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Verfolgung und Ermordung der Juden

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Verfolgung und Ermordung der Juden 1933 – 1945

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Die Verfolgung und Ermordung der

europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945

Herausgegeben im Auftrag des

Bundesarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte und des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg von

Götz Aly, Susanne Heim,

Ulrich Herbert, Hans-Dieter Kreikamp, Horst Möller, Dieter Pohl und Hartmut Weber

R. Oldenbourg Verlag München 2009

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Die Verfolgung und Ermordung der

europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945

Band 2

Deutsches Reich 1938 – August 1939

Bearbeitet von Susanne Heim

R. Oldenbourg Verlag München 2009

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2009 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München

Internet: oldenbourg.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer halb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche- rung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Einband und Schutzumschlag: Fank Ortmann und Martin Z. Schröder Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht).

Satz: Ditta Ahmadi, Berlin

Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell ISBN: 978-3-486-58523-0

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber 7

Editorische Vorbemerkung 9

Einleitung 13

Dokumentenverzeichnis 65

Dokumente 83

Glossar 829

Abkürzungsverzeichnis 831

Verzeichnis der im Dokumententeil genannten Archive 835

Systematischer Dokumentenindex 836

Register der Institutionen, Firmen und Zeitschriften 837

Ortsregister 846

Personenregister 851

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Vorwort

Mit dem vorliegenden zweiten Band wird die Edition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 – 1945“ fort- gesetzt. In den nächsten Jahren werden insgesamt 16 Bände erscheinen, in denen eine thematisch umfassende, wissenschaftlich fundierte Auswahl von Quellen publiziert wird. Der Schwerpunkt wird auf den Regionen liegen, in denen vor Kriegsbeginn die meisten Juden gelebt haben: insbesondere auf Polen und den besetzten Teilen der Sowjet- union.

Im Vorwort zum ersten Band der Edition sind die Kriterien der Dokumentenauswahl detailliert dargelegt. Die wichtigsten werden im Folgenden noch einmal zusammenge- fasst:

Quellen im Sinne der Edition sind Schrift- und gelegentlich auch Tondokumente aus den Jahren 1933 – 1945. Fotografien wurden nicht einbezogen, vor allem, weil sich die Um- stände ihrer Entstehung oft nur schwer zurückverfolgen lassen. Auch Lebenserinnerun- gen, Berichte und juristische Unterlagen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstan- den sind, werden aus quellenkritischen Gründen nicht in die Edition aufgenommen.

Allerdings wird von ihnen in der Kommentierung vielfältiger Gebrauch gemacht. Doku- mentiert werden die Aktivitäten und Reaktionen von Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Überzeugungen, an verschiedenen Orten, mit jeweils begrenzten Horizonten, Handlungsspielräumen und Absichten – Behördenschreiben ebenso wie pri- vate Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, Zeitungsartikel und die Berichte ausländischer Beobachter. Innerhalb der Bände sind die Dokumente chronologisch angeordnet; von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden die Quellen ungekürzt wiedergegeben.

Der vorliegende Band dokumentiert die Entrechtung und Enteignung der Juden in Deutschland nach dem 1. Januar 1938 sowie in Österreich nach dem Anschluss im März 1938 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939. Die Dokumentation wechselt von der „Arisierungsverordnung“ zur Schilderung eines jüdischen Häftlings über seine KZ-Erfahrungen; die Notizen eines jüdischen Mädchens über die Angst vor dem heraufziehenden Novemberpogrom stehen neben der Darstellung einer jüdischen Hilfsorganisation über die wachsende Zahl der Flüchtlinge und der Rede, in der Hitler die Vernichtung der Juden in Europa ankündigt.

Der häufige Perspektivenwechsel ist gewollt. Um die thematische Zuordnung der Doku- mente zu erleichtern und Zusammenhänge zu verdeutlichen, ist diesem Band erstmals ein Sachgruppenindex angefügt.

Die Herausgeber danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige För- derung des Editionsprojekts. Ferner schulden sie einer großen Zahl von Fachleuten und Privatpersonen Dank, die durch Quellenhinweise, biographische Informationen über die in den Dokumenten erwähnten Personen und Auskünfte zur Kommentierung die Arbeit unterstützt haben. Die englischsprachigen Dokumente hat Birgit Kolboske ins Deutsche übertragen. Als studentische oder wissenschaftliche Hilfskräfte haben an diesem Band mitgearbeitet: Romina Becker, Giles Bennett, Natascha Butzke, Florian Danecke, Vera Dost, Ivonne Meybohm, Miriam Schelp, Remigius Stachowiak, als wissenschaftliche Mit- arbeiterin Dr. Andrea Löw und Dr. Gudrun Schroeter.

