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(1)Zur Novellistik der frühen Ming-Zeit: Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i Von Herbert Franke, München I

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Zur Novellistik der frühen Ming-Zeit:

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i

Von Herbert Franke, München

I.

Die schriftsprachUche Novellenliteratur der Ming-Zeit ist in der Sino¬

logie bisher nur sehr wenig beachtet worden, ganz im Gegensatz zu der

umgangsprachhchen Erzählungsliteratur, die sowohl in China und Japan

als auch bei den westhchen Gelehrten in den letzten Jahren und Jahr¬

zehnten sehr häufig Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen war.

Dabei kommt den Novellen der Ming-Zeit durchaus Bedeutung inner¬

halb der literarischen Entwicklung zu. Nicht wenige von ihnen haben die

Grundlage für umgangssprachliche Erzählungen geliefert, während andere

zu Theaterstücken verarbeitet wurden. Auch auf die Nachbarländer

Chinas wie Korea und Japan haben die Erzeugnisse der frühen schrift-

sprachhchen Ming-NoveUistik gewirkt und sich dort großer Beliebtheit

erfreut. In China selbst sind sie dagegen seit dem 17. und 18. Jahrhundert

in den Hintergrund getreten, vielleicht wegen ihres betont hochlitera¬

rischen Charakters, der sie nur einem gebildeten Leser empfehlen koimte.

Auch traten ja Werke wie das Liao-chai chih-i des P'u Sung-ling

(1640—1715), die sich im Grunde an den gleichen Leserkreis wandten,

in Konkurrenz mit den älteren Sammlungen. Jedenfalls verdienen es die

Erzeugnisse der frühen Mingzeit, ihrer halben Vergessenheit entrissen

zu werden, nicht zuletzt auch, weil sie über ihren zweifellos hohen lite¬

rarischen Wert hinaus gelegentlich aufschlußreiche Einblicke in die

geistige Situation des frühen 15. Jahrhunderts gestatten.

In einer früheren Arbeit^ habe ich versucht, das Chien-teng hsin-hua

'^^Mm des Ch'ü Yu II (1341 ?—1425) monographisch zu be¬

handeln. Die jetzige Studie schließt sich an den genannten Aufsatz an,

indem sie in der gleichen Weise das Chien-teng yü-huu | | ^ | des

Li Ch'ang-ch'i ^ ^ %% vorzustellen unternimmt. Wie schon der Titel

zeigt (,, Weitere Grespräche beim Putzen der Lampe"), ist Li durchaus

als Nachfolger und Nachahmer von Ch'ü zu betrachten, der seine No¬

veUensammlung „Neue Gespräche beim Putzen der Lampe" betitelt

1 Eine Novellensammlung der frühen Ming-Zeit : Das Chien-teng hsin-

hua des Ch'ü Yu. In: Zeitschrift der deutschen Morgenländischen Gesell¬

schaft, Bd. 108, H. 2 (1958) S. 338—382.

(2)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i 341

hatte, so daß des öfteren auf jenen früheren Aufsatz zu verweisen sein

wird.

Während Ch'ü Yu, der Verfasser des Hsin-hua abgesehen von der

Tätigkeit als Schulleiter konfuzianischer Studienanstalten keinerlei

Ämter innegehabt hatte und sich als Privatsekretär bei den Großen seiner

Zeit durchschlagen mußte, gehörte Li Ch'ang-ch'i zu den erfolgreichen

Beamten. Ihm wurde auch später die Ehre zuteil, daß man seine Bio¬

graphie in die offizieUe Dynastiegeschichte der Ming aufnahm. Diese

Biographie (Ming-shih ed. Po-na, ch. 161, 3b—4a) ist jedoch recht

lakonisch und nicht sehr ergiebig. Sie geht großenteUs, wie die vielen wört¬

lichen Übernahmen zeigen, zurück auf eine andere, primäre QueUe,

nämlich die Grabschrift (mu-pei ming) für Li, die von Ch'ien Hsi-h

^ ^ 1^ verfaßt und in das 1527 erschienene Sammelwerk Huang-Ming

wen-heng RH X 1^ aufgenommen wurde (ed. Ssu-pu ts'ung-kan

ch. 82, 9a — 12a). Der Text des Ch'ien Hsi-li ist somit in erster Linie für

die Biographie des Li auszuwerten. Ch'ien selbst stammte aus Chi-shui

^ 7jC in der Provinz Kiangsi, war also aus der gleichen Gegend gebürtig

wie Li Ch'ang-ch'i. 1372 geboren, bestand er 1411 das chin-shih-Exa.men,

war im Ritenministerium tätig, machte sich als Autor einen gewissen

Namen und starb hochbetagt 1460. Er überlebte somit seinen um vier

Jahre jüngeren Generationsgenossen Li um 8 Jahre".

Aus der Grabinschrift des Ch'ien und der Biographie im Ming-shih

lassen sich nun folgende Angaben über unseren Autor gewinnen. Die

FamUie Li stammte ursprünglich aus Chin-ling (Nanking). Um das Jahr

1126 war ein Vorfahr, Li I Hof beamter (lang-chung) der Sungdynastie.

Er verlegte, zweifeUos wegen des Einbruchs der Jüchen, seinen Wohnsitz

von Nanking nach dem Marktflecken Wu-chiang ,% tL, 40 li östlich

der Kreisstadt Chi-shui (Kiangsi). Unter der Yüan-Dynastie verzog die

FamUie von dort in die Präfekturstadt Lu-ling ^ (das heutige Chi-an)

imd zwar in die Nähe des „Tor der Sonnenseite des Chi", Chi-yang

men |^ f^- Zuletzt war die FamUie in der ,, Schneckenfluß-Gasse",

Lo-ch'uan hsiang ^ jl] # wohnhaft. Der Urgroßvater unseres Autors,

Li Tao-hua 0, und sein Großvater Li Ch'ung-kuo ^ ^ hatten

keine Ämter inne. Sein Vater Li Po-k'uei ^ scheint auch kein Amt

bekleidet zu haben ; die Grabschrift meldet von ihm, daß er als Literat

und Dichter zu seiner Zeit Ansehen genossen habe. Das Ming-shih chi-

shih (TeU I, ch. 30, S. 548—549) schreibt seinen Namen Po-k'uei | #

und teilt mit, daß er Autor einer Gedichtsammlung war, die jedoch nicht

erhalten sei. Die zwei Gedichte, die der Kompilator des Ming-shih chi-

Huang-Ming wen-heng ch. 78, 4a — 7b; Ming-shih ch. 152, 10a — b;

Ming-shih chi-shih ed. Wan-yu wen-k'u, Teil II, Bd. 7, S. 719; Ohung-kuo

jen-ming ta tz'u-tien (im folgenden mit JM abgekürzt) S. 1617 II.

(3)

342 Hebbert Feanke

sUli abdruckt, sind der Anthologie Mirig feng-ya PJJ M\. ^1 des Hsü T'ai

^ entnommen und nicht etwa dem Originalwerk des Li Po-k'uei.

Zu dieser verlorenen Sammlung des Li Po-k'uei muß es dem Ming-shih

chi-shih a. a. 0. zufolge ein Vorwort von Yang Shih-ch'i ^ ■±: ^

(1365—1444)* gegeben haben, also einem gleichfalls aus der Präfektur

Lu-ling stammenden Literaten. An einer anderen Stelle findet sich die

Angabe, daß der literarische Name (hao) des Vaters unseres Autors

Pan-ku t'iao-sou M ^ ^ ^ ..der angelnde Greis vom gewndenen

Tal" gewesen ist*. All dies deutet darauf, daß der Autor des Chien-teng

yü-hua in einer kultivierten und literarischen Umgebung aufgewachsen

sein muß. Wir erfahren noch aus der Grabschrift, daß seine Mutter eine

geborene Liu ^ij war. Li Ch'ang-ch'i selbst heiratete in erster Ehe eine

geborene Ai 3c. die jedoch früh starb, und schloß mit einer Tochter aus

der Sippe Liu eine zweite Ehe. Aus der ersten Ehe stammte eine Tochter,

die einen gewissen Kuo Fu-chün |(J heiratete ; aus der zweiten

Ehe entstammten zwei Söhne, Li Hsüan 'a. und Li Ting die beide

die konfuzianisch-literarische Tradition ihres Vaters fortsetzten, jedoch

anscheinend nicht weiter hervorgetreten sind. Von den zwei der Ehe mit

der geborenen Liu entstammenden Töchtern heiratete die eine einen ge¬

wissen Ch'en Ya-hang ^1 m fi', die andere ChuChen-fu ^ M^-. Über

beide Schwiegersöhne war nichts Näheres in Erfahrung zu bringen.

Li Ch'ang-ch'i hieß eigentlich Li Chen )|^, doch führte er, vielleicht

aus Taburücksichten', seinen Mannesnamen Ch'ang-ch'i als persönlichen

Namen^. Mit literarischem Beinamen (hcio) bezeichnete sich Li als

3 chü-jen von 1504; vgl. JM S. 787 III; Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu t'i-yao (ed. Comm.Press in 4 Bd.) S. 4404.

* Vgl. die Grabschrift ün Huang-Ming wen-heng ch. 77, 18b — 21b; Ming-

shih ch. 148, la—8a; JM S. 1256 I.

6 Lieh-ch'ao shih-chi ^\\ ff ^ des Ch'ien Ch'ien-i (1582—1664, Hmn¬

mel, Em. Chin. S. 148—150) ap. Chou I, Neuausgabe 1957 des Chien-teng

hsin-hua und yü-hua, S. 122.

' Möglicherweise ist der als „jüngerer Vetter (piao-ti ^ ^) Ch'en" an¬

geredete Adressat eines Gedichts von Li Ch'ang-ch'i identisch mit diesem

Schwiegersohn oder stanunte ziunindest aus der gleichen Familie. Ming-

shih chi-shih Teil II, ch. 9, S. 708.

' Ein Bruder des Kaisers Ch'eng-tsu (Yimg-lo) hieß Chu Chen ^ i^,

schrieb sich also mit einem dem persönlichen Namen Li's sehr ähnlichen

Zeichen.

' Im Li-tai ming-jen nien-li pei-chuan tsung-piao des Chiang Liang-fu

(Comm. Press 1937) wird als weiterer Mannesuame miseres Autors Wei-ch'ing Ig Jj^ip angegeben (op. cit. S. 283). Dies ist ebenso falsch wie die Angabe von

An-hua ^ als Gebiutsort und der Verweis auf Ming-shih ch. 251. Es

liegt hier eine Verwechslung mit Li Chen, T. Wei-ch'ing vor, der in der

zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte und aus An-hua stammte (vgl.

