DIPLOMARBEIT
Master Thesis
Modellierung von Felsstürzen auf Schneeuntergrund mittels des DAN Codes
Modeling of rock‐snow avalanches using DAN
ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades eines Diplom‐Ingenieurs
unter der Leitung von
Univ.Prof. Dipl.‐Ing. Dr.techn. Rainer Poisel
E220 Institut für Geotechnik, Forschungsbereich Ingenieurgeologie und
Ass.Prof. Dipl.‐Ing. Dr.techn. Alexander Preh
E220 Institut für Geotechnik, Forschungsbereich Ingenieurgeologie
eingereicht an der Technischen Universität Wien Fakultät für Bauingenieurwesen
von
Michael Ixenmaier 0626170
3384 Groß Sierning, Fliedergasse 11
Wien, im Jänner 2014
http://www.ub.tuwien.ac.at
The approved original version of this diploma or master thesis is available at the main library of the Vienna University of Technology.
http://www.ub.tuwien.ac.at/eng
Danksagung
Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen Personen bedanken, die mir die Erstellung dieser Arbeit möglich gemacht haben.
Ganz herzlich möchte ich mich bei Ass.Prof. Dipl.‐Ing. Dr.Techn. Alexander Preh bedanken, durch die ausgezeichnete Betreuung und wertvollen Anregungen hat er die Entstehung dieser Arbeit ermöglicht. Ungeachtet der großen Entfernung und der damit verbundenen Zeitdifferenz hat er sich stets für mich Zeit genommen. Ein großer Dank gebührt Univ.Prof. Dipl.‐Ing. Dr.techn. Rainer Poisel, der die Arbeit überwachte und durch fachliche Unterstützung maßgebend zur Qualität beigetragen hat.
Ich bedanke mich bei meiner Familie für die moralische Unterstützung während der gesamten Studiendauer. Ein besonderer Dank gilt dabei meiner Mutter, die mir in den letzten Jahren sehr viel Last von den Schultern nahm und mit dem steten Glauben an mich ideale Voraussetzungen für den erfolgreichen Abschluss meines Studiums geschaffen hat.
Meinen Freunden danke ich dafür, dass sie mir im Laufe der Studienzeit stets zur Seite gestanden sind und auch in schwierigen Zeiten immer für mich da waren.
Ein spezieller Dank geht an Stefanie und meinen Bruder Stefan, die meine Diplomarbeit korrekturgelesen haben.
Zu guter Letzt bedanke ich mich bei meinem vierbeinigen Freund Maxi, der während der Erstellung dieser Arbeit viele Stunden an meiner Seite verbrachte und über mich wachte.
Kurzfassung
Fels‐, Bergstürze und Muren gehören aufgrund ihrer hohen Prozessgeschwindigkeit zu den gefährlichsten Naturgefahren im alpinen Raum. Prognosen über die Auslauflänge und die Ablagerung dieser schnellen Massenbewegungen können dazu beitragen, die Gefährdung von Mensch und Umwelt zu erkennen und folglich geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zur Analyse des Prozesses schneller Massenbewegungen werden im Allgemeinen numerische Modelle eingesetzt. Die dafür erforderlichen Modellparameter werden durch Rückrechnung möglichst vieler Ereignisse ermittelt und entsprechend der herrschenden Randbedingung (trockene Verhältnisse, Beteiligung von Eis und Schnee, etc.) zusammengefasst.
Diese Arbeit analysiert, ob der kontinuumsmechanische, dynamische DAN3D Code Fels‐
und Bergstürzen auf Schneeuntergrund simulieren kann. Dazu wurden zwei Fallbeispiele mit Schneeuntergrund unterschiedlicher Mächtigkeit eingehend analysiert. Das erste ereignete sich im Jahr 2005 im Stelzistobel (Vorarlberg), das zweite im Jahr 2012 im Alpltal (Tirol). Das Programm DAN3D kann den Sturzprozess von granularem Material über ein komplexes Gelände modellieren und berücksichtigt dabei die innere Festigkeit, die Materialmitnahme entlang des Sturzpfades (Erosion) und mittels verschiedener Rheologien den basalen Reibungswiderstand, wobei damit auch alle geschwindigkeitsproportionalen Widerstände berücksichtigt werden.
Bei einem Fels‐ oder Bergsturz auf Schnee sind zwei unterschiedliche Bewegungsmechanismen denkbar. Zum einen kann die Absturzmasse auf dem Schneeuntergrund gleiten, wodurch der basale Reibungswiderstand deutlich reduziert wird. Zum anderen kann es durch Eingraben der Gesteinsmassen zu einer Vermischung mit dem Schnee kommen. Durch Schmelzen des Schnees zufolge der bei diesen Ereignissen erzeugten Reibungswärme kommt es zu einem Anstieg des Porenwasserdrucks in der Bewegungszone. Dadurch kann sich an der Sohle der bewegten Masse eine verflüssigte Schicht bilden, die wiederum die Mobilität erhöht.
Aufbauend auf früheren Untersuchungen des Felssturzes im Alpltal wurden die Berechnungen dieser Arbeit mit den charakteristischen Werten für Felsschneelawinen und unter Berücksichtigung einer Materialmitnahme aus dem Schneeuntergrund mittels DAN3D fortgesetzt. Um die beste Übereinstimmung mit der beobachteten Auslauflänge und der Geschwindigkeitsverteilung zu erzielen, war es notwendig, den mobilisierten Schnee in die Massenberechnung einfließen zu lassen, wenn der Schneeuntergrund ausreichend dick und kompakt war.
Die beiden untersuchten Fallbeispiele zeigen, dass das Programm DAN3D bei Verwendung der Voellmy‐Rheologie in der Lage ist, Felsstürze auf Schneeuntergrund zu
modellieren.
Abstract
Rock avalanches and debris flows are due to their high process velocities among the most dangerous natural hazards in the Alpine area. Predictions of runout and deposition of these rapid mass movements can help to recognize the risk for people and the environment and thus to take appropriate countermeasures. Numerical models are used in general for the analysis of the process of rapid mass movements. The model parameters required are determined by the back‐calculation of as many events as possible and are classified according to the prevailing boundary conditions (dry conditions, participation of snow, etc.).
This thesis analyzes the ability of the continuum‐mechanic, dynamic DAN3D model for the simulation of rock avalanches on snowy terrain. For that purpose, two case studies were analyzed in detail. The first case occurred in 2005 in Stelzistobel (Vorarlberg), whereas the second event occurred in Alpltal (Tirol) in 2012. DAN3D models the movements of granular material over complex terrain by taking the internal strength, the material entrainment along the movement path and the basal friction resistance along the path by different rheologies into account.
Two different motion mechanisms are conceivable for a rock avalanche on snowy terrain.
On the one hand the moving mass can slide over the snow, whereby the basal frictional resistance is significantly reduced and on the other hand entrainment of snow by the moving masses may occur. Melting of the snow due to frictional heat will lead to an increase in pore water pressure in the shear zone. Thus a liquefied basal layer at the base of the mass, enhancing the mobility can be formed.
Based on earlier investigations of the rockfall in Alpltal, calculations using DAN, including the characteristic values of rock‐ice avalanches and by taking the entrainment of material (i.e. of the snow surface) into account, have been performed. In case the snow cover was enough thick and compact, it was necessary to include the mobilized snow into the calculations in order to achieve the highest level of conformity with the observed runout and velocity distribution.
The two examined case studies show that the program DAN3D is able to model rock‐snow avalanches, if the Voellmy‐rheology is applied.