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8 Vorwort

Hinweise auf abgelegene oder noch nicht erschlossene Quellen zur Judenverfolgung, ins- besondere auf private Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, nehmen die Herausgeber für die künftigen Bände gerne entgegen. Da sich trotz aller Sorgfalt gelegentliche Unge- nauigkeiten nicht gänzlich vermeiden lassen, sind sie für entsprechende Mitteilungen dankbar. Die Adresse des Herausgeberkreises lautet: Institut für Zeitgeschichte, Edition Judenverfolgung, Finckensteinallee 85-87, D-12205 Berlin

Berlin, München, Freiburg i. Br. im Mai 2009

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DOK. 3    14. Januar 1938

Über die Anordnung und Durchführung der Reichsverweisung ist dem Geheimen Staats- polizeiamt II A 3 durch Fernschreiben unter Angabe der vollständigen Personalien (Name, Vorname, Beruf, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnungsanschrift, Arbeitgeber) sowie des Datums der Ausweisungsverfügung und des Zeitpunkts der Ausreise aus Deutschland stets umgehend zu berichten.

Zusatz für die Staatspolizeileitstelle Berlin:

Der in Berlin-Wilmersdorf, Schaperstr. 34 wohnende Sowjetrusse Leo Arinstein (Arzt der Sowjetbotschaft Berlin), geb. am 3. 11. 1872 in Kiew, bleibt von der vorstehenden Maß- nahme vorläufig verschont.5

DOK. 3

Die Gestapo München vermerkt am 14. Januar 1938, dass es jüdischen „Mischlingen“

mit unehelichen Kindern nicht verboten ist, sich zu treffen1

Vermerk der Staatspolizeileitstelle (II B he), Kriminaloberassessor Heckl,2 München, vom 14. 1. 1938 Betreff: Vollzug des Blutschutzgesetzes; hier Versagung des erbetenen Ehegenehmigungs- antrages.

Die Regierung von Oberbayern, Inspektor Grötziger, teilte am 14. 1. 38 tel. mit, daß bei der Regierung des öfteren Personen vorsprechen, denen die Genehmigung der Verehelichung auf Grund des Blutschutzgesetzes versagt worden sei.3 Diese Personen erklärten, daß ihnen von der Polizei, bei Eröffnung, daß die Ehegenehmigung versagt worden sei, unter anderem erklärt wurde, daß sie sich in Zukunft nicht wieder mit den in Aussicht genom- menen Ehepartnern treffen dürften, da sie sonst in das Konzentrationslager eingewiesen würden. Bei den Vorsprechenden handelt es sich in der Regel um Personen, die ein au- ßereheliches Kind hätten, und es würde für sie eine große Härte bedeuten, wenn der Kindsvater nicht mehr das Kind bezw. die Kindsmutter besuchen dürfte. Da es sich hier nur um jüdische Mischlinge handle, sei das Zusammentreffen nicht verboten, verboten sei nur das Zusammenleben in wilder Ehe – Konkubinat.

Grötzinger ersucht, diejenigen Beamten, die mit dem Vollzug des Blutschutzgesetzes zu tun haben, dementsprechend zu belehren.

5 Mit der Verfügung, von der etwa 500 Juden sowjetischer Staatsangehörigkeit betroffen waren, re- agierte das Gestapa auf die Ausweisung deutscher Staatsbürger aus der Sowjetunion. Da die so- wjetischen Juden jedoch keine Genehmigung zur Einreise in die Sowjetunion erhielten, verfügte Heydrich am 28. 5. 1938 ihre Einweisung in Konzentrationslager, bis sie nachweisen könnten, dass ihre Emigration unmittelbar bevorstünde; wie Anm.1, Bl. 106+RS; Eliahu Ben Elissar, La Diplomatie du IIIe Reich et les Juifs (1933 – 1939), Paris 1969, S. 231 f.

1 BayStA München, Rep. Polizeidirektion München, Nr. 7017, Aufn. 6.

2 Lukas Heckl (1900 – 1967), Polizist; 1922 bei der Bayer. Landespolizei, 1932 Kriminalpolizist in Mün- chen, 1937 bei der Gestapo, von 1940 an in Lublin und Drohobycz; bei der Entnazifizierung 1948 als Mitläufer eingestuft; danach in der Bayer. Bereitschaftspolizei tätig.

3 Nach der 1. VO zur Ausführung des Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 14. 11. 1935 (RGBl., 1935 I, S. 1334 – 1336) brauchten „Mischlinge“ 1. Grades eine Ausnahme- genehmigung, um Nichtjuden oder „Mischlinge“ 2. Grades zu heiraten; in der Regel wurden diese Genehmigungen versagt.