(4)

Das Chien-teng yü-hiia des Li Ch'ang-eh'i 343

Ch'iao-an pai-i ^ ^ Ö ^ shan-jen „der weißgekleidete Bergbewohner

aus der Herbergshütte". „Weißgekleidet" bedeutet hier so viel wie „Mann ohne Amt und Rang", deutet also wie so oft die literarischen Pseudonyme

chinesischer Autoren auf eine Distanzierung zwischen literarischer Tätig¬

keit und Amtsgeschäften hin. Ein anderes hao des Li Ch'ang-ch'i war

Yün-pi chü-shih 5I ^ ^ ±* „der ziegeltragende Privatgelehrte". Dieser

Name spielt auf eine von T'ao K'an (257—332) berichtete Anekdote

{Chin shu ch. 66, 7a) an: T'ao beschäftigte sich in seiner dienstfreien Zeit

damit, Ziegel vor sein Haus und abends wieder auf ihren alten Platz

zurückzutragen. Dies tat er, wie er sagte, um überhaupt eine Tätigkeit

auszuüben und nicht dem Müßiggang anheimzufallen.

Die Lebensdaten des Li Ch'ang-ch'i werden in der Grabschrift auf den

Tag genau mitgeteilt. Er wurde am 26. VI. (13. Juli) 1376 geboren und

starb am 25. II. (17. März) 1452». Wie üblich, sind die biographischen

Quellen für Beamte, also in unserem Fall die Grabschrift und das ihr

folgende Ming-shih, nur für die Einzelheiten der Karriere ausführlich

und aufschlußreich, während sonst außer den traditionellen allgemeinen

Lobfloskeln und den Angaben über Herkunft und Familienstand nicht

viel daraus zu entnehmen ist. Li war einer der 472 Gelehrten, die 1404

die chin-shih-VrüiMXig ablegten und gehörte auch zu jener Elite von Lite¬

raten, die nach dem Examen mit dem Titel shu-chi shih d: in

die Han-lin-Akademie übernommen wurden. Die Biographien von Han¬

lin-Gelehrten der frühen Yung-lo-Zeit erwähnen immer wieder, eine wie

große Auszeichnung es bedeutet habe, zu jenen vom Kaiser ausgewählten

28 Literaten gehört zu haben. Unter diesen muß sich ein besonderes Ge¬

fühl der kollegialen Zusammengehörigkeit gebildet haben, denn es ist

auffällig, ^vie oft der eine eine Grabschrift oder einen Nachruf auf den

anderen verfaßt hat. Freilich gehörte ja auch die Abfassung von Beamten-

viten zu den Aufgaben der Han-lin-Gelehrten. Wir werden nachher noch

einigen der damaligen Kollegen Li's als Autoren von Vorworten zu seiner

NoveUensammlung begegnen.

In seinem Amt war Li auch an der KompUation des Yung-lo ta-tien

beteUigt. Die Grabschrift hebt hervor, daß er lange Dienststunden ein¬

hielt und im übrigen seine freie Zeit der Dichtkunst widmete. Von dieser

mehr literarischen Tätigkeit wurde Li als Rat {lang-chung) in die Proto¬

kollabteilung {chu-k'o ssu i Ij] ) des Ritenministeriums versetzt, ein

JM S. 439 I). Richtig sind also von den ganzen Angaben des sonst so un¬

entbehrlichen Nachschlagewerks mu- Name und Lebensdaten (1376 bis

1452) des Li Ch'ang-ch'i.

' Wenn das Ming-shih am Ende der Biographie (ch. 161, 4a) „zweites

Jahr Ching-t'ai" (1451) schreibt, so ist das in ,, drittes Jahr" zu korrigieren.

Die Grabschrift gibt die zykhschen Zeichen für das Sterbejahr 1452 an.

(5)

344 Herbert Fbanke

Amt, welches als besonders schwierig geschildert wird, da zu dessen Zu¬

ständigkeiten auch Angelegenheiten des Hofzeremoniells gehörten. Bis

dahin hatte es sich um politisch weniger bedeutsame Hofposten gehandelt,

doch brachte die nächste Beförderung eine auch politisch etwas ein¬

flußreichere Tätigkeit mit sich: Als der nachmalige Kaiser Jen-tsung

(reg. 1425) als Kronprinz Reichsverweser war, sorgte er dafür, daß Li

zum tso-pu-cheng shih Ä ^7 iS für die Provinz Kuangsi ernannt

wurde, also einer Art Regierungskommissar, der die Amtsführung der

lokalen Behörden, jedoch auch insbesondere das Schulwesen zu kon¬

trolheren hatte. Wann diese Beförderung erfolgte, gibt die Grabschrift

nicht genau an. Es heißt dort nur ,,als der Kaiser nach Peking gereist

war". In den Regesten der Ming-Djmastie ist aber das Datum der Be¬

förderung vom Rat im Ritenministerium zum tso pu-cheng shih für

Kuangsi verzeichnet, nämlich der Tag ting-wei des IV. Monats 1418

(1. Juni)!».

In seinem Provinzialamt soll Li sich durch gute Amtsführung aus¬

gezeichnet haben. Insbesondere wird erwähnt, daß es ihm gelungen sei,

die nichtchinesischen Ureinwohner (es werden die Yao und Liao in der

Grabschrift erwähnt) zu befrieden und ihre Raubzüge zu unterbinden.

Wegen des Todes seines Vaters quittierte er dem Ritus getreu seinen

Dienst. Dies muß, der Biographie im Ming-shih zufolge, vor 1425 ge¬

wesen sein; die Grabschrift läßt keinerlei Rückschlüsse zu. Die Grab¬

schrift erwähnt auch nicht ein Ereignis, welches in den letzten Regie¬

rungsjahren des Yung-lo-Kaisers unseren Autor betroffen haben muß:

In eine Affaire verwickelt, wurde er abgesetzt und zu Frondienst ver¬

urteilt, jedoch bald danach wieder begnadigt und rehabilitiert, wenn

auch nicht in sein früheres Amt wieder eingesetzt. Da sein Kolophon

zu unserer Novellensammlung 1420 datiert ist und bereits von der Straf¬

versetzung spricht, muß dies alles sich zwischen 1418 und 1420 ab¬

gespielt haben. Bezeichnend ist auch, daß Li Ch'ang-ch'i nicht mit

seinem Beamtentitel unterschreibt, so daß man zu der Annahme ge¬

führt wird, er habe seine Novellen noch vor seiner Rehabilitierung ver¬

faßt. Da Li erzählt, er sei „zur Überwachung von Frondienstarbeiten"

eingesetzt gewesen, ist er wohl strafweise mit dieser Aufgabe betraut

worden^i. Einen genaueren Anhalt gibt Nr. 21 unserer Sammlung:

1" T'ai-tsung yung-lo shih-lu (ed. Kiangsu Kuo-hsüeh t'u-shu-kuan) ch. 110, 3a.

11 Die Regesten erwähnen des öfteren solche strafweise Sonderaufträge.

Vgl. z. B. den Fall des gleichfalls in Kuangsi tätigen Inspektionszensors Yü

Hsien ^ gf, der 1421 wieder in sein altes Amt eingesetzt wurde, nachdem

ein Strafverfahren ihn zur Aufsicht von Arbeitsvorhaben verurteilt hatte.

Die Rehabilitienmg erfolgte nach Abschluß des betreffenden Vorhabens

(Tag kuei-wei des I.Monats 1421, T'ai-tsung yung-lo shih-hi, ch. 119,4b).

(6)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i 345

danach ist Li 1419 vom Süden an seinen Verbannungsort in Hopei ge¬

kommen.

Nach dem Regierungsantritt des Kaisers Jen-tsung (1425) wurde Li

mit dem gleichen Rang, den er früher in Kuangsi bekleidet hatte, in die

Provinz Honan versetzt. Dies war, wie aus den Regesten hervorgeht,

am Tag i-hai des V.Monats 1425 (23. Mai). Damals muß Li seinen

Vater oder seine Mutter verloren haben, denn es heißt unter dem be¬

treffenden Tag: ,,Der tso pu-cheng shih für Kuangsi, Li Ch'ang-ch'i

wurde nach Ablauf der Trauerfrist zu dem pu-cheng-Amt nach Honan

versetzt"!".

1436 reichte Li eine Denkschrift em, in der er dem Kaiser Ying-tsung

kurz nach dessen Regierungsübernahme bestimmte Vorschläge machte.

Ihr Wortlaut ist uns in den Regesten der Ming-Dynastie erhalten^^.

Li bringt drei verschiedene Punkte zur Sprache. Der erste Abschnitt

seiner Eingabe betrifft die Gemeindeschulen (she-hsüeh jjii ^). In den

früheren Jahren habe es in allen Städten und Landgemeinden solche

Schulen gegeben, doch seien sie in neuerer Zeit verfallen. Li schlägt vor,

daß bei allen Inspektionsämtern {an-ch'a ssu ^ ^ zusätzliche Se¬

kretariate {ch'ien-shih ^) geschaflFen werden sollten, die sich aus¬

schließlich der Aufsicht über das Schulwesen widmen. In allen Prä¬

fekturen und Kreisen sollten dann entsprechend der Bevölkerungszahl

Schulen eingerichtet und Lehrer für den Unterricht angesteUt werden.

Für den Fall, daß es nicht genug graduierte konfuzianische Gelehrte

gäbe, solle man auch Studenten der Oberstufe mit einwandfreiem Leu¬

mund zusätzlich für den Unterricht heranziehen.

Der zweite Punkt wendet sich gegen die Ausübung von religiösen

Praktiken durch Laien. In allen Präfekturen, Kreisen und Garnisons¬

orten von Honan gäbe es Männer und Frauen aus zivilen oder Militär¬

familien, die sich die Bezeichnung Schamane {tuan-kung lang ^ ^ fi[5)

oder Schamanin {tuan-kung p'o ^) beilegten und die Bevölkerung mit

Hilfe ihrer angebhchen Götter in die Irre führten. Wenn jemand krank

werde, verlasse er sich nicht mehr auf Ärzte oder Medikamente, sondern

nehme Wasser mit Amuletten ein. Die Folge sei, daß von 10 Kranken 8

oder 9 stürben, was eine Schädigung der Menschen und einen Verfall

der Volkssirten bedeute. Der buddhistische Klerus bäte deshalb dringend

darum, durch Verbote einzuschreiten und die Rückfälligen sowie die¬

jenigen, die derartiges Treiben duldeten, zu bestrafen.

Der dritte Punkt der Denkschrift zeigt deutlich ein lokalpatriotisches

Motiv. Li weist darauf hin, daß die loyalen Untertanen und tapferen

12 Jen-tsung hung-hsi shih-lu ch. 10, 3a.

13 Ying-tsung cheng-t'ung shih-lu ch. 21, 3b — 4a. Das Datum ist der Tag

keng-wu des VIII. Monats, was dem 17. September 1436 entspricht.

