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Beiträge ^.ur Beleuchtung des islamitischen Straf¬
rechts, mit Rücksicht auf Theorie und Praxis in
der Türkei.
Von Johann Krcsmärik.
IV.
Die Verleumdung {kadfy). Wer einen anständigen (muhsan)
Mann oder eine anständige Frau mit deutlichen Ausdrücken" oder
im Zorne mit solchen Ausdrücken, welche, obwohl ursprünglich
zweideutig oder unklar, dennoch den Sinn einer derartigen Be-
1) ^ ^ oLuiii o^'-^^'a ^ t^'^' '^y' iV^^S
gl^^ib i^üjJb ^^^^S ^ ÄÄfjb yiL
)j-=^' c?*^'*^' y'-^i /^''i (3.r-^' CT*
.LjJb liJ^Ö^ o^.^! ^y> -blyLil yp^ j<.jj( b^Lä}
Gauhare II, 248. Dem Wortlaute nach hezieht sich der eben erwähnte göttliche Ausspruch nur auf die verleumdeten Frauen; doch meinen die Schriftgelehrten, daß diese Sentenz, kraft des in ihr entbaltenen Hinweises (dalälet ulnafs) auf ihre Kecbtswirkung (huhm) sich auch auf die Männer erstreckt. ^.^Ls
^^y^ eJV'^'^ ^-*a5Cs oU*iJi! i_5Äs ^j J>j^
^J.aiJ! jJ^lXj ijV>-«^ i ^i>-**H («-^Ls ^^j^s ^.,!_5 ^j.j-üt LJlä
vJlXäJI ^.^^ er^^ t**-^ .^'^^ J^"^^ yr?"y ci-**
j^j^ |fcCÜt ,3, a. a. O. Die Subsummierung der Männer unter diese göttlicbe Verfügung geschiebt somit nicht auf Grund einer Analogie {kijäs) , was die Juristen vorzüglicb deshalh betonen, weil ja die Analogie zur Begründung einer Haddstrafe ungenügend wäre. Siebe Manäfi' 127.
2) Deutlicb (sarih) ist ein Ausdruck, wenn sein bezweckter Sinn vom Ge¬
sichtspunkte des Sprachgebrauches vollkommen offenkundig ist. (.^■■j'"
(^sSUjüu!) LcL- Luj ^! (Lua w jUI) (^ Ui
Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 317
leidigung wirklich enthaltender Unzucht zeiht, begeht eine Ver¬
leumdung. Der zornige Zustand des Täters unterstützt nämlich
die Annahme, daß er diesen Ausdruck in verletzendem Sinne an¬
wenden wollte.
Die mohammedanischen Juristen unterscheiden, ob von der
Anständigkeit bei der strafbaren Handlung der Unzucht oder bei
der der Verleumdung die Rede ist, denn die Bestimmung der An¬
ständigkeit ist entsprechend verschieden. Bei der Verleumdung
ist nämlich jemand als anständig zu betrachten, wenn er volljährig,
gesunden Verstandes und moslemischer Religion ist und von der
Anklage der Unzucht frei ist. Es wird nicht gefordert, daß er im
Ehestand lebe.
Das Delikt der Verleumdung ist entweder durch Geständnis
des Angeklagten oder durch das Zeugnis von zwei männlichen Zeugen
jiJUj liu***-! »y^ '»^ C/' ^jy^ l5'. Solche Ausdrucke,
deren beabsichtigter Sinn , mit Eücksicht auf den Sprachgebrauch , verborgen bleibt, nennt man kinäje. Manäfi' pag. 122 u. f. Beleidigungen durch eine einfache kinäje bieten keinen genügenden Grund zur Bemessung der Haddstrafe
für Verleumdung, iüLiXJLj ^ iLij! liLi Ui!^
SU i^lXJ! lX5> ^ >.l>3Aa3 ^.i>T xJ JL45 iLiij'L :ib.j y
i^tXäJ! ^5 f^-y^- uiötXAS. Gaubare II, 248.
1) Solche Ausdrücke sind z. B. J-aJI ^ o'Jj ; kann bedeuten ebenso ,du bist auf den Berg gestiegen", als auch „du hast am Berge Unzucht ge¬
trieben". Ferner die Ausdrücke: lii^-v?^ vil^^ ,du bist nicbt deines Vaters' und ^.,!is qjLj vii%.~J ,du bist nicbt der Sohn des N. N. (Vaters des Ver¬
leumdeten)". Die Undeutlichkeit dieser beiden Ausdrücke besteht darin, daß sie neben einer Anspielung auf den unzüchtigen Lebenswandel der Mutter dos Angesprochenen auch bedeuten können, daß der Sohn binsicbtlicb seiner Talente, moralischen Eigenschaften u. s. w. dem Vater nicbt gleichkommt. .„.^Äi ,3^
s-
Usj ^JBjj-^lX/O i^tyi! ^i>.ÄljtÄ.< ^JSj^y^ ^yo
^^^JCj!» x.i.>~Lui/0 iX*jO Lij slXäxJ»! fvlXj^ B^fiJ »lXa-'Ls»
yy^i^ i,'i^\J^ yi~Xt±i>\ q^Ljs? v^lfSvX*^
sj^A*=- ^j*^ '^^^ »-^ j.i'u) jjLi^!
jjJj! ^ji-*Ji> ü5L>Jli'..>. Tergumet ulTahäwi IV, 366. Nach Abü Jüsuf enthält der Ausdruck yJ^jobS ci^.*»^ unbedingt eine Verleumdung. ^^L's
i jjLi' ui^Xi «.i! v«A*«jj q£ ^.^aj^ c>..*wJ Jo>-y
iLto^ j!. Fatäwä Kädichän III, 491.
21«
318 Krcsmärik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamü. Straf rechts, etc.
zu beweisen , und seine Strafe besteht , wenn der Täter ein freier
Mann ist, aus 80, wenn er ein Sklave ist, aus 40 Peitschenhieben.
Ans der erwähnten Definition der Verleumdung könnte ge¬
folgert werden, daß jemand, der kein Muslim ist, überhaupt nicht,
oder daß ein Moslem nur mit Unzucht verleumdet werden kann.
Die Sache verhält sich jedoch nicht so, denn auch solche Ver¬
letzungen gelten als Verleumdung, nur daß bei einer Verleumdung,
bei welcher nicht ein Muslim die verletzte Partei ist, oder wenn
die Verleumdung, auch wenn der Verletzte ein Muselman ist, nicht
in der Anklage der Unzucht besteht, nicht die bestimmte Strafe
der Verleumdung, sondem eine dem Ermessen des Richters über¬
lassene Züchtigung {ta'zir) angewendet wird und daß nach der
mohammedanischen Methode auch ihre wissenschaftliche Behandlung
zu jenen strafbaren Handlungen gestellt wird, mit welchen eine un¬
bestimmte Strafe verbunden ist.
Verleumden kann man nur, indem man der verletzten Partei
die beleidigenden. Ausdrücke ins Gesicht sagt^); demzufolge kann die
Verleumdung nur dann bestraft werden , wenn sie in Form einer
Ansprache begangen wird. Sagt jemand Dinge, die sonst die
Kriterien der Verleumdung an sich tragen, hinter dem Rücken
eines andem, so kann dies eine böswillige Erfindung, eine Klatscherei,
aber keine Verleumdung sein.-) So ist der ein Verleumder, der
einem andern ins Gesicht sagt: Du Bastard; doch begeht derjenige
keine Verleumdung, wer in Abwesenheit der verletzten Partei von
einem andern sagt, daß dieser oder jener im Ehebruch oder von
einem Mädchen geboren wurde. Die Verleumdung kann nur dann
bestraft werden, wenn jemand einen andem einer solchen Unzucht
zeiht , die selbst eine strafbare Handlung bildet , denn wenn sich
die Verleumdung auf eine Unzucht bezieht, für welche infolge eines
eventuell vorliegenden Zweifels {subhe) eine Strafe nicht bemessen
werden konnte, so wird auch der Verleumder straflos.
Die Strafe gehört wohl zu den göttlichen Rechten , doch ist
sie kein rein göttliches Recht, weil zum Teil auch menschliche
Rechte in ihr enthalten sind. Der gemischten Natur der strafbaren
1) Ich halte mich hierhei an die mildere türkische Praxis; denn es gibt sebr ansehnliche Quellen, nach welchen eine Verleumdung auch in Abwesenbeit des Verleumdeten stattfinden kann. Vgl. Radd ulmuhtär III, 234.
2) Lo («JXäs iübUj ^\ »j<y^ u*!-^'
iXs- l-jy ^^'i-**^ i3b> ^s*^ .✓H** «w*^
o-XäÜj r»'^ ^j^W "^s v_5Ää »-Ji^s «Lwi xi^lS oi>Ä!i
^ ^t^ii y>. iuitj L j( ll «JjÄJ' oLti^'-^
(.JÄäJi j i^Ail! üJ^I o'J-^ ^^yy ^^ÖJti ^bü sJyi
Fetäwä 'Ali ef. I, p. 189 und 195.
Krcsmdrik, Beür. x. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc. 319
Handlung entspringen jene wesentlichen Abweichungen, welche bei
den hinsichtlich der Verfolgung der Delikte der Unzucht und der
Verleumdung bestehenden Vorschriften wahrnehmbar sind.
Zur Einleitung des Verfahrens ist die Klage der verleumdeten
Partei notwendig. Von Amts wegen kann niemand wegen Ver¬
leumdung unter Kriminalklage gestellt werden. Der Sohn kann
seinen Vater nicht anklagen wegen einer Verleumdung von Seite
der Mutter. Hat aber die Mutter auch von ihrem früheren Gatten
einen Sohn, so steht diesem das Recht zu, gegen den Stiefvater
die Anklage zu erheben.