1 Einleitung ... 1
2 Arten von schnellen Massenbewegungen ... 3
2.1 Übersicht ... 3
2.2 Massenbewegungen mit Fließverhalten ... 5
2.2.1 Trockener (oder nicht verflüssigter) Strom ... 5
2.2.2 Hangmure ... 5
2.2.3 Mure (Murgang) ... 6
2.2.4 Schlammstrom ... 7
2.2.5 Hochwasser mit fluviatilen Feststofftransport ... 7
2.2.6 Erdstrom ... 8
2.2.7 Torfstrom ... 9
2.2.8 Schutt Lawine ... 9
2.2.9 Fels‐ und Bergsturz ... 9
2.3 Klassifizierung aufgrund von Rückrechnungen ... 11
3 Dynamische Run‐Out Modelle ... 13
3.1 Übersicht ... 13
3.2 Empirische Methoden ... 13
3.3 Analytische Methoden ... 14
3.4 Numerische Methoden ... 15
4 Der DAN‐Code ... 19
4.1 Das numerische Modell ... 19
4.1.1 Flüssigkeitsäquivalenter Ansatz... 20
4.1.2 Strömungsmechanik als Grundlage für die Steuerung des Sturzprozesses .. 20
4.1.3 Diskretisierung der Masse ... 27
4.1.4 Der Druckterm, P ... 29
4.1.5 Materialrheologien für den basalen Scherwiderstand, T ... 30
4.1.6 Berücksichtigung der Erosion ... 32
4.1.7 Glättung der Geschwindigkeit ... 34
4.2 DAN3D ... 35
4.2.1 Einleitung ... 35
4.2.4 Ausgabe ... 42
5 Fallbeispiel Stelzistobel ... 44
5.1 Einleitung ... 44
5.2 Geologische und strukturgeologische Verhältnisse ... 45
5.3 Analyse ... 47
5.3.1 Zur Verfügung stehende Daten ... 47
5.3.2 Untersuchungen zur Wahl der Rheologien/Systemparametern ... 51
5.3.3 Untersuchungen zum Einfluss der Materialmitnahme (Erosion) ... 52
5.4 DAN3D Ergebnisse ... 53
5.4.1 Der Sturzpfad ... 53
5.4.2 Sturzweite (runout) und Ablagerungen ... 54
Bewertung des Einflusses der Materialmitnahme (Erosion) ... 59
5.5 DAN2D Ergebnisse ... 63
5.6 Schlussfolgerung ... 64
6 Fallbeispiel Alpltal ... 67
6.1 Einleitung ... 67
6.2 Geologische und strukturgeologische Verhältnisse ... 69
6.3 Analyse ... 70
6.3.1 Zur Verfügung stehende Daten ... 70
6.3.2 Untersuchungen von A. Preh und J.T. Sausgruber (2013, 2014) ... 71
6.3.3 Untersuchungen zum Einfluss der Materialmitnahme (Erosion) ... 73
6.4 Ergebnisse ... 76
6.4.1 Interpretation der Ergebnisse von A. Preh und J.T. Sausgruber (2014) ... 76
6.4.2 Bewertung der Auslauflängen der verschiedenen Berechnungsvarianten .. 76
6.4.3 Bewertung der Geschwindigkeiten mit und ohne Erosion ... 81
6.5 Schlussfolgerung ... 87
7 Zusammenfassung ... 89
Literaturverzeichnis ... 92
Abbildungsverzeichnis ... 97
Tabellenverzeichnis ... 101
1 Einleitung
Schnelle Massenbewegungen treten regelmäßig auf und stellen eine ständige Bedrohung für Mensch und Umwelt in gefährdeten Gebieten dar. Unterscheidungsmerkmale von Massenbewegungen sind unter anderem deren Materialzusammensetzung sowie deren Bewegungsmechanismus. Durch Klassifizierungen lassen sich bestimmte Charakteristiken von Prozessen bündeln und erleichtern damit Versagensvorhersagen. Eine genaue Einteilung der Typen von Massenbewegungen erweist sich jedoch oft aufgrund ähnlicher Merkmale als schwierig.
Um potentielle Gefahrenzonen besser abgrenzen und die Dynamik von geomorphologischen Vorgängen besser einschätzen zu können, wird immer hochwertigere Software auf Basis numerischer Modellierungen entwickelt. Numerische Methoden zur Untersuchung von Massenbewegungen beruhen entweder auf der Kontinuumsmechanik bzw. der Diskontinuumsmechanik. Diese beiden Ansätze dienen der mechanischen Formulierung. Bei beiden Methoden wird die bewegte Masse durch ein Ersatzmaterial angenähert. In der Diskontinuumsmechanik besteht die bewegte Masse aus einzelnen Partikeln, während sie in der Kontinuumsmechanik als zusammenhängend angenommen wird. Im Zuge dieser Arbeit wird das dynamische kontinuumsmechanische DAN3D Programm (McDougall, 2006) für die Berechnungen verwendet. Das Programm ist eine dreidimensionale Erweiterung der Software DAN (Hungr, 1995) und ist ein verbreitetes, häufig angewendetes Modell, das die Anwendung verschiedenster Rheologien ermöglicht, und auch deren Variation entlang des Fließpfades erlaubt. DAN3D basiert auf einem flüssigkeitsäquivalenten Ansatz bei dem die Sturzmasse als viskose Flüssigkeit betrachtet wird. Darunter fällt auch die Simulation von Felsmassenstürzen (z.B.
Poisel & Roth, 2004). Das Programm kann diese Massenstürze mittels Geländemodellen und geotechnischen Parametern annähernd genau erfassen und ihre Reichweite bestimmen.
Fels‐ und Bergstürze auf Altschnee oder glaziales Eis treten dabei in den letzten Jahrzehnten zunehmend in alpinen Gebieten auf (z.B. Schober et al. 2012). Diese Ereignisse sind von langen Auslauflängen und hohen Absturzgeschwindigkeiten geprägt und gefährden auch Tourismusregionen. Oftmals stehen diese Massenstürze im Zusammenhang mit auftauenden Permafrost aufgrund des Klimawandels (Deline et al.
2011, Gruber und Haeberli 2007).
Die vorliegende Arbeit untersucht ein Fallbeispiel aus dem Stelzistobel (2005) sowie ein Fallbeispiel aus dem Alpltal (2012). Dabei unterscheiden sich vor allem die Massen des Altschnees die von den Absturzmassen überfahren wurden. Durch Sensibilitätsanalysen werden für beide Beispiele DAN3D Modellparameter rückgerechnet. Diese Parameter sollen die Zusammenhänge zu wichtigen Werten des Ereignisses, wie die Auslauflänge, erklären. Für das Fallbeispiel des Alpltals stehen bereits rückgerechnete DAN3D
Ergebnisse von A. Preh und J.T. Sausgruber (2014) zur Verfügung. Diese Arbeit berücksichtig zusätzlich in den Berechnungen die Schneemassen bei der Materialmitnahme (Erosion), um deren Einfluss auf den Prozess zu untersuchen und exaktere Übereinstimmungen erzielen zu können.
Die Prozessanalyse soll zeigen, dass das relativ einfache numerische Run‐Out Modell von DAN3D in der Lage ist Vorhersagen hinsichtlich der Auslauflänge und der Ausbreitung von Ereignissen unter ähnlichen Umständen zu treffen.
2 Arten von schnellen Massenbewegungen
2.1
Übersicht
Auf der Grundlage der weit verbreitenden Klassifizierungen von Varnes (1978) und Hutchinson (1988) haben sich bestimmte Bezeichnungen für Massenbewegungen in der Sprache der Ingenieurgeologie verwurzelt. Nichtsdestotrotz kommt es in der Fachliteratur immer wieder zu inkonsistenter Terminologie und mehrdeutigen Definitionen für die verschiedenen Typen von Massenbewegungen. Die Klassifizierung in diesem Kapitel beruht auf Veröffentlichungen von Hungr und Evans (2001), sowie Hungr et al. (2013). Ihr Ziel ist es, Massenbewegungen in eine kleine Zahl von Klassen zu teilen, welche bestehende Konzepte bewahren, und gleichzeitig die wichtigsten Attribute hervorheben.
Einige der bestehenden Bezeichnungen wurden dabei von Hungr übernommen, während verbesserte Definitionen die Übersetzung zwischen den Systemen erleichtern.
Grundlegend kann eine Klassifizierung von Massenbewegungen nach folgenden Kriterien durchgeführt werden:
Bewegungsmechanismen
Materialzusammensetzung
Geschwindigkeit der Prozesse
So zeigt Tabelle 1 eine Klassifizierung aufgrund von Geschwindigkeitsklassen nach Cruden und Varnes (1996).
Tabelle 1: Geschwindigkeitsskala von Massenbewegungen (nach WP/WLI, 1995 und Cruden
&Varnes, 1996)
Tabelle 2 zeigt eine Zusammenfassung der von Hungr (2013) vorgeschlagenen neuen Version der Varnes Klassifikation. Die hauptsächliche Einteilung erfolgt hier nach der Art des Bewegungsmechanismus, sowie der Unterscheidung vom Ausgangsmaterial Fest‐
oder Lockergestein.
