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Leben mit Autismus autistisches Erleben

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Academic year: 2022

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(1)

Hajo Seng

Leben mit Autismus

autistisches Erleben

(2)

Autistisches Erleben

frühe Stimmen autistischer Menschen:

Temple Grandin (1986)

„Emergence Labeled Autistic“

Dietmar Zöller (1989)

„Wenn ich mit euch reden könnte“

ab den 1990er Jahren: autistische Communities Here, with people who shared my language, meaning flowed freely and easily.

(3)

Autistisches Erleben

ab Ende der 1990er Jahre: selbstorganisierte Gruppen in Deutschland unzählige biographische Darstellungen

autistische Projekte Autreat (1996) AutScape (2004) Aspies (2004)

Autismus-Forschungs Kooperation (2007) autWorker (2009)

Workshops „Autistische Fähigkeiten“

> 150 Workshops

> 1000 autistische Menschen

vorwiegend Jugendliche u. junge Erwachsene

(4)

Perspektiven im Autismusspektrum

Er erinnerte sich, wie er sich in einem Spiegel anstarrte und versuchte, seinen Mund zu Bewegungen zu zwingen.

„Alles was das Bild tat, war zurück zu starren“.

Er erinnerte einen Arzt, der seinen Eltern sagte, Tito könne nicht

verstehen, was um ihn herum geschieht, und er erinnerte die

Antwort seines Wahrnehmungs-Selbst:

„‚Ich verstehe sehr gut‘, sagte der Geist in dem Jungen.“

(5)

Autismus aus einer Verhaltensperspektive

Fokus auf Verhalten

Defizite: Kommunikation Sozialverhalten

Interessen, Routinen

Entfremdung, Verkennung

„Störung“

Das Gefühl der Entfremdung vom eigenen

sozialen Umfeld ist ein Kernbestandteil des

Erlebens autistischer Menschen.

(6)

Wie erleben autistische Menschen ihren Autismus?

anders sein

ausgeschlossen sein stigmatisiert sein

unpassendes soziales Umfeld

Entfremdung von der eigenen Umgebung zunehmende Exklusion

Verlust von Selbstbestimmung

Das Autistischsein verbindet sich vor allen Dingen mit der Erfahrung, ausgeschlossen zu sein.

Also ich sag mal Exklusion.

(7)

Wie erleben autistische Menschen ihren Autismus?

missverstanden werden

andere Ich-Wahrnehmung

missverstandene Reaktionen

andere Körperwahrnehmung, andere psychische Bedürfnisse als kompromittierend erlebte Verhaltensweisen

andere Kommunikationsweisen

verkannte Fähigkeiten und Potenziale

Ich würde sagen, die Denkweise von uns ist anders als die von anderen.

ich denk viel komplizierter als die,

zum Beispiel mein Bruder oder Mutter.

(8)

Perspektivwechsel

Ich bin hier unter Leuten, die genau so sind wie ich, da fühlt man sich eigentlich schon relativ wohl.

Also da [unter autistischen Menschen] versteht man sich schon innerhalb von 'ner kurzen Zeit extrem freundschaftlich und kennt sich dann in einer kurzen Zeit schon sehr gut.

Und auf einmal wurd' ich sowas von verstanden, es war nix unklar.

Also im Autismus, alle Autisten

untereinander können sich verstehen, obwohl sie anders formulieren.

(9)

Blick von innen

Wenn man halt Autist ist, dann hat man quasi seine eigene Gedankenwelt

wenn ich innerlich richtig, und macht sich sein eigenes dann bin ich innerlich Gedankenbild.

gut aus-… aufgebaut,

freu mich innerlich richtig.

Ich benutz manchmal Fachbegriffe, die andere gar nicht kennen,

hab ich das Gefühl. Also die Normalos gar nicht kennen so;

so will ich es meinen.