Nach Säfi'i geht das Recht auf die auf Verleumdung gesetzte
Strafe im Falle des Ablebens der verletzten Partei auf deren Rechts¬
nachfolger über. Nach der Schule Abü Hanifas erstreckt sich das
in der Strafe dieses Delikts liegende menschliche Recht nicht so
weit und es kann auch infolgedessen nicht vererbt werden. Ja,
diese Schule huldigt sogar der Theorie, daß der Kläger zur Zeit
des Vollzuges der Strafe am Leben sein muß, denn wenn er früher
oder während des Vollzuges der Strafe stirbt, ist diese zu unter¬
lassen und seine Erben haben nicht das Recht, die Portsetzung der
Strafe zu verlangen. Werden Tote verleumdet, so sind die Rechts¬
nachfolger (Eltern, Großeltern, Kinder, Kindeskinder u. s. w.) wohl
berechtigt, gegen den Schuldigen die Klage zu erheben, doch kommt
ihnen das Klagerecht nicht durch Erbschaft, sondern durch un¬
mittelbare Interessiertheit zu.^)
Verleumden einander zwei Personen gegenseitig, so sind beide
zu bestrafen.^)
Es ist verboten, hinsichtlich der Strafe einen Ausgleich zu
schließen, beziehungsweise für die Verletzung einen Ersatz in Geld
oder andrer Art zu bedingen, und Vereinbarungen ähnlichen Inhalts
sind unwirksam. Eigentlich kann die verletzte Partei dem An¬
geklagten auch unentgeltlich nicht verzeihen.") Die Freisprechung
1) Dementsprechend wird das Klagerecht wegen Verleumdung eines Toten
dem Nachfolger auch in dem Falle zuerkannt, wenn er vom Erbrecht aus¬
geschlossen ist. |.j^.s:\*U ci*-«ij jLxJt XJ ^.^CJLj ci«M»ij
L^^l^xiy (^j-^ls Ojb!! Sejchzäde: Sarh multakä I, 293.
2) jLä ^L. y>b!t L; ,\Lä
a_)J>Lo ^tXä ^ ^ Ä.J |^.,!ijLiiJt ^] !lXs> ciot Jo
Sejcbzäde a. a. O.
3) Die Strafe ist selbst in dem Falle zu verhängen, wenn der Verleumder das Delikt iufolge Aufforderung des Verleumdeten verUbt hatte, {y-^s »Jtyi
wJLe xas «J-il i^)^ vJiXüJLj (^t (ii^iXj OyJoUl yi5
320 Krcsmdrik, Beür. z. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc.
des Angeklagten bedeutet nur, daß — so behaupten die moham¬
medanischen Kriminalisten — der Angeklagte nicht deshalb straflos
bleibt, weil der Kläger ihm verziehen hat, sondern weil dieser die
Klage fallen ließ, während der Richter bei der Verleumdung ohne
die Klage der verletzten Partei nicht vorgehen kann. In dieser
Hinsicht sind jedoch die Ansichten der Juristen sehr verschieden.
Auch dem zeitweilig angesiedelten fremden Untertan ist die
bestimmte Strafe für jene Verleumdung aufzuerlegen , welche er
auf moslemischem Gebiete begangen hat. Denn er hat durch diese
Handlung menschliche Rechte verletzt und der Fremde verpflichtet
sich, indem er zur Niederlassung im mohammedanischen Staate die
Bewilligung erhält , die menschlichen Rechte zu achten. Anfangs
bekannte sich wohl Abü Hanifa zu der Ansicht, ein fremder Untertan
könne mit einer bestimmten Strafe nicht bestraft werden, doch hat
er diese Meinung später geändert und gelehrt, daß für eine Ver¬
leumdung dem fremden Untertan dieselbe Strafe gebühre, wie dem
muselmänischen Bürger,
Der Angeklagte kann sich mit der Unkenntnis des Gesetzes
nicht verteidigen, denn die Unzucht unterliegt bei jedem Volke
gleichermaßen einem Verbot und infolgedessen ist es natürlich und
jedermann offenkundig, daß man einen andern nicht ohne Grund
einer solchen Handlung anklagen darf Hat der Angeklagte seine
Tat gestanden, so kann er sein Geständnis nicht mehr zurückziehen,
denn durch das Geständnis hat die verletzte Partei schon gewisse
Rechte erworben, welche der Angeklagte nicht mehr einseitig auf¬
heben kann.-) Wir haben gesehen, daß bei den reinen göttlichen
Rechten dies sich nicht so verhält, und daß dort der Zurückziehung
des Geständnisses keinerlei Hindernis im Wege steht.
Der Richter fordert den Angeklagten auf, jene Beweise vor¬
zubringen, durch welche er seine verleumdenden Behauptungen unter¬
stützen kann. Beweist nun der Angeklagte entweder durch Aussage
von vier männlichen Zeugen oder durch das Geständnis des Klägers,
daß seine Behauptungen wahr sind, so wird er von der Anklage
der Verleumdung freigesprochen und der Kläger wird wegen Un¬
zucht zur Verantwortung gezogen. Die Beweise dürfen sich nicht
in Allgemeinheiten bewegen, sondern müssen sich auf konkrete Tat¬
sachen beziehen. Die ersterwähnten Beweise heißen in der wissen-
*
i^iUs! ^=>b! jl'i y U ^_^jLj Uy yuü^^ Jaiu-o *J \6>J^
AjLc üjJlc jjo'LAiftJ! ing««',; «JLääs. Kadd
ulmuhtär III, 234.
1) a. a. 0. III, 231.
2) XAS Lä5» ^.iXäJÜ j^.^bl J-Uij *J ^Xä> jäi
c ).>-Jl i juJ>.JCaS. Sejchzäde: Sarh multak.i I, 293.
Krcsmiirik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Straf rechts, etc. 321
schaftlichen Sprache mubarrad, das heißt abstrakt, die letzterwähnten
zusammengesetzte Beweise, murdkkab.^) Die Zeugenschaft also,
daß X. Y. nach Kenntnis dieser und jener Leute faktisch ein un¬
züchtiges Leben führte , hat keinerlei Wert und nur die Aussage
solcher Zeugen kann berücksichtigt werden, die dafür Zeugenschaft
»biegen, daß der Kläger in einer gewissen bestimmten Zeit mit
einer gewissen bekannten Person Unzucht getrieben hat.
Der Angeklagte muß die Beweise zur Hand haben, denn der
Richter kann ihm zur Stelligmachung der Zeugen nur bis zum
Schluß der Sitzung Aufschub gewähren. Stehen ihm die Zeugen
bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung, dann ist die für die
Verleumdung zu bemessende Strafe dem Angeklagten aufzuerlegen.
Der Antrag des Angeklagten, für sich einen Bürgen zu stellen, bis er
die Zeugen bringen kann , darf vom Richter nicht angenommen
werden, sondern er sperrt den Angeklagten ein und betraut einen
andem damit, die Zeugen aufzusuchen und steUig zu machen.
Bei der Anwendung der Strafe werden dem Delinquenten nur
die Oberkleider ausgezogen, die andern aber werden ihm belassen.
Sind jemandem aus verschiedenen Gründen bestimmte Strafen auf¬
zuerlegen , dann muß in erster Reihe die Strafe der Verleumdung
vollstreckt werden, denn hier handelt es sich um menschliche Rechte
und diese haben den Vorzug. Die Reihenfolge der übrigen Strafen
hängt von dem Belieben des Richters ab. Gelangt jemand wegen
mehrfacher Verleumdungen unter Anklage, dann kann die Strafe
nur einmal bemessen werden, denn die Vorschrift ist, daß für
gleichartige Delikte nur eine bestimmte Strafe ausgesprochen
werden kann.^)
Auf die praktische Verwertung der ehen erörterten Prinzipien
wirft folgende Anekdote ein interessantes Licht. Der Richter der
Stadt Kufa, Abü Leilä, hörte eines Tages beim Tore der Moschee,
wie ein Mann dem andern sagte: Du, Kind zweier Ehebrecher!
Da der Kadi davon ausging, daß es sich hier um die Verletzung
zweier Menschen handelte, ließ er den Verleumder sofort verhaften,
ihn in die Moschee führen und ihm dort zweimal 80, also 160
Peitschenhiebe für die Verleumdung der Eltern des Angesprochenen
versetzen. Als Abü Hanifa von diesem Vorfall Kenntnis erhielt,
wunderte er sich außerordentlich über das Vorgehen des Kadi und
sagte , es sei ganz merkwürdig , daß der Richter seiner Stadt in
1) xx**- ^jLaj ^ SOaJIj (xj-Li!) ^iiUJt ^)
(j^«-~o 'S) . Radd ulmuhtär III, 252.
2) tXs»!^ lX.s- ^! ^ xcLt-S'- v_ii>.s (J^-o> oi-Xi jJ
^^^Ic ^"^küi lX:>!. Js^ OiXs ^( öAs>!^ iC*bo ücLjs. i^Äs s.\y^
t\>t» ^! L*A*-> ^if^^^ sJsS»-. Fatäwä Kädichän III, 493.
322 Krcsmär€c, Beitr. z. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc.
einer Angelegenheit fünf Fehler begangen habe. Denn erstens hat
er die für die Verleumdung entfallende bestimmte Strafe ohne Klage
der verletzten Partei bemessen; zweitens hat er die beleidigende
Person zu einer zweifachen Strafe verurteilt, während, wenn jemand
auch tausenderlei Verleumdungen ausspricht, dennoch nur eine einzige
Strafe bemessen werden kann; drittens hat er die Strafe auf ein¬
mal vollstreckt, während eine solche körperliche Züchtigung auf
mehrere Tage verteilt werden muß; viertens ließ er die Strafe in
der Moschee vollstrecken, wo doch der Prophet gesagt hat, daß
man sich vor der Vollstreckung in Gotteshäusern zu hüten habe,
und fünftens endlich habe er nicht eruiert, ob die zwei verleumdeten
Personen am Leben sind oder nicht, während doch davon die Fest¬
stellung dessen abhängig gewesen wäre, ob ihnen oder ihren Kindern
das Klagerecht zukommt.
Wer einmal wegen Verleumdung bestraft war, kann nie mehr
vor Gericht als Zeuge vernommen werden, selbst wenn er seine
Tat bereut hat.*)
Wegen Wiederholung derselben Verleumdung kann man grund¬
sätzlich ein zweites Mal nicht bestraft werden, weil durch den
einmaligen Vollzug der Strafe ihr Zweck, nämlich die Zurück¬
weisung der der beschimpften Person zugefügten Schande, bereits
erreicht wurde. ^)
V.
Die Verletzung des Trinkverbotes {durh). Unter dem
Trinkverbot ist zu verstehen, daß man Wein überhaupt nicht trinken
darf, von andern geistigen Getränken aber nicöl!' so viel, daß man
davon betrunken wird.