(7)

346 Hbebekt Feanke

Helden früherer Dynastien in den Opferlisten geführt würden. Wen

T'ien-hsiang ^ ^ # (der berühmte treue Kanzler aus den letzten Jah¬

ren der Sung, 1236—1282) sei durch seine Verdienste um das Herrscher¬

haus ein Vorbild für alle späteren Generationen, aber in seiner Heimat

opfere man ihm lücht regelmäßig und sein posthumer Ehrentitel er¬

mangelte der lobenden Beiworte. Auch sei schon von manchen Leuten

Klage darüber geführt worden, daß Wen noch nicht in den Opferlisten

stehe, so daß hiermit der Antrag gestellt würde, ihm genau so zu opfern

wie Chang Hsün ?g und Hsü Yüan ^ ig (zwei tapferen Beamten

der T'ang-Zeit, die beim Aufstand des An-Lu-shan 757 ums Leben

kamen). Ferner möge die Präfekturverwaltung von Chi-an angewiesen

werden, Geld aus der Amtskasse für den Ankauf von Opfergaben be¬

reitzustellen, damit in der Opferhalle von Lu-ling die Opfer von der Be¬

amtenschaft durchgeführt werden könnte. Schließhch möge der Kaiser

einen lobenden posthumen Ehrentitel für Wen dekretieren, um so dessen

Patriotismus als Mahnung für die kommenden Geschlechter zu würdigen.

„Der Kaiser billigte dies hocherfreut und wies das Ritenministerium

im Hauptquartier an, die Durchführung dieser Maßnahmen mit seinen

Beamten zu beraten". Der für Wen T'ien-hsiang unternommene Schritt

Li's erklärt sich leicht daraus, daß beide aus der gleichen Stadt stammten

und die Tatsache, einen so hochverdienten Patrioten hervorgebracht zu

haben, dem im kaiserlichen Auftrag Opfer dargebracht wurden, wiederum

das Prestige der ganzen Stadt zu heben geeignet war. Aufschlußreich

ist aber auch das Eintreten von Li für die konfuzianischen Schulen und

gegen die unkontroUierte Tätigkeit von Schamanen im Volk. Es deutet

nämlich auf eine Diskrepanz zwischen seinen oft taoistisch oder bud¬

dhistisch gefärbten Novellen und der Alltagspraxis eines konfuzianisch

denkenden Beamten. Man sieht auch hier, wie jemand phantastische

Wundergeschichten schreiben konnte, ohne nun auch im täglichen

Leben dieser Sphäre nahe zu stehen.

Drei Jahre später beantragte Li seine Versetzung in den Ruhestand

und begründete dies mit Alter und Krankheit. Seinem Antrag wurde

stattgegeben (Tag kuei-wei des IV. Monats, d. i. 18. Mai 1439)^*. Seine

restlichen Jahre verbrachte er kränkelnd, aber noch andauernd lite¬

rarisch tätig, in seinem Heimatort bis zu seinem Tode 1452^*. Beigesetzt

wurde er in der Grabstätte seiner Ahnen westlich des Tempels Chao-i-

yüan ^ 1^ auf dem „Purpurwolken-Berg" (Tzu-yün shan ^ ^ llj)

nahe seiner Heimatstadt Lu-ling.

1* Ying-tsung cheng-t'ung shih-lu ch. 54, 2b.

15 Die Angabe des Ming-shih 161, 4 a, Li habe nach seinem Abschied über

20 Jabre in seiner Heimat gelebt, muß ein Schreibfehler sehi. Zu lesen ist

sicher „12" anstatt „20".

(8)

Das Chien-teng yü-hna des Li Ch'ang-ch'ij 347

Während die übhchen Nachschlagewerke einschließlich der chine¬

sischen" nicht sehr viel über Li und seine Novellensammlung aussagen,

läßt sich, wenn wir von dem später noch zu besprechenden Kolophon des

Li zu seiner Sammlung zunächst absehen, aus mingzeitUchen Quellen

noch einiges Zusätzliche über den Autor in Erfahrung bringen.

Lu Hsün hat in seiner Quellensammlung zur Novellen- und Roman-

literatur Chinas {Hsiao-shuo chiu-wen ch'ao /Jn ^ ff Neuausg.

1953) S. 48—49 die Notiz des T'ing-yü chi-t'an S$. M 12 Kc über Li

Ch'ang-ch'i wiedergegeben. Sie ist jedoch nicht sehr ergiebig. Das Werk

ist von Tu Mu ^5 ^ (1458—1525) verfaßt, also vergleichsweise spät.

Eine unserem Autor zeitlich näherstehende Quelle ist das Shui-tung jih-

chi 7K ^ H la des Yeh Sheng M # (1420—1474)1'. Wir lesen dort über

Li Ch'ang-ch'i (ed. Chi-lu hui-pien Iß # ^ ^ ch. 4,13a): „Als Mensch

war er korrekt und unbestechlich und blieb sich von seinem Eintritt in

den Beamtendienst bis zu seinem aus Altersgründen erfolgten Rücktritt

stets gleich, so daß manche Leute es sehr bedauerten, daß er nicht dazu

kam, in einer entscheidenden Regierungsstelle zu wirken. Einmal schrieb

er zu einem Portrait, das ihn darstellte: „Zwar ist mein Antlitz un¬

schön, doch meine Gesinnung ist ernsthaft. Obwohl ich die Amtslauf¬

bahn einschlug, hielt ich meine Wünsche in Grenzen. Loyalität und

Kindespflicht empfing ich von Vater und Lehrer; Gelehrsamkeit ertrug

ich von aufrechten Charakteren. Der frühere Kaiser Jen-tsung lobte mich

als trefflichen Menschen, und der Fürst von Chou erkannte an, daß ich

das rechte Benehmen zeigte. Ich wiU meine Freunde nicht damit be¬

mühen, ein Lobgedicht auf mich zu schreiben, sondern nur von mir aus

die gnädigen Worte der Herrscher weitergeben". Es gibt jedoch auch noch andere, die (Li) erwähnt haben. So hat zur Zeit der Regierungsperiode

Ching-t'ai (1450—1456) der Zensor Han Yung H M (1422—1478) ge¬

meldet, daß Li altershalber zurückgetreten sei, und wollte ihn unter die¬

jenigen früheren Staatsdiener einreihen lassen, denen auf Grund ihrer

Würdigkeit eine Ehrentafel zuerkannt wmde. Aber es kam rücht dazu,

weil Li früher einmal das Chien-tenq yü-hua geschrieben hatte. Außer

diesem Werk hat er aber noch viele (Gedichte und Prosaschriften verfaßt ;

sein Yün-pi chi ^ ^ ^ und anderes ist der Nachwelt überliefert. Das

1« JM S. 439 I; T'an Cheng-pi, Wen-hsüeh-chia ta tz'u-tien Nr. 3820 (er¬

wähnt das Chien-teng yü-hua überhaupt nicht). Auch die Werke von High¬

toweb [Topics in Chinese Literature) imd Nagasawa Kikuya (übs. von

E. Feifel „Oesch. der chin. Lit. und ihrer gedankl. Orundlage") gehen nieht

auf Li und seine Novellen ein. Das Shinagakugei Daijii von Kondo Moku

dagegen widmet dem Werk einon ausführlichen Artikel, S. 734 (ed. 1944).

" Vgl. hierzu W. Fbanke, Preliminary Notes on the Important Chinese

Ziiterary Sourees for tlie History of the Ming Dynasty, in : Bulletin of Chinese Studies vol. 7 (1947) Nr. 48.

23 ZDMG 109/2

(9)

348 Hebbert Fbanke

Yü-hua allerdings stellt eine Verirrung dar. Sein Chih-cheng chi-jen hsing

(d. i. Nr. 21 des Yü-hua) stützt sich zwar weitgehend auf ältere Vor¬

bilder, doch gibt es eigenthch kein Werk, als dessen Ableger man es be¬

trachten kann".

Wir erfahren also noch an biographischen Einzelheiten aus obiger

Stelle, daß Li sich nicht nur der Gunst des Kaisers Jen-tsung rühmte,

sondern auch der Wertschätzung durch den ,, Fürsten von Chou

Es kommen hier zwei Träger dieses Titels in Frage. Chu Su ^ j^f!^^ der

5. Sohn des Dynastiegründers, wurde 1378 mit dem Titel Chou-ting wang

M 'M ^ belehnt. Er starb 1425 und zeichnete sich als Dichter und Kalli¬

graph aus^®. Sein ältester Sohn, Chu Yu-tun ^ erbte 1425 das Lehen

mit dem Titel Chou-hsien ^ wang und starb im gleichen Jahr wie Li,

1452. Auch er war als Literat, Maler und Kahigraph tätig". Aufschlu߬

reich ist die Angabe, daß die Verfasserschaft des Chien-teng yü-hua,

ihrem Autor nach seinem Tode noch schadete. Es scheint, als ob man

die NoveUen wegen ihres teils erotischen, teUs sozialkritischen Inhalts

als eines konfuzianischen Ehrenmannes unwürdig ansah. Hier ist daran

zu erinnern, daß das Chien-teng hsin-hua sogar 1442 proskribiert wurde^",

und die Annahme liegt nahe, es habe das seinerzeitige Verbot auch das

Yü-hua betroffen, das ja damals schon im Druck verbreitet war.

Das hier erwähnte Yün-pi chi ist wohl identisch mit der im Kaiser¬

lichen Katalog^! beschriebenen Gedichtsammlung Yün-pi man-kao ^ if^

unseres Autors. Sie umfaßte 7 Kapitel und ist 1459 von Cheng Kang

^ iP aus Chi-an, also einem Landsmann des Li Ch'ang-ch'i, zusammen¬

gestellt worden. Es muß aber auch schon eine frühere Ausgabe gegeben

haben, nämlich einen Holzplattendruck des Jahres 1436^^. An weiteren

Schriften lassen sich dem Titel nach noch aufzeigen ein Jung-hsi hsien-

ts'ao ^ Ig $f und ein Ch'iao-an shih-yü ^ ^ g| it;^*. Es ev-

Ming-shih chi-shih, Teil I, ch. 2A, S. 34—35; Ming-shih ch. 116,

9b — 10b; Sun T'o-kung, Chung-kuo hua-chia jen-ming ta tz'u-tien 8. 93 II.

19 op. cit. S. 37—38. Sun T'o-kxmg, op. cit. S. 93 III.

2» Vgl. ZDMG Bd. 108 (1958) S. 338—339.

2! Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu t'i-yao S. 3620—21. — Im Index zu der

Commercial-Press-Ausgabe ist unter dem Stichwort Li Ch'ang-ch'i 3620 zvi

lesen anstatt des falschen 4620.