(10)

Eine spezifische Weise zu denken und wahrzunehmen

anders denken, anders wahrnehmen

soziale Welt analytisch und rational Objektwelt intuitiv

anderes Verhältnis von Innen- und Außenerleben Übersetzen von Gedanken in Sprache

Ich wollte nen Text schreiben, son Satz wie „Die Katze jagt den Hasen“ und

dann stand da am Ende „D K ja d H“, weil ich war eigentlich noch mit der Hand beim Schreiben von „Die Katze“

war, aber in Gedanken schon längst,

„Was passiert dann mit dem Hasen?“

(11)

Beispiel 1: Hannah

sprachfern (spricht undeutlich), schreibt ungern

wird deswegen häufig unterschätzt

legt großen Wert auf Regeln und Gerechtigkeit assoziative Verknüpfungen

Ich kann mir Wege merken im Kopf;

ich brauch kein Navi,

ich find' den Weg überall hin.

Also ich brauch' so keine Karte,

wenn ich wo irgendwo hin will.

(12)

Mod.: Also sind das die Geschichten, die sich da entwickeln, oder sind es dann die Figuren, die da auf-

Hannah: Die Figuren.

Mod.: auftauchen. [..] hast du da für dich so Lieblingsfiguren Hannah: Nö.

Mod.: mit denen du arbeitest, oder da geht's Hannah: unterschiedlich

Mod.: geht's eher die unterschiedlichen Figuren auszutesten Hannah: Ja.

Mod.: und damit dann auch zu arbeiten Hannah: Ja.

Co-Mod.: Auch sich da 'reinzuversetzen in die Figuren

Hannah: Nö.

(13)

Autistisches Denken?

Was es bedeutet, wie Hannah zu denken:

sehr viele Informationen in kurzer Zeit komplexe Informationen ad hoc

sehr präzise Informationen

und weiter:

ausgeprägte, stringente Logik / starker Gerechtigkeitssinn gutes Gedächtnis / gute Orientierung

Gedanken übersetzen

assoziative Verknüpfungen

emotional eher offen, verletzbar

Eine andere Perspektive

Orientierung an der Sache hohe Genauigkeit

(14)

Beispiel 2: Matti

– offenes W-Lan im Bahnhof

– günstige Unterkünfte recherchieren – Erreichbarkeit recherchieren

– Auswahl und Kontaktdaten – anrufen, reservieren

– Weg via Navi finden

Wenn meine Mutter wüsste, was ich hier mache ...

(15)
(16)

Matti

sprachfern?

sprachlich versiert stringente Logik?

eher pragmatische Logik sehr strukturiertes Denken bildhaft, assoziativ?

analytisch

gute Orientierung, gutes Gedächtnis?

schlechter Orientierungssinn emotional offen, verletzbar?

offen als Persönlichkeit

unscharfe Trennung von Innen- und Außenerleben

(17)

Ein anderes autistisches Denken?

Was es bedeutet, wie Matti zu denken:

Muster und Strukturen erkennen

Dinge in ihrer Komplexität verstehen

„Theory of Function“: Intuition für funktionale Zusammenhänge

und weiter:

wenig ausgeprägte Logik, höhere Flexibilität

eher schlechtes Gedächtnis / schlechte Orientierung weniger „Übersetzungsverlust“

sprachlich versiert

Eine andere Perspektive

kreative Sprache

kreative Ausdrucksweisen analytisches Denken

(18)

Autistisches Denken, autistisches Wahrnehmen

Temple Grandins (Selbst-)Beobachtungen

autistische Menschen sind Bilderdenker Denken in Bilder statt in Sprache

assoziatives Denken / analytisches Denken

unterschiedlicher Grad der Integration sprachlichen Denkens bewusstes Unbewusstes

eigene Erfahrungen

kein Bilderdenker aber Strukturen

Denken in Mustern bzw. Strukturen statt in Sprache eher Hören als Sehen

Musik / Mathematik

Es gibt ein ganzes Spektrum autistischer Denkstile Diversität aber nicht beliebig

(19)

Sprache und Denken

Der Mensch wohnt in der Sprache

„Sprache ist das Haus des Seins“, stellte Mar- tin Heidegger fest. Der Mensch wohnt sozusa- gen in diesem Haus der Sprache, er ist Teilneh- mer an der Sprache und benötigt sie, um zur Welt in Kontakt zu treten. Eng verbunden ist Sprache auch mit der Endlichkeitserfahrung des Menschen. „Wer spricht, ist nicht tot“, sagte Gottfried Benn.