1) Der wegen Verleumdung bestrafte Kälfir hingegen, der sicb nachher zum Isläm bekehrte, ist als Zeuge sowohl gegen Käfir's als auch gegen Muslime anzunebmen. VjLi ^ytj »Ju>Lj.w \i>iift*« Ov.XäI! ^«Juw-t! lXs» Ijlj
^Ü■^>L^ kiiJus (Jl*.! fji vJtXiü! (3 ylX!! ö^s- ^^l^ . . . . Säfi'i ist der Meinung, daß die Zeugenschaft dessen, der seine Tat bereut, anzunehmen
sei. ^^v3Jt bit ^Ijü v_>1j !ö! *joLj.io iJ^AÄj ^^^LiJ! Jwicj
tyjLi. Gauhare II, 254—255. Die Hanafiten berufen sicb zur Begründung
ibrer Lehre auf den Koranspruch IlXj! üoLi.i; ^^-^^ ^- ^g'- Direr
tergümesi I, 374.
2) Uyij B^A*I1 ^Jic iXj.il Lt is^Jo b! (3^^ Lo XAS JjobSlj
JjL^ ^3 uJÜÖ i\*J i^Äj ^ BoLjiJb OlXjiJ! j*-^ »LXis»}
j^jic xxJUi Lob' üiXä?. j*c j!^Ls j^ljj iiyA«it \X^S
OjL«5 «Jy5 Radd ulmuhtär III, 244.
Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 323
Wer also Wein trinkt, wenn auch nur einen Tropfen, der
begeht eine strafbare Handlung. Doch kann die Strafe dem An¬
geklagten nur in dem Falle auferlegt werden, wenn zur Zeit seiner
Detinierung der Weingeruch an ihm noch wahrzunehmen war und
seine Tat entweder von zwei männlichen Zeugen bewiesen wird oder
er selbst sie im nüchternen Zustande gesteht.') Wenn der Wein¬
geruch sich verflüchtigt hat, kann der Täter weder auf Grund
von Zeugenaussagen, noch auf sein eigenes Geständnis hin bestraft
werden. Denn nach der übereinstimmenden Ansicht der Genossen
des Propheten verjährt mit dem Sichverflüchtigen des Weingeruchs
die Strafbarkeit der Handlung.
Ebenso begeht eine strafbare Handlung, wer an einem andem
geistigen Getränk sich betrinkt, so daß infolgedessen seine Vernunft¬
tätigkeit aufhört. Zur Strafbarkeit einer von andern Getränken
als von Wein stammenden Trunkenheit wird nicht gefordert, daß
der Geruch des Getränkes an dem Geklagten wahrnehmbar sei.
Der Richter hat im Laufe des Verfahrens folgende ümstände
von Amts wegen zu eruieren.
Wie hat der Angeklagte getrunken, freiwillig oder infolge eines
Zwanges? Denn nur die beabsichtigte Handlung kann bestraft
werden. Derart kann die Tatsache an sich, daß an jemandem ein
Weingeruch zu spüren ist, nicht die Grundlage des Verfahrens
bilden ohne entsprechende Zeugenaussagen, oder Geständnis, denn
man kann nicht wissen , ob die Handlung eine absichtliche war.
Wann hat er getrunken? Es ist möglich, daß die Strafbarkeit
der Handlung verjährt ist. Zu bemerken ist, daß bei Feststellung
davon, ob der Geruch des Weins wahrnehmbar ist, nicht jener
Zeitpunkt maßgebend ist, wo der Angeklagte vor den Richter ge¬
langt, denn der Sitz des Richters kann ja von dem Schauplatz des
Trinkens so weit entfernt sein, daß der Weingemch sich vollkommen
verflüchtigen konnte, sondern jener Zeitpunkt, wo die Zeugen den
Täter beim Trinken ertappt haben. Wo hat er getrunken? Denn
wenn der Angeklagte nicht auf moslemischem Gebiete getrunken
hat, ist seine Handlung nicht strafbar.
Kann jemandem nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden
Weise das Trinken bewiesen werden, dann kann auch die bestimmte
Strafe auf ihn nicht angewendet werden ; doch steht es dem Richter
frei , den Betreffenden nach seiner besten Einsicht mit einer un¬
bestimmten Strafe zu belegen.
Die für die Verletzung des Trinkverbots entfallende bestimmte
1) Nach Abu Jüsuf und Zufar ist das Geständnis zweimal abzulegen.
L*/ Bi>Lg-iJLj jLaäc! (yyy« ^1 iya xj ys! _►!)
^Ijü t5lj (jäLaäÜ uJi-Jj jjb *_AA>t_} Li^! ^
8jAS XaJLc. Sejchzäde: Sarh multakä I, 291.
324 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
Strafe ist bei einem freien Mann 80, bei einem Slilaven 40 Stock¬
hiebe. Diese Strafe kann an dem Schuldigen nur in nüchternem
Zustande vollstreckt werden. Das Schlagen erfolgt in derselben
Weise wie bei der Unzucht. Es werden also dem Schuldigen die
Kleider ausgezogen und die Schläge an verschiedenen Teilen des
Körpers appliziert.
Der Angeklagte kann in manchen Fällen der Strafe entgehen,
wenn er behauptet, daß er von dem Verbote keine Kenntnis hatte.
Personen, welche aus einem fremden Staate sich erst neuerlich nieder¬
gelassen haben oder erst vor kurzem zum mohammedanischen Glauben
übergetreten sind, können diese Einwendung mit Erfolg erheben.^)
Ähnliche Entschuldigungen eines in einem moslimiscben Staate Ge¬
borenen jedoch werden nicht in Betracht gezogen.
Personen, welche nicht der moslemischen Religion angehören,
können wegen Verletzung des Trinkverbots nicht zur Verantwortung gezogen werden.
VT.
Der Diebstahl (särika). Es werden zwei Formen des Dieb¬
stahls unterschieden und zwar eine, die einer minderen Einschätzung
unterliegt und einfach Diebstahl , und eine andere , schwerer im¬
putierte, welche Wegelagerung {kat' ultarik) genannt wird.*) —
Die Definition des Diebstahls ist folgende: Diebstahl begeht, wer
einem andern einen unter Verwahrung gehaltenen und einen Wert
von 10 geschlagenen Dirhem repräsentierenden Gegenstand im Ge¬
heimen wegnimmt.^)
1) lyJLä Ii Lijlo ^ xjyC? UjCs- iüuft». iOs^sib UU (Lcj-b)
LX..S?. bS iüSjriL bL;>L5- Vj--** 4;''-^ '^^'^ V
&.Lo J«/ ^5 sJXjiyX ÜjJ! ^bLjr.. Radd ulmuhtär III, 225.
2) (^yiAi!! ^5 iCxail ^yü iUai» i3Ut <^~A Uii« ^5
^A*Äj«m_5 JusUw lyÜJ ^! u5üUt
^S±ii i:;yJ.^I! :sJc^ ,.^1 ^UbS! ^c^\ ,2>i
Radd ulmuhtär III, 265.
3) Im Kanz uldakäik (Kitäb ulsarika) finden wir folgende Definition des
-,0> ^50- - ^ - . -O- s-OJ S-J ' O - '
Diebstahls: »j '^.if^ f^}^^ i^i^ yd^i &.as3- IwäJl^
, tj. ^ . -
JäsLs» ^1 ^.^LX*J. Zur Begründung der Wertgrenze (nis&b) beim DiebstabI beruft man sicb auf eine Aussage des Propheten. j»bLA>Jt» äbl/aJt X*Xc. i3j-*»j
£^ C.h' (_?**^ ^'^jy^- (cr^' o*^ ^ C'->^^
Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 325
Der Diebstahl darf nicht mit jener Art der Entfremdung ver¬
wechselt werden, welchen die mohammedanische Theorie Usurpation
igasb) nennt. Ein Usurpator ist nämlich derjenige der eine Sache,
welche einen Verkehrswert hat, ohne Erlaubnis des Eigentümers,
aber nicht im Geheimen, wegnimmt. Der Gegenstand der Usur¬
pation kann sowohl eine physische Sache, wie auch ein Recht sein.
Ein Eecht usurpiert derjenige, der den Diener oder das Gut eines
andem ohne Zustimmung des Eigentümers zu seinem Vorteil ver¬
mietet. Nach § 881 des türkischen Privatrechtes heißt usurpieren,
■das Vermögen eines andem ohne dessen Erlaubnis wegnehmen und
behalten »). Die Usurpation ist wohl eine Erwerbungsart , deren
Bechtstitel zu verwerfen ist, die aber doch nur mit einer Ver¬
antwortung im Jenseits verbunden ist. Eine weltliche Strafe be¬
stimmt das Gesetz dafür nicht. Der Usurpator hat jedoch den
entfremdeten Gegenstand, wenn er noch vorhanden ist, seinem Eigen¬
tümer zurückzugeben, wenn er aber nicht mehr vorhanden ist, Ent-
•schädigung zu bezahlen. Der Usurpator hat als faktischer Besitzer
■dritten Personen gegenüber auf den Schutz des Gesetzes keinen
Anspruch.
Es ist femer ein Unterschied zu machen zwischen Diebstahl
und einer solchen Entfremdung, die durch List erfolgt. Eine solche
Entfremdung kann ein Betrug sein, wird aber nie als Diebstahl
betrachtet. Für Betrug giht es keine bestimmte Strafe.
Nach mohammedanischer Auffassung ist es ein wesentliches
Kriterium des Diebstahls, daß die Wegnahme des fremden Wert¬
gegenstandes im Geheimen, das heißt mit Umgehung der Kenntnis
des Eigentümers, beziehungsweise dessen Stellvertreters, erfolgt. Als
Stellvertreter des Eigentümers gilt der Wächter, der Pfandeigen¬
tümer, Depositär etc.
Es wird ferner dazu, daß die Entfremdung als Diebstahl quali¬
fiziert werde, gefordert, daß der Dieb einen Gegenstand wegnehme,
welcher unter Verwahrang (kirz) steht. Das mohammedanische
Recht betrachtet den Menschen, so wie er sich nach Erfahrung
•»■^ dj^ J^jL^! ^ßi jj^i^ ülX-L:?? ^^«j bl! j*-üj!
».4^ji> j^^t j^tXiijt ^Jai lXj 8vXi! ^jjs^ |»bL<J! *,aJLc i^^-jj <-^^
ci^ljj xU! ^ ^yt_j (j«Lc ^\ ^.^^
^_5t\JLL Durer tergümesi I, 379.
