VIII. Jahr^.
Mai—
August 1934 Nr.5-8
Zeitschrift für
psydioanalytisdie
Pädagogik
SONDERHEFT
ZUM
XIII.INTERNATIONALEN
PSYCHOANALYTISCHEN KONGRESS
INLUZERN
Steff Bornstein Eine Tedinik der Rinderanalyse bei Kindern mit Lemlienimungen
Fritst Redl
Zum
Begriff der „Lemstörung"Kata L€v^
Vom
Bettnässen des KindesMelitta Scßmideber^ . . Die Spielanalyse eines dreijährigen
Mädchens
Änn'^ Än^el
Aus
der Analyse einer Bettnässerin Bectßa Bornstein....
Enuresis und Kleptomanieals passageres
Symptom
£ditß
Büxbaum
Über einen Fall von exliibitio- nistisdier OnanieHeinricß
Meng
Zur Psychologie der Strafeund
des StrafensH. Cßristoffel Zur Biologie der Enuresis Berichte
Prager Brief
-
Kurs über psychische Hygiene in Schweden Büdier-
ZeitschriftenPreis dieses
Heftes Mark
4"—
Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik
Begründet von Heinrich Meng und Ernst Sciineider
August Aichhorn
Wien
V. SdiönbrunncrBtraße 110Dr. Heinridi
Meng
BaBcl, Angenstelnerstraße 16
Herausgeber:
Dr. Paul
Federn
Wien VI, Köstlcrgasse 7
Prof. Dr. Lrnst
Schneider
Waldcrziehungshelm
Stadtroda,Thüringen
Anna Freud
WlenIX,Bergga«e„
Hans ZuUiger
Ittigen bei Bern
Schriftleiter:
Dr. Wilhelm Hoffer, Wien,
L,Dorotheergasse 7
6 Doppelhefte |ährlidi M. 10'-, sdiw. Frk. 12-50, österr. S
IT-
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bekanntzugeben, denn die Abonnentenlcartel wird nadi
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geführt.In
Vorbereitung befinden
sidifolgende Sonderhefte: „Lern- und Denkstörungen", Jugendlidie Verwahrlosung und Kriminalität",
»Pubertätsprobleme".
ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHO ANALYTISCHE PÄDAGOGIK
VÜI. Jahrg.
Mai— August 1934
Heft 5-8
Eine Technik der Kinderanalyse bei Kindern
,
mit Lernhemmungen
Von Steff ßoriistein, Prag
ly^ ^:Z'T'^r-
?'' '''"'""" Le-'>e.,„u„gen
a.a-Kinde
a>fdl G
°,l, i^""'^"', ""'™g«""äi"ger
Arbeit mit den,«ie verst c
hen ^"^^ '" '""
^'"''^ Schwierigkeiten bereiten;„der Einblick in d";
IZT, V'T '"""'
"°' '"'="'"="^' gründlichen halten Sie^