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152 DOK. 34    8. Mai 1938

zu verlassen.12 Unter den Augen der stummen und terrorisierten Dorfbewohner wurden die Unglücklichen von der SA in einen Omnibus gepfercht. Die wenigen Gepäckstücke, die sie auf einen Lastwagen geladen hatten, wurden „auf höheren Befehl“ hin beschlag- nahmt. Allem Anschein nach gelang es einigen, die tschechische Grenze zu überqueren.

Nur einigen …

Hunderte Menschen ohne Unterkunft irrten zwischen den Grenzposten dreier Staaten umher. Bei jedem Versuche, eine Grenze zu überschreiten, wurden sie von der Polizei mitleidlos zurückgewiesen.

DOK. 34

Eichmann berichtet seinem Freund und Vorgesetzten Herbert Hagen am 8. Mai 1938, wie er die Wiener Juden kontrolliert1

Handschriftl. Brief von Adolf Eichmann2 aus Wien an Herbert Hagen,3 Berlin, vom 8. 5. 1938 Lieber Herbert!

Heute will ich Dir wieder einmal ein Brieferl schreiben. Ich war jetzt bei allen U.-A. Habe den Bearbeitern einen Überblick über die Materie gegeben, der dankbar entgegengenom- men wurde, da sie ja bisher keine Ahnung hatten. Ich hoffe, in kurzer Zeit im Besitze der Jüd. Jahrbücher4 sämtlicher angrenzender Staaten zu sein, die ich Dir dann zuschicke. Ich schätze sie als einen wesentlichen Behelf.

Sämtliche jüd. Organisat. in Öst. sind zur 8-tägigen Berichterstattung angehalten worden.

Dieselben werden dem jeweiligen Sachbearbeiter [von] II 112 übergeben (U.-A. u. O.-A.).

Die Berichte haben in einen Situationsbericht und in einen Tätigkeitsbericht zu zerfallen.

In Wien sind sie jeweils montags fällig, in der Provinz donnerstags jeder Woche. Ich hoffe, Dir die ersten Berichte gleich morgen mitschicken zu können.

12 Adolf Fried (1870 – 1943), Sparkassendirektor und Baumaterialienhändler, emigrierte am 30. 3. 1938 gemeinsam mit seiner Frau Riza in die Tschechoslowakei, der Sohn Alexander Fried (*1899) emi- grierte in die USA. Samuel Lewin, richtig: Löwin (1865 – 1945) war Eigentümer einer Lederhandlung, die im Mai 1938 einem kommissarischen Verwalter unterstellt und im Febr. 1939 „arisiert“ wurde.

1 BArch, R 58/982, Bl. 19 – 21; Abdruck in: Herbert Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung.

Die Juden in Österreich 1938 – 1945, Wien, München 1978, S. 71 f.

2 Adolf Karl Eichmann (1906 – 1962), Vertreter; 1932 NSDAP- und SS-Eintritt; 1934 – 1938 im SD- Hauptamt tätig, von Sommer 1938 an Leiter der Geschäfte der Zentralstelle für jüdische Aus wan- derung in Wien und 1939 der Zentralstelle in Prag, von Dez. 1939 an Sonderreferent des RSHA für die Räumung der annektierten Ostprovinzen, dann Leiter des RSHA-Referats IV D 4, später IV B 4 (Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenheiten); 1945 – 1946 Inhaftierung, 1946 Flucht, 1950 – 1960 in Argentinien untergetaucht, 1960 nach Israel entführt, dort 1961 zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet.

3 Herbert Hagen (1913 – 1999), kaufmännischer Angestellter; 1933 SS- und 1937 NSDAP-Eintritt; von 1934 an für den SD tätig, 1937 – 1939 Leiter der Abt. II 112 („Judenreferat“) des SD, von 1940 an für den SD in Frankreich tätig, 1942 – 1944 dort persönlicher Referent des Höheren SS- und Polizeiführers;

1945 – 1948 interniert, 1955 in Paris wegen Kriegsverbrechen in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangs- arbeit verurteilt, 1980 durch das Landgericht Köln zu zwölf Jahren Haft verurteilt, 1984 entlassen.

4 Das Jüdische Jahrbuch für Österreich wurde 1932 von Chaim Bloch (1881 – 1973) und Löbel Taubes (1863 – 1933) herausgegeben. Es enthielt Beiträge namhafter jüdischer Autoren sowie ein ausführ- liches Verzeichnis aller jüdischen Gemeinden in Österreich und ihrer religiösen, sozialen und kul- turellen Körperschaften.

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DOK. 34    8. Mai 1938

Am Freitag n[ächster] Woche erscheint die erste Nummer der zionist. Rundschau.5 Ich habe mir die Manuskripte einsenden lassen und bin gerade bei der langweiligen Arbeit der Zensur. Die Zeitung geht Euch selbstverständlich auch zu. Es wird gewissermaßen

„meine“ Zeitung [werden].

Jedenfalls habe ich die Herrschaften auf den Trab gebracht, was Du mir glauben kannst.

