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Migräne – eine progressive Hirnerkrankung?

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J A M A

Eine kürzlich im JAMA publi- zierte MRI-Studie zeigt, dass einzelne Migränepatienten offenbar kleine Infarkte in der hinteren Hirnregion und Läsionen der weissen Hirn- substanz aufweisen, die aber klinisch kein fassbares Korre- lat haben. Ob die röntgenolo- gischen Veränderungen lang- fristig auch symptomatische Folgen haben, ist derzeit nicht bekannt.

Dass Migräne sich nicht in gelegentlichen und vorübergehenden Kopfschmerzatta- cken erschöpft, sondern darüber hinaus langfristigen Schaden anzurichten ver- mag, darüber wird seit einigen Jahren spekuliert. Manche Experten haben die Ansicht vertreten, Migräne sei ein unab- hängiger Risikofaktor für einen apoplekti- schen Insult; gleichwohl spricht die Evi- denz bislang keine eindeutige Sprache.

Die vorliegenden Daten sind widersprüch- lich, und überhaupt scheint der Zusam- menhang zwischen Migräne und Schlag-

anfall allenfalls für eine bestimmte Subpo- pulation zu gelten. Gemeint sind damit Frauen unter 45 Jahren, die eine Migräne mit Aura erleiden, zudem rauchen und die Anti-Baby-Pille einnehmen.

Darüber hinaus gibt es einzelne Fallbe- richte über Patientinnen mit so genannter Infarkt-Migräne, die zu der Annahme ver- leiteten, dass der Kreislauf der hinteren Zerebralarterie besonders betroffen zu sein scheint, also im Einzugsgebiet der A. cerebralis posterior. Wie hoch die Prä- valenz subklinischer Infarkte bei Migrä- nepatienten im Allgemeinen ist, darüber gab es bislang keine verlässlichen Infor- mationen.

Zudem lassen sich mit verfeinerten Me- thoden, namentlich dem MRI, heute bei manchen Migränepatienten diffuse Läsio- nen in der weissen Hirnsubstanz (Sub- stantia alba) nachweisen, in periventriku- lären Regionen und in tiefen Schichten der Substantia alba. Die bisherigen klini- schen Studien lassen jedoch offen, ob diese Läsionen wirklich auf die Migräne selbst zurückzuführen sind. Man hatte in den betreffenden Untersuchungen nämlich verschiedene so genannte Hintergrund- variablen, wie kardiovaskuläre Risikofak- toren oder die Einnahme vasokonstrik- torischer Medikamente, nicht ins Kalkül gezogen.

Erste populationsbasierte Untersuchung

Zudem gilt für die Läsionen wie für die In- farkte, dass die Prävalenz unter Migräni- kern unklar ist. Genau diese Erkenntnis wäre aber von besonderem Interesse, um der Frage nachzugehen, ob theoretisch vorstellbare Langzeitkonsequenzen wie Schlaganfall oder kognitive Leistungsein- bussen einschliesslich Demenz ein wirklich

ernst zu nehmendes Problem sein können.

In das Dunkel hat nun eine holländische Studie ein wenig Licht gebracht. Im Rah- men einer populationsbasierten Untersu- chung rekrutierte eine Arbeitsgruppe um Mark C. Kruit, Universität Leiden, 300 Migränepatienten und eine geeignete Kontrollgruppe. Dabei konnten demogra-

Migräne – eine progressive Hirnerkrankung?

Eine MRI-Studie zeigt, dass bei manchen Migränikern subklinische Läsionen und Hirninfarkte auftreten

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S T U D I E É T U D E

M M M

M e e e e r r r r k k k k -- --

s ä t z e s ä t z e

●Bei einigen Migränikern können sich offenbar im Lauf der Erkran- kung subklinische Läsionen in der Substantia alba des Gehirns entwickeln.

●Zudem ist die Prävalenz von subklinischen Infarkten erhöht.

Besonders betroffen ist das Einzugsgebiet der hinteren Zerebralarterie.

●In der Studie waren am stärksten Frauen betroffen, die mindestens einen Migräneanfall im Monat mit Aura erlitten.

●Ob die Veränderungen irgend- wann zu klinischen Insulten oder degenerativen Hirnerkrankun- gen führen, ist derzeit unbe- kannt.

●Wenn die Hirnläsionen tatsäch- lich langfristig signifikante klini- sche Folgen haben sollten, dürfte deren Verhinderung zu einem zusätzlichen therapeutischen Ziel werden.

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fische Faktoren, die detaillierte Kranken- geschichte und die Therapie genau ana- lysiert werden, das heisst mögliche Stör- einflüsse liessen sich in die Bewertung miteinbeziehen. Alle Patienten unterzo- gen sich einer modernen MRI-Unter- suchung.