ORF: „Sprache ist das Haus des Seins“, 2017

(20)

Autismus bedeutet getrenntes Denken

Sprach- und Wahrnehmungsverarbeitung decken sich nicht

sprachliche und wahrgenommene Wirklichkeiten unterscheiden sich (mindestens) zwei Ebenen des Wirklichkeitserlebens

sprachlich: konzeptbasiert, sozial vermittelt wahrnehmungsbezogen: spezifisch, fragmenthaft

In-der-Welt-Sein

soziale Wirklichkeit Selbstwahrnehmung

Zusammenspiel von

Angeborenem und Erworbenem

sozialen, psychischen und sozialen Aspekten Individuum und (soziale) Umwelt

(21)

Was bedeutet getrenntes Denken?

Der Weg vom Selbst zum (sozialen) Ich:

setzt voraus: Überlagerung von

(Spiegel-)Bild und Bezeichnung Wahrnehmung und Sprache

bedeutet: Maskierung

das Selbst hinter der Person die Wahrnehmung hinter der Sprache

Ohne vollständige Überlagerung:

Selbst: Selbstbezug statt soziale Rolle Fokus: Objektwelt statt soziale Welt Welt: Verbundenheit statt Distanz

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Ein Spektrum autistischer Denkstile

Objekte, Bilder Muster, Strukturen visuell ↔ auditiv ↔ taktil

sprachfern sprachnah sprechen schreiben

Objektperspektive sprachliche Perspektive

weitere Aspekte (etwa Motorik)

Wahrnehmungsverarbeitung

erzeugt Verweise: Erinnerungen, Erwartungen etc.

verwandelt Sinneseindrücke in Zeichensysteme

Denken bedeutet abbilden

(23)

Denken und Zeichensysteme

Zeichensystem Sprache:

Begriff Logik Schriftbild / Sprachklang Deuten, Bedeuten, Konzept, soziale Beziehungen

visuelles Zeichensystem:

Bilder, Objekte Strukturen, Relationen Raum, innen & außen

auditives Zeichensystem:

Klang Melodie

Ton Rhythmus

Zeit, Schwingungen, Wiederholungen

andere Zeichensysteme (insbes. körpernahe Wahrnehmungen)

(24)

Ein Spektrum autistischer Denkstile

(25)

Fazit

Die Perspektive bestimmt den Rahmen:

Erkennen autistischer Menschen Entwicklung ihrer Potenziale

Unterstützung und Inklusion

Perspektivwechsel

zeigen Wege zu einer Inklusion autistischer Menschen hinterfragen vermeintliche Selbstverständlichkeiten ermöglichen ein neues Verständnis von Autismus:

Lebenswelt autistischer Menschen

Zusammenspiel unterschiedlicher Aspekte (sozial, psychisch und biologisch)

multidimensionales Spektrum unterschiedlicher Denkstile

(26)

Zum Schluss

Gottfried Mind 1768 – 1814

Bern (Worblaufen) Straßenkind

sonderbegabt kränklich

wortkarg

menschenscheu

„Katzen-Raphael“

(27)

Zum Schluss

Verleihet mir schön zu werden im Innern, was ich aber von außen her habe, dass es dem Innern befreundet sei.

(Sokrates, Phaidros)

In Gottfried Minds Bildern

verwirklicht sich ein Erleben, das in sich ruht,

tief in der Welt verwurzelt

und in einem umfassenden Sinne eins ist.

(28)

http://autsocial.de

https://siam-workshops.de

http://autistische-faehigkeiten.de

Referenzen

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