22 Yang Chia-lo, Ssu-k'u ta tz'u-tien S. 3—123 III. In der Seikadö Bunko wird ein Mingdruck aufbewahrt, jedoch ist nicht ersichtlich, ob es sich bier

um den von 1436 oder die Ausgabe Chengs von 1459 handelt, vgl. Seikadö

Bunko Kanseki Bunrui Mokuroku (1930) S. 717. Die National Central

Library in Taipei besitzt eine Ming-Handsohrift des Werks, vgl. Kuo-li

chung-yang t'u-shu-kuan shan-pen shu-mu (1958) Bd. II, S. 109. Ob das Werk

in neuerer Zeit nachgedruckt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

28 Erwähnt im Ming-shih chi-shih Teil II, ch. 9, S. 707.

2* JM S. 439 I.

(10)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'il 349

scheint nicht ausgeschlossen, daß beide Titel Teile des Yün-pi man-kao

bezeichnen.

Einiges weitere über Li als Autor läßt sich noch aus den in neueren

Kompilationen zitierten ming-zeitlichen Quellen entnehmen. So zitiert

das Ming-shih chi-shih (vgl. Anm. 23) aus den (Jesaramelten Werken^^

des Li Shih-mien ^ ^ (1374—1450), eines Examenskameraden von

Lii Ch'ang-ch'i: „Die Gedichte des Kommissars Li sind wie zarte Wölk¬

chen, die im Raum treiben, von wechselnder Gestalt und schwer fest¬

zuhaltender Form. Sie gleichen QueUen im Frühling, die die Täler be¬

wässern, munter sprudelnd ohne je zu versiegen". Ferner wird dort eine

Äußerung aus dem I-shan shih-hna ^ iJj |# |g des An P'an ^

mitgeteUt, wonach das Chien-teng yü-hua stofflich bemerkenswert und

sein Autor vor allem als Verfasser von Centos (chi-chü % vgl. unten

S. 363) zu rühmen sei. Ich weiß nicht, woher Ch'en T'ien, der Kompilator

des Ming-shih chi-shih, diese SteUe hat. In der Ausgabe des I-shan

shih-hua im Ssu-k'u ch'üan-shu chen-pen findet sich nichts dergleichen.

Möglicherweise ist der Text des Ssu-k'u ch'üan-shu unvohständig oder

gar ,, gereinigt".

Die Notiz im Lieh-ch'ao shih-chi des Ch'ien Ch'ien-i (vgl. hierzu Anm. 5

oben) über Li Ch'ang-ch'i verwertet die uns bereits bekannten früheren

QueUen und bringt insofern nichts Neues. Sie ist auch in die große Enzy¬

klopädie Ku-chin t'u-shu chi-ch'eng aufgenommen worden^'. Auch Chou I,

der 195V eine Neuausgabe der Novellen veranstaltete, druckt sie ab

(S. 122 seiner Ausgabe).

II.

Die ausführlichsten bibliographischen Angaben über das Chien-teng yü-

hua enthält Shinagakugei Daijii des Kondo Moku (ed. 1944, S. 734). An

älteren chinesischen Drucken werden erwähnt Ausgaben von 1433 und

1487 (beides Holzplattendrucke), ferner ein Druck der Ch'ing-Zeit als

Westentaschenausgabe unter dem Titel Ssu-teng chi O ffi ^ (also

wohl zusammen mit dem Hsin-hua, dem Mi-teng yin-hua ffi 0 i5

und einer weiteren, einstweilen nicht zu identifizierenden NoveUen¬

sammlung). Der älteste japanische Druck (in beweglichen Lettern)

a

25 Xu-lien chi ^ Vgl. zu dem Werk die Notiz im Kaiserlichen

Katalog, Ssu-k'u S. 3621. Zu Li Shih-mien und seinem Antrag, das Chien-

teng hsin-hua zu proskribieren vgl. ZDMG Bd. 108 (1958) S. 338—339.

26 Das Werkehen trägt eine Vorrede von 1528. Näheres siehe Ssu-k'u

S. 4383. Der Verweis imter dem Stichwort An P'an im Index (4388) ist in

4383 zu korrigieren.

27 Abt. Li-hsüeh ch. 96, ed. Chung-hua shu-chü Bd. 630, S. 24b III.

23*

(11)

350 Heebebt Fbankb

entstammt der Genwa-Zeit (1615—1624); eine Neuauflage erfolgte 1692

(Genroku 5)2«.

In China hat es im übrigen während der Mandschuzeit einige teilweise

Nachdrucke gegeben, wie die Einleitung des Chou I ^ ^ zu dem 1957

erschienenen Neudruck (S. 4) Chien-teng hsin-hua, wai erh chung ~ Jff^

(Ku-tien wen-hsüeh ch'u-pan she, Shanghai 1957) zu entnehmen ist. So

hatte die Ch'ien-lung-Ausgabe (vielleicht ist sie identisch mit der oben

erwähnten ,, Westentaschenausgabe") anstelle der heutigen 22 nur 14 No¬

vellen; eüi weiterer Nachdruck der T'ung-chih-Zeit (1862—1874) umfaßte

gar nur 2 chüan. Demgegenüber wird in einem mingzeitlichen Katalog

die Zahl der chüan mit 4 angegeben^»; die Genroku-Ausgabe von 1695

umfaßte sogar 7 chüan. Es scheint, daß die teilweisen Nachdrucke des

18. und 19. Jahrhunderts keine weite Verbreitung fanden und daß in

China das Interesse an diesen mingzeitlichen Novellen völhg erstarb.

Denn als 1917 Tung K'ang j| ^ sein Sung-fen shih ts'ung-k'o f| ^ ^

^ %\] herausgab und darin auch das Chien-teng yü-hua nachdruckte

(ch. 105—106), benutzte er als Vorlage den japanischen Typendruck der

Genwa-Zeit.

Chou I erwähnt weiterhin a. a. 0. einen Shanghaier Typendruck von

1931 sowie eine 1936 von dem bekannten Literarhistoriker Cheng Chen-to

veranstaltete Ausgabe in der Sammlung Shih-chieh wen-k'u Iti: ^ jÖ; ^ .

Der Neudruck von 1957 schließlich beruht auf der Ausgabe des Tung

K'ang von 1917, geht also letzten Endes auch auf die japanische Ausgabe

der Genwa-Zeit zurück, jedoch wurden zur Kollation des Textes auch

die Ausgabe Chengs und Teildrucke der Mandschuzeit herangezogen und

Parallelversionen in der Großen Enzyklopädie Ku-chin t'u-shu chi-ch'eng

verglichen. In Japan selbst war das Interesse an den Novellen anschei¬

nend sehr viel größer, denn wir finden sie in den großen Sammlungen

repräsentativer Werke der chinesischen Literatur Shina Bungaku Taikan

(Bd. 10) und Kokuyaku Kambun Taisei (Abt. Bungaku Bd. 13). Für die

japanischen Literarhistoriker stellten sich also die in China fast schon

verschollenen Novellen des Li Ch'ang-ch'i wie auch die seines Vorgängers

Ch'ü Yu als wesentlicher Bestandteil der literarischen Tradition Chinas

dar. Auch dies mag ein Grund sein, ihnen eme monographische Abhand¬

lung zu widmen. Unsere Studie benutzt die 1922 erschienene Ausgabe im

28 Ein Exemplar befindet sich in der Seikadö Bunko, vgl. Seikadö Bunko

Kanseki Bunrui Mokuroku (1930) S. 597. Im Katalog der National Central

Library, Taipei wird ein „alter japanischer Typendruck" verzeichnet ohne

nähere Angaben, vgl. Kuo-li chung-yang t'u-shu-kuan shan-pen shu-mu

(1958) Bd. I, S. 156.

29 Fo-ch'uan shu-chih "g" Jl] ^ ^ ch. 6 (ed. Ku-tien wen-hsüeh ch'u-pan she) S. 89.

(12)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'ij 351

Kambun Taisei (Übersetzung und Anmerkungen stammen von Shionoya

On ill ^ im) sowie die durch Chou I besorgte gleichfalls mit Anmerkun¬

gen versehene Ausgabe von 1957. Die einzelnen NoveUen sind zur leich¬

teren Kennzeichnung im folgenden durchnumeriert. Insgesamt umfaßt

die Sammlung 22 Stücke.

Die Tatsache, daß Chou I in seinem Neudruck zu Anfang des Buches

ein Photo der ersten Seite des Druckes von 1433 gebracht hat (das Ori¬

ginal befindet sich unter den Rarissima der Shanghaier Bibliothek), er¬

laubt einige Rückschlüsse. Zunächst deutet der volle Titel Hsin-k'an

chiao-cheng tsu-pen fjf f iJ iE JE. Chien-teng yü-hua „Neuer, durch¬

gesehener und vohständiger Druck des C." darauf hin, daß es schon vor

dieser Ausgabe eine frühere gegeben haben mag, vermutlich also eine

der Yung-lo-Zeit. Sodann sind auch die Personen genannt, die an der

Edition und dem Druck des Textes beteiligt waren. Nächst dem Autor

erschemt als Editor (ting-ting |T ^) der Hanlin-Gelehrte {shu-chi shih

J^S ±) Liu Tzu-ch'in flj ^ (über ihn vgl. unten S. 356). Als

Drucker bezw. Aufseher der Druckarbeiten {chiao-k'an f Ij) wird der

Landrat {chih-hsien W) des Kreises Shang-hang J; (Fukien),

Chang Kuang-ch'i 5g ^ genannt, während der Kreisbeigeordnete

(hsien-ch'eng | ^) des Kreises Chien-yang ^ ^ (Fukien), Ho Ching-

ch'un ffij ^ für die Illustration sorgte {hsiu-hsing ^ ^j). Die Er¬

wähnung von Chien-yang ist aufschlußreich, denn diese Stadt war in

der Ming-Zeit wegen ihrer holzreichen Umgebung das bedeutendste Zen¬

trum des privaten Druckgewerbes^.

III.

Zur Vorgeschichte der Novellensammlung des Li Ch'ang-ch'i ist

schheßlich noch einiges aus den Vorreden zu entnehmen, die von Chou

in seiner Ausgabe von 1957 abgedruckt sind (S. 123—129), während sie

im Kambun Taisei fehlen. Wie üblich stammen die Vorworte von Freun¬

den oder Amtskollegen des Verfassers sowie Personen, die sonst an der

Herausgabe des Werkes beteiligt waren. Das erste Vorwort stammt von

kemem germgeren als Tseng Ch'i -f" ^ (T. -J- 1372—1432), dem

Primus der Examina von 1403—4. Tseng war nicht nur ein engerer

Landsmann von Li (er stammte aus Yung-feng in Kiangsi, nordost¬

wärts Chi-an), sondern auch sein Kollege in der Hanlin-Akademie und

wirkte gleich Li am Yung-lo ta-tien mit. Nach 1426 war Tseng einer der

»» Vgl. Wu Kuang-ch'ing in Harvard Journal of Asiatio Studies vol. 7

(1942—43) S. 232—233.

