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Motor des Fortschritts

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Academic year: 2021

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BLICKPUNKT

Innovation ist nach Einschätzung der For- scher vom Wissenschaftszentrum für So- zialforschung in Berlin das Schlagwort des Jahrzehnts. Aber was meint dieser Be- griff tatsächlich? In seinem 1911 erstmalig erschienenen Buch Theorie der wirtschaftli- chen Entwicklung nahm der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter eine prag- matische Definition vor und sprach von der „Durchsetzung neuer Kombinationen“, die allerdings nicht regelmäßig und in kleinen Schritten der Verbesserung des Bestehenden erfolge, sondern sprung- haft. Innovationen sind neue und anders- artige Kombinationen der zur Verfügung stehenden „Dinge und Kräfte“. Doch wie kommen wir zu diesen „neuen und an- dersartigen Kombinationen“?

Für jede wirkliche Innovation gilt das

„Paradox des Suchens“. Der New Yorker So- ziologe David Stark hat es so beschrieben:

„Wenn du nicht weißt, wonach du suchst, aber es erkennst, wenn du es findest.“ Der wirkliche Erfinder kennt das Ziel also nicht, und so hilft ihm nur ein versuchendes Tun.

In der Wissenschaft nennt man dieses Su- chen „Forschung“.

Dass ein solcher Suchprozess auf lan- gen Zeitachsen erfolgt und nicht selten Einsichten aus scheinbar weit entfernten Disziplinen zu den entscheidenden Lö-

sungen führen können, soll das folgende Beispiel veranschaulichen: Schon in den 1960er-Jahren befassten sich Wissenschaft- ler mit einer besonderen Form von Mikro- organismen, den sogenannten Archae- bakterien. Das sind wirkliche Überlebens-

künstler, die ganz besondere Strategien entwickelt haben, um auch unter den ex- tremsten Bedingungen – wie hohen Tem- peraturen oder Salzkonzentrationen – zu existieren.

Im Jahr 1971 entdeckten Dieter Oester- helt und Walther Stoeckenius in der Zell- membran eines solchen Archaebakteriums, Halobacterium salinarum, ein Pigmentprote- in und tauften es Bakteriorhodopsin. Ange- trieben durch Licht, pumpt dieses Protonen

aus der Zelle heraus und ermöglicht auf die- se Weise eine einfache Form der Fotosyn- these. Für die Wissenschaft eine Sensation, über die selbst der Spiegel in seiner Ausga- be vom 22. März 1976 berichtete.

Bakteriorhodopsin avancierte zum Modellobjekt in der Bioenergetik, Memb- ran- und Strukturbiologie. Maßgeblich vorangetrieben wurden die Forschungs- arbeiten im Team von Dieter Oesterhelt am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Ab Mitte der 1970er-Jahre er- schienen zu dem Thema mehr als hundert Publikationen pro Jahr, und es wurden verwandte Proteine wie die ebenfalls licht- aktivierbare Chloridpumpe Halorhodop- sin beschrieben.

30 Jahre nach der Entdeckung von Bak- teriorhodopsin stießen die Max-Planck- Forscher Peter Hegemann, Georg Nagel und Ernst Bamberg in der einzelligen Grün- alge Chlamydomonas reinhardtii auf einen lichtgeschalteten Ionenkanal, durch den Kalziumionen ins Zellinnere strömen. Dem US-amerikanischen Forscher Karl Deis- seroth von der Stanford University gelang Foto: Axel Griesch

Protein pumpt Protonen aus der Zelle

Archaebakterien sind wahre Überlebenskünstler

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es wenige Jahre später, die Channelrhodop- sin genannten Kanäle durch genetische Manipulation gezielt in Zellen anderer Or- ganismen – einschließlich Säugetiere – ein- zuführen und dort mit Licht anzuregen.

Durch den Einbau lichtgeschalteter Pigmentproteine wie Halorhodopsin und Channelrhodopsin können Forscher nun störungsfrei in die Kommunikation zwi- schen Nervenzellen eingreifen, und die Er- forschung der Zusammenhänge zwischen der Aktivität spezifischer neuronaler Net- ze und diskreten kognitiven Prozessen rückt erstmals in realistische Nähe. Die lichtaktivierten Ionenkanäle und -pumpen begründen das neue, inzwischen vielfach preisgekrönte Arbeitsgebiet der Optoge- netik. Sie öffnen aber auch das Tor für me- dizinische Anwendungen.

Schon jetzt gibt es auf Basis dieser Me- thode viele neue Erkenntnisse zu Krankhei-

ten wie Parkinson, Autismus, Schizophre- nie, Drogenabhängigkeit und Depression.

In Zusammenarbeit mit Fovea Pharma- ceuticals, einer Tochter des Pharmaunter- nehmens Sanofi, wollen Forscher am Max- Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt die Channelrhodopsine so weiterentwi- ckeln, dass sich damit Nervenzellen der Netzhaut im menschlichen Auge in Licht- sinneszellen verwandeln lassen, um nahe- zu oder völlig blinden Patienten wieder ihre Sehkraft zu verleihen.

Noch handelt es sich dabei um Zu- kunftsmusik. Und doch zeigt dieses Beispiel schon heute eindrucksvoll, wie unkonven- tionelle Ideen aus gedanklichen Nebenwe- gen und dem Ausbrechen aus bestehenden Denkmustern entstehen. Die nutzbringen-

de Weiterentwicklung einer Idee benötigt allerdings ein soziales Umfeld – Wissen- schaftler aus anderen Institutionen ebenso wie dynamische Industriepartner.

Innovation ist nie allein das Werk eines einzelnen Genies. Selbst wenn es eben oft Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauert,

bis das Anwendungspotenzial einer Idee ausgeschöpft werden kann, so bleibt der zugrunde liegende „Suchprozess“, sprich die Grundlagenforschung, unverzichtbar.

Denn kein Unternehmen kann auf Basis- technologien explizite Differenzierungs- und Wettbewerbsvorteile aufbauen. Um- wälzende neue Technologien hingegen, die Schrittmacherfunktion für den techni- schen Fortschritt besitzen, stellen den be- teiligten Wirtschaftsunternehmen hohe (latente) Wettbewerbsvorteile in Aussicht.

Die wirtschaftlichen Effekte von Grundlagenforschung sind mächtig, sie lassen sich nur nicht in gewohnter Weise volkswirtschaftlich quantifizieren oder zuordnen. Das sollten all jene nicht verges- sen, die die unmittelbare ökonomische Wertschöpfung von Grundlagenforschung immer stärker zum Kriterium von Förder- entscheidungen machen wollen. Grundla- genforschung ist keine Maschine, in die vorn ein steuerfinanzierter Euro hineinge- steckt wird, damit hinten zwei Euro Um- satz herauskommen. Aber sie bleibt der ei- gentliche Motor schöpferischer Neuerung.

Peter Gruss,

Präsident der Max-Planck-Gesellschaft

Grundlagenforschung zahlt sich aus

PETER GRUSS

Peter Gruss, Präsident de

Verwandlung in der Netzhaut

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