1) § 881 der türkisclieu Megelle lautet im Original folgendermaßen:
^i>X4>Äjt ^ta-ytoj iXp»t ,_^L« qJ^a^JUjI ii^«u»fc*Ai' ß i_>ua.c ii»iA>-Loj v-Jyjwaiw »JL« ^ijtj v_..i>aLe »-i^,»«.4.*^s o'-^' iXi»!
^jJLLO «.ä^ ^ykniut.
326 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
zeigt. Der Durchschnittsmensch ist der Sklave seiner Sinne , der
seinen Begierden, insbesondere wenn die Umstände für deren Be¬
friedigung günstig sind, schwer widerstehen kann. Die empirische
Tatsache, daß die Gelegenheit den Dieb macht, berücksichtigt die
Gesetzgebung auch praktisch und indem sie den Diebstahl als eine
streng zu bestrafende Handlung qualifiziert, fordert sie im Interesse
der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung zugleich auch von den
Bürgern, daß sie auf ihr Vermögen entsprechend achtgeben und
ihre Mitmenschen nicht in Versuchung führen. Deshalb wird die
Entfremdung solcher Gegenstände, welche nicht entsprechend be¬
hütet sind, nicht als Diebstahl betrachtet.
Wann man sagen kann, daß ein Gegenstand entsprechend be¬
wacht wird, das unterliegt je nach den Umständen einer verschie¬
denen Beurteilung. Die Bewachung besteht in der Regel darin,
daß entweder der Herr ständig sein Vermögen hütet, beziehungs¬
weise dieses behüten läßt, oder daß er es an einem entsprechenden
Orte verwahrt. Infolgedessen kennen die mohammedanischen Juristen
zwei Arten der Bewachung: Bewachung durch den Wächter und
durch den Ort. Die Bewachung des Vermögens durch gute Pla¬
zierung wird für eine stärkere Bewachung gehalten , als die Be¬
wachung durch einen Wächter. Befindet sich der wertvolle Gegen¬
stand in einer Wüste oder in einem solchen Gebäude, welche»
nicht den Zweck hat, daß Menschen dort ihr Vermögen unter¬
bringen , wie z. B. die Moschee , dann muß man den Gegenstand
ständig vor Augen halten. Hält aber jemand sein Vermögen an
einem geschlossenen Orte, dann genügt dazu, daß dieses Vermögen
als gut behütet betrachtet werde, die gewöhnlich übliche Aufsicht.
Schläft jemand in der Wüste oder in der Moschee auf seinen
Kleidern, oder legt er seine Wertsachen unter seinen Kopf, dann
befinden sich diese Gegenstände unter Obhut. Diese aber hört auf,
sobald der betreifende im Schlafe von ihnen herabgleitet.
Der Stall ist ein guter Platz zur Behütung des Viehs; er ist
aber kein guter Platz für die häuslichen Einrichtungsgegenstände
und für Kleider. Hinwieder ist der Hof ein guter Platz für die
Hausgegenstände und für die täglichen Kleider, aber nicht für
Feiertagskleider, Juwelen oder Geld.
Das Vermögen befindet sich nur dann unter entsprechender
Obhut, wenn dessen Herr, beziehungsweise Wächter die Fähigkeit
hat, die Tätigkeit des Diebes entweder durch Gewalt oder durch
Hilferufe abzuwehren. Das von der Gemeinde abgesondert erbaute
Haus kann nur dann und insolange als entsprechender Ort be-
1) Es ist gleichgültig, oh die gestohlene Sache Eigentum einer einzigen oder mehrerer Personen ist, nur muß das Gut zusammen aufbewahrt gewesen sein. j^:> i5 »i>jLJ' töl jCcLfr ^t iAi>tj liJüU iiyi.«Jt ojl^ ttj*»
Oot. . Öauhare II, 256.
2 7
Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 327
trachtet werden, wenn es einen starken Wächter hat nnd dieser
nicht schläft. In diesem Falle bleibt es sich dann gleich , ob das
Haus geschlossen ist oder nicht.
Ein in einer Häusergruppe befindliches Haus gilt als bewachter
Ort, wenn es geschlossen ist und einen Wächter hat. Es bleibt
sich gleich, ob dieser wacht oder nicht. Ist aber das Haus offen
und schläft auch der Wächter, dann ermangelt das Haus der Auf¬
sicht. Zu dem in der Wüste befindlichen Vieh ist ein Wächter
notwendig , was aber bezüglich jenes Viehs nicht der Fall ist , das
sich in einem versperrten Gebände befindet, wenn dieses Gebäude
zu einer Häusergruppe gehört.
Das muselmanische Strafrecht verfügt, dafi der Diebstahl durch
Verstümmelung bestraft wird. Die Verstümmelung besteht darin,
daß dem Diebe im ersten Falle die rechte Hand, im Falle wieder¬
holten Diebstahls aber der linke Fuß abgehackt wird. Sollte der
betreff'ende noch zum dritten Male stehlen, dann ist er einzusperren
und wird solange gefangen gehalten, bis er sich bessert. Es gibt
Gelehrte, die behaupten, daß dem Diebe beim dritten Diebstahl
die linke Hand und beim vierten der rechte Fuß abzuhacken sei.
Die Schule Abü Hanifas ist nicht dieser Ansicht, denn schon der
Schwiegersohn des Propheten, 'Ali, sagte, er würde sich vor Gott
schämen, daß ein Mensch nach gar nichts mehr greifen könne, weil
ihm keine Hand geblieben sei, und daß er nicht gehen könne, weil
er keinen Fuß habe.^) Die Hand des Diebes wird beim Unterarm
abgehackt. Die Verstümmelung unterbleibt jedoch, wenn dem
Diebe schon vorher die andere Hand abgenommen wurde oder diese
verkrüppelt ist oder wenn der Daumen oder zwei Finger der andern
Hand oder der rechte Fuss verkrüppelt sind oder ihm abgenommen
wurden. Bei großer Hitze oder großer Kälte darf die Verstümmelung nicht vollzogen werden.
Zum Beweise des Diebstahls ist entweder die Aussage von
zwei männlichen Zeugen oder das Geständnis des Angeklagten not¬
wendig.*) Das Geständnis kann zurückgezogen werden und Flucht
1) Es scheint, daß der Kalif Abfi Bakr auch die linke Hand der Diebe abhauen ließ ; wenigstens wird ihm seitens der Parteigänger des 'Ali so etwas vorgeworfen. Die Verteidiger des Kalifats des Abfi Bakr finden es notwendig,
diese Anklage entsprechend abzuschwächen. &lj(Jli ^LwjJt ^^i)
(yÜ'bS! y^) KiyJ! ^ (iÜÜLiJ!) s^t (i »T^ Jali
tL»JL*J! Q». Sarh ulmawäkif, Kairo 126G, pag. 610.
2) Abü Jüsuf verlangt, daß das Geständnis, nach Analogie des ikrär bei
der Unzucht, auch beim Diebstahl wiederbolt werde, ^ju^yj Jdc^
lX^Lä äjUuj j\y\ ^ ^JLs LijJ! L.La5 {j^y yü ^^1 ^Xj bS
328 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc.
TOr der Strafe gilt als Zurückziehung des Geständnisses. Der
Richter hat durch an die Zeugen gerichtete Fragen aufzuklären,
was der Dieb gestohlen hat, wo und wann der Diebstahl geschah,
welchen Wert der gestohlene Gegenstand besitzt und wen der Dieb
bestohlen hat. Auch bei dem Geständnis ist die üntersuchung auf
dieselben Fragen auszudehnen, nur daß die Feststellung des Zeit¬
punktes des Diebstahls hier nicht notwendig ist, weil die Ver¬
jährung beim Diebstahl nicht in Betracht kommt, wenn der Täter
geständig ist.
Nur wenn die derart klargestellte Handlung der Definition
des Diebstahls klar entspricht, kann der Richter die Verstümmelung des Diebes aussprechen.
Dem Dieb wird die Hand nicht wegen eines Diebstahls solcher
Gegenstände abgeschnitten, welche man nicht behüten kann oder
welche nicht wert sind, behütet zu werden, weil sie im Lande in
großer Menge vorkommen. Diese Gegenstände werden in der wissen¬
schaftlichen Sprache indifferente Geringfügigkeiten (täfih) genannt.
Solche sind dürres Holz, Gras, Heu, Schilf, Wild, Fische, Kalk u. s. w.
Femer wegen solcher Gegenstände, welche rasch zugrunde gehen,
wie Milch, Fleisch, frisches Obst.*) Die mohammedanische straf¬
rechtliche Theorie hat daher schon vor Jahrhunderten jenen Stand¬
punkt eingenommen, nach welchem die unter den Begriff der feld¬
polizeilichen Übertretungen fallenden Entfremdungen nicht als Dieb¬
stahl zu betrachten sind. Hingegen wird dem Diebe für das Stehlen
wertvoller Pflanzen und Mineralien oder solcher Industrieartikel,
welche wohl aus gewöhnlichem Holz oder Lehm hergestellt sind,
bei denen aber nicht das Material, sondem die Arbeit die Haupt¬
sache ist, die Hand abgeschnitten, wenn der Wert des Gegenstandes die gesetzliche Summe erreicht.
Der Diebstahl ist nicht strafbar, wenn die Gattin von ihrem Manne
oder der Mann von seiner Gattin stiehlt, selbst wenn der Gatte sein
Vermögen unter besonderer Obhut hält, denn die strenge Absonde¬
rung des Vermögens der Ehegatten ist undurchführbar. Der Dieb-
Sadr ulsari'a, Commentar znr Wikftje (nach einer in meinem
Besitze befindlichen Handscbrift), fol. 100.
1) Mach Säfi'i wird die Hand des Diebes auch wegen solcher Gegen¬
stände abgeschnitten. t^^^-ilJl ^t-iü!l J-Uj bl ^«Li^l iXÄCj
l^jjLi^ bl, K^UiLT LA^j bl} vJii-LT J^blt ^Lo.
Jcjc J^*^' viioLT iLioLt iyi Lüj iü^ILi' üL»*iU
^bLJIj s^LJt xaIc jJys^ yjiü. ^\ »jUüi i^^yXSi JJ! ^j^^
^ j jJaÄj b! ^bLJl» äyLal\ xJLc iJy^ ^aJoJ! j jJoÄj bS
..^ijii, Sadr ulsari'a a. a. O., fol. 101.