Tabelle 2: Klassifikation von Massenbewegungen (nach Hungr, 2013)
Die mit einem * gekennzeichneten Bewegungsarten erreichen nach der Definition von Cruden und Varnes (1996) extrem schnelle Geschwindigkeiten (siehe Tabelle 1). Alle anderen Prozesse verlaufen für gewöhnlich extrem langsam bis sehr schnell.
Im Weiteren wird im Zuge dieser Arbeit nur auf die Bewegungsarten näher eingegangen, welche ein Fließverhalten (Flow Type) aufweisen. Diese Einschränkung wird durchgeführt, da das Programm DAN3D für die Modellierung dieser Arten von Massenbewegungen spezialisiert ist.
2.2
Massenbewegungen mit Fließverhalten
2.2.1 Trockener (oder nicht verflüssigter) Strom [Dry (or non‐liquefied) sand, silt, gravel or debris flow]
Hier handelt es sich um eine langsam oder schnell ablaufende fließähnliche Massenbewegung. Die Substanz besteht dabei aus losem trockenen oder feuchten, sortierten oder unsortierten granularem Material, ohne überschüssigen Porenwasserdruck. Das Material des Stroms kann aus Sand, Schluff, Kies oder Schutt bestehen. Trockenes granulares Material tendiert bei einem Reibungswinkel welcher knapp unter dem natürlichen Böschungswinkel liegt, zu seichtem Gleiten auf ebenen hangparallelen Flächen. Die Bewegung von trockenem granularem Material wird aufgrund der hangparallelen Scherbänder (Gleitflächen) fließähnlich (laminares Fließen).
Durch das Fehlen von Porenwasserdruckänderungen tendiert die Bewegung langsam abzulaufen, da die Differenz zwischen dem Scherwiderstand und der Beanspruchung klein ist und der potentielle Energieverlust weitgehend durch die Reibungsarbeit kompensiert wird. Beispiele für diesen geomorphologischen Prozess sind Sandrutschungen auf der Leeseite von Sanddünen oder auch Rutschungen im Hangschutt.
2.2.2 Hangmure
[Sand, silt, debris flowslide]
Sehr schnelle bis extrem schnelle Fließbewegung von sortierten oder unsortierten, gesättigten granularem Material auf mäßig steilen Gefällen. Dabei tritt ein Porenwasserdrucküberschuss oder eine Verflüssigung des Materials der Massenbewegung auf. Das Material reicht dabei von losem Sand zu losem Schutt, Löss und Schluff. Das Ereignis kann auch unter Wasser stattfinden. Lose gesättigte granulare Böden können sich vollständig oder teilweise beim Beginn des Prozesses oder danach verflüssigen. Die interne Struktur der Masse kollabiert, wenn ein signifikanter Anteil des Materials einen Feuchtigkeitsgehalt über dem Feuchtigkeitslimit besitzt. Nach einer anfänglichen Deformation oder als Resultat eines Erdbebens kollabiert die metastabile Struktur und das Material verflüssigt sich mit einer dramatischen Reduktion der Festigkeit. Der Porenwasserdruck in der verflüssigten Zone steigt ungefähr bis zum Wert der totalen Spannung. Daraus resultiert ein sehr kleiner Wert der effektiven Spannung (Bishop, 1973). Hangmuren mit nicht plastischem Material können voll gesättigt sein, mit einer Verflüssigung über die gesamte Stärke der Masse. Hangmuren aus Schluff oder Löss können weitgehend ungesättigt sein, wobei hier die Verflüssigung in einer dünnen gesättigten basalen Schicht auftritt. In diesem Fall ist der detaillierte Mechanismus der Massenbewegung von verflüssigten granularen Hangmuren oft schwer mittels Oberflächenbeobachtungen zu quantifizieren, da die verflüssigten Zonen mit trockenerem Material überlagert sind. Verflüssigung kann auch bei anderen Typen von Massenbewegungen, wie bei Schutt Murgängen, Schutt Lawinen und Bergstürzen eine
Rolle spielen, jedoch nicht spontan am Beginn des Prozesses, aber während der Bewegung entlang des Pfades (Sassa, 1985).
2.2.3 Mure (Murgang) [Debris flow]
Sehr schneller bis extrem schneller Fluss von Feststoff‐Wassergemischen (Feststoff zu Wasser etwa 1:1) in einer steilen Rinne. Geprägt ist das Ereignis von starker Erosion entlang des Fließpfads. Diese Art der Massenbewegung ist in gebirgigen Gebieten ein weit verbreitetes gefährliches Phänomen. Der Murgang tritt oft periodisch, in bereits ausgebildeten Pfaden auf, üblicherweise in Schluchten und Entwässerungsrinnen.
Murgänge treten oft simultan mit intensiven Regenereignissen auf. Der Auslöser (Trigger) kann eine Gleitung, eine Schutt Lawine, ein Felssturz über einen steilen Abhang, oder eine spontane Instabilität einer steilen Bachsohle sein. Beginnt sich das Material in einer steilen Rinne zu bewegen, wird der anstehende talwärts liegende gesättigte Boden überfahren bzw. komprimiert. Durch diese schnelle Belastung steigt der Porenwasserdruck sprunghaft an, der Boden kann nicht drainieren und verflüssigt sich.
Dieser Vorgang geschieht oft sehr rasch und entwickelt sich zu einem zyklischen Prozess, sodass er als Stoßbelastung charakterisiert werden kann (Sassa, 1985). Unter solchen Bedingungen kann sich sogar grobblockiges Material verflüssigen (flüssigkeitsähnliches Verhalten), oder zumindest eine signifikante Erhöhung des Porenwasserdrucks erfahren.
Das Sohlmaterial wird dadurch in wachsendem Ausmaß erodiert. Mit dem Anstieg der Erosion wird der steile Abhang mehr und mehr untergraben und weiteres Bodenmaterial dem Fluss hinzugefügt. So kommt es, dass der Großteil der beim Murgang beteiligten Masse, normalerweise von der Erosion des Pfades stammt und das Ausgangsvolumen nicht relevant ist. Das Ausmaß der Massenbewegung ist primär von der Charakteristik der Rinne abhängig und kann mit empirischen Mitteln abgeschätzt werden (Hungr, 2005).
Murgänge können aus einem Schwall, oder mehreren, bestehen. Die Schwalle von Schutt Murgängen bilden steile Fronten und ihre Spitzenausstöße (m³/s) bauschen sich dadurch auf (Hungr, 2010). Der hohe Ausstoß ist verantwortlich für die große Tiefe des Fließereignisses, der hohen Stoßbelastungen und der Fähigkeit große Felsbrocken zu transportieren. Die Anhäufung der Gesteinsbrocken an der Front des Ereignisses lagert sich schnell in Form von Deichen ab, während sich das feinere Material weiter hangabwärts bewegt. Auf diese Weise können sich eventuell sogar Schwalle von voll entwickelten Schutt Murgängen in Schwalle von Schutt Fluten verwandeln.
Zusammenfassend sollte die Definition eines Schutt Murgangs (aber auch eines Schlammstroms) laut Hungr (2013) zwei Kriterien enthalten:
1. Der Spitzenausstoß eines Schwalls (m³/s) eines Murgangs ist dreimal größer als der einer Überschwemmung
2. Die Konzentration des Feststoffvolumens ist zu mehr als 60 Prozent an der Spitze des Schwalls
2.2.4 Schlammstrom [Mud flow]
Sehr schnelle bis extrem schnelle schwallende Fließbewegung von gesättigten, plastischen Boden in einer steilen Rinne. Durch die starke Erosion von Material und Wasser auf dem Fließpfad, ist der Wassergehalt der bewegten Masse signifikant höher als der des Ausgangsmaterials. Ein Schlammstrom besitzt einen Plastizitätsindex größer 5%.
