T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 3½½½½19. Januar 2001 AA89
talität in Aussicht, als aufgrund der In- tention-to-treat-Analysen der randomi- sierten Studien geschätzt wurde. Hier- mit unterliegen die Autoren einem klas- sischen Trugschluss (10). Gerade weil solche Schlussfolgerungen unzulässig sind, müssen randomisiert-kontrollierte Studien zum Screening durchgeführt werden. Auch die Spekulation, dass die Nutzen-Risiko-Relation von Mammo- graphie-Screening bei längerer Beob- achtung günstiger wird, widerspricht so- wohl der Datenlage (11) als auch allge- meinen wissenschaftlichen Erkenntnis- sen zu Populationsscreening-Interven- tionen (12).
Die Frauen müssen über die offenen Fragen zum Mammographie-Screening aufgeklärt werden. Das britische Gen- eral Medical Council hat kürzlich weg- weisend ethische Grundsätze für den Informationsprozess formuliert (13).
Die Leitlinien betonen, dass vor einem diagnostischen Eingriff nicht nur der Zweck der Untersuchung erklärt wer- den muss, sondern auch die Wahr- scheinlichkeiten für falsch negative und falsch positive Ergebnisse. Bei Thera- pie- und Screening-Maßnahmen muss über die Prognose im Falle des Ver- zichts informiert werden. Die Informa- tionen müssen verständlich und ausge- wogen dargeboten werden (zum Bei- spiel Angaben von Häufigkeiten anstel- le von Relativ-Prozenten).
Die zurzeit angebotenen Informa- tionen zum Mammographie-Screening erlauben keine informierte Entschei- dung: Sie sind irreführend, beliebig, fragmentarisch, unverständlich und in- teressenabhängig. Es ist zu hoffen, dass im Rahmen der drei Mammographie- Screening-Pilotprojekte in Deutsch- land die Frauen wissenschaftsbasierte Informationen als Grundlage für eine informierte Entscheidung erhalten wer- den. Die Frauen sollten die Informatio- nen zum Mammographie-Screeening und zur Beurteilung der Qualität von Screening-Zentren einfordern.
Univ.-Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser Professur für Gesundheit, Universität Hamburg FB13-IGTW-Gesundheit
Martin-Luther-King-Platz 6, 20146 Hamburg E-Mail: ingrid_muehlhauser@uni-hamburg.de Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
D
er Senat der Max-Planck-Gesell- schaft (MPG) hat am 24. Novem- ber 2000 neue „Regeln zur Siche- rung guter wissenschaftlicher Praxis“beschlossen. Mit diesen werden die Empfehlungen der MPG vom Januar 1998 den Forschungsbedingungen der Gesellschaft angepasst; sie sind für alle Mitarbeiter verbindlich.
Die MPG konkretisiert die Umset- zung der „Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit“ in ihren Instituten. Die jeweili- ge Leitung muss „Aufsicht, Konfliktre- gelung und Qualitätssicherung“ organi- satorisch und inhaltlich sichern, was
„Sachkenntnis, Präsenz und Über- blick“ voraussetze. Besondere Bedeu- tung misst die MPG der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuches zu.
Durch „zum Beispiel regelmäßige Kol- loquien“ soll die Ausbildung der jungen Wissenschaftler zur Selbstständigkeit gefördert werden. Sie sollen lernen, dass der primäre Test eines wissen- schaftlichen Ergebnisses dessen Repro- duzierbarkeit ist: „Je überraschender, aber auch je erwünschter ein Ergebnis ist, desto wichtiger ist . . . die unabhän- gige Wiederholung des Weges zum Er- gebnis in der Forschungsgruppe, bevor es nach außen weitergegeben wird.“
Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit
Bei der MPG wird es künftig Ombuds- personen geben, die bei Konfliktfällen beratend zur Verfügung stehen. In Kraft bleiben die 1998er-Regeln zur Einleitung eines Untersuchungsverfah- rens bei Verdacht auf wissenschaftli- ches Fehlverhalten; diese sehen drasti-
sche Maßnahmen bis hin zur Einleitung strafrechtlicher Schritte vor.
Neu ist die Bestimmung, dass Primär- daten mindestens zehn Jahre aufbe- wahrt werden müssen und „berechtigte Interessenten“ Zugang zu diesen erhal- ten können.
Vollständigkeit und Nachvollzieh- barkeit gelten der MPG als unabding- bare Elemente jeder wissenschaftlichen Veröffentlichung. Doubletten sollen vermieden werden; so wird formu- liert, „bereits zuvor veröffentlichte Er- gebnisse sollten nur insoweit wieder- holt werden, als es für das Verständnis des Zusammenhangs notwendig er- scheint“. Die „Ehrenautorenschaft“
bezeichnet die MPG als unzulässig. Als Mitautor darf künftig nur genannt wer- den, wer tatsächlich „wesentlich beige- tragen und seiner Veröffentlichung zu- gestimmt hat“.
Axiome erkennbar machen
Die MPG spricht schließlich eine Kern- frage der Wissenschaft an: Die Existenz von Axiomen, die in eine Darstellung eingehen können, ohne dass dies er- kennbar wird. Die MPG fordert von ihren Mitarbeitern: „Bewusstmachen stillschweigender axiomatischer Annah- men; Kontrolle von aus eigenem Inter- esse oder selbst moralisch motiviertem Wunschdenken; systematische Auf- merksamkeit für mögliche Fehldeutun- gen infolge der methodisch beschränk- ten Erfassbarkeit des Forschungsgegen- standes (Übergeneralisierung).“
Es ist zu hoffen, dass Theorie und Praxis der MPG auch andere anregen, die Grundlagen der eigenen Arbeit und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung zu reflektieren. Manche mögen sich vom bemerkenswert aufklä- rerischen Optimismus der MPG inspi- rieren lassen, die formuliert:
„Auch wenn Unredlichkeit in der Wissenschaft durch Regelwerke nicht vollständig verhindert werden kann, so können entsprechende Vorkehrun- gen doch gewährleisten, dass allen am Forschungsgeschehen Beteiligten die Normen guter wissenschaftlicher Pra- xis regelmäßig bewusst gemacht wer-
den.“ Hans-Joachim Maes