> • •
Krcsmdrik, Beür. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 329
stahl ist ferner nicht strafhar, wenn der Sklave seinen Herrn oder
die Gattin seines Herrn oder der Gast seinen Gastgeher bestiehlt.
Straflos bleibt der Dieb, wenn er einen seiner nahen Verwandten
{dü rahim mahram) bestohlen hat, selbst wenn der gestohlene Gegen¬
stand eventueÜ das Vermögen eines Fremden bildete; doch wird
dem Diebe für einen solchen Diebstahl die Hand abgeschnitten,
welchen er wohl zum Schaden seiner Verwandten, aber in dem
Hause eines Fremden begangen hat.
Für den Diebstahl ' von Gegenständen, welche keinen Verkehrs¬
wert haben, wird dem Diebe die Hand nicht abgeschnitten, selbst
wenn der gestohlene Gegenstand sonst einen großen Wert besitzt.
Als solche gelten vom moslemischen Gesichtspunkte die geistigen
Getränke , aber nur , wenn der Diebstahl zum Schaden eines Mo¬
hammedaners erfolgt ist, denn wenn z. B. der Mohammedaner von
einem Christen Wein stiehlt, so ist dem Diebe die Hand abzu¬
schneiden ; ferner Spielzeuge, Kreuze, auch wenn sie von Gold sind,
Koranexemplare, freie Kinder. Selbst das ändert an der Sache
nichts, wenn das gestohlene Kind eventuell wertvolle Schmuck¬
sachen an sich hatte, denn diese kommen als Zubehör des Kindes
nicht in Betracht. Wird ein majorenner Sklave gestohlen, dann
wird dies ebenfalls nicht als Diebstahl betrachtet, sondern entweder als Usurpation oder als Betrug.
Wegen Veruntreuung kann die Hand des Täters nicht ab¬
geschnitten werden , weil bei der Verantreuung die zum Begriffe
des Diebstahls notwendigen konstitutiven Elemente fehlen. Auch
kann sie wegen Ausraubung von Toten nicht abgeschnitten werden,
weil die in den Gräbern untergebrachten Gegenstände nicht unter
Obhut sind.i)
Da es notwendig ist, daß die gestohlenen Gegenstände aus
dem Eigentum eines andem weggenommen werden, wird die Weg¬
nahme eines solchen Gegenstandes nicht als Diebstahl betrachtet,
an welchem der Dieb auch selbst einen Anteil hat. Er konnte in
der Hinsicht einen Zweifel hegen, welche Rechte ihm an dem, zum
Teil auch sein Eigentum bildenden, Gegenstande zukommen. Des¬
halb kann der Diebstahl an gemeinsamer Beute, an dem Ärar,')
oder ein zum Nachteil einer solchen Person begangener Diebstahl,
gegen die der Dieb eine Forderung hat, nicht durch Verstümmelung
bestraft werden. Es bleibt sich gleich, ob diese Forderang fällig
ist oder nicht, femer ob das, was der Dieb gestohlen hat, einen
1) Über den Unterscbied zwischen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des gewöhnlichen und des Gräberdiebes (nabbäi) siebe die feine Distinktion in Manäfi' p. 75.
2) ij%;JL^It S\-A xiLs JLii JL/o yS>^ (iC«Lc JL^_5 iJyä)
XÄ:>-L»- ^\>Äi XaS »^ klV^ s'"**"' '"^'.5 1*^** y^i' muhtar UI, 276.
2 7 *
330 Krcsmärik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
solchen Wert repräsentiert, wie seine Forderung ausgemacht hat,
oder mehr.
Da nur dann von einem Diebstahl die Kede sein kann, wenn
die Wegnahme im Geheimen geschieht, so kann derjenige nicbt
durch Verstümmelung bestraft werden , der einem andern plötzlich
etwas aus der Hand reißt. Der Diebstahl vrird nur dann beendet,
wenn der Dieb den gestohlenen Gegenstand wegträgt. Infolgedessen
wird die Hand des Diebes nicht abgeschnitten, wenn er wohl etwas
gestohlen hat, den gestohlenen Gegenstand aber nicht aus dem
Hause hinaustrug, oder, wenn er wohl in das Haus hineinging, den
gestohlenen Gegenstand aber sein außerhalb des Hauses wartender
Komplice weggetragen hat. Hat aber der Dieb den Gegenstand
aus dem Hause hinausgeworfen und dann fortgetragen oder mit
Hilfe eines Lasttieres wegtragen lassen, so hat er einen durch Ver¬
stümmelung strafbaren Diebstahl begangen.
Der Dieb kann nur auf Wunsch der geschädigten Partei be¬
straft werden. Hat aber der Richter das ürteil bereits ausgesprochen,
so kann der Kläger nicht mehr von dem Vollzug des ürteils mit
der einfachen Erklärung abstehen, daß er dem Verurteilten ver¬
ziehen hat und daher seine Bestrafung nicht wünscht.*) Denn die
in der Verstümmelung des Diebes bestehende Strafe ist ausschlie߬
lich göttliches Recht und seine Umgehung in solchen Fällen, wo
Kläger und Beweis vorhanden sind, ist verboten. Dennoch gibt es
mehrere Wege dafür, daß der Dieb auch nach Fällung des Urteils
der Strafe entgehen könne. Ein solcher ist, wenn die geschädigte
Partei vor dem Richter erklärt, daß der durch den Dieb weg¬
getragene Gegenstand nicht ihm gehöre, sondern dem Diebe selbst,
insofern er — der Kläger — diesen Gegenstand nur unter Obhut
hielt, oder wenn er behauptet, daß seine Zeugen nur infolge Zwanges
zu Lasten des Diebes ausgesagt haben.
Der Dieb kann nicht bestraft werden, wenn er den gestohlenen
Gegenstand vor Einlangen der Klage zurückgibt oder dieser unter
einem Rechtstitel, z. B. durch Schenkung, sein Eigentum wird. Er
kann ferner auch nicht bestraft werden , wenn er hinsichtlich des
Eigentums an der gestohlenen Sache in Zweifel war oder sein
konnte, und diese Entschuldigung vor dem Richter geltend macht.
Über den Zweifel habe ich bereits gesprochen und dort erwähnte
ich, daß, wenn die Frau ihrem Gatten, der Gatte seiner Frau, der
Sklave seinem Herm etwas stehlen, dies nicht mit der Strafe der
Verstümmelung verbunden ist. Die muselmanische strafrechtliche
Theorie geht jedoch noch weiter und gelangt in ihren Folgerungen
dahin , daß der Richter den Dieb nicht zu einer Verstümmelung
verurteilen kann, wenn dieser einen eigentumsrechtlichen Anspruch
1) j.IxäJI • . . j-Eiäit JJxjj ^' xic OjÄC JLä jJ Lal
i nji»-. Radd ulmuhtär 111,269.
2 7 *
Krcsnidrik, Beür. z. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc. 331
auf die gestohlene Sache erhebt, indem er sagt, die Sache gehöre
ihm, selbst wenn er diese Behauptung nicht zu beweisen vermag.*)
Es ist klar, daß diese Verfügung des Gesetzes jedermann, der diese
Art der Verteidigung anwenden will, Gelegenheit bietet, dieser
schweren Strafe zu entgehen. Es ist dies ein beachtenswertes Bei¬
spiel der bei dem Delikt der Unzucht bereits erwähnten Selbst¬
justiz. Überhaupt werden wir wahrnehmen, daß die mohammeda¬
nische Strafe dadurch, daß es oft von dem Beheben des Angeklagten
abhängt, ob er die Rechtsfolgen seiner Handlungen auf sich nimmt,
in vieler Hinsicht den Charakter einer Poenitenz hat.
Diejenigen, die zusammen gestohlen haben, büßen auch ent¬
weder aUe zusammen für die begangene strafbare Handlung oder
sie werden zusammen freigesprochen. Es ist nicht möglich, daß
von den gleichmäßig schuldigen Angeklagten einer , der sich in
dieser Weise verteidigt hat , wie sich der andre nicht verteidigen
wollte oder konnte, der Strafe entgehe, der andre aber die Strafe
zu erleiden habe. Haben also zwei Personen zusammen einen Dieb¬
stahl begangen und beide ihre Tat gestanden, doch behauptet der
eine der Diebe, daß der gestohlene Gegenstand ihm gehöre, dann
kann auch der andre Dieb nicht bestraft werden. Wenn hinwiederum
mehrere Diebe waren, so wird jedem die Hand abgeschnitten, voraus¬
gesetzt, daß der Wert der gestohlenen Sachen insgesamt sovielmal
10 Dirhem ausmacht, als Diebe waren, selbst in dem Falle, wenn
nur einige der Diebe die gestohlenen Gegenstände weggetragen haben.
Was die dem Diebstahl entspringende Schadenersatzpflicht des
Diebes anbelangt, so ist der Ausspruch des Propheten maßgebend,
daß den Dieb, wenn ihm die Hand abgeschnitten worden, keinerlei
weitere Verbindlichkeit belastet. Aus dieser Enunziation folgert
das mohammedanische Recht den Satz, daß die auf die Verstümme¬
lung des Diebes und auf Schadenersatz eingereichten Klagen in¬
kompatibel sind. Ist also der gestohlene Gegenstand, nachdem dem
Diebe die Hand abgeschnitten worden, in natura noch vorhanden,
so ist er dem Beschädigten zurückzustellen; ist er aber nicht
mehr vorhanden, dann hört die weitere Haftung des Diebes auf
und es kann gegen ihn keine Schadenersatzklage angestrengt wer¬
den.-) Aus dieser Enunziation wird ferner gefolgert, daß der Dieb
Bd. LVIII. 22
332 Krcsmärik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
für das neuerliche Stehlen desjenigen Gegenstandes, für welchen
ihm schon die Hand abgeschnitten wurde, wenn der Gegenstand
mittlerweile keine Veränderung erfahren hat, nicht nochmals be¬
straft werden kann. Die Schadenersatzklage ist übrigens nach den
allgemeinen Vorschriften zu beurteilen, nach welchen auch die
Zeugenaussage von Prauen angenommen werden kann.