(13)

352 Hebbert Fbanke

Mitarbeiter bei der Kompilation der shih-lu der ersten Ming-Kaiser^i.

Seine Vorrede zum Chien-teng yü-hua ist datiert letzte Dekade (4. bis

13. März) des Frühlings-Schaltmonats 1420; als Ämter gibt Tseng damals

an Hanlin-Vorleser (shih-tu hsüeh-shih) mit dem Titel feng-hsün ta-fu

sowie Redaktor der Reichsgeschichte (hsiu-kuo-shih). Eine empfehlende

Vorrede aus dem Pinsel eines so hochstehenden Literaten mochte wohl

erforderlich sein, um dem Buch zum Erfolg in den gebildeten Schichten

zu verhelfen.

Wir erfahren aus der Vorrede, daß Tseng mit Li befreundet und sogar

verschwägert war. Er, Tseng, habe das Manuskript in einem Zuge des

Nachts gelesen ohne Schlaf zu finden. Äuch gemeinsame Bekannte hätten

den Wunsch geäußert, das Buch in die Hand zu bekommen. Tseng lobt

den Stil und die literarische Eleganz der Novellen, und empfiehlt es mit

der Bemerkung, man könne sein Wissen durch die Lektüre vergrößern.

Li habe seine Novellen verfaßt, weU das Hsin-hua einen solchen Erfolg

beim lesenden Publikum gehabt habe.

Das nächste Vorwort stammt von Wang Ying 3£ ^ (T. ^

1376—1450), einem anderen Han-lin-KoUegen und Prüfungskameraden

von Li Ch'ang-ch'i, der es in einer an Ehren reichen Laufbahn bis zum

Ritenminister brachte^^ Das Vorwort ist datiert 16. Tag des ersten

Frühlingsmonats (30. Januar) 1420; als Amt gibt Wang das eines Han-

lin-Texterklärers (shih-chiang) an. Wang sagt, er habe das Chien-teng

yü-hua gelesen und sei beeindruckt von der BUdung des Autors und der

Eleganz seines Stüs. Sodann setzt sich Wang mit einem ungenannten

Opponenten auseinander, der bemerkt hatte, daß ein Edler doch nicht

an solche übernatürlichen Geschichten glauben könne. Dem hält Wang

entgegen, daß auch die Schriftsteller des Altertums seltsame und wun¬

derbare Begebenheiten berichtet hätten. Wenn man aber aus diesen

Schriftstellern Nutzen ziehen könne, dann doch sicher auch aus den No¬

veUen des Li. Überdies enthielten ja die NoveUen viele beherzigenswerte

moralische Grundsätze, wie etwa die VerurteUung von Hochmut und

Wollust (Nr. 1) die Schilderung des heroischen Todes der Frau T'an

(Nr. 3) und der Treue von Chao Luan (Nr. 10) und Ch'iung-nu (Nr. 13).

Er, Wang, schreibe dieses alles auf, damit gebührend auf die umfassende

BUdung des Autors hingewiesen würde und niemand etwa wegen der

wunderbaren Begebenheiten der Geschichten Kritik übe. Zum Schluß

äl Zur Biographie vgl. Huang-Ming wen-heng ch. 87, 7b — 10a (Grab¬

schrift, verfaßt von Yang Yung If^ 1^); Ming-shih chi-shih Teil II, ch. 8,

S. 687—692; T'an Nr. 3810; JM S. 1165 III.

ä2 Zur Biographie vgl. Huang-Ming wen-heng ch. 61, 7b — IIa (Lebens¬

lauf von Ch'on Ching-tsung |!^ (,jj[ ^); Ming-shih chi-shih Teil II, ch. 8,

S. 698—700; Ming-shih ch. 152, 8b—10a; JM S. 110 III.

(14)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i 353

sagt Wang noch, daß Li dies Buch nur zu seinem Vergnügen geschrieben

habe (d. h., er will es nicht als große Literatur betrachtet wissen).

Die dritte Vorrede stammt von Lo Ju-ching ^ ^ ^ (sein eigent¬

hcher Name war Chien ^, Ju-ching sein Mannesname; 1372—1439)^*.

Er stammte nicht nur aus der gleichen Gegend wie Li Ch'ang-ch'i, son¬

dern war auch gleich den beiden anderen Vorwort-Autoren Examens¬

genosse unseres Autors und sein Kollege in der Akademie gewesen. In

späteren Jahren hatte er Posten im Finanzdienst, nahm an zwei Gesandt¬

schaften nach Annam teil und zeichnete sich als Intendanturrat bei dem

Mongolenfeldzug von 1430 durch Tapferkeit aus. Als er 1420 sein Vor¬

wort schrieb (1. I., d. i. der 15. Januar), war er Redaktor der Akademie

(hsiu-chnan) und rechter Rat {yu shih-lang) im Feldquartier des Arbeits¬

ministeriums. Gleich Wang Ying weist auch Lo Ju-ching in seinem Vor¬

wort darauf hin, daß in übernatürlichen und seltsamen Geschichten eine

Moral stecken könne und daß auch ein aufrechter Konfuzianer deshalb

an den Novellen — 20 an der Zahl in vier Kapiteln — sein Gefallen

finden müsse, Novellen, die dem Sou-shen chi und dem I-chien chih

durchaus überlegen seien.

Da die drei Vorworte alle 1420 datiert sind, kann man annehmen, daß

sie schon der ersten Auflage des Werkes gegolten haben. Das undatierte

Vorwort von Chang Kuang-ch'i könnte auch schon in der ersten Auflage

gestanden haben. Wir sahen oben, daß Chang sich im Titel des Neu¬

drucks von 1433 als Landrat von Shang-hang bezeichnet^*, während das

Vorwort keinerlei Amtsbezeichnung enthält und Chang von sich nur als

„Spätergeborenem" spricht. Auch Changs Vorwort spricht davon, daß

Li sein Buch unter dem Eindruck der Lektüre des Chien-teng hsin-hua

geschrieben habe und zwar in der Absicht, Ch'ü Yu zu übertrumpfen.

Chang erhielt, we er schreibt, das Buch von seinem Lehrer Liu Tzu-

ch'in (über ihn s. u. Anm. 38) ausgehändigt und war so begeistert von

der moralischen Tendenz des Werkes und dem eleganten Stü, daß er für

Drucklegung Sorge trug, „um den Kunstfreunden im Süden" etwas zu

bieten. Es folgen acht Verse zum Lob des Werkes. Wenn man Changs

Vorwort bereits der ersten Auflage zuschreiben kann, so ist er der

Drucker beider Auflagen, der von 1420 und der von 1433 gewesen.

•i

33 Zur Biographie vgl. Huang-Ming wen-heng ch. 82, 6b — 9a (Grab¬

schrift von Wang Ying — man sieht, wie die Kollegen der Han-lin-Akademio

füreinander schrieben!); Ming-shih chi-shih Teil II, ch. 9, S. 712—713;

Ming-shih ch. 137, 18a—19a; JM S. 1747 IV.

3* Die Vorrede des Liu Tzu-ch'in freilich bezeichnet Chang als Kreis¬

rat {hsien-shih | i|J) von Chien-ning, d. i. Chien-yang, dem bekannten

Druekereizentrum; als Herkunftsort wird Hsü-ch iang ll^ jX i" Kiangsi

genannt.!

(15)

354 Herbert Franke

Schließlich ist auch das eigene Vor- oder besser Nachwort des Autors

1420 datiert (Anfang des 5. Sommermonats, was dem 11. Juni 1420

entspräche). Li Ch'ang-ch'i erwähnt keinen seiner Amtstitel, sondern

gibt nur seinen Herkunftsort an. Man kann sich fragen, ob das gezierte

Bescheidenheit ist, oder ob Li tatsächUch damals strafweise seines Amtes

enthoben worden war. Der letzteren Vermutung würde widersprechen,

das Wang Ying in seiner Vorrede ausdrücklich bemerkt, Li sei ,, jetzt"

tso jm-cheng für die Provinz Kuangsi. Wie dem auch sei, das Nachwort

des Autors spielt unmißverständhch auf eine zwangsweise Unterbrechung

seiner Karriere an, wie die folgende freie Wiedergabe zeigt:

,,Als ich in vergangenen Jahren Zwangsarbeiten am Ch'ang-kan ssu

^ -f' ^ leitete (J| kam mir das von Kuei Heng verfaßte Jou-jou

chuan ^ | in die Hände. Ich bewunderte seine Haltung und

eleganten Stü und schrieb daraufhin mein Huan-hun chi (Nr. 22), um

seinem Verfasser nachzueifern. 7 Jahre später leistete ich wiederum Fron¬

dienste (^) inFang-shan ^ llj (südwestlich Peking). Damals zeigte mir

ein Besucher das Chien-teng hsin-hua des Ch'ü Yu aus Ch'ien-t'ang, das

ich noch mehr lieb gewann, und bemühte mich sehr, auch diesem Vor¬

bUd nachzustreben. Obgleich ich mich unter schmutzigen Umständen

abhetzen mußte imd darüber sehr niedergeschlagen war, hörte ich doch

nicht auf, meine Begabung erweisen zu wollen.

Ich durchforschte mein Gedächtnis und verfaßte in der freien Zeit, die

mir nach meinem Dienst verblieb, insgesamt 20 Abschnitte {-p'ien) und

gab dem Ganzen den Titel ,, Weitere Gespräche beim Putzen der Lampe".

Außerdem hängte ich noch mein Huan-hun chi am Schluß an. Da ich

mein Werk in der Fremde und dazu noch aus dem Gedächtnis ohne

Bibliothek niedergeschrieben hatte, fürchtete ich, es sei schlecht und

wagte nicht, es jemandem zu zeigen.

Sobald ich wieder meiner Fesseln los und ledig war, nahm ich Wohnung

in einem Gasthof am Shun-ch'eng men ifjt (nahe der Südosteck©

der Pekinger Stadtmauer). Als mich der Gelehrte Tseng Ch'i besuchte,

sah er zufällig mein Werk, klatschte in die Hände und sagte: „Nicht

wahr, das heißt doch wirklich die Literatur zum vergnügten Spiel ge¬

macht!" Er schrieb sofort ein Vorwort dazu, in dem er die Dichte, Lieb¬

lichkeit und glanzvoUen Stil des Werkes lobte. So wurde es langsam be¬

kannt und man verlangte Abschriften davon. Ansich hätte ich es am lieb¬

sten wieder verbrannt imd so aus der Welt geschafft, aber ein Bittsteller

kam nach dem anderen und so konnte ich schließlich nicht länger dem

Drängen widerstehen.