Die Grenze zwischen einem Schutt Murgang und einem Schlammstrom ist nicht eindeutig deklariert. Es wird vorgeschlagen, den Plastizitätsindex des Materials als entscheidenden Parameter heranzuziehen. Schutt Murgänge transportieren primär gröberes, granulares Material, welches nur einen kleinen Anteil an Schluff und Ton enthält. In Regionen mit sedimentären, vulkanischem oder metamorphem Gestein und starker Verwitterung, kann das Material einen signifikanten Feingehalt und messbare Plastizität enthalten (Bull, 1964). Charakteristisch für diesen Fließtyp ist, dass er langsamer als ein Murgang abläuft aber dafür länger in einem flüssigen Zustand verharrt. Der Neigungswinkel im Ablagerungsbereich ist niedriger. Schlammströme treten vor allem bei Vulkanen unter stratosphärischen Bedingungen auf, da dort feinkörnige Ablagerungen von pyroklastischem Material und Asche vorherrschen. Die erforderliche Menge von Wasser, die für die Erzeugung des Stroms erforderlich ist, kann von starkem Niederschlag, oder von einer Eis‐ bzw. Schneeschmelze durch vulkanische Hitze stammen. Einer der katastrophalsten Schlammströme der jüngsten Zeit ereignete sich im November 1985, am 5389 m hohen Nevado del Ruiz in Kolumbien. Auslöser war eine kleine Eruption, welche die Eiskappe des Gipfels zum Schmelzen brachte. Das Ereignis zerstörte die Stadt Armero und forderte 23.000 Todesopfer (Pierson, 1990).
2.2.5 Hochwasser mit fluviatilen Feststofftransport [Debris flood]
Sehr schneller Fluss von Wasser, stark beladen mit Schutt, in einer steilen Rinne. Der Spitzenausstoß (m³/s) ist vergleichbar mit dem einer Überschwemmung mit Wasser. Die Sohle der Rinne kann dabei massiv durch Erosion ausgewaschen werden. Dieser Sedimenttransport kann Transportraten weit über dem von normalen Geschiebebewegungen bei Rollbewegungen oder Saltation erreichen. Auch wenn eine große Menge von Sedimenten transportiert wird, verharrt der Spitzenausstoß ungefähr in der gleichen Größenordnung wie bei einer Überschwemmung mit Wasser (Costa, 1984).
Im Gegensatz zu Murgängen entwickeln Schutt Fluten nicht so hohe Aufprallkräfte und die potentielle Beschädigung von Bauwerken und Anlagen ist begrenzt. Während die Ableitung eines Murgangs in einer steilen Rinne auf wenige Quadratkilometer beschränkt ist, können Schutt Fluten in größeren Einzugsgebieten auftreten. Aufgrund der Verschleppung des Wassers erstreckt sich die Ablagerung der Flut weiter hangabwärts als bei einem Murgang und die Ablagerung erfolgt auf einer niedrigeren Hangneigung. Diese Neigung beträgt oft weniger als 5°. Die Unterscheidung zwischen einem Flut‐ und einem
Murgang‐Schwall ist von großer praktischer Bedeutung, aufgrund ihres unterschiedlichen Zerstörungspotentials. Aber auch beim Entwurf von schützenden Maßnahmen müssen unterschiedliche Strategien angewendet werden.
2.2.6 Erdstrom [Earth flow]
Schnelle oder langsame, intermittierende fließähnliche Massenbewegung von plastischem, tonhaltigem Boden. Es tritt eine Kombination von Gleiten auf mehreren diskreten Scherflächen und von internen Scherverformungen auf. Längere Perioden von Stillstand wechseln sich mit dem Auftreten von schnelleren Phasen ab. Erdströme treten in plastischen und gemischten Böden auf, deren Konsistenz Nahe an der Ausrollgrenze zwischen halbfest und plastisch, liegen (Keefer und Johnson, 1983). Materialien mit diesen Eigenschaften verformen sich leicht, verlieren jedoch während der Deformation nicht ihre Festigkeit. Dadurch bewegen sich Erdströme eher langsam und treten intermittierend auf. Die schnellste Spitzengeschwindigkeit eines Erdstoms liegt laut Hutchinson (1974) bei 0,13 m/s. Für gewöhnlich werden jedoch die Geschwindigkeiten bei dieser Form der Massenbewegung in Meter pro Stunde, während einer Beschleunigungsphase und ansonsten in Meter pro Jahr beobachtet (Bovis, 1985). Der intermittierende Charakter der Bewegung tritt vor allem in Regionen mit aridem Klima auf. Die Erdströme treten dabei auf Hängen mit Neigungswinkeln mit weniger als 12° auf und variieren in ihrer Länge zwischen einigen Dutzend Metern bis zu mehreren Kilometern (Varnes und Savage, 1996). Die Bewegung startet mit einer Rotationsgleitung oder Gleitung durch eine temporäre Erhöhung des Porenwasserdrucks. Das Material verbleibt zunächst in einem plastischen Zustand (Flüssigkeitsindex < 0,5). Beim Versagen von mehreren Scherflächen erhalten diese eine fließähnliche Morphologie. Wenn sich dieses Material talwärts bewegt, wird der stabile Untergrund streckenweise überschoben bzw. komprimiert. In diesem Bereich steigt wiederum der Porenwasserdruck infolge der Auflast an und die Bewegung setzt sich fort. In dieser Weise entsteht ein zyklischer Prozess (Hutchinson und Bhandari, 1971). Die fließähnlichen Bewegungen variieren jedoch auch in ihrer Kinematik. Während ruhigen Phasen der Bewegung kann sich die Bewegung nur auf die hauptsächliche Scherzone beschränken, analog zu einem translatorischen Gleiten. Beim Auftreten einer Beschleunigungsphase entwickeln sich hingegen zahlreiche Scherverformungen in der plastischen Masse. Die Gefahrenbeurteilung über Gebiete in denen Erdströme vorkommen, beruht auf der Vorhersage von der Wahrscheinlichkeit einer Reaktivierung des zyklischen Prozesses und der Abschätzung von den auftretenden Geschwindigkeiten, da diese von sehr langsam bis schnell reichen können.
2.2.7 Torfstrom [Peat flow]
Schnelle Fließbewegung von verflüssigtem Torf, aufgrund eines undrainierten Versagens.
Torf ist ein leichtes, organisches Material mit variierendem Grad an faseriger Textur.
Durch die organischen Fasern und den mineralischen Körnern hat Torf einen hohen drainierten Reibungswinkel, oft größer als 30°. Ein hoher Wassergehalt und die extreme Kompressibilität macht das Material anfällig auf einen dramatischen Festigkeitsverlust während undrainierter Belastung. Wenn eine Massenbewegung startet und dabei Torfschichten komprimiert werden, tritt ein extremer Verlust der Festigkeit auf und das Material beginnt zu fließen.
2.2.8 Schutt Lawine [Debris avalanche]
Sehr schnelle bis extrem schnelle oberflächige Massenbewegung von zum Teil bis voll gesättigtem Schutt. Dieser Prozess kommt auf steilen Hängen vor und ist nicht auf bestehende Rinnen beschränkt. Im Vergleich zu einem Schutt Murgang ist eine Schutt Lawine ein einzelnes Ereignis, das überall auf steilen Hängen auftreten kann. In vielen Fällen tritt zunächst eine Schutt Lawine in einer Rinne auf und wird durch die Destabilisierung und Erosion der Rinne zu einem Schutt Murgang. Schutt Lawinen starten als Gleitprozess. Die Ablösemasse einer Schutt Lawine kann auch verflüssigbares Material enthalten (Picarelli, 2008). In einem Steilhang kann der Verlust der Kohäsion, spontane Verflüssigung und undrainierte Belastung simultan während einer Massenbewegung auftreten. Daher ist es in manchen Fällen schwierig eine Unterscheidung zwischen Schutt Lawine und Schutt Hangmure zu treffen. Es wird vorgeschlagen den Begriff Hangmure nur für Ereignisse zu nutzen, bei denen der dominante Mechanismus beim Versagen eine spontane Verflüssigung, oder eine Verflüssigung durch Erdbeben ist. Durch starke Erosion entlang des Sturzpfades können auch kleinere Volumen einer Ablösemasse zu vielen tausenden Kubikmetern anwachsen. Eine qualitative Vorhersage über das Ausmaß einer Schutt Lawine erfordert die Abschätzung der Dicke der erodierbaren Schicht und eine Abschätzung der von der Lawine überstrichenen Fläche. Eine Schutt Lawine kann extrem hohe Geschwindigkeiten erreichen. Selbst ein stark bewaldeter Hang wurde im Jahre 2011 in Seoul, Südkorea, von einer Lawine mit mehr als 20 m/s überfahren.