Bei der Peststellung des Wertes des gestohlenen Gegenstandes
ist jener Wert zu bestimmen, den dieser zur Zeit des Diebstahls,
wie auch zur Zeit der Verstümmelung des Diebes repräsentiert hat.
War die gestohlene Sache am Tage des Diebstahls keine 10 Dirhem
wert, so konnte das Verfahren gar nicht eingeleitet werden; ist
aber der Wert des Gegenstandes, welcher ursprünglich mehr wert
war, zur Zeit wo die Verstümmelung vollstreckt werden sollte,
unter 10 Dirhem zurückgegangen, so unterbleibt die Strafe.
vn.
Der Straßenraub (hai'ultarik). Der Straßenraub ist eine
einer schwereren Einreebnung unterliegende Form des Diebstahls.
Die Wertgrenze {nisdb) ist auch hier, wie beim Diebstahl, 10 Dirhem.
Nach der mohammedanischen strafrechtlichen Theorie wirkt
der Sti-aßenräuber, ebenso wie der Dieb, im Geheimen und kann er
nur dann für die Wegnahme eines Gegenstandes bestraft werden,
wenn dieser unter Obhut war. Diese Bedingungen können jedoch
bei dem Delikt des Straßenraubes nur durch Fiktion gefunden
werden, denn der Straßenraub, der darin besteht, daß der Täter
einen Reisenden angreift und ihm einen Wertgegenstand wegnimmt,
schließt ja eigentlich den Begrifif des Handelns im Geheimen aus.
Es wird nun folgender Schluß aufgestellt. Es ist die Pflicht des
Fürsten und seiner Organe , über die Sicherheit der Person und
des Vermögens im Lande zu wachen , insbesondere auf den öfifent-
lichen Straßen und in den Gemeinden. Da jedoch der Straßen¬
räuber sozusagen hinter dem Rücken des Pürsten , beziehungsweise
der berufsmäßigen Polizeiorgane desselben seine Umtriebe ausübt,
kann die Tätigkeit des Straßenräubers als eine geheime angesehen
p
La.*; Q-«^:) bi. Kanz uldakäik (im Kapitel fi kejfijjeti 'Ikat'i wa-itbätihi),
und J.t S\ ^•,_5-«>J^t lXac .j^y^ y^<,y^s^ f y-Lä«
JiL-J »,•,.! ,5Jui y5<.}üUa ,V._«*/a , fciJ.t ^, ä.Äa5-La3 Ä..»»ot Jsi-i
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vüoiiii L« iXjlj ^^^LwJt ^.t ii) iiSÜi^L*Jt^ HjJlAaJt ä.aJLc Jj-w^
^^,jJfot ^ÄJ^Ä Jjjs (iwAA4J . Durer terg. I, 384.
Kcrsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. itlamit. Strafrechts, etc. S33
werden. Hieraus folgt, daß wenn jemand mit offenem Trotz und
Widerstand gegenüber der Staatsgewalt raubt und mordet , dieser
nicht mehr ein Straßenräuber, sondem ein Empörer (bdgi) ist.
Es folgt feraer, daß ein Straßenraub nur auf einem solchen Ge¬
biete und an solchen Personen begangen werden kann, welche
unter der Souveränität des Staates stehen. Es kann daher nicht
von dieser strafbaren Handlung die Rede sein, wenn der Straßen¬
raub nicht auf moslemischem Gebiete erfolgt, ferner wenn der
Täter oder sein Opfer nicht Bürger sind und der Staat sie daher
weder in ihren Handlungen zu kontrollieren hat, noch gegen An-
griff'e schützen muß; kurz, das Delikt des Straßenraubes kann nur
eine unverletzliche Person an einer andern unverletzlichen Person
begehen.*)
Die Strafe des Straßenraubes ist je nachdem, ob nur geraubt,
oder mit dem Raube zusammen auch gemordet wurde, verschieden.
Hat der Straßenräuber ohne zu morden einen Gegenstand weg¬
getragen, dessen Wert mindestens 10 Dirhem ist, oder, wenn mehrere
tätig waren , ebensovielmal 10 Dirhem als Täter waren , dann ist
die Strafe des Schuldigen das Abschneiden der einen Hand und
des auf der entgegengesetzten Seite befindlichen Fußes. Hat er
aber gemordet, ohne daß er auch geraubt hätte, dann ist der Täter
hinzurichten. In diesem Falle wird die Todesstrafe als bestimmte
und unabänderliche Strafe (hadd) des Straßenraubes bemessen und
es steht dem Rechtsnachfolger der durch den Straßenräuber er¬
mordeten Person nicht das Recht zu, dem Verurteilten die Strafe
zu erlassen oder sich mit ihm in einem Blutgeld auszugleichen.
Anders steht die Sache, wie wir dies bald sehen werden, wenn es
sich nicht um einen mit Straßenraub verbundenen Mord handelt.
Straßenräuber, die zusammen gehandelt haben, sind auch zu¬
sammen zur Verantwortung zu ziehen, selbst in dem Falle, wenn
die strafbare Handlung nicht von allen, sondern nur von einem
von ihnen begangen wurde. Denn sie halfen einander, als Störer
der durch Gott festgestellten Rechtsordnung, durch gemeinsame
Ki-aftentfaltung und deshalb sind sie alle verantwortlich. Hat da¬
her auch nur ein Mitglied der Straßenräuberbande jemanden er¬
mordet, so muß dafür die ganze Bande zum Tode verarteilt werden.')
Hat der Straßenräuber gemordet und geraubt, dann besteht die
Strafe aus der erwähnten Verstümmelung und zugleich aus der
Hinrichtung des Schuldigen. Die Reihenfolge, ob erst die Ver¬
stümmelung und dann die Todesstrafe anzuwenden sei oder um-
1) jJLs U«3 jJj (^j*ax^) ^ja^^ (^Ic ^jj.a.Xyi jS>^)
J<S- ^ (^;yULXw.^I! . Eadd ulmuhtär III, 293.
2) xL<*;j! JJä j^.,jJJl\j! ^y-'-^y ^l>^^Lj\ ^Lij
^yjjt vi>./iiLi! lAs» Sjj^t ^M~f.lS. Durer terg. I, 386.
88»
334 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
gekehrt, stellt der Richter nach eigenem Ermessen fest, ja, da
nach der Hinrichtung des Schuldigen das Abschneiden der Grlieder
nicht mehr viel Sinn hat, steht dem Richter das Recht zu, von
der Verstümmelung gänzlich abzusehen.
Die Hinrichtung des Raubmörders kann auch durch Kreuzigung
erfolgen. Der Prophet sagt nämlich: „Wer raubt, der ist zu töten,
wer mordet und raubt, der ist ans Kreuz zu schlagen." Die Kreu¬
zigung wird an dem Schuldigen entweder nach seiner Hinrichtung
oder bei lebendigem Leibe vollstreckt. Im letzterwähnten Falle
wird der Bauch des Verurteilten mit einer Lanze aufgeschlitzt.
Den Gekreuzigten läßt man drei Tage lang an dem Kreuz, dann
wird sein Leichnam behufs Bestattung ausgefolgt. Aus öffentlichen
Rücksichten darf der Verurteilte nicht länger als drei Tage an
dem Kreuze belassen werden.
Über dem zum Tode verurteilten und hingerichteten Straßen¬
räuber wird nicht gebetet.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß für den Straßenraub nur
dann eine bestimmte Strafe bemessen werden kann, wenn der
Straßenräuber dem Angegriffenen etwas wegnimmt oder ihn er¬
mordet hat. Deshalb bleibt jedoch auch die einfache Wegelagerung
nicht straflos. Das mohammedanische Strafrecht lehrt nämlich,
daß , wer mit Absicht der Wegelagerung (ohne Rücksicht darauf,
ob mehrere beisammen waren oder der Wegelagerer allein war,
wenn er nur stark genug war, diese Absicht auszuführen) einen
andern angreift , wenn er gefangen wird , bevor er etwas weg¬
genommen oder jemanden getötet hat, einzusperren oder solange
gefangen zu halten ist, bis er sich bessert. Eine solche Wege¬
lagerung wird nicht als ein Versuch des Straßenraubes betrachtet,
denn nach der mohammedanischen Auffassung ist mit dem Ver¬
suche keine Strafe verbunden, sondern als eine besondere strafbare
Handlung, die deshalb zu verfolgen ist, weil sie den Verkehr un¬
sicher macht und die Öffentlichkeit schädlich beeinflußt.
Es kann geschehen , daß der Straßenräuber jemanden aus¬
geraubt und ihm auch eine körperliche Verletzung zugefügt hat.
In diesem Falle handelt es sich um eine strafbare Handlung doppelter
Natur, um den Straßenraub, dessen Strafe zu den göttlichen Rechten
gehört, und um die körperliche Verletzung, deren Ahndung ein
menschliches Recht bildet. Wenn auch in der Regel jede beson¬
dere strafbare Handlung eine besondere Strafe nach sich zieht, so
wird dennoch in diesem Falle der Schuldige nur wegen Raubes
verurteilt, während die körperliche Verletzung ungeahndet bleibt.
Denn nach der mohammedanischen Strafrechtstheorie hören die
menschlichen Rechte dort auf, wo das göttliche Recht geltend ge¬
macht wird.') Andererseits leben die menschlichen Rechte dann
1) Las»- xi'üüj xXs' \yj j-^j-^ ij*^'^^)^. ii5Üij^LJ! jiaLä;
Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 335
wieder auf, wenn die ftir die Delikte entfallende bestimmte Strafe
aus irgend einem Grunde nicht angewendet werden kann.
