehindertenabgabe erhöht

- andererseits eine dauerhafte Lohnsubvention für alle beschäftigten Schwerbehinderten eingeführt

- und überdies für langfristig nicht vermittelbare Schwerbehinderte eine Mindestrente unabhängig von Lebensalter oder Ursache der Behinderung eingeführt würde, die bei doch noch erfolgter Arbeitsaufnahme zur Hälfte ruhen könnte.

(10) jegliche steuerliche und sozialabgabenmäßige Begünstigung von Über­

stunden-, Feiertags-, Sonntags- und Nachtschichtzuschlägen sowie Neben­

tätigkeiten aufgehoben würden.

An die Gewerkschaften wäre die Forderung zu richten und womöglich in einem

"Pakt für m ehr Beschäftigung" abzusichem , daß Erhöhungen der Sozialver­

sicherungsbeiträge oder der Belastung mit direkten Steuern nicht zu zusätzlichen Lohnforderungen führen sollten, also von einer Nettoeinkommenspolitik Abstand genom m en werden sollte. A uch dies wäre ein Elem ent zur Stützung des Generationenvertrages.

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Referenzen

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