35 über die Novelle Jou-jou chuan war nichts ausfindig zu machen. Kuei

Heng war ein Literat, der um 1400 lebte, vgl. H. Franke in ZDMG Bd. 108-

(1958) S. 351; JM S. 809 I; Ming-shih chi-shih Tl. I, ch. 22, S. 440— 44L

(16)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'il 355

Denn ich erinnere mich, daß ein Heiliger vor alters gesagt hat: „Wenn

man den ganzen Tag satt zu essen hat und nichts, worauf man seine Gei¬

steskraft verwenden kann, gibt es dafür nicht Würfelspiel und Schach,

wodurch man zu einem Weisen in der Einsamkeit werden kann V'^ Nun

liabe ich zweimal schlechte Zeiten durchleben müssen, wo es wenige Tage

gab, an denen ich satt zu essen hatte. Außerdem hatte ich kein Ver¬

gnügen an Brettspielen und Würfeln. Ohne Papier, Tusche und das Auf¬

sagen von Gedichten — wie hätte ich da meine innersten Gedanken wohl

eröffnen und meiner gedrückten Stimmung sonst Ausdruck geben

können ? Zwar weiß ich wohl, daß mein Werk den Satirikern und Hu¬

moristen nahe steht und man keine große Sympathie auf so etwas zu

verschwenden braucht, aber welche andere Form der Umschreibung

gibt es, wenn man nicht seinem Schmerz durch Klagen Luft verschaffen

will? Immerhin besitzen auch das Kao-Vang fu und das Lo-shen fu^''

einen Sinn jenseits der Worte ; beide smd das Produkt müßiger Stunden

und doch wert, daß man ihren Umständen genau nachforscht, und ihr

verfeinerter Stil kommt noch nach tausend Jahren dem Geschmack der

Menschen entgegen.

Was mich angeht, so erfuhr ich Tadel und hatte keine Stütze im Leben

und ergriff deshalb diese Gelegenheit, um mich (von dem Ungemach)

zu distanzieren. Werm ich mit ernsthaften Sachen hier Scherz treiben

darf — war meine Lage, als ich ohne friedhches Heim zuerst den Ent¬

schluß zum Schreiben faßte, fast genau so wie „satt gegessen Schach und

Würfel spielen" ? So habe ich denn zu guter Letzt mein Werk nicht ver-

brarmt, sondem die Umstände seiner Entstehung am Ende des Bandes

aufgezeichnet, damit ich mich immer selbst prüfen, die Leiden der Ver¬

gangenheit nicht vergesse und das Glück im Gedächtnis bewahre. Ein

Kunstfreund, der das liest, wird vielleicht nur auflachen. Und warum

soll er sich mit der Frage abmühen, ob die Geschichten sich alle zu¬

getragen haben oder nicht ?"

Die Novellen sind also 1419—20 während einer zwangsweisen Ab¬

kommandierung zum Frondienst in der Nähe von Peking entstanden,

mit Ausnahme der schon um 1413 geschriebenen Nr. 22. Kritische

Äußerungen des Autors gegen Ämtermißbrauch und moralische Ten¬

denzen des Werkes dürften darum durchaus ernst zu nehmen sein, wenn

auch ein Teil der Novellen einen rein üterarisch-spielerischen, ja ero¬

tischen Charakter aufweist.

»• Vgl. Lun-yü XVII, 22; Wilhelm S. 198.

3' Von Sung Yü bzw. Ts'ao Chih. Vgl. die Übersetzung dieser weibliche

Gottheiten betreffenden Prosagedichte bei E. v. Zach, Die chinesische An¬

thologie, Übersetzungen aus dem Wen-hsüan. Harvard Yenebing Inst. Studies

vol. XVIII, Bd. I (Cambridge, Mass. 1958) S. 262 und S. 265 sowie zum

Lo-shen fu K.P.K. Whitakeb in Asia Major N.S. 4,1 (1954) S. 36—56.

(17)

356 Hebbert Fbanke

Schließlich ist noch kurz auf das Vorwort des Liu Tzu-ch'in einzu¬

gehen, den wir bereits als Textrevisor der Ausgabe von 1433 kennen ge¬

lernt haben. Liu Tzu-ch'in hieß eigentlich Liu Ching fjc und lebte von

1368 bis 1454. Gleich Tseng Ch'i, Li Ch'ang-ch'i, Wang Ymg und Lo Ju-

ching gehörte er zu den cÄm-sÄiÄ-Absolventen von 1403—4 und wirkte

später bei der Kompilation des Yung-lo ta-tien mit. Auch er teilte mit

Li das Schicksal, vorübergehend in Ungnade zu fallen und wurde zum

Garnisondienst an der annamitischen Grenze verurteilt, jedoch auf Be¬

treiben seines Freundes Tseng Ch'i wieder amnestiert^*. Das Vorwort des

Liu, der übrigens auch ein engerer Landsmann unseres Autors war,

ist vom 1. VII. (17. Juh) 1433 datiert. Er berichtet, daß er 1425 durch

einen Gnadenakt „heimkehren durfte", d. h. wohl aus dem Beamten¬

dienst ausgeschieden (oder amnestiert worden ?) war und in Lu-ling, der

Heimat Li's, Freunde aufsuchte. Dort zeigte man ihm ein Stück im Stile

von Yüan Chen und Po Chü-i, nämlich das Chih-cheng chi-jen hsing (un¬

sere Nr. 21), welches von seinem Jahrgangskameraden Li herrührte und

von einigen Han-lin-Grelehrten mit Kolophonen versehen worden war.

Tags darauf bekam Liu auch das Chien-teng yü-hua nebst den Vor¬

reden von drei berühmten Gelehrten zu sehen, insgesamt 20 Novellen

in 4 chüan. „Das Buch sollte gedruckt werden, aber es kam nicht dazu.

Im Sommer des Jahres 1433 erfuhr ich, daß der Kreisrat von Chien-

ning, Chang Kuang-ch'i aus Hsü-chiang den Plan hatte, das Buch zu

verbreiten. Ein Brief traf ein, der besagte, daß er eine getreue Abschrift

genommen hatte und die Bitte äußerte, das Werk im Druck zu ver¬

ewigen. Nachdem ich die ganze Entstehungsgeschichte dargelegt hatte,

wurde das Werk mit dem Gedicht im Stil des Yüan und Po (Nr. 21) als

Anhang zusammen gedruckt."

Wir sehen hieraus, daß möglicherweise der Druck von 1433 doch als

editio princeps zu gelten hat, denn der ganze Wortlaut deutet doch darauf

hin, daß es sich damals um eine erstmalige Drucklegung handelte. Wenn

dies zutrifft, müßte man das hsin-k'an im Titel der Ausgabe deuten als

„neuerdings gedruckt" und nicht ,,neu gedruckt". Ira übrigen lassen alle

Vorworte erkennen, wie großer Wert daraufgelegt wurde, die Novellen als

moralisch herauszustreichen und das zweifellos vorhandene erotische

Eleraent mancher Stücke zu verschweigen. Ebenso bedurfte es anschei¬

nend einer Rechtfertigung, wenn ein Beamter übernatürliche Gegen¬

stände in seinen Dichtungen behandelte. Auch in einem weiteren Punkt

sind sich alle Autoren einig, näralich der Brillanz des Stils unseres Dich¬

ters. Wie schon für das Chien-teng hsin-hua gezeigt werden konnte, liegt

in raanchen Geschichten der Schwerpunkt durchaus auf den eingestreu-

38 Zur Biographie vgl. die Grabschrifteingabe von Ch'ien Hsi-li (s. o.

Anm. 2) im Huang-Ming wen-heng ch. 94, 8b — lOb.

(18)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-eh'i 357

ten Liedern, Gedichten und Prosaschriften. Hier bot sich eine wUl-

kommene Gelegenheit für einen gewandten Autor, seine Fertigkeit zu

zeigen und die Produkte seines Pinsels in eine Rahmengeschichte ein¬

zubetten, die gelegentlich an Bedeutung und Schwergewicht hinter den

lyrischen oder essayistischen Einlagen zurücksteht. Der hochliterarische

Charakter der Novellensammlung schloß von vornherein eine ungebil¬

dete Leserschaft aus; die literarisch gebildete Schicht mochte der¬

gleichen dagegen wohl gerne lesen, denn nicht viele Erzeugnisse des

hohen Stils sind so amüsant und abwechslungsreich wie unser Hsin-hua

und Yü-hua.

IV.

Nr. 1 Ch'ang-an yeh-hsing lu ^ ^ ^ „Der nächthche Ausflug

in Ch'ang-an" (Kambun Taisei S. 1—4, jap. Übs. S. 1—10; ed.

Chou S. 133—139).

Zu Beginn der Hung-wu-Zeit (1368) werden T'ang Ming-shih ^ I2

und Wen Yüan-chi J§, ^ nach Ch'ang-an versetzt. Mit ihrem Amts¬

kollegen Wu-ma Ch'i-jen 32 ^ A verabreden sie emen Ausflug am

20. IX. ; Wu-ma soll nachkommen, während die beiden anderen vorweg

reiten. Da Wu-ma's Pferd schlecht ist, erreicht er seine Freunde nicht

und wird von der hereinbrechenden Nacht überrascht. Plötzlich bemerkt

er ein Licht in einem Gehöft und wendet sich dorthin. Der Hausherr,

ein schlicht gekleideter Jüngling von vornehmem Auftreten, lädt ihn

freundlich ein und bietet ihm Tee an. Seine Frau ist zwar auch einfach

gekleidet, aber von großer Schönheit, so daß Wu-ma sich fragt, wie der

Gatte, der doch ein Mann niederen Standes zu sein scheint, zu einer der¬

art schönen Frau kommt. Der junge Mann fragt seinen Gast, ob er ihn

um einen Gefallen ersuchen dürfe und teilt ihm mit, er und seine Frau

seien in Wirklichkeit Leute der T'ang-Zeit, doch brauche Wu-ma nicht

zu erschrecken. Die Frau erzählt sodann folgende Geschichte: Ihr Mann

war in der K'ai-yüan-Zeit (713—742) Kuchenbäcker in Ch'ang-an und

wohnte in der Nachbarschaft des Fürsten Ning Er zog es vor, un¬

erkannt im Volk als Bäcker zu leben, obgleich er von Haus aus Ge¬

lehrter war, denn er sah die kommenden Aufstände des Shih Ssu-ming

und An Lu-shan voraus. Der Fürst Ning fand Gefallen an der jungen

Bäckersfrau und ließ sie rauben. Sie aber gelobte sich, kein Wort zu

reden und eher Hungers zu sterben als eine Konkubine des Fürsten zu

werden. Nach einigen Wochen schickte der Fürst die Frau wieder un¬

verrichteter Dinge nach Hause zurück. Die Historiker hätten die Namen

der beiden nicht gekannt und deshalb nur geschrieben ,, Fürst Ning hatte

einen Nachbarn etc."; im übrigen sei es auch falsch, wenn berichtet

(19)

358 HERBEaT Franke

würde, daß die Frau erst nach einem vollen Jahr zurückgegeben worden

sei. In Wirklichkeit habe der Fürst, weil die Entführte mit Selbstmord

drohte, sie schon nach einem Monat freigelassen. Damals, so erzählt die

Frau weiter, haben die Dichter Lieder über diesen Vorfall gemacht. Es

sei aber an der Zeit, endhch die falsche Überlieferung richtigzustellen.