2.2.9 Fels‐ und Bergsturz [(Ice), Rock avalanche]
Für diese Art von Massenbewegung wird im deutschen Sprachraum oftmals der Begriff Felsmassensturz (Poisel & Roth, 2004) verwendet, der sowohl Fels‐ als auch Bergstürze umfasst. Diese allgemeine Bezeichnung soll für rasch ablaufende, massive, fließähnliche Bewegungen von fragmentiertem Gestein verstanden werden. Dabei ist die gegenseitige
Beeinflussung der Partikel beim Sturzprozess wesentlich. Diese Beeinflussung durch die Interaktion zwischen den einzelnen Blöcken wirkt sich auch auf die Ausbreitung und Reichweite bei Felsstürzen kleinerer Masse aus. Dabei bewegt sich nach Heim („Sturzstrom“, 1932) bei dieser Art der Massenbewegung der Großteil der Gesteinsbrocken wie eine halb kohärente Fließmasse. Heim (1932) beschreibt dieses Phänomen folgendermaßen:
„In der stürzenden ungeheuren Trümmermasse verliert jeder Block seine Selbstständigkeit.
… Es entsteht eine einheitliche Summenbewegung, ein gemeinsames Fließen der Masse. … Die Bewegung wird zu einem gemeinsamen, einheitlichen, brausenden, knirschenden und zermahlendem Strömen.“
Im Gegensatz dazu sollte die Bezeichnung Stein‐ oder Blockschlag aufgrund seiner unabhängigen rollenden, fallenden oder springenden Bewegung diskreter, einzelner Gesteinsbrocken, vom Begriff Sturzstrom abgegrenzt werden. Hierbei hat die Interaktion zwischen den Komponenten keinen maßgebenden Einfluss auf die Dynamik des Prozesses (Kienholz, Zeilstra & Hollenstein, 1998). Der Ablagerungsbereich dieser Massenbewegung bildet sich bei wiederholten Abgängen als Schutthalde am Fuß von Felswänden aus. Das Verhalten ist dabei abhängig vom Volumen des Ereignisses und vom Mechanismus des Versagens.
Größere Fels‐ und Bergstürze tendieren dazu, unter Verwendung von reinen Reibungsmodellen für trockenes Gestein, in ihrer Mobilität der Masse unterschätzt zu werden. Wenn Gesteinsmassen auf einen wassergesättigten Boden stürzen, oder diesen überfahren, kommt es zu einem sprunghaften Anstieg des Porenwasserdrucks. Durch diese rasche Belastung kann der Untergrund in einen fließähnlichen Zustand geraten und bewegt sich mit dem Gestein talwärts. Dieser Effekt kann die Mobilität erhöhen. Laut Heim (1932) steigt die Mobilität auch mit dem Volumen. Erläuterungen zu diesem Phänomen wurden schon von verschiedenen Autoren dargelegt, jedoch kann bis jetzt keine als universell gültig angesehen werden (Hungr, 1990). Das heißt, dass sich noch keine eindeutige Beziehung zwischen größerem Volumen und steigender Mobilität etabliert hat. In zahlreichen Literaturen spricht man bei einem Volumen der mobilisierten Masse von 100 bis 100.000 m³ Kubikmetern von einem Felssturz, darüber hinausgehend von einem Bergsturz.
2.2.9.1 Einfluss von Eis bzw. Schnee
Gletschereis ist oft in Lawinenereignisse auf Berghängen involviert. Dabei kann das Eis ein Teil der bewegten Masse oder die gesamte bewegte Masse sein. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sich ein Fels‐ oder Bergsturz über die Oberfläche eines Gletschers oder in einer mit Schnee befüllten Rinne bewegt. Lawinen die glaziales Eis als bewegte Masse oder als Substrat besitzen, erreichen außergewöhnliche hohe Mobilität (Delaney und Evans, 2013). Das jüngste größere Versagensereignis war die Karmadon‐Kolka Eislawine im Jahre 2002 im Kaukasus. Bei diesem Prozess wurden 130 Millionen m³ von fragmentierten Eis
über eine Distanz von 19 Kilometern mit Spitzengeschwindigkeiten von über 250 km/h bewegt (Evans, 2009).
Bei einem Fels‐ oder Bergsturz, auf Eis bzw. Schnee, sind zwei unterschiedliche Bewegungsmechanismen denkbar. Zum einen kann die Absturzmasse über die Eis‐ bzw.
Schneemassen hinweggleiten. In diesem Fall verringert sich der basale Reibungswiderstand durch eine rutschige Schicht deutlich. Bei diesem „Huckepack‐
Transport“ (A. Preh und J.T. Sausgruber 2014) wird der Schnee nicht komplett wegerodiert, sondern dient als Gleitfläche und die Mobilität wird deutlich erhöht. Zum anderen kann es durch Eingraben der Gesteinsmassen zu einer Vermischung mit dem Eis kommen. Aufgrund der Bewegungsenergie kommt es zum Schmelzen der Eismassen und zu einem Anstieg des Porenwasserdrucks im Untergrund. Dadurch kann die Sohle wiederum einen fließähnlichen Zustand erhalten.
Dient eine Schneeschicht als Gleitfläche kann im numerischen Programm DAN3D für die Rückrechnung eines Ereignisses die Voellmy Rheologie für die Berechnung des basalen Reibungswiderstands herangezogen werden. Dieser Ansatz (Voellmy, 1955) erweitert den Reibungsterm um einen zusätzlichen Turbulenzterm (mehr dazu in Kapitel 4.1.5). Bei Wahl eines niedrigen Reibungskoeffizienten und einem hohen Turbulenzkoeffizienten wird der Reibungswinkel herabgesetzt und man simuliert auf diese Weise die erhöhte Mobilität (siehe Tabelle 3).
2.3
Klassifizierung aufgrund von Rückrechnungen
Die in diesem Kapitel aufgelistete Klassifizierung von Massenbewegungen lässt sich mit numerischen Modellen untermauern. Bei der Auswertung von Rückrechnungen verschiedenster Versagensfälle liefern unterschiedliche Arten von Massenbewegungen differenzierte Ergebnisse. Tabelle 3 listet beispielhaft einige der oben erwähnten Bewegungstypen auf und zeigt nach Rückrechnung zahlreicher Ereignisse mit dem kontinuumsmechanischen Programm DAN3D einen tendenziellen Wertebereich der Ausgabeparameter. Diese Parameter basieren auf verschiedenen Rheologien des basalen Reibungswiderstandes, welche in Kapitel 4.1.5 detailliert beschrieben sind.
Tabelle 3: Typische Wertebereiche aus der Literatur für die Reibungsrheologie (Frictional) und Voellmy‐Rheologie (von Hungr und Evans, 1996; Ayotte und Hungr, 2000; Chen und Lee, 2003;
Pirulli, 2004; Mc Dougall, 2006; Crosta, 2006)
Je mehr und präzisere Daten über ein Versagensereignis zur Verfügung stehen, desto qualitativere Auswertungen liefern die Rückrechnungen. Wichtige Informationen für eine Rückrechnung können sein:
Abrissbereich
Volumen der Abbruchsmasse
Auslöser des Ereignisses
Geschwindigkeit des Prozesses
Zustand des Hanges (Wassergehalt, Schneelage, Einfluss Erosion, etc.)
Auslauflänge (Run‐Out)
Morphologie der Ablagerung
Volumen der Ablagerung
Durch die Zusammenfassung der Auswertungen, können die Parameter der Rückrechnungen bestimmten Arten von Massenbewegungen zugeordnet werden. Dies ermöglicht wiederum die Auswirkungen von zukünftigen Ereignissen vorherzusagen.
Diese Auswertungen, vor allem im universitären Bereich, sind von immenser Bedeutung für die Präzisierung von Klassifizierungen, den damit ermöglichten Gefahrenvorhersagen und dem effektiven Einsatz von Schutzmaßnahmen.
So ist zum Beispiel aus Tabelle 3 zu entnehmen, dass ein Fels‐ bzw. Bergsturz (Rock avalanche) mit der Beeinflussung von Eis (Ice‐rock avalanche), einen deutlich geringeren Reibungskoeffizienten (f, siehe Kapitel 4.1.5) besitzt. Dies weist darauf hin, dass diese Art der Lawine, eine signifikant erhöhte Mobilität aufweist. Bei einer Ereignisvorhersage mit dem Programm DAN3D kann somit verhindert werden, dass das Ausmaß der Massenbewegung unterschätzt wird.