Die bestiramte Strafe des Straßenrauhes kann in folgenden
Fällen nicht angewendet werden : wenn der Straßenräuber, ohne daß
er etwas weggetragen hätte, jemandem eine körperliche Verletzung
zugefügt hat; wenn er gemordet hat, geraubt, seine Tat aber be¬
reut und sich gebessert hat, denn es steht im Koran, daß die, die
sich bekehren, bevor sie gefangen werden, von der bestimmten
Strafe zu befreien sind;*) ferner wenn in der Straßenräuberbande
eine minderjährige oder wahnsinnige Person sich befindet, denn
kraft des Prinzips der kollektiven Verantwortlichkeit müßte die
bestimmte Strafe auch an dieser vollzogen werden , während Kinder
und Wahnsinnige nicht zu bestimmten Strafen verurteilt werden
können ;
femer: wenn einer der Straßenräuber ein naher Verwandter
einer der angegriffenen Personen ist {dü rahim mahram) ; es wurde
nämlich schon beim Diebstahl ei-wähnt, daß die Wegnahme eines
Gegenstandes nicht als Diebstahl zu betrachten ist, wenn der Dieb
nnd die geschädigte Partei mit einander in verwandtschaftlicher
Verbindung in einem gewissen Grade stehen, denn der Dieb
konnte der Meinung sein, daß ihm infolge des Verhältnisses, in
welchem er zu dem Eigentümer des weggenommenen Gegenstandes
steht, das Recht zusteht, über das Vermögen des Verwandten zu
verfügen ;
wenn die strafbare Handlung darin besteht, daß einige der
Reisenden selbst mit der Absicht des Straßenraubes die übrigen
Mitreisenden angreifen, denn bei dieser strafbaren Handlung fehlen
die Kriterien des Straßenraubes;
wenn die Täter das Delikt des Sf^aßenraubes bei Nacht
ausgeführt haben , denn die Behörden sind nicht imstande , bei
Nacht genügend über die Sicherheit der öffentlichen Straßen zu
wachen ;
wenn der Straßenraub bei Tage, aber in einer Gemeinde er¬
folgt, denn hier ist die Hilfe zur Hand ; waren jedoch die Straßen¬
räuber bewaffnet, dann ist ihnen die Strafe des Straßenraubes auf-
li^^i-Äi »iAJLs» ^xjlXJj! i^Axc *-wwot (^lV!.! v*-^!?
^^jS i^^äjlXJj! JaiL« JL« ci*-*-kac fv'^vi i_5lXJ.! JaäL. ^x^^ac
j^jlj! }t.*ji:^ jioi »JLo xLiUjü L^. Durer terg. I, 386.
1) xAc jlXäj i-Lsbit »^las JUt lÄi-tj {y-J'^^ Cr*5
IjjL) j^vXit itt \S-j^L*j üJjäJ lXÜ- xäc Jaii*- LjL) tLs-
».Ac SjiXiiJ! ^«J V>jL) öfüjüt ^^ix: tj^iAÄ.j ^^,t ^y»
lXJ^ »Jf JtiSo..; fjl. Gauhare II, 267.
336 Krcsmdrik, Beitr. z. BeUuchtung d islamit. Strafrechls, etc.
zuerlegen; wobei zu bemerken ist, daß es als Waffe betrachtet
wird, wenn die Straßenräuber einen Stein oder einen Stock in der
Hand haben; schließlich
wenn der Straßenraub zwischen zwei solchen Gemeinden er¬
folgt, die nicht weit von einander entfernt smd, und zwar schon
aus dem erwähnten Grunde, daß die Angegriffenen leicht um HiKe
rufen können.
Obwohl in dem Falle, wenn die angeführten Entschuldigungs¬
gründe vorliegen, die Schuldigen von der Anklage des Delikts des
Straßenraubes und deren Polgen freigesprochen werden, so folgt
hieraus dennoch nicht, daß sie nicht unter einem andern Titel zur
Verantwortung gezogen werden können. Denn es ist für die be¬
gangene körperliche Verletzung ein Blutgeld,*) für den absicht¬
lichen Totschlag die Todesstrafe oder ebenfalls ein Blutgeld aus¬
zusprechen, nur daß diese Strafen ausschließlich auf eine private
Anklage hin festgestellt werden sollen und der verletzten Partei
oder ihrem Rechtsnachfolger das Recht zusteht, die Klage zurück¬
zuziehen, sich mit dem Täter auszugleichen oder die Strafe zu er¬
lassen, in welchem Falle der Straßenraub tatsächlich ungeahndet
bleiben muß.
Der Straßenräuber hat den geraubten Gegenstand, wenn dieser
noch vorhanden ist, ebenso wie der Dieb zurückzugeben. Ist aber
dieser Gegenstand nicht mehr vorhanden, so ist der Straßenräuber
nicht schadenersatzpflichtig. Es bleibt sich gleich, ob der be¬
treffende Gegenstand von selbst zugrunde gegangen ist, oder ob
ihn der Täter absichtlich vernichtet hat.^) Wird die für den
Straßenraub bemessene bestimmte Strafe auf den Schuldigen nicht
angewendet, dann steht der verletzten Partei, ebenso wie beim
Diebstahl, das Recht zn, für den weggenommenen Gegenstand von
dem Schuldigen Schadenersatz zu fordern.
1) SyiÄl\ tljJst ^! ji, sjOd>l\ ji^^W iXil (3!
^\ JUt j^j5 ^y>- ^jir ^\ u^^s a' "J^
. yV:XxJSlt JaÄ^ bS i^yü! ^.p LXiLS» ^t jO^j UjLi ,^,LJ'
öauhare II, 267.
2) ^»ijl»' '^y'^. l^'-^*«»*-!}' (Jh^" "i^y" LX:>t qJ-^
JjS (y.j^^ L?**^ i^*' Cy"'"^ ö^l
«JJU ^.^UiXLit L\.j>t t^LcXct «.r!tj**3 (^jAaaiUJjJ
jJS |.jiS jjUxö . Durer terg. I, 386.
Krcsmdrik, Beür. z. Bdeuehtwng d. islamü. Strafrechts, etc. 337
B) Die zu den menschlichen Bechten gehörenden
bestimmten Strafen.
Die rein menschliche Rechte verletzenden strafbaren Hand¬
langen werden nach der mohammedanischen Strafrechtsterminologie
mit dem Kollektivnamen ^inäjet bezeichnet. Dieser Ausdruck be¬
deutete ursprünglich allerlei durch das Gesetz verbotene Handlungen,
ob diese nun sich gegen das Leben, gegen die körperliche Un¬
versehrtheit, gegen das Vermögen oder die Ehre des Menschen
richteten.*) Derzeit versteht das Sarl'atstrafrecht unter ^inäfet nur
diejenigen strafbaren Handlungen, welche sich gegen das Leben
oder gegen die körperliche Unversehrtheit eines andern richten.-)
Die die menschlichen Rechte verletzenden strafbaren Hand¬
lungen können nämlich in zwei Hauptgruppen geteilt werden. In
die. erste Gruppe zählt man den Totschlag, in die zweite die körper¬
lichen Verletzungen. Die letzteren werden nach der juridischen
Terminologie strafbare Handlungen „außer Bereich des Lebens' ge¬
nannt (mä dün ainafs).
Die Strafen sind zweierlei Natur. Entweder wird die der
verletzten Partei zugefügte Verletzung nach dem Prinzip „Leben
1) Joe Jjt ^lVa^' ii5U*s j> jjbtjt j,!^». Ltyi oLLls».
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ICrimSz&de magmfi'asi, Konstantinopel 1288, pag. 2.
2) jjtj Jots SjLfcC g^^-^Jt ^5iX**Jt x*Ut j iuLiil
oty»b!tj ^jwjÄiJt ^5 öauhare II, 204. Die gegen die Regeln der Pilger¬
fahrt verstoßenden Handlungen, welche unter dem Namen ginäjät ulhagg be¬
kannt sind, gehören nicht in diese Kategorie. ^J|ijtÄJ ^^J oLjLäj>
'gjjji- LjaJLc iL^ÄftJt jV,bLbt xsys bSj (j-OÜt ^j>^ Radd ul-
mohtllr V, 466.
338 Krcsmdrik, Beür. 2. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc.
für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn" mit einer ähnlichen
Verletzung geahndet, oder der Schuldige wird angehalten, der ver¬
letzten Partei nach einer gewissen Skala eine Entschädigung zu
leisten. Bei der Behandlung der die menschlichen Rechte ver¬
letzenden Delikte werden wir dieser Einteilung entsprechend den
Totschlag und die körperliche Verletzung, dann die Vorschriften
der Vergeltung der Verletzung durch eine gleiche Verletzung und
die Modalitäten der Entschädigung für die Verletzung besonders
besprechen. Schließlich werden wir die eigentümliche Einrichtung
des mohammedanischen Strafrechts kennen lernen, nach welcher für
eine begangene strafbare Handlung diejenigen zur Verantwortung
gezogen werden können , die mit dem Schauplatze , auf welchem
die strafbare Handlung begangen wurde, in territorialer Verbindung
stehen (kasäme), oder diejenigen, welche mit dem Täter durch
Blut- oder durch andere Bande verknüpft sind ('äkile).
VIH.
Der Totschlag (kail). Die mohammedanischen Juristen
unterschieden anfangs dreierlei Arten des Totschlags , nämlich die
absichtliche Tötung ('amd oder kasd) ; einen aus Irrtum begangenen
Totschlag (chata); und einen dem absichtlichen ähnlichen Tot¬
schlag (äibh 'amd). Später teilte Abü Bakr Räzi (f 370 AH.)
diese strafbare Handlung in fünf Klassen ein und nach seiner Ein¬
teilung kann der Totschlag sein:
ein absichtlicher ('amd);
ein dem absichtlichen ähnlicher (äibh 'amd) ;
ein aus Irrtum erfolgter (chata);
ein dem irrtümlichen ähnlicher (md yard mayrd 'Ichatä)
und der verursachte Totschlag (bisabab).^)
Die neueren Juristen halten sich an die letzterwähnte Klassi¬
fikation. Ebenso hat auch 'Omer Hilmi in seinem erwähnten Werke
Mi'järi 'adälet diese Klassifikation als Grundlage angenommen.
Die am meisten gebräuchlichen Definitionen des absichtlichen
Totschlags sind die folgenden. Absichtlicher Totschlag ist, wenn
jemand einen andern vorsätzlich mit einem Instrument tötet, welches
vom Gesichtspunkt der Zerstückelung der Köi-perteile als Waffe
gilt. Oder nach 'Omer Hilml ist absichtlicher Totschlag, wenn
1) iXaä ^! »jjj! ^^^.ijAJÜj! vO^lsyMjn JJCij
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^Lj^-Lt ^LyCi»! Durer terg. I, 389.