Es zeigte sich dabei, dass die Prävalenz der radiologisch bestimmten Infarkte bei Mi- gränikern mit 8 Prozent höher ausfiel als in der Kontrollgruppe, wo sie 5 Prozent betrug. Am stärksten ausgeprägt waren die Unterschiede bei Infarkten im Einzugs- gebiet der hinteren Zerebralarterie (5,4%

vs. 0,4%), vorzugsweise im Bereich des Zerebellums. Die subklinischen Infarkte traten in erster Linie bei Patienten mit häufigen Migräneattacken auf. Patienten, deren Kopfschmerz von einer Aura beglei- tet wurde, hatten das höchste Risiko.

Zudem ergaben die MRI-Befunde, dass Frauen, nicht jedoch Männer, ein erhöhtes Risiko für in der Tiefe liegende Läsionen der weissen Hirnsubstanz aufweisen.

Auch hier scheint die Häufigkeit der Mi- gräneattacke, mithin die Schwere der Er- krankung, eine Rolle zu spielen. Es zeigte sich, dass die klassischen Risikofaktoren nicht für die Unterschiede zwischen Mi- gränikern und Kontrollpersonen verant- wortlich waren.

Eine chronisch-episodische oder eine chronisch-progressive Krankheit?

«Wenn zutrifft, dass die Läsionen bezie- hungsweise Infarkte tatsächlich mit der Häufigkeit zusammenhängen, spricht dies dafür, dass in manchen Fällen Migräne die Ursache für eine fortschreitende Hirnschä- digung sein kann – es sei denn, es gibt ei- nen Faktor, der mit der Migränefrequenz und Schlaganfall assoziiert ist», schreiben die JAMA-Kommentatoren Richard B. Lipton und Julie Pan.

Zusammen mit anderen kürzlich erschie- nen Studien spreche manches dafür, die Migräne nicht nur als akute Erkrankung, sondern als chronisch-episodische oder gelegentlich chronisch-progressive Krank-

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heit neu zu definieren, vermerken sie. Da- mit könnten sich ihrer Meinung nach langfristig auch die Ziele der Behandlung verändern. «Wenn die beschriebenen Hirn- läsionen ein signifikantes klinisches Korre- lat haben, dann muss die Prävention ein zusätzliches Therapieziel werden.» Das sehen die Studienautoren ebenso. Bei Pa- tienten mit häufigen Attacken müsse nun herausgefunden werden, ob durch Pro- phylaxe und frühzeitige Beeinflussung der Anfälle das Risiko von Hirnläsionen redu- ziert werden könne, schreiben Mark C.

Kruit und seine Mitautoren.

Da es bislang jedoch keine Verlaufsbeob- achtungen gibt, weiss man nicht, ob sich die Läsionen tatsächlich zu klinisch rele- vanten Schädigungen auswachsen.

Immerhin gibt es einige Hypothesen über die Pathogenese der Hirnläsionen. Dem- nach könnten beispielsweise hämodyna- mische Veränderungen eine Rolle spielen.

Wiederholte oder lang anhaltende Ver- minderung des Perfusionsdruckes, ver- ringerter Blutfluss, kombiniert mit einer Aktivierung des Gerinnungssystems oder

lokale Vasokonstriktion könnten in be- stimmten Hirnbereichen zu Mikroembo- lien, Thrombosen oder Ischämie führen.

Womöglich spielt dabei auch Endothelin eine vermittelnde Rolle. Nicht auszu- schliessen, dass Dehydratation während einer Attacke der Bildung von lokalen Thromben Vorschub leistet. Es ist, nach Auffassung der Autoren, andererseits auch denkbar, dass während eines Migräne- anfalls neuronale Hyperaktivierung und neurogene Entzündung mit Freisetzung von Neuropeptiden und Zytokinen direkt zu Gewebsschädigungen führen.

Die Studie gab gewisse Anhaltspunkte dafür, dass Ergotamine das Risiko von subklinischen Hirninfarkten und -läsionen erhöhen, aber aufgrund der zu geringen Fallzahl liess sich die Gefährdung nicht exakt beziffern und vom Einfluss der An- fallshäufigkeit trennen. Deshalb, so schrei- ben die Studienautoren, können wir nicht ausschliessen, dass die Einnahme von Ergotamin ein Marker für die Schwere der Erkrankung ist. Obwohl die Ergotamine zu Vasokonstriktion führen, ist ihr Effekt

auf das Gehirn bisher nicht untersucht worden.

Die Ursache der Läsionen in der weissen Substanz ist bisher ebenfalls noch hypo- thetisch. Nach Spekulationen könnten sie das Ergebnis von kurzzeitiger Ischämie, von oxidativem Stress oder von Plättchen- hyperaggregabilität sein. Warum anschei- nend ausschliesslich Frauen betroffen sind,

ist unklar. ●

Mark C. Kruit: Migraine as a risc fator for subclinical brain lesions. JAMA 2004; 291:

427–434.

Richard B. Lipton, Julie Pan: Is migraine a progressive brain disease? JAMA 2004;

291: 493–494.

Uwe Beise

Interessenlage: Die Studie wurde finanziert unter anderem durch Netherlands Heart Foun- dation und die Asclepiade Foundation, Genf.

Die Sponsoren nahmen keinen Einfluss auf Konzeption und Auswertung der Studie.

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