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Belastete Eltern als besonderer Entwicklungskontext von Kindern

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Academic year: 2022

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Belastete Eltern als besonderer Entwicklungskontext von Kindern

Die gesellschaftspoltischen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte haben den Kontext, in dem Eltern ihre Kinder großziehen, erheblich verändert. Dabei stehen vor allem drei Umbrüche im Vordergrund:

 Untergang der sozialistisch-kommunistischen Variante der Moderne

 Digitale Revolution mit einer Expansion der Informationstechnologie und der Massenmedien

 Umsetzung der Geschlechtergleichberechtigung durch zunehmende Er- werbstätigkeit der Frau und Marginalisierung des Hausfrauenmodells

Zur gestaltenden, alle Lebensbereiche (totalitär) durchdringenden Ideologie wurde dabei der Liberalismus mit seiner wirtschaftlichen Kreation, dem globa- len Kapitalismus. Dabei sind vier Grundüberzeugung richtungsweisend:

• Individualismus → Vollzug eines historisch einmaliger Wertewandel von Bindung, und Gruppenzugehörigkeit hin zu Autonomie, Eigenverantwor- tung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung

• Freiheitsideal → gegen gesellschaftliche Zwänge und staatlichen Inter- ventionen

• Säkularisierung → Auflösung religiöser und spiritueller Sinnstrukturen

• Fortschrittsparadigma → diesseitiges (kompensatorisches) Heilsverspre- chen, über Rationalität, Forschung und Produktivitätssteigerung paradie- sische Zustände mit unbegrenztem Wissen, uneingeschränktem Wohl- stand, vollkommener Gesundheit und ewigem Frieden erreichen zu kön- nen. Dabei werden die destruktiven Begleiterscheinungen wie z.B. Öko- nomisierung aller Lebensbereiche, globale Ungleichverteilung des Wohl- stands, Ausbeutung der Ressourcen und Klimawandel verleugnet.

Gesellschaftliche Auswirkungen

• Erwartung an das autonome, innengelenkte Individuum, permanent an seiner Selbstoptimierung (lebenslanges Lernen, Flexibilisierung, Mobili- sierung) zu arbeiten. Die Gesellschaft wird zu einem Fitnessraum, in dem die einzelnen Wirtschaftssubjekte lustvoll und gut gelaunt an ihrer inne- ren und äußeren Perfektionierung arbeiten.

• Konkurrenz (am Markt) dient zur Motivierung der Individuen, Effizienz- steigerung und Herstellen von materieller Verteilungsgerechtigkeit

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• Übernahme uneingeschränkter Eigenverantwortung (auch für persönli- che Risiken) mit Entbindung der Gesellschaft von Solidaritätspflichten (Legitimierung von Ungleichheit, Infragestellung des Wohlfahrtsstaates)

• Moralisieren wirtschaftlichen Scheiterns → Nach dem Untergang der so- zialistischen Alternative hat sich das (wirtschafts-)liberale System gege- nüber jeder Kritik immunisiert. Das wirtschaftliche Scheitern des Indivi- duums kann also nicht mehr gesellschaftspolitisch verhandelt werden und wird somit automatisch zur moralischen Verfehlung (Schuld). Der Arme gerät unter Verdacht des „Sozialschmarotzertums“ (Liegen in der sozialen Hängematte, Frönen der spätrömischen Dekadenz, Bildung von Sozialhilfedynastien etc.). Als Ausweg aus der Stigmatisierung bleiben für ihn die Sündenbocksuche (das Fremde, Rassismus, Islamophobie) oder der Nachweis der Krankheit. Doch auch hier gelten zunehmende Ein- schränkungen für diejenigen, die gegen die Fitnessregeln der Gesell- schaft verstoßen haben (z.B. Raucher, Übergewichtige, Risikosportler und Bewegungsfaule etc.).

• Komplexitätserhöhung und Beschleunigung

1. Ausdifferenzierung und Spezialisierung der arbeitsteiligen Gesell- schaft (Zunahme der Unübersichtlichkeit)

2. Werte- und Perspektivenpluralismus → Die (postmoderne) Infra- gestellung des Wahrheitsbegriffs mit kontextabhängiger Relativie- rung von Orientierung bietenden Regeln und Werten erzeugt Hal- tungen von Ambivalenz und Verunsicherung

3. digitale Informationstechnologie und mediale Omnipräsenz führt zu aufwendigen Selektionserfordernissen zwischen wertvoller In- formation und redundantem Datenmüll (Zunahme der Aufmerk- samkeitsstörungen).

• Delegitimierung und Auflösung traditioneller Strukturen (Autoritäten) wie z.B. Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, patriarchale Familie → Be- freiung von Repressionen geht einher mit dem strukturbezogenen (insti- tutionellen) Verlust von Sinnstiftung, Orientierungs- und Sicherheits- vermittlung

• Veränderung der Geschlechterrollen

1. Mehrfachbelastung der Frauen durch Eintritt in die Erwerbstätig- keit

2. Schrumpfung des privaten Raumes, in dem die Kinder erzogen werden (weniger Zeit für das entspannte emotionale Signalisieren im Rahmen der Eltern-Kind-Interaktionen)

3. Rollenkonfusionen (Asynchronizität der Veränderung des Ge- schlechterrollenbewusstsein zwischen Männern und Frauen)

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• Entstehung neuer, teilweise instabiler und überlasteter Familienformen (demokratische Familie, Patchwork-Familie, Einelternfamilie etc.)