Krcsmdrik, Beür. z. Beleuchtung d. islamü. Strafrechts, etc. 339
jemand mit einem verletzenden Instrument eine Person, deren
Tötung nach dem Gesetze verboten ist, mit Willen tötet.*)
Nach der mohammedanischen Auffassung kann von einem ab¬
sichtlichen Totschlag nur dann die Eede sein, wenn es zweifellos
offenkundig ist, daß der Täter sein Opfer töten wollte und diesen
Zweck auch erreicht hat. Diese Idee soll durch jene in der De¬
finition des Begriffes des Totschlags vorkommenden Worte zum
Ausdruck gebracht werden, daß der Täter „vorsätzlich", „mit
Willen" tötet, welche Worte gemischt und abwechselnd mit dem
Ausdruck „absichtlich tötet" angewendet werden.
Da jedoch die Absicht oder die Intention zu den inneren
Handlungen des Menschen gehört, deren Beweis, wenn keine äußeren
ümstände vorhanden sind, nicht möglich ist, so nimmt bei der
Beurteilung der strafbaren Handlungen die Stelle der Absicht in
der Regel die Anwendung von totbringenden Instrumenten den
Platz ein , wobei vorausgesetzt wird , daß jemand , der das Leben
eines andem mit mörderischen Instrumenten vernichtet hat, diesen
töten wollte. 2) Andererseits folgt aus alldem, daß derjenige, der
1) Es wird niclit uninteressant sein , einige der geläufigeren hanefitischen Definitionen des Totschlags zu reproduzieren. Der vorsätzliche Totschlag {kati
JJ:^jJ! J3 ij}oJ.\ |.Uw JJ-UJ! JUjü;-,!
Demgemäß behaupten einige Juristen, daß die wirkliche Absiebt des Täters eigentlich nebensächlich sei und seine Entschuldigung, daß er sein Opfer nicbt
2) üJLjJjij ^' '«-ÄijJ iA*aaJ! y L\**Jt
töten wollte, nicht berücksicbtigt werden kann.
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340 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
dem Leben eines Menscben nicht durch verletzende Instrumente,
sondem in anderer Weise, z. B. durch Erwürgen, Vergiftrmg ein
Ende macht, nicht die strafbare Handlung des absichtlichen Tot¬
schlages begeht, oder, richtiger gesagt, nicht wegen vorsätzlichen Totschlages bestraft werden kann.
Unter verletzenden Instrumenten {diät ^drihd) werden Gegen¬
stände verstanden, welche imstande sind, die Teile des Körpers von
einander zu trennen, wie z. B. das Schwert, ein Messer, ein Pfeil,
ein scharfer Stein, Peuer u. s. w., also solche Instmmente, welche
Waflfen sind oder als solche betrachtet werden können.
Wegen absichtlichen Totschlags kann der Mörder nur dann
zur Verantwortung gezogen werden, wenn er zur Zeit, wo er die
strafbare Handlung beging, volljährig und bei voller Vernunft war,
ferner wenn die Person des Opfers den Charakter der Unverletzlich¬
keit hatte. Die Unverletzlichkeit muß ständiger Natur sein, wie
die des Muselmans oder eines einer andem Religion angehörenden
tributpflichtigen Bürgers. Die Unverletzlichkeit eines provisorisch angesiedelten Ausländers ist ebenfalls nur eine zeitweilige.
Die Unverletzlichkeit kann auch relativ sein. Dies bedeutet,
daß der sonst unverletzliche Mensch seine Unverletzlichkeit unter
gewissen Umständen verliert. Ein solcher Pali tritt ein, wenn
jemand einen andern mit einer Waflfe angreift, denn dann kann
der Angegriflfene den Angreifer, der infolge seines Attentates seine
Unverletzbarkeit verloren hat, töten, ohne strafbar zu sein, denn
es steht geschrieben, daß „wer gegen den Moslem das Schwert
zieht, dessen Blut frei sei'. Wurde aber der Angriff zurück¬
geschlagen, ohne daß der Attentäter getötet worden wäre, dann
lebt die Unverletzbarkeit des Angreifers neuerlich auf und niemand
hat das Recht, ihn nach dem Geschehenen zu töten. Ein Wahn¬
sinniger und ein Kind können ihre Unverletzbarkeit unter keinen
Umständen verlieren, selbst dann nicht, wenn sie jemanden mit
einer Waflfe angreifen, denn ihre Handlung kann in Ermangelung
der nötigen Vernunft nicht als Widersetzlichkeit gegen das Gesetz
qualifiziert werden. Tötet der durch solche Personen Angegriflfene
den betreflfenden Wahnsinnigen oder das Kind, so hat er das für
das Leben desselben entfallende Blutgeld zu bezahlen. Auch ein
nützliches Haustier ist unverletzbar, und wenn jemand ein ihn an¬
greifendes Tier, z. B. ein Kamel tötet, so ist er dessen Eigentümer gegenüber schadenersatzpflichtig.
Bei der Feststellung des Deliktes des absichtlichen Totschlages
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Krcsmdrik, Beitr. a. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc. 341
muß untersucht werden, oh die Unverletzharkeit des Opfers gegen¬
über dem Mörder bestanden hat.*) Wenn z. B. A den B absichtlich
getötet hat, so kommt dem Rechtsnachfolger des B dem A gegen¬
über das Recht auf Vergeltung der Verletzung zu. Wird nun der
A durch eine dritte Person getötet, dann liegt der Fall der relativen
Unverletzbarkeit vor. Die Person des A ist gegenüber den Rechts¬
nachfolgern des durch ihn getöteten B nicht unverletzbar, denn diese
haben ein Recht, ihn zu töten. Gegenüber X, als einer unbeteiligten
Person aber, hat A das vollkommene Recht, als unverletzbar zu
gelten. Eine weitere Bedingung des absichtlichen Totschlages ist,
daß zwischen dem Mörder und seinem Opfer nicht ein Band der
Geburt oder deS Besitzes oder ein Schein dieses Bandes bestehe,
d. h. daß der Täter weder der Vater noch der Herr des Getöteten
sei. Dies ist vom Gesichtspunkte der Ausübung des Vergeltungs¬
rechtes wichtig. Denn der Prophet hat erklärt, der Sohn habe
kein Vergeltungsrecht gegenüber dem Vater. Wenn also der Vater
seinen Sohn oder der Herr seinen Sklaven tötet, so können diese
wegen dieser Handlung nicht aus dem Titel des absichtlichen Tot¬
schlages zur Verantwortung gezogen werden.
Die Folgen des absichtlichen Totschlages sind:
die Strafe im Jenseits (itm);
die Vergeltung der Verletzung (kawad 'ajnfl^) durch eine
ähnliche Verletzung, d. h. der Tod des Mörders, wenn nur der¬
jenige, der auf das Vergeltungsrecht Anspruch hat, ihn nicht
erlassen oder sich mit dem Täter in einer gewissen Ablösungs¬
summe verglichen hat, und
der Verlust des Erbrechtes (kirman ulirt), denn der Prophet
sagte, der Mörder hat kein Erbteil.-)
Der Fall des dem absichtlichen ähnlichen Totschlages liegt
1) Eadd ulmuhtär V, 470.
2) Zur Begründung der Strafe im Jenseits und des Taliorechtes beruft man sich vorzüglich auf Stellen im Korän, wogegen der Verlust des Erbrechtes
aus einem Sprucbe des Propbeteu deduziert wird: |^*X5» u5Uj3 tiX*Cj
B|t^^ !i.X.*»Äxi U.*^ J-ÄÄJ y^i) ii^-UJL*j5 «JLsu«, ^JJUj!
Ojtj rSjjfiS^ vi>i.joL»-! »tXi^j t.s'^-J*" ttXJLs-
5lX.*cj (Läac «.^jä!!») ^^i^ ci^S g,^-?"' '^jjii^: t.5^.j'
^jüii.> yyix (j.aLas ^^jjeLij jiX*JL*ai L<Uc ^y>'^ ^^idXi
j_jlX.j<.> jOj^f^ stXiÄAj o..j«.> ».Ij! ijoLaoS ^J» ».XIj
(^yLÄüJt j5 ij.oLaftJt ^J^aIc v*-*^) a^-iJ^Jj äüLs^ 0:>- vi>JLc
iiJÜi»> ^iLxjj iii5^Lj" tjjj jiXLä !tX*c ^i^^^j*" 4?*
^y^^^jUjXi i3ys (tLLs» Lu«p« Jsjlftj Q^j) (_5AiAS >— ^^^^
342 Krcsmdrik, Beitr. z. Beleuchtung d. islamit. Strafrechts, etc.
vor, wenn jemand einen andern, wohl absichtlich, aber mit einem
Werkzeuge tötet, welches nicht zu den erwähnten Waffen oder
waffenartigen Instrumenten gezählt werden kann, wie z. B. mit
einem Stock, mit einer Peitsche, mit einem kleinen Stein.*)
Die Definition 'Omer Hilml's ist die folgende: wenn jemand
einen Menschen, dessen Tötung nach dem Gesetze verboten ist, nicht
mit einem verletzenden, sondern mit einem andern Instrument tötet,
begeht er einen dem absichtlichen ähnlichen Totschlag.
Die mohammedanischen Juristen hahen diese strafbare Handlung,
welche wir auch kurz als Halbabsicht bezeichnen können, deshalb
der Absichtlichkeit ähnlich genannt, weil die Absichtlichkeit der
Handlung, insoweit der Täter mit den von ihm angewendeten In¬
strumenten sein Opfer schlagen oder beschädigen wollte, offenkundig ist. Die Handlung enthält aber auch einen Irrtum, weil der Täter nicht
morden wollte. Die von ihm benützten Instrumente sind keine
todbringenden, der kluge Mensch aber kann, wenn er etwas tut,
nicht alles wollen, sondem nur das, was mit dem bei der Tat in
Ansprach genommenen Werkzeug vollbracht werden kann. Der
Umstand, daß jemand nicht jene Werkzeuge benützt hat, die zur
Ausführung der Tat notwendig sind, also anstatt eines Schwertes
einen Stock, dient zum Beweis, daß er nicht töten wollte und daß-
seine Tat das Ergebnis eines der Absichtlichkeit ähnlichen Irrtums ist,
u. s. w. j li^JLci ^JJ^ ^5Cs> jjLJj! (vijjbS! ^^f^
>^^uJlj »bUJ! xAc ij^j ^J^jl .xoj^ ^^Ji ^i>^ ^--^
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^Jk.jC*Äj| J>j3 IlXaoS 'Omer Hilm! a. a. O. pag. 6. lX«^ &.aÄ ji
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^Laäc! Joi5 j^y. i^-*^ '>"^^y. y^^i i>-«ii »X*s nöJty
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