3 Dynamische Run‐Out Modelle
3.1
Übersicht
Um schnelle, geomorphologische Massenbewegungen in Modellen abzubilden, wurden verschiedenste Ansätze entwickelt, um deren Charakteristik, Intensität und Run‐Out einschätzen zu können. Diese Ansätze variieren in ihrem Umfang der Analyse, den erforderlichen Eingabedaten sowie dem Ausmaß und Darstellung der Ergebnisse. Der Hauptaspekt von Run‐Out Modellen ist die Dynamik von geomorphologischen Vorgängen so genau als möglich wiederzugeben und Vorhersagen über zukünftige Massenbewegungen in Hinsicht auf deren Ausdehnung und Geschwindigkeit treffen zu können. Besonders wichtig für die Kalibrierung solcher Risikomodelle ist die quantitative Abschätzung der Auslauflänge, Materialausbreitung und Geschwindigkeit vergangener Ereignisse. Massenbewegungen sind komplexe Ereignisse, bei denen zeitgleich an verschiedenen Stellen unterschiedliche dynamische Vorgänge ablaufen können. Aus diesem Grund gibt es kein universelles Run‐Out Modell, welches alle Bewegungsarten hinreichend beschreiben kann. Nichtsdestotrotz liefern die entwickelten Methoden gute Annäherungen zur Beschreibung der Ausdehnung und Auswirkung von Massenbewegungen. Diese Methoden können eingeteilt werden in:
empirische Methoden
analytische Methoden
numerische Methoden
Die folgenden Erläuterungen zu dynamischen Run‐Out Modellen basieren auf Veröffentlichungen von Quan Luna (2012) bzw. Will (1999).
3.2
Empirische Methoden
Empirische Methoden zur Beurteilung von Massenbewegungen basieren auf umfangreichen Feldbeobachtungen und der Analyse der Beziehungen zwischen Auslauflänge und den verschiedenen Bewegungsmechanismen, den morphologischen Parametern, dem Volumen des Ereignisses und der Charakteristik des Geländes. Um solche statistische Analysen durchführen zu können und um aussagekräftige und vergleichbare Ergebnisse zu erhalten wird mit großen Datenbanken gearbeitet. Der Grundgedanke dieser Methode ist, eine Vorhersage über die Ausbreitung bzw. die Reichweite der Massenbewegung zu treffen, wenn man das Volumen der erwarteten Massenbewegung abschätzen kann (Roth, 2003). Nicht für jedes Fallbeispiel sind passende Vergleichsdaten vorhanden. Da empirische Methoden nur eine grobe Abschätzung der Auslauflänge und keine Aussage über die Verteilung der Ablagerung
liefern, sind sie nicht für die Planung von Schutzmaßnahmen geeignet. Heuristische Verfahren die auf Feldbeobachtungen und Fotodokumentationen vergangener Ereignisse in den entsprechenden Landschaften basieren, sind eine Möglichkeit um Vorhersagen treffen zu können. Auch der Fahrböschungswinkel (Heim, 1932), der Winkel zwischen dem obersten Abrissrand und dem entferntesten Punkt der Ablagerung, kann als Indikator für eine Vorhersage herangezogen werden. Scheidegger (1973) konstruierte auf Heims Grundlage, der Verbindung zwischen dem Verhältnis von Fallhöhe und zurückgelegter Strecke mit dem Volumen des Massensturzes, eine Regressionsgerade.
Diese Gerade basiert auf den Daten von 33 historischen und prähistorischen Massenstürzen. Unter Zuhilfenahme dieser Geraden kann durch einfaches Einsetzen der entsprechenden Werte sofort erkannt werden, ob das Verhältnis H/L stimmt (Pirulli, 2005).
Abbildung 1: Beziehung zwischen Bergsturzvolumen und der Tangente des Fahrböschungswinkels (nach Scheidegger, 1973)
3.3
Analytische Methoden
Analytische Methoden basieren auf mechanischen Grundlagen. Die einfachste analytische Methode zur Beschreibung von Massenbewegungen ist der Ansatz des Blocks auf der schiefen Ebene (Sassa, 1988). Dabei wird die ganze Masse als homogen und in einem Punkt konzentriert angenommen. Alle einwirkenden Kräfte gehen durch den Schwerpunkt. Der Energieverlust der Massenbewegung resultiert ausschließlich aus der Reibung des Blockes auf der schiefen Ebene. Energieverluste aus interner Deformation werden vernachlässigt. Die Bewegung des Blockes auf der Ebene ist kontrolliert durch eine Kräfteresultierende, welche die Einwirkung der Gewichtskraft als treibende und zurückhaltende Kraft, sowie Scherwiderstände berücksichtigt. Gegenfalls können auch Resultierende der Wasserdrücke in die Berechnungen einfließen.
Ein weiterer analytischer Ansatz kann von der Energielinie eines Massensturzereignisses abgeleitet werden.
cos tan
cos tan [ 3.1 ]
Abbildung 2: Energielinie (nach Sassa, 1988)
Die Energielinie aus Abbildung 2 lässt sich als Verbindungslinie zwischen dem Schwerpunkt der Abbruchmasse und dem Schwerpunkt der Ablagerungsmasse konstruieren. Die Energie zu jedem Zeitpunkt des Ereignisses ergibt sich aus der Summe der potentiellen und kinetischen Energie. Die kinetische Energie entspricht dabei der Höhendifferenz zwischen der Energielinie und der bewegten Masse. Solange die potentielle Energie einen Wert größer 0 besitzt befindet sich die Masse nicht in ihrer Endlage und Energie wird freigesetzt. Bei bekanntem Gradienten der Energielinie lässt sich die Geschwindigkeit der Masse abschätzen.
3.4
Numerische Methoden
Numerische Methoden zur Untersuchung von Massenbewegungen beruhen entweder auf der Kontinuumsmechanik bzw. der Diskontinuumsmechanik. Diese beiden Ansätze dienen der mechanischen Formulierung. In der Kontinuumsmechanik bleibt der Zusammenhalt der Gesamtstruktur bei der Formänderung erhalten, da vom mikroskopischen Aufbau der Materie abgesehen und der Untersuchungsgegenstand als ein Kontinuum genähert wird.
Demgegenüber wird dieser Zusammenhalt der Gesamtstruktur in der
Diskontinuumsmechanik nicht vorausgesetzt. Die diskreten Elemente können sich im diskontinuumsmechanischen Modell frei bewegen. Bei beiden Methoden wird die Sturzmasse durch ein Ersatzmaterial angenähert. In Abhängigkeit von der Wahl der mechanischen Formulierung werden, zur Beschreibung von geklüftetem Fels, in der Kontinuumsmechanik verschmierte Materialmodelle in FEM (Finite Elemente Methode)‐
oder FDM (Finite Differenzen Methode)‐Programmen sowie in der Diskontinuumsmechanik diskrete Materialmodelle in DEM (Distinkte Elemente Methode)‐
Programmen stark favorisiert (Will, 1999).
Die in der vorliegenen Arbeit verwendeten DAN‐Programme rechnen mit kontinuumsmechanischen Modellen. Diese nutzen die Erhaltungsgleichungen der Masse, des Impuls und der Energie, die die dynamische Bewegung der Absturzmasse beschreiben und ein rheologisches Modell, dass das Materialverhalten der Absturzmasse beschreibt.
Bei lösen dieser Grundgleichungen und Wahl eines rheologischen Verhaltens der Absturzmasse können solche Modelle die Geschwindigkeit, die Beschleunigung und die Ausbreitung des Run‐Outs vorhersagen.
Die nachfolgende Tabelle 4 gibt einen Überblick von einigen derzeit bekannten, häufig verwendeten dynamischen Run‐Out Modellen.
Tabelle 4: Ein Überblick über die gängigsten dynamischen numerischen Run‐Out Modelle (nach Quan Luna, 2012)
Eine Charakteristik der Programme ist die Berücksichtigung der Erosion. Programme bei denen die Erosionsrate als „Definiert“ angegeben ist, wird die Menge des erodierten Materials vom Benutzer definiert. Bei einer „Prozess basierenden“ Erosionsrate wird die Menge von einem vorgeschriebenen Algorithmus berechnet, der von den angegebenen Materialeigenschaften abhängig ist. Andere Charakteristiken der Modelle sind die zur Verfügung stehenden Rheologien zur Berechnung des basalen Reibungswiderstandes, die Art des Lösungsansatzes, das Bezugssystem für die Lösung und ob die Variation der Rheologien entlang des Fließpfades möglich ist.