Wu-ma verspricht, all das in der Welt bekannt zu machen. Ihm wird

von dem Ehepaar weiter berichtet, daß an sich der Fürst Ning von den

Prinzen des Herrscherhauses der anständigste und gebildetste gewesen

sei. Andere Prinzen seien viel schlimmer gewesen, so der Fürst Ch'i

der bei Gelagen sich die Teller von Dirnen halten ließ, anstatt Tische zu

benutzen. Der Fürst Shen hätte seine Hände im Busen von Dirnen

gewärmt, wenn es kalt war, und Fürst Hsieh ^ ließ eine hölzerne

Frauenfigur schnitzen, die mit blauem Tuch bekleidet wurde und bei

nächtlichen Orgien eine Lampe in der Hand hielt. Diese Lampe sei aus¬

gegangen, wenn einer der Gäste irgendwelche Tollheiten mit den Musi¬

kantinnen oder Tänzerinnen begehen wollte. Angesichts solcher Sitten

sei es hoch zu rühmen, daß Fürst Ning damals jemanden freigelassen

habe, der in seiner Gtewalt war.

Schließlich rezitieren Mann und Frau je ein Gedicht, das Wu-ma aus¬

wendig lernt und aufschreibt. Als er im Morgengrauen erwacht, findet

er sich auf freiem Feld neben seinem grasenden Pferd. Später zeigt er die

Gedichte seinen Freunden, die sie sehr loben und sagen, sie wären im

echten T'ang-StU. Wu-ma läßt die Gedichte auch drucken. Er wird, wie

ihm die beiden Geister vorausgesagt haben, ein berühmter Gelehrter und

Han-lin-Akademiker und stirbt mit 89 Jahren hochbetagt. — Als T'ang

Ming-chih in Chi-an Beamter war, hat er dieses Erlebnis dortigen Be¬

kannten ausführlich erzählt.

Typ : Begegnung mit Totengeistem

Tendenz : Lob keuscher Gattin; Kritik an Ausschweifungen von kaiser¬

lichen Prinzen.

Sonstiges : Es ist sicher nicht zufällig, daß der Beamtenposten, den

T'ang und Wen antreten sollten, in der Verwaltung des prinzlichen Ming-

Lehens Ch'in ^ war, und in der Novelle von den Ausschweifungen von

T'ang-Prinzen berichtet wird. Der erste Träger des Fürstentitels von

Ch'in zur Mingzeit war der zweite Sohn des Dynastiegründers, Chu

Shuang (JM S. 266 I), der auch in Ch'ang-an residierte und wegen

seines Lebenswandels berüchtigt war. Der Fürst Ning der T'ang-Zeit

hieß Li Hsien (gest. 741) und war der älteste Sohn des Kaisers Jui-

tsung und somit Bruder von Kaiser Hsüan-tsung. Er zeichnete sich als

Pferdemaler aus (E. D. Edwards, Prose Literature of the T'ang Dynasty

vol. 1, S. 146; Sun T'o-kung, Chung-kuo hua-chia jen-ming ta tz'u-tien

[ed. 1944], S. 184 I). Die anderen erwähnten T'ang-Prinzen waren seine

(20)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'ü 359

Brüder; der Fürst Shen hieß Li Hui (JM 443 II) und war der zweite

Sohn Jui-tsungs. Fürst Ch'i ist Li Fan ^ (gest. 726), Fürst Hsieh Li

Yeii M (ge^t- 734). Die Ausschweifungen dieser Kaiserbrüder werden

im K'ai-yüan t'ien-pao i-shih 1^ TC ^ W i6 ♦ (ed. Ku-shih wen-fang

hsiao-shuo ^ R 3iC /J^ iS) berichtet, so die Geschichte mit der Leuch¬

terstatue (1, 10a — b) und die Anekdote von der ingeniösen Methode,

die Hände zu wärmen (1,11a — ^b). Über das Werk und seinen Autor

A^gl. Edwards, op. cit. vol. 1, S. 94—96.

Die Entführung der schönen Bäckersfrau wird schon in den Quellen

der späteren T'ang-Zeit berichtet, vgl. Pen-shih shih 2^ ^ || des Meng

Ch'i (ed. Ku-shih wen-fang hsiao-shuo, S. 2b) sowie auch die

Ausführungen von An P'an in seinem I-shan shih-hva (s. o. Anm. 26)

19a — b. Vom Pen-shih shih (zu diesem Werk s. Edwards, Prose Lite¬

rature vol. 1, S. 170—171) ist die Anekdote auch in das T'ang-shih chi-

shih übergegangen (ch. 16, lb — 2a ed. Ssu-pu ts'ung-k'an). Wang Wei

soll aus diesem Anlaß das Gedicht Hsi-fu-jen S ^ A gedichtet haben

(Gesammelte Werke des Wang Wei, Wang Yu-ch'eng chi ed. Ssu-pu

ts'ung-k'an ch. 6, 8a).

Nr. 2 T'ing-ching yüan-chi g ^ % „Der Affe, der Sütren zuhörte"

(Kambun Taisei S. 4—7, jap. Übs. S. 10—20; ed. Chou S. 139—147).

Die Geschichte spielt zwischen 926 und 929 in der Nähe von Chi-shui.

Ein buddhistischer Mönch führt damals ein heiligmäßiges Leben. Als

er einen Tempel bauen läßt, verbietet er den Arbeitern Wein und Fleisch.

Einmal kauft ein Arbeiter trotz des Verbots ein Stück Fleisch und bringt

es für seinen Imbiß auf die Baustelle. Da kommen zwei Tiger heran¬

gesprungen, doch der Mönch nimmt dem Arbeiter das Fleisch weg und

gibt es den Tigern, die sich willig streicheln lassen und wieder ver¬

schwinden. Als der Tempel fertig ist, regnet es Blumen vom Himmel

vmd die Drachenkönige füllen fünf Brunnen mit Speisen für die Gemeinde.

Der Berg erhält daraufhin denNamen „Drachenhilfe", Lung-chi t| ff^,

und der Tempel wird Ch'ing-liang ssu fj| 5;^ ^ „Tempel der reinen

Kühlung" benannt.

Der Abt pflegt vor seiner Klause unter den Bäumen heilige Schriften

zu lesen. Ein alter Gibbon hört ihm oft dabei zu. Eines Tages, als der Abt

gerade nicht da ist, zieht sich der Affe die Mönchskutte an, setzt sich auf

die steinerne Bank und liest Sütren. Der Abt hat das wohl bemerkt und

sagt sich, der Affe werde sicherlich die Erleuchtung empfangen. Am fol¬

genden Tag meldet sich ein Bakkalaureus namens Yüan Wen-shun

^ ^ M beim Abt und berichtet, wie schlecht es ihm m der Welt ge¬

gangen sei. Da nur Gauner regierten, könne ein anständiger Mann keine

Stelle bekommen, und als er durch Empfehlung ein Amt hätte bekom-

(21)

360 Herbert Franke

men sollen, seien ihm Frau und Kinder weggestorben. Er sei der Welt

überdrüssig und wolle Mönch werden. Yüan hat sehr rustikale Sitten

und der Abt meint, erst müsse er seine Frisur ändern und dürfe nicht

äffisch mit langem Haar herumlaufen. Yüan gibt geschickte und witzige

Widerworte und erreicht es, im Kloster zugelassen zu werden. Yüan zeigt

sich als eifriger und intelligenter Novize, steckt aber voller Schabernack,

so daß seine Klosterbrüder sich beschweren. Der Abt lacht aber nur und

sagt: „Da kommt eben sein altes Wesen heraus". Yüan verfaßt eine

große Zahl Gedichte über die Landschaft und über das Klosterleben, von

denen 13 mitgeteilt werden.

Eines Tages läßt der Abt Yüan zu sich kommen und sagt ihm ein

buddhistisches Gedicht vor; unterdessen erwacht Yüan zur Erleuchtung,

erwidert mit zwei weiteren gätlius und stirbt. Im Tode erhält er seine

äffische Gestalt zurück und wird buddhistisch bestattet. Der Abt sagt

noch, daß in 200 Jahren er wiedergeboren werden würde. Um 1126 ge¬

biert eine Frau ein Kind, nachdem sie als Schwangere geträumt hat, daß

ein Affe in ihr Zimmer gekommen sei. Das Kind ist recht affenähidich,

will aber um jeden Preis Mönch werden. Die Eltern schicken ihn in das

Kloster Ch'mg-liang-ssu, wo er sich durch allerhand Wunderwerke aus¬

zeichnet. Auch wird er als Verfasser von 10 Kapiteln yü-lu ,, Gesprächs¬

aufzeichnungen" bekannt. Sein Klostername ist Tsung-mou ^ sein

Beiname {Jmo) Chih-yün ^ Später stellt man fest, daß sein Ge¬

burtsdatum mit der Voraussage des Abtes übereinstimmt.

-4 Typ : Buddhistische Legende

Tendenz : Rein buddhistisch. Buddhas Lehre ist so machtvoll, daß

selbst ein Tier eine bessere Wiedergeburt als Mensch erlangen und er¬

leuchtet werden kann.

Sonstiges: Die Geschichte spielt in der Nähe von Li Ch'ang-ch'is

Heimatort und knüpft vielleicht an lokale fromme Überlieferungen an.

Das Motiv, daß ein Tier durch das Anhören heiliger Texte als Mensch

wiedergeboren werden kann, ist recht alt. Es findet sich z. B. schon im

251 n. Chr. übersetzten Chiu tsa p'i-yü-ching (Taishö-Tripitaka

Nr. 206, Bd. 4, S. 512 II = Chavannes, 500 Contes Nr. 97, Bd. I

S. 363—364): ein Hund wird als Frau wiedergeboren und erlangt die Er¬

leuchtung. Unsere Novelle bildete den Vorwurf des Theaterstücks Lung-

chi shan yeh-yüan t'ing-ching M'fH Üi ^ ^ M, das freilich vom Töhö

Bunka Kenkyüsho Kanseki Bunrui Mokuroku S. 685 III einem Autor

der Yüanzeit zugeschrieben wird. Wenn dies zutrifft — der Text ist mir

nicht zugänglich — müßte Li Ch'ang-ch'i umgekehrt das Theaterstück

zu einer Novelle umgeformt haben. — Der Familienname Yüan unter¬

scheidet sich von dem Zeichen yüan „Gibbon", „Affe" nur durch das

Fehlen des Klassenzeichens Nr. 94.