• Hohe Trennungs- und Scheidungsrate: → Armut, Verlust väterlicher Vor- bildfunktion, Loyalitätskonflikte der Kinder in „Rosenkriegen“ (bis zum Parental-Alienation-Syndrom)

Folgen der Modernisierung

Polarisierung der Gesellschaft in

• Gewinner → reife, ich-starke Erwachsene mit guter Selbststeuerung (ho- her Frustrationstoleranz), Fähigkeit zu Anpassung und Rollenwechsel oh- ne Identitätsunsicherheit, hoher sozialer Kompetenz, hohem Bildungsni- veau, die den durch die Freiheit eröffneten Möglichkeitsraum im Sinne der kreativen Potentialentfaltung nutzen können.

• Verlierer: überforderte Menschen mit Angst und regressiven Tendenzen:

1. Abhängigkeit von Alkohol, Drogen, Partnern (auch bei destruktiven Beziehungsmustern), Führern (politischen, spirituellen etc.) und von den eigenen Kindern

2. Vermeidung: Kontaktabbruch zur Außenwelt und Flucht in die vir- tuelle Welt des Internet (projektive Beziehungen im Chatroom oder Ego-Shooter-Spiele wie z.B. World of Warcraft)

Veränderung der Eltern-Kind-Beziehung im Sinne einer Auflösung der Generationsgrenzen

1. Kinder als gleichberechtigte Partner

 „Abschaffung der Kindheit“ durch frühe Übertragung des Autonomie- ideals auf Kinder als verstandesgesteuerte kleine Erwachsene

 Verzicht auf (hierarchische) Anleitung und Begrenzung (Erklärung statt Wiederholung z.B. Einüben von Regeln bei Körperhygiene, Abläufen im Haushalt, Schularbeiten, Schlafrhythmus etc.)

 Verzicht auf Spiegelung und Schutz (ausbleibende Reaktion auf kindli- ches Verhalten)

 Grenzenloser und unkontrollierter Zugang zu den Medien (Gewalt, Por- nografie)

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2. Funktionalisierung der Kinder

 Kinder als Repräsentanten der Eltern nach außen (narzisstische Bedeu- tung) → unkritischer Schutz vor (schulischen) Anforderungen (Verwöh- nung, Frustrationsintoleranz)

 Sinnstiftung (Delegation von Lebenszielen)

 Parentifizierung: Kinder als Berater, Tröster, Helfer bei der Alltagsbewäl- tigung, Schützer, Zuwendungslieferant etc.

 Kinder als Repräsentanten der Eltern nach außen (narzisstische Bedeu- tung) → unkritischer Schutz vor (schulischen) Anforderungen (Verwöh- nung, Frustrationsintoleranz)

 Sinnstiftung (Delegation von Lebenszielen)

 Parentifizierung: Kinder als Berater, Tröster, Helfer bei der Alltagsbewäl- tigung, Schützer, Zuwendungslieferant etc.

3. Geschwisterrivalität (traumatisierte Eltern, Kindeswohlgefährdung))

 Überforderungserleben „triggert“ bei Eltern traumatisierte kindliche An- teile mit intensiven Gefühlen von Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Neid gegenüber den Kindern

 Inkonsistentes Erziehungsverhalten in Abhängigkeit vom aktivierten Identitätsanteil

 Bindungsverhalten (Bedürftigkeit) des (bedrohlich erlebten) Kindes wird als böswillige Anspruchshaltung wahrgenommen (Kampf mit „kleinem Monster“ um Kontrolle) mit der Gefahr der Sündenbockrolle (Gleichset- zung mit „Täter“ in der Vorgeschichte)

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Übertragungsmodi der psychischen Erkrankungen

• Genetische Disposition (Schizophrenie, manisch-depressive Erkrankung, Sucht)

• Störung der Bindungsentwicklung des Kindes mit einer Hemmung der Hirnreifung durch Interaktionsstörung mit Eltern und/oder Traumatisie- rung (Angststörungen, Depressionen, Psychosomatosen, Persönlichkeits- störungen, Suchterkrankung)

Folgen des multifaktoriell übertragenen Strukturdefizits

• Vulnerabilität (Verletzlichkeit) gegenüber psychosozialem Stress (Über- forderung in einem zunehmend unsicheren, destrukturierenden gesell- schaftlichem Ambiente) →

• Hoher Angstpegel (Misstrauen, Schamgefühle, Hilflosigkeit) als Indikator der Strukturschwäche und Mediator der psychischen Dekompensation (nach Trigger) →

• Regression auf archaische Wahrnehmungs-Handlungsreflexe (Kontroll- verlust, Impulsivität): Angriff (Kampf) – Flucht (Vermeidung) – Erstarrung (Dissoziation) →

• Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit (Einschränkung von Feinfühlig- keit, Responsivität und Regulationsfähigkeit) → Kind verharrt in negati- ven dysfunktionalen Zuständen

• Symptomentwicklung: Störung der Realitätswahrnehmung (Wahn, Hallu- zination, Dissoziation, Delir, Rauschzustände etc.), Selbstverletzendes Verhalten, affektive Syndrome etc.

Identitätswechsel:

Schizophrenie, manisch-depressive Erkrankung: symptomfreie Intervalle, akute Phasen, postremissive Phasen, Chronifizierungen

Traumatisierung: angepasster Erwachsenenanteil, traumatisierte Anteile

• Krisenhafte Zuspitzung des Abhängigkeit (Bindung, Zugehörigkeit, Kollek- tiv) – Autonomie (Selbstbestimmung, Individuation) - Konfliktes

• Vermeidungsverhalten (Flucht, Verleugnung, Substanzmissbrauch, exzes- sive Internetnutzung, Ärzte-Institutionshopping etc.)

©Hipp

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