Im Zuge dieser Arbeit wurde das dynamische DAN3D Programm für die Berechnungen verwendet. Es ist ein verbreitetes, häufig angewendetes Modell, das die Anwendung verschiedenster Rheologien ermöglicht, und auch deren Variation entlang des Fließpfades
erlaubt. Für die Untersuchung von Ereignissen, bei denen Eis bzw. Schnee einen Einfluss auf die Massenbewegung gehabt haben könnte, hat DAN3D auch den Vorteil, dass es die Voellmy‐Rheologie implementiert hat. Ein weiterer Vorteil ist die Berücksichtigung der Erosionsrate, welche vom Anwender definiert werden kann.
4 Der DAN‐Code
4.1
Das numerische Modell
DAN (Dynamic Anaysis) wurde 1995 an der University of British Columbia (Kanada) von Oldrich Hungr entwickelt. Das Ziel dieses Codes war es, ein numerisches Modell zur computerunterstützten Analyse von Erdrutschen und anderen Formen von schnellen Massenbewegungen zu entwickeln. Bevor dies leistungsfähige Rechner möglich machten, basierten Analysen und Prognosen auf empirischen Daten und stark vereinfachten analytischen Berechnungsansätzen. Numerische Modelle können entsprechend ihrer mechanischen Formulierung auf kontinuumsmechanischen oder diskontinuumsmechanischen Berechnungsansätzen basieren.
Der DAN‐Code beruht auf dem kontinuumsmechanischen Ansatz, bei dem die Diskretisierung der Sturzmasse in Form eines zusammenhängenden Netzes erfolgt. Im Gegensatz dazu wird bei diskontinuumsmechanischen Programmen die Sturzmasse als nicht zusammenhängend (einzelne diskrete Elemente) angesehen.
Bei einem Kontinuum bleiben mikromechanische Prozesse innerhalb der Masse unberücksichtigt, sodass die Materialeigenschaften als „verschmiert“ angenommen werden. Dieser Ansatz setzt voraus, dass die einzelnen Elemente der Absturzmasse im Vergleich zur Gesamtkubatur der bewegten Masse klein sind. Da diese Annahme nicht immer zutrifft, obliegt es dem Anwender abzuschätzen, inwiefern große Blöcke das Verhalten beeinflussen.
DAN basiert auf einer Lagrangeschen Lösung mit abgeleiteten Bewegungsgleichungen der Gerinnehydraulik. Es wird angenommen, dass es sich um ein flaches instationäres Strömungsproblem handelt. Da die Höhe im Vergleich zur Gesamtabmessung gering ist, wird die Geschwindigkeit über die Höhe der bewegten Masse gemittelt. Verschiedene Materialrheologien beeinflussen die „vereinfachte“ Flüssigkeit, damit sie einer tatsächlichen Massenbewegung nahezu entspricht. Eine interne Rheologie, aufbauend auf ein Reibungsmodell, mit der Eingabe eines internen Reibungswinkels und eine Auswahl an basalen Rheologien, bestimmt durch unterschiedliche Parameter, beeinflussen das Materialverhalten. Diese Parameter lassen sich nicht experimentell oder durch Feldmessungen ableiten, sondern müssen durch Rückrechnung von vorherigen Ereignissen eruiert werden. Der Massensturz wird für die Berechnungen in eine gewisse Anzahl sich berührender Blöcke geteilt, die sich frei verformen, jedoch immer ihr Ausgangsvolumen behalten. Die folgenden Erläuterungen zum DAN‐Code basieren auf Veröffentlichungen von Hungr (1995) bzw. McDougall (2006).
4.1.1 Flüssigkeitsäquivalenter Ansatz
In DAN werden Massenbewegungen vereinfacht mit fluidähnlichem Verhalten beschrieben. Dabei wird das heterogene Sturzmaterial durch eine äquivalente homogene Flüssigkeit ersetzt (siehe Abbildung 3), gesteuert durch einfache rheologische Beziehungen. Dabei können die interne und basale Rheologie unterschiedlich sein. Die Idee zur Trennung der internen und basalen Reibungsmechanismen hat ihre Wurzeln in der Tiefenintegrierten Lösung der klassischen Fluiddynamik. Dabei können verschiedene viskose oder turbulente Ansätze verwendet werden um die basalen Reibungskräfte zu bestimmen, während die innere Spannungsverteilung als hydrostatisch (interne Reibung gleich 0) angenommen wird (Chow, 1959). In einem Modell von Savage und Hutter (1989) wurden beide, die internen Deformationen und der basale Fließwiderstand, von der Frictional Rheologie bestimmt. Hungr (1995) erweiterte dieses Modell in dem er dem basalen Reibungsterm eine Auswahl an Rheologien mit viskosen und turbulenten Eigenschaften hinzufügte. Die verschiedenen Ansätze von Rheologien sorgen dafür, dass sich trotz der Vereinfachungen von fluidähnlichen Verhalten, die Ergebnisse hinsichtlich der mittleren Geschwindigkeit, des Run‐Outs, der Morphologie der Ablagerung und der Dauer der Massenbewegung, dem realen Ereignis gleichen. Dieser Ansatz ist nur möglich, wenn die Abmessungen der Elemente und damit die Höhe der bewegten Masse klein gegenüber der Ausdehnung der gesamten Sturzmasse sind. Bei schnellen geomorphologischen Ereignissen ist dies oft der Fall.
Abbildung 3: a) Darstellung einer heterogenen sich bewegenden Masse; b) idealisiertes Modell einer homogenen „scheinbar flüssigen“ Masse (nach Hungr, 1995)
4.1.2 Strömungsmechanik als Grundlage für die Steuerung des Sturzprozesses Als Grundlage für den Ansatz der Bewegungsgleichungen des DAN‐Codes dienen die Saint Venant Gleichungen (bzw. Navier‐Stokes Gleichungen) der Gerinnehydraulik. Die Bewegung der äquivalenten Flüssigkeit wird durch den Massenerhaltungssatz (Gleichung [ 4.1 ]) und den Impulserhaltungssatz (Gleichungen [ 4.2 ] – [ 4.4 ]) bestimmt. In der allgemeinsten Form für inkompressible (räumliche und zeitliche konstante Dichte,
0, ⁄ 0, ⁄ 0, ⁄ 0
⁄ ) Flüssigkeiten ergeben sich diese
Gleichungen folgendermaßen:
0 [ 4.1 ]
[ 4.2 ]
[ 4.3 ]
[ 4.4 ]
ρ … Dichte
… Geschwindigkeit t … Zeit
x, y, z … räumliche Dimension … Normalspannung … Scherspannung g … Erdbeschleunigung
4.1.2.1 Randbedingungen
Um diese Gleichungen an das Problem einer Massenbewegung anzupassen, müssen Randbedingungen für die Oberfläche (z=b+h) und der Sohle (z=b) der Massenbewegung eingeführt werden. Es ist dabei vernünftig die Orientierung des Koordinatensystems so anzulegen, dass die Tiefe von der bewegten Masse, h, und die Tiefe des von der bewegten Masse beeinflussten Untergrunds, b, in z‐Richtung gemessen werden (siehe Abbildung 4).
Dabei verläuft die Bewegung tangential zur Sturzbahntopographie.
Abbildung 4: Orientierung des Langrangeschen Referenzkoordinatensystems aus DAN3D. Die z‐
Richtung ist normal zur Sohle orientiert, während die x‐Richtung (nicht dargestellt) in die Richtung der Bewegung ausgerichtet ist (McDougall, 2006).
Es wird angenommen dass die Oberfläche der bewegten Masse spannungsfrei ist (der atmosphärische Druck wird vernachlässigt). Der Spannungszustand im Bereich der Sohle ergibt sich aus Normalspannungen aufgrund des Gewichtes der darüber befindlichen Masse und der zentrifugalen Beschleunigung aufgrund Krümmungen der Sohle. Ein weiterer Spannungszustand ergibt sich im Bereich der Sohle der bewegten Masse durch die basalen Scherspannungen. Diese Spannungen können von vielen Faktoren abhängig sein, welche im Abschnitt über Materialrheologien (Kapitel 4.1.5) näher erläutert werden.
Im Weiteren wird angenommen, dass kein Material über die Oberfläche der bewegten Masse aufgenommen wird bzw. verloren geht. Dies führt zur ersten kinematischen Randbedingung für die Oberfläche der Sturzmasse:
0 [ 4.5 ]
Das bedeutet, dass die Massenbewegung weiteres Material nur über den Untergrund aufnehmen kann. Dies geschieht durch Abscheren von Material an der Pfadoberfläche (basale Erosion). Eine weitere Möglichkeit wäre die Aufnahme an der Front der Massenbewegung durch Vorschieben und Pflügen des Bodens (siehe Abbildung 5). Diese Art der Materialaufnahme wird mathematisch als eine Komponente der basalen Erosion berücksichtigt.