(22)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-oh'ii 361

Nr. 3 Yüeh-yeh t'an-ch'in chi ^ 31 ^ gü „Das Zitherspiel in der

Mondnacht" (Kambun Taisei S. 8—16, jap. Übs. S. 20—34; ed.

Chou S. 147—162).

Zu Begmn der Hung-wu-Zeit (1368) geht Wu Ssu-tao MMM. als

Landrat nach Yung-hsin ^ 0f in der Präfektur Chi-an. Im Stadtschul¬

gebäude bemerkt er auf dem Boden das Bild eines Menschen und wun¬

dert sich darüber. Der konfuzianische Gelehrte Ho Chung-shan ^ ^

erzählt ihm, wie es dazu kam: Als die Mongolen Chiang-nan besetzten

(1277), herrschte in der Stadt ein großes Morden. Die Sippe T'an |^

flüchtete in die Schule, unter ihnen die Frau T'an, geborene Chao

Sie ^vurde zusammen mit ihrem einjährigen Sohn von der Soldateska er¬

mordet. Ihr Blut lief auf den Ziegelfußboden und formte dort eine mensch¬

liche Gestalt. Bis heute konnte das nicht abgewaschen werden.

Wu stellt fest, daß die Opferstätte für diese keusche Gattin schon

lange verfallen ist, läßt sie herstellen und auf die Rückseite der Gedenk¬

tafel ihr Bild einmeißeln. Auch verfaßt er einen Text zu ihrem Andenken.

Sein Sohn, mit Namen Hsi fSE, T. Ch'i-chih ^ ist ein guter Zither¬

spieler und komponiert zu Ehren der Frau T'an eme Melodie. Eines

Nachts spielt er im Mondschein, als ein Mädchen erscheint, die ihren

Namen als Chung Pi-t'ao M ^ tjfe angibt und sagt, sie sei eine Dienerin

der Frau T'an. Die Herrin sei vom Himmelskaiser wegen ihrer vorbild¬

lichen Keuschheit zu hohem Rang befördert worden. Aber die Nachbar¬

schaft von männlichen Geistern in der Opferhalle sei unschicklich, und

sie bäte deshalb, daß auch für die Dienerin eine Opfertafel errichtet

■würde, damit Frau T'an eine Begleitung habe. Der junge Wu verspricht

das. Das Zitherspiel des jungen Mannes habe Frau T'an sehr gerührt

und mit Heimweh erfüllt. Dann sagt das Mädchen ihm 20 Centos auf, die

Wu sich notiert. Wu fragt auch nach den anderen Mitgliedern der Fa¬

milie und erfährt, daß sie im ,,Land der stufenweise (aufsteigenden) Ge¬

nien" (t'i-hsien kuo ^ -ftlj ^) weilten.

Wu berichtet am nächsten Morgen seinem Vater sein Erlebnis. Dieser

findet die Centos zwar ausgezeichnet, hält aber die ganze Geschichte doch

für sehr unorthodox und unglaubwürdig. Nach zwei Monaten erscheint

das Mädchen dem jungen Wu wieder in einer schönen Mondnacht und

erkundigt sich, wie es mit der Erfüllung ihrer Bitte stünde. Wu entgegnet,

sein Vater fordere weitere Beweise für die Glaubwürdigkeit der Ge¬

schichte. Das Mädchen erzählt Einzelheiten über den Fall der Stadt,

z. B. daß der Vater T'an seinem Söhnchen eine Goldmünze um den Hals

gehangen habe. Als die Soldaten Mutter und Kind erschlugen, habe sich

auch diese Münze abgezeichnet ; man müsse nur richtig hinschauen. Fer¬

ner rezitiert das Mädchen zehn weitere Centos, die von Frau T'an kurz

vor ihrem Tod verfaßt worden seien.

(23)

362 Hebbebt Fbanke

Auch dies alles erzählt Wu seinem Vater, der noch immer zweifelt. Die

beiden gehen zum Tempel und lassen mit Wasser die bewußte Stelle auf

dem Boden scheuern. Alsbald zeigt sich neben dem Umriß des Kindes

auch der einer Münze. Jetzt endlich gibt der alte Wu die Einwilligung,

daß neben der Gedächtnistafel für Frau T'an auch eine für die Dienerin

aufgestellt wird und läßt semen Sohn ein Gedenkopfer verrichten. Noch

am gleichen Abend erscheint das Mädchen wieder und teilt ihm zum

Lohn die Zithermelodie Kuang-ling san }^ ^ mit. Sie sagt, diese sei

unter den Menschen schon lange in Vergessenheit geraten, aber sie er¬

innere sich noch und möchte ihm für später das Notenbuch geben ; Wu

soUe es stets in Ehren halten. Wu behält aber die Melodie für sich und

zeigt die Noten keinem anderen. Er wird ein berühmter Spieler. Nach

seinem Tod ist das Notenbuch verloren gegangen.

Typ : Begegnung mit Totengeist.

Tendenz: Lob keuscher Gattin; sung-loyalistisch.

Sonstiges : Die Person der Novelle sowie die Ereignisse der Vor¬

geschichte sind historisch. Wu Ssu-tao ist ein bekannter Literat der

frühen Ming-Zeit, vgl. Ming-shih ch. 285, 12 a—b; Ming-shih chi-shih

Teü Ich. 19, S. 373—374; JM S. 819 III; T'an Nr. 3676, Ssu-k'u S.3596.

Seme gesammelten Werke sind in 12 ch. im — mir unzugänglichen — Ssu-

ming pg W ts'ung-shu nachgedruckt. Er war berühmt als Schachspieler

und zeichnete sich auch als Maler aus (Sun T'o-kung, S. 300 III). Auch

Wu Hsi tat sich als Dichter hensor, vgl. JM S. 819 III. Der Tod der

keuschen Frau T'an und die Geschichte von den Blutflecken wird im

Sung-shih ch. 460, 14a — ^b sowie im Hsin Yüan-shih ch. 244, 7 b — 8a

berichtet (1277).

Das „Land der stufenweise aufsteigenden Genien" ist ein Feenland,

über das unser Autor vermuthch aus dem Po-um chih 1^ % ]g des

Cheng Huan-ku fl^ M wußte (zum Werk vgl. Edwards, Prose Lit.

vol. II, S. 237—243). Es heißt im Po-um chih (ed. Ku-shih wen-fang

hsiao shuo) S. IIb — 13b, daß im Jahre 706 ein Arbeiter beim Brunnen¬

bohren auf ein unterirdisches Land der Gerden gestoßen sei, in welchem

sie sich 700 000 Tage lang läutern müssen, bevor sie im eigentlichen

Himmel eine Funktion übernehmen können. Wer dorthin gerät, ver¬

lebt für jeden dort verbrachten Tag einige Dutzend Menschenjahre.

Als der Besucher dieses Landes zurückkommt, zählen die Menschen

bereits das Jahr 791 — ein häufig anzutreffendes Motiv bei Jenseits¬

reisen.

Die Zithermelodie Kuang-Ung-san soll auf Hsi K'ang (223—^262) zu¬

rückgehen, vgl. R. H. van Gulik, Hsi K'ang and his Poetical Essay on

the Lute, Tokyo 1941, S. 31—33. Mit Hsi K'ang wird auch eine Novelle

verbunden, die die Wirkung seiner Musik auf Geister Verstorbener

(24)

Das Chien-teng yü-hua des Li Ch'ang-ch'i 363

schildert und die wie eine Vorlage des Motivs unserer Novelle anmutet,

vgl. Edwards, Prose Lit. vol. II, S. 342—343 (nach dem Ling-kuei chih

m m

Centos {chi-chü M also aus Gedichtzeilen früherer Autoren zu¬

sammengestückte Gedichte, erscheinen angesichts der Eignung des Chi¬

nesischen für diese Spielerei recht früh. Die ältesten gehören dem 3. Jahr¬

hundert an. Fu Hsien ff ]^ (239—294) verfaßte Centos aus Zeilen des

Lun-yü, Shih-ching, I-ching, Chou-li, und Tso-chuan. Sie finden sich im

Ch'u-hsüeh chi ch. 21, 6a — b (ed. Ku-hsiang chai). In der Sung-Zeit war

Wang An-shih für seine Geschicklichkeit in der Herstellung von Centos

berühmt, vgl. Shinagakugei Daijii S. 532 I—II. Die chinesischen Poe¬

tiken {shih-hua) kommen auch des öfteren auf diese und andere litera¬

rische Spielereien zu sprechen. Die Centos unserer Novelle bestehen vor¬

wiegend aus Versen von T'ang-Autoren; einige Verse sind auch späteren

Dichtern entnommen.

Nr. 4 Ho Ssu-ming yu Feng-tu lu ^ B ^ ^ U »Ho Ssu-

mings Besuch in der Unterwelt" {Kambun Taisei S. 16—^20, jap.

Übs. S. 35-^4; ed. Chou S. 162—168).

Ho Ssu-ming ist ein konfuzianischer Gelehrter und Kenner des I-ching.

Er glaubt nicht an die Lehren der Taoisten und Buddhisten und schreibt

zur Widerlegung aller übernatürlichen Glaubenslehren ein Ching-lun

W tfe „Warnende Erörterungen" in 3 Abschnitten. In dieser Schrift

sucht er nachzuweisen, daß persönliche Götter nicht existieren. Auch der

Himmel sei nur em abstraktes Prinzip. Es sei sinnlos, den Taoistenpapst Chang Tao-ling als ,, Himmelslehrer" {t'ien-shih) zu bezeichnen, denn der

Himmel brauche keinen Lehrer, und ebenso sei es abwegig, von dem

Mädchen Lin der Sung-Zeit als der „himmlischen Gemahlin", t'ien-

fei iü, zu reden. 1357 erkrankt Ho, doch bittet er seine Schüler, keiner¬

lei Gebete zu sprechen oder Opfer zu brmgen; man könne das Schicksal

nicht als ein durch Speiseopfer, Wein oder Geld käufliches Wesen an¬

sehen. Dann wird er bewußtlos und liegt wie tot da. Man sargt ihn aber

nicht ein, da der Körper noch etwas Wärme zeigt. Nach 7 Tagen kommt

er wieder zu sich und sagt, es gebe doch eine Vergeltung im Jenseits und

berichtet über seine Erlebnisse:

Er wurde von Boten abgeholt, die ihn nach dem Unterwelttribunal

bringen. An der Grenzwache der Unterwelt angekommen, -werden sie

von einem Wächter empfangen, der wie ein Vorderasiate {hui-hui) aus¬

sieht und die Ankömmlinge nach dem Siegel fragt. Ho's Einlieferungs-

schreiben ist rot gesiegelt, das anderer Eingelieferter dagegen schwarz.

Rot bedeutet, daß er wieder in die Oberwelt zurück darf, schwarz da¬

gegen, daß die Betreffenden für immer in die Hölle müssen. Hinter einer

24 ZDMG 109/2

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