Sie arbeiten dzt. auch schon sehr fleißig. Ich habe von der Kultusgemeinde und dem Zion.

Landesverband eine Auswanderungszahl von 20 000 mittellosen Juden für die Zeit vom 1. IV. 38 – 1. V. 39 verlangt, was sie mir auch zusagten einhalten zu wollen.

Für Dienstag habe ich mir Ass. Lange6 ins Amt gebeten. Ich werde ihm einen dement- sprechenden Einführungsvortrag halten, denn er kennt sich auf II 112 noch sehr wenig aus. Aber er ist ein prima Kerl.

Morgen kontrolliere ich wieder den Laden der Kultusgemeinde und der Zionisten. Dies mache ich jede Woche mindestens einmal. Ich habe sie hier vollständig in der Hand, sie trauen sich keinen Schritt, ohne vorherige Rückfrage bei mir zu machen. So ist es auch in Ordnung wegen der besseren Kontrollmöglichkeit.

Die Gründung einer 4. jüd. polit. Spitzenorganisation (ähnlich dem „Hilfsverein“) können wir uns ersparen, denn ich habe der Kultusgemeinde aufgetragen, innerhalb dieser Ge- meinde ein Zentralauswanderungsamt auch für alle außerpalästinensischen Länder zu schaffen. Die vorbereitenden Arbeiten hierfür sind bereits im Gange.

In ganz großen Zügen ist die Lage der Dinge jetzt folgende:

Arisierung, Juden in d. Wirtschaft usw. behandelt lt. Erlass Gauleiter Bürkel.7

Das weitaus schwierigere Kapitel, diese Juden zur Auswanderung zu bringen, ist Aufgabe des SD. Auf diese Auswanderung wurde ja jetzt auch nach Reorganisierung der Kultus- gemeinde und des zion. Landesverb. f. Ö.8 deren Arbeit ausgerichtet.

Ich hoffe, Dich hiermit wieder kurz auf dem Laufenden gehalten zu haben.

Ich selbst komme, glaube ich, als Abteil.[ltr.] auf einen U.A., nachdem die Sache in Wien läuft und ein eingearbeiteter Ref[erent] hier ist. Weißt Du, es tut mir ehrlich leid, daß ich wahrscheinlich von der Arbeit, die ich gerne machte und in der ich gewissermaßen jetzt schon seit Jahr und Tag „zu Hause“ war, weggehen muß, aber Du wirst ja selbst verstehen,

5 Die Zionistische Rundschau erschien vom 20. 5. 1938 an und wurde nach dem 9. 11. 1938 von der Ge- stapo verboten; siehe Doron Rabinovici, Instanzen der Ohnmacht, Wien 1938 – 1945, Der Weg zum Judenrat, Frankfurt a. M. 2000, S. 100 – 102.

6 Dr. Rudolf Lange (1910 – 1945), Jurist; 1933 Entritt in die Gestapo Halle, 1937 NSDAP- und SS-Ein- tritt, 1938 Gestapo Wien, 1939 Stuttgart, 1940 Weimar und Erfurt, von Sept. 1940 an Vertreter des Leiters der Berliner Gestapo, von Juni 1941 an in der Einsatzgruppe A, von Dez. 1941 an Komman- deur der Sicherheitspolizei in Lettland, 20. 1. 1942 Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, von Jan. 1945 an Befehlshaber der Sicherheitspolizei im Warthegau; Febr. 1945 Selbstmord in Posen.

7 Richtig: Bürckel. Am 28. 4. 1938 hatte der Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Josef Bürckel, verfügt, dass er künftig die „Arisierung“ in Wien leiten werde. Jedoch blieb seine Zuständigkeit umstritten, da auch Wilhelm Keppler, von Göring be- auftragt (siehe Dok. 20 vom 19. 3. 1938), und Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart entsprechen- de Befugnisse für sich reklamierten; Rosenkranz (wie Anm. 1), S. 60 – 70; siehe auch Dok. 62 vom 14. 7. 1938.

8 Der Zionistische Landesverband für Deutschösterreich wurde im Mai 1938, als zweiter Dachver- band neben dem Palästina-Amt, wieder zugelassen. In ihm waren der Sportverein Makkabi, die religiös-zionistische Organisation Mizrachi, der Zionistische Jugendverband, die zionistischen Na- tionalfonds Kerem Hajessod und Kerem Kajemeth sowie die Frauenorganisation Wizo zusammen- gefasst.

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154 DOK. 35    15. Mai 1938

daß ich mit meinen 32 Jahren nicht gerne „zurückgehe“. Unser Chef ist ein ganz ausge- zeichneter Vorgesetzter, der für solche Dinge Verständnis hat.

Grüße an alle Kameraden von II 112.