Abbildung 5: Schematische Darstellung der Materialmitnahme durch Pflügen an der Front und Erosion an der Sohle (nach McDougall, 2006)
Es wird auch angenommen, dass das erodierte Material die gleiche konstante Dichte wie die Massenbewegung besitzt. Das ist eine angebrachte Annahme für Fels‐ und Bergstürze die gesättigtes Material erodieren. In manchen Fällen kann jedoch das Material des Pfades, zum Beispiel Eis oder Schnee, signifikante Unterschiede der Dichte gegenüber den Werten des Absturzmaterials aufweisen. Dies kann dazu führen, dass die Gültigkeit der Annahme der konstanten Dichte in bestimmten Fällen beschränkt ist. Die zeitabhängige Erosionsrate, , ist auch als „Erosionsgeschwindigkeit“ bekannt (Takahashi, 1991). Die kinematische Randbedingung der Sohle ergibt sich wie folgt:
[ 4.6 ]
4.1.2.2 Mittelung der Tiefe
Um die rechenintensiven Formeln aus Gleichung [ 4.1 ] – [ 4.4 ] zu vereinfachen und die Randbedingungen aus Gleichung [ 4.5 ] und [ 4.6 ] zu berücksichtigen, werden die Gleichungen über eine tiefengemittelte Höhe integriert. Dazu werden zwei wichtige Manipulationen für die Tiefenmittelung vorgenommen. Zunächst wird die Leibnizregel für Parameterintegrale angewendet und im Weiteren eine tiefengemittelte Variable, als Funktion der Integration über die Tiefe dividiert durch den Wert der Tiefe, definiert
̅ . Somit enthalten in den weiteren Formeln alle Variablen mit einem hochgestellten Querstrich über die Tiefe gemittelte Werte. Die klassische St. Venant’sche Flachwassergleichungen basieren auf den gleichen Prozessen zur Tiefenmittelung.
Durch Integration des Massenerhaltungssatzes in die z‐Richtung mit den Integrationsgrenzen und und unter Berücksichtigung der kinematischen Randbedingungen aus den Gleichungen [ 4.5 ] und [ 4.6 ] ergibt sich der über die Tiefe gemittelte Massenerhaltungssatz folgendermaßen:
[ 4.7 ]
Für die Berechnung der Impulserhaltungssätze wird zusätzlich zu den gleichen Berechnungsschritten wie beim Massenerhaltungssatz die Bedingung 0 aufgestellt, da ein negativer Wert für Ablagerung bedeutet. Die Ablagerung wird hingegen nicht in den Impulserhaltungssätzen berücksichtigt, da Material, dass die bewegte Masse verlässt, seinen Anteil an Impuls behält und keinen Einfluss auf den Impuls des in Bewegung verbliebenen Materials hat (Hungr, 1995). So ergeben sich die tiefengemittelten Impulserhaltungssätze in ihrer allgemeinsten Eulerschen Form, in der x‐, y‐ und z‐
Richtung:
[ 4.8 ]
[ 4.9 ]
[ 4.10 ]
4.1.2.3 Das Lagrange Bezugssystem
Im Weiteren werden die Gleichungen in der Lagrangeschen Darstellung angeschrieben.
Das Bezugssystem auf welches sich die Gleichungen beziehen, ist ein Koordinatensystem welches sich mit der Sturzmasse mitbewegt. Im Gegensatz dazu steht das Eulersche Netz, das im Raum fixiert ist, und zudem sich die Sturzmasse relativ verschiebt. Da das Langrangesche Netz nur über den tatsächlich interessanten Bereich (der Sturzmasse) gelegt wird, sind dadurch wesentlich weniger Rechenoperationen pro Zeitschritt notwendig.
Durch das Anschreiben in der Lagrangeschen Form (z.B., ) und der Zusammenfassung einiger Terme, ergibt sich die tiefengemittelte Darstellung des Massenerhaltungssatzes folgendermaßen:
[ 4.11 ]
Mit der Neuausrichtung des Koordinatensystems fallen einige Terme aus den Impulserhaltungssätzen heraus. In DAN3D ist die z‐Richtung normal zur Sohle und die x‐
Richtung zur Bewegungsrichtung der Masse orientiert. Dies eliminiert sowohl die räumlichen Ableitungen von b, als auch alle Komponenten der Geschwindigkeit in y‐ und z‐Richtung. Dies ergibt folgende Darstellung der tiefengemittelten Impulserhaltungssätze in Langrangescher Darstellung in x‐, y‐ und z‐Richtung:
[ 4.12 ]
[ 4.13 ]
[ 4.14 ]
4.1.2.4 Weitere Vereinfachungen
Die weiteren angeführten Vereinfachungen sind seit den Werken von Savage und Hutter (1989) und Grey et al. (1999) weitgehend etabliert. Ausgehend davon, dass die Tiefe der Massenbewegung klein ist, relativ im Vergleich zu ihrer Breite und Länge, sind auch die Terme welche die Scherspannungen und in Gleichung [ 4.12 ] enthalten, klein relativ zu den Normalspannungen an der Sohle, , und können daher vernachlässigt werden. Die physikalische Auswirkung dieser Annahme ist, dass die Fließlinien ungefähr parallel zur Sohle verlaufen. Dies ist die klassische Flachwasser Annahme (vgl. Chow, 1959).
Ein weiterer Vorteil des Lagrangeschen Netzes ist, dass sich zu jedem Zeitpunkt die Referenzachsen des Koordinatensystems mit der Bewegungsrichtung mitorientieren.
Daraus folgt, dass die Lagrangesche Ableitung von gleich der zentripetalen Beschleunigung der Fließmasse entlang der Krümmung des Pfades in x‐Richtung ist:
[ 4.15 ]
Dabei ist R der auf die Sohle normal stehende Radius der Krümmung des Pfades in die Bewegungsrichtung. Positiv für konkave Krümmungen. Die Komponente der z‐Richtung der Schwerkraft ergibt sich zu:
cos [ 4.16 ]
Dabei ist g die Beschleunigung aufgrund der Schwerkraft und α ist der Winkel zwischen der Sohlneigung und der Horizontalen. Durch Einsetzen der Gleichungen [ 4.15 ] und [ 4.16 ] in die Gleichung [ 4.14 ] und durch die Vernachlässigung der Scherspannungen, erhält man folgenden Ausdruck für die totalen Normalspannungen der Sohle:
̅
[ 4.17 ]
Wenn dieser Ausdruck einen negativen Wert aufweist, bedeutet das, dass das Material keinen Kontakt mit der Sohle hat. Solche ballistische Zustände bzw. Zustände des freien Falls treten bei extrem schnellen Massenbewegungen häufig auf. Die sich daraus ergebenden Energieverluste beim erneuten Aufprall können in DAN3D (aber auch in keinem anderen kontinuumsmechanischen Modell) explizit nicht berücksichtigt werden.
Es ist die Aufgabe des Benutzers des Programms, diese Verluste implizit bei den basalen Scherkräften zu berücksichtigen.
Eine weitere Vereinfachung ist durch einen klassischen bodenmechanischen Ansatz anwendbar. Ausgehend davon, dass alle Spannungen linear über die Tiefe unter der freien Oberfläche steigen, und konsistent mit der Rankineschen Erddrucktheorie (vgl.
Terzaghi und Peck, 1967) ist es sinnvoll, die Spannungszustände mit Bezug zu den totalen Spannungen senkrecht zur Sohle zu normalisieren, kennzeichnend durch k (z. B., und ). Im Weiteren wird angenommen, dass räumliche Veränderungen des normalisierten Spannungszustandes (z. B., / ) relativ klein sind und dadurch vernachlässigt werden können (vgl. Gray et al., 1999). Daraus ergeben sich schlussendlich die tiefengemittelten Impulserhaltungssätze in der x‐ und y‐Richtung in Lagrangescher Form zu:
[ 4.18 ]
[ 4.19 ]
Die Terme auf der linken Seite der beiden Gleichungen [ 4.18 ] und [ 4.19 ] repräsentieren die lokalen Beschleunigungen eines Blockes (multipliziert mit der Masse eines Blockes, siehe Kapitel 4.1.3). Der erste Term auf der rechten Seite beinhaltet die