Euer alter Adolf

Bestätige mir bitte jeweils kurz den Erhalt meiner Briefe

DOK. 35

The New York Times: Artikel vom 15. Mai 1938 über die Verarmung der jüdischen Gemeinden und die demographischen Folgen der antijüdischen Politik1 10 Reichsgroßstädte verlieren 40 Prozent ihrer jüdischen Bevölkerung. Viele kleinere jüdi- sche Gemeinden sollen in den vergangenen fünf Jahren ganz verschwunden sein. Einbrüche in der Sozialfürsorge. Amerikanisches Komitee um Unterstützung wohltätiger Organisatio- nen gebeten

Wie aus einem gestern veröffentlichten Bericht des American Jewish Joint Distribution Committee hervorgeht, haben zehn deutsche Großstädte über 40 Prozent ihrer jüdischen Bevölkerung verloren; viele kleinere jüdische Gemeinden sind in den vergangenen fünf Jahren gänzlich verschwunden.

Da die Juden in Deutschland immer weniger in der Lage sind, ihre Fürsorgeeinrichtun- gen zu finanzieren, hat das Joint Distribution Committee im vergangenen Jahr 682 000 $ für Ausbildung, Umschulung, wirtschaftliche Hilfe, Emigration, Bildung und Wohlfahrt der deutsch-jüdischen Bevölkerung bereitgestellt.

Joseph C. Hyman, Geschäftsführer des Joint Distribution Committee,2 erklärte dazu: „Die jüngst verfügten Bestimmungen berauben die jüdischen Gemeinden ihrer Eigenschaft als quasi öffentliche Einrichtungen und nehmen ihnen somit das Recht, von ihren Mitglie- dern Steuern zu erheben. Das ist der schwerste und möglicherweise nicht mehr wieder- gutzumachende Schlag gegen die Fähigkeit der jüdischen Gemeinden, ihre Fürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen aufrechtzuerhalten.“3

Der Bericht über die Auflösung jüdischer Gemeinden in Deutschland zeigt, dass 60 der ursprünglich 250 hessischen Gemeinden nicht mehr bestehen. Gegenüber 67 Gemeinden mit jeweils mehr als 500 Juden im Jahr 1933, bestanden Ende 1937 nur noch 52 solcher Gemeinden.

Die zehn Städte, die mehr als 40 Prozent ihrer jüdischen Bevölkerung verloren haben, sind

1 The New York Times, Nr. 29331 vom 15. 5. 1938, S. 29: 10 big Reich Cities lose 40 % of Jews. Das Do- kument wurde aus dem Englischen übersetzt. Die NYT wurde 1851 gegründet und erscheint noch heute.

2 Joseph C. Hyman (1889 – 1949), Jurist; 1917 – 1919 im Jewish Welfare Board, von 1922 an für den Joint tätig und einer der führenden Persönlichkeiten der Organisation: 1925 – 1939 als Sekretär, von 1937 an gleichzeitig als Executive Director, 1940 – 1946 Executive Vice Chairman, 1947 – 1949 Vice Chair- man.

3 Siehe Dok. 23 vom 28. 3. 1938.

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401

DOK. 139 und DOK. 140    11. November 1938

DOK. 139

Heydrich ordnet am 11. November 1938 an, dass Eichmann zu einer Besprechung über die künftige antijüdische Politik nach Berlin reist1

Fernschreiben des RFSS-Sicherheits-Diensts II 1 (FS-Kontrollstreifen Nr. 71014 aufgegeben 11. 11. 38 1310), gez. SS-Sturmbannführer Ehrlinger, an den SD-Führer des SSOA Donau, SS-Staf. Stahlecker, vom 11. 11. 1938

Im Laufe des Sonnabend-Vormittag findet in Berlin eine groessere Besprechung statt, in welcher die mit den Aktionen gegen die Juden und der kuenftig einzuschlagenden Generallinie zusammenhaengenden Fragen besprochen werden sollen.2 Da der Plan be- steht, entsprechend der Regelung in der Ostmark auch im Reich eine Zentralstelle zu gruenden, erscheint es Gruf. Heydrich zweckmaessig, wenn SS-OStuf. Eichmann an der Besprechung teilnimmt, um zur praktischen Durchfuehrung seine Erfahrungen mit- zuteilen. Es wird demnach gebeten, SS-OStuf. Eichmann sofort nach Berlin in Marsch zu setzen. Er soll sich morgen, Sonnabend, vormittags 08:30 Uhr bei SS-Stubaf. Ehrlinger im SD H Amt melden. –

DOK. 140

Hildegard Wagener empört sich am 11. November 1938 über die Gewalt gegen Juden1 Handschriftl. Tagebuch von Hildegard Wagener, Eintrag vom 11. 11. 1938 (Abschrift)

11. 11. 1938

Ein deutscher Gesandschaftsrat ist von einem 17jährigen Juden in Paris hinterrücks er- schossen worden. –

In der Nacht nach dem Tode des Deutschen wurden sämtliche jüdischen Geschäfte in ganz Deutschland demoliert und viele Synagogen angesteckt. –

Sind wir aufrechte Deutsche oder ein Pöbelhaufen? Ist das eines deutschen Volkes wür- dig, Gewalt mit Gewalt zu vergelten? Ich schäme mich. –

Nein – nie im Leben kann ich unsere Antwort auf das Verbrechen in Paris gutheißen, und Gott sei Dank denken viele, viele mit mir so, Leute, die einen Krieg mitgemacht haben, Leute, die Reife und Erfahrung besitzen. Ich glaube, das Deutsche Volk ist es auch nicht, das so einen dummen Bubenstreich macht. Sollen wir die Fehler der anderen, die wir vorher ans Licht gezerrt haben und gescholten, nun nachmachen? Nein – vorleben sollen wir, zeigen, daß man auf geradem, freiem Weg sein Ziel viel besser erreicht. Mein Gott – ich habe Angst vor einer Vergeltung, denn das ist Unrecht, was hier geschehen. Wir sind doch Menschen und keine Raubtiere, die sich auf Wehrlose stürzen!

1 RGVA, 500k-1-625.

2 Gemeint ist die Besprechung im Reichsluftfahrtministerium am 12. 11. 1938; siehe Dok. 146 vom 12. 11. 1938.

1 Original in Privatbesitz H. Wagener; Abschrift in: AdK, Berlin, Kempowski-Biographienarchiv, A 37.

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187

DOK. 52    Juni 1938

Sie koennen nicht ermessen, was eine solche Tat fuer die oesterreichischen Juden bedeu- ten wuerde. Briefe aus Palaestina beweisen mir immer wieder, wie unzureichend die Vor- stellung ist, die man von unserer Lage hat, wie wenig man begreift, in welchem Ausmass und in welchem Tempo sich der Prozess der Liquidation des oesterreichischen Juden- tums vollzieht. Es ist bedauerlich, wie gering bei allem guten Willen die Kraft der seeli- schen Einfuehlung bei Menschen ist, die vom Schauplatz der Ereignisse entfernt sind.

Machen Sie also eine solche Aktion; sie wird der Universitaet und der Lehrerschaft Palae- stinas zum Ruhm und dem Lande zum Segen gereichen. Stecken Sie sich für das erste Jahr ein Ziel, das erreichbar ist: Nehmen Sie etwa in Aussicht, im ersten Jahr hundert juedische Kinder aus Oesterreich in dieser Weise nach Palaestina zu bringen. Soweit es mich angeht, werde ich dafuer sorgen, dass nur wirklich wuerdige und beduerftige Kinder ausgewaehlt werden.

Ich weiss nicht, ob der Appell, den ich hier an Sie richte, einen Erfolg haben wird. Ich fuehle mich aber verpflichtet, ihn an Sie und damit an den weiteren Kreis der Lehrer- schaft des Landes zu richten. Ich vertraue darauf, dass das Mitgefuehl mit uns in Palae- stina so stark ist, dass irgend etwas Konkretes in der Richtung, die ich andeute, gesche- hen wird. Den aelteren Menschen hier ist vielfach nicht zu helfen, aber die Kinder soll und muss man, soweit es irgend geht, retten. Was ich verlange, ist zunaechst nicht viel.

Es handelt sich um einen Anfang. Aus diesem Anfang koennte mit der Zeit eine plan- maessige Aktion werden, die, von der Lehrerschaft Palaestinas ausgehend, die ganze juedische Welt gewinnt.

Ich hoffe, Sie sind mir nicht boese, dass ich zu Ihren vielen Sorgen Ihnen diese aufzuhal- sen versuche. Meine Idee entspringt nicht einer Panikstimmung, sondern ist die Frucht vielfacher Ueberlegung.

Mit besten Gruessen Ihr aufrichtig ergebener5

DOK. 52

Ein ehemaliger Häftling schildert die Haftbedingungen im KZ Buchenwald im Juni 19381

Bericht eines ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers Buchenwald (Übersetzung)2

Im heutigen Deutschland gibt es kein Wort, das im Herzen des Volkes grösseren Schrek- ken auslöst, als der Name Buchenwald. Nur wenige Kilometer von Goethes Weimar ent- fernt, inmitten eines freundlichen Buchenwaldes, liegt, umgeben von Stacheldrahtzäunen,

5 In seinem Antwortschreiben vom 10. 7. 1938 berichtete Senator, dass drei Stipendien für österr.

Studenten privat finanziert würden und weitere folgen sollten. Die unentgeltliche Aufnahme von Kindern in Familien bzw. eine große Hilfsaktion sei hingegen aufgrund der strengen Einwan- derungsbestimmungen fast unmöglich. Allerdings würde sich die Jugendalija bemühen, vorerst ca. 300 österr. Kinder nach Palästina zu holen; wie Anm. 1.

1 Abdruck in: Dokumente über die Behandlung deutscher Staatsangehöriger in Deutschland 1938 – 1939, London 1940, S. 33 – 44.

2 Dem Foreign Office am 18. 2. 1939 übermittelt.

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188 DOK. 52    Juni 1938

bewacht von S.S.-Abteilungen und Maschinengewehren, die neue Stadt des Kummers, das Konzentrationslager Buchenwald.3

Ich wurde am 13. Juni 1938, morgens 5 Uhr, in meiner Wohnung in Berlin verhaftet, zum Polizeipräsidium gebracht und dort unterrichtet, dass ich als Jude mit einem vormaligen

„Verbrechervermerk“ nun in Schutzhaft genommen sei und zur gegebenen Zeit in ein Konzentrationslager geschickt werden würde. In dem überfüllten Polizeigefängnis, wohin ich zuerst gebracht wurde, sah ich viele Bekannte unter den andern Gefangenen, die zum grössten Teil aus angesehenen Leuten bestanden, Geschäftsmännern und Hochschul- lehrern. Die früheren Vergehen, die zum Vorwand für all die Verhaftungen genommen wurden, lagen oft zehn Jahre oder länger zurück und bezogen sich auf „Verbrechen“, wie z. B. Übertretung der Verkehrsvorschriften oder sonstige kindische und unwesentliche Verstösse der einen oder anderen Art.

Mehr und mehr Gefangene wurden eingeliefert, bis die Polizeibeamten selbst nicht mehr wussten, wie sie für den Strom der Neuankommenden Platz schaffen sollten. Jeder männ- liche Jude, der irgendeinen Polizeivermerk hatte, wurde im Laufe dieser zwei Tage, dem 13. und 14. Juni, festgenommen. Einige der Gefangenen waren Greise über 70, die aus den Armenhäusern direkt ins Gefängnis eingeliefert wurden.

In Berlin betrug die Zahl der Verhafteten etwa 4000; im ganzen Reich waren es vermut- lich 10 bis 15 000. Diese Gefangenen wurden auf die Konzentrationslager Dachau, Sach- senhausen und Buchenwald verteilt. Auf dem Polizeipräsidium wurde jedem Gefangenen mitgeteilt, dass er nur dann erwarten könne, entlassen zu werden, wenn er sich Schrift- stücke besorge, die es ihm gestatteten, das Land zu verlassen. Hieraus geht klar hervor, dass es sich bei diesen Verhaftungen um eine rein politische Massnahme handelte und dass dieser typische Naziplan den einzigen Zweck hatte, die jüdische Auswanderung zu beschleunigen, die, nach Ansicht der Nazis, viel zu langsam voranging. Trotzdem wurden die Verhaftungen der gewöhnlichen Kriminalpolizei überlassen und nicht, wie zu erwar- ten war, der Gestapo. Die Berliner Zeitungen berichteten daher nur, dass eine „Anzahl jüdischer Verbrecher in Schutzhaft genommen worden sei.“

In der Nacht des 14. Juni wurden 2000 von uns vom Gefängnis nach dem Konzentrati- onslager überführt. Vor Verlassen des Gefängnisses wurden wir von einem ungewöhnlich jungen Arzt untersucht, der jeden einzigen4 als für die Härten des Konzentrationslager- lebens körperlich geeignet bezeichnete, einschliesslich der Siebzigjährigen und eines tu- berkulösen Gefangenen, der fortgesetzt Blut spie.

Der Anhalter Bahnhof, von wo aus wir Berlin verliessen, wurde um 2 Uhr mittags, der Zeit unserer Abfahrt, für die Öffentlichkeit gesperrt, und ein starkes Polizeiaufgebot mit schussbereiter Waffe hielt Wache. Am Morgen des 15. Juni, etwa um 6 Uhr, erreichten wir Weimar, wo uns eine „Totenkopf“-Abteilung der S.S.5 am Bahnhof erwartete. Wir hatten

3 Das Lager wurde als eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden am 16. 7. 1937 in Betrieb genommen. Es hatte 130 Nebenlager und Außenkommandos. Bis zu seiner Befreiung durch amerikanische Truppen am 11. 4. 1945 waren insgesamt 238 980 Häftlinge aus 30 Ländern dort inhaf- tiert.

4 Muss heißen: jeden einzelnen.

5 Die SS-Totenkopfverbände waren eine unabhängige Elitesondereinheit innerhalb der SS, die dem Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Eicke unterstand und für die Bewachung und Verwal- tung der Konzentrationslager zuständig war. 1938 gab es vier SS-Totenkopfstandarten: in Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald, Mauthausen. 1941 wurden die Totenkopfverbände in die Waffen-SS integriert.

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DOK. 52    Juni 1938

kaum den Bahnsteig erreicht, als uns ein Hagel von Fusstritten, Faust- und Kolbenschlä- gen den Tunnel, der zur Strasse führte, entlang trieb. Hier wurden wir vom Oberaufseher des Lagers, Rödl,6 mit folgenden Worten begrüsst:

„Unter euch sind solche, die bereits im Gefängnis waren. Was ihr dort zu spüren bekom- men habt, ist nichts gegen das, was ihr hier erleben werdet. Ihr kommt in ein Konzentra- tionslager, und das bedeutet in die Hölle. Ein Versuch, sich den Befehlen der S.S.-Wachen zu widersetzen, und ihr werdet auf der Stelle erschossen. Wir kennen nur zwei Arten der Bestrafung in diesem Lager, die Peitsche und den Tod.“

Der Eingang des Lagers war durch Maschinengewehr-Posten bewacht und über dem Tor prangte das Schlagwort: „Recht oder Unrecht, es ist mein Vaterland!“ Jeder Gefangene muss beim Betreten des Lagers zwischen zwei Reihen von Wachen Spiessrutenlaufen.

Mehr Fusstritte und Schläge.

Gleich nach diesem Empfang, der in allen Konzentrationslagern mehr oder weniger üb- lich ist, werden unsere Köpfe geschoren, wie es bei gefährlichen Verbrechern üblich ist.

Sodann werden unsere Zivilkleider gegen Gefangenenuniform ausgetauscht. Die Klei- dung jedes Gefangenen trägt ein besonderes Kennzeichen. Politische Gefangene tragen einen roten Streifen, Bibelforscher einen violetten und die sogenannten „Drückeberger“

einen schwarzen.

Unsere losen Gefangenenjacken waren mit einem schwarzen Davidstern auf gelbem Fleck versehen; dies bedeutet „arbeitsscheuer Jude“. Es muss erwähnt werden, dass die meisten von uns selbständige Geschäftsleute und der Rest Angestellte und Arbeiter wa- ren, die gezwungen wurden, ihre Arbeitsstellen zu verlassen. In unserer Gruppe befanden sich ausserdem ein Zahnarzt und mehrere Rechtsanwälte. Jeder von uns bekam eine Nummer, die in die Gefangenenkleidung eingenäht wurde, und von da an waren die Nummern der Ersatz für unsere Namen.

Nach Beendigung der eben beschriebenen Eintrittsformalitäten wurden wir in unsere neuen Quartiere geführt. Während die 6000 arischen Gefangenen in Holzbaracken, von denen jede etwa 140 Mann fasste, untergebracht waren, wurden wir buchstäblich in eine Anzahl von Viehschuppen gepackt, je 500 Mann in einen Schuppen. In den Schuppen waren weder Tische noch Stühle vorhanden. Nicht einmal Betten. Nachts warfen wir uns auf den nackten Fussboden, unfähig, uns auszustrecken und auszuruhen, da es an Raum mangelte. Jeder Gefangene erhielt zwei dünne und oft zerrissene Decken. Es gab keine Waschgelegenheit. Keiner von uns konnte sich während der ersten Woche waschen, spä- ter wurden je einer Gruppe von 500 Mann acht Waschschüsseln zugeteilt. Das Wasser musste von einer zehn Minuten entfernten Pumpe geholt werden. Am schwersten war jedoch der Umstand zu ertragen, dass laut Befehl der S.S. eine Gruppe von Berufsverbre- chern in jeden Schuppen gelegt und mit der „Aufrechterhaltung der Ordnung“ betraut wurde. Diese Verbrecher, die sich ebenfalls in Lagerhaft befanden, waren uns als „Unter- offiziere“ übergeordnet und besassen volle Autorität, die andern Gefangenen zu bestrafen.

Der diensttuende Verbrecher in unserem Schuppen war ein besonders brutales Indivi- duum, das uns fortgesetzt schamlos misshandelte.

6 Arthur Rödl (1898 – 1945), Hilfsarbeiter; 1923 Teilnahme am Hitler-Putsch, 1928 NSDAP-und SS- Eintritt; von 1934 an hauptberuflich bei der SS tätig, Schutzhaftlagerführer im KZ Sachsenhausen, 1937 – 1940 Erster Schutzhaftlagerführer im KZ Buchenwald, 1940 – 1941 in den KZ Dachau und Flossenbürg, 1941 – 1942 Kommandant im KZ Groß-Rosen, danach beim Höheren SS- und Polizei- führer in Kiew, 1944 Versetzung zur Waffen-SS; nahm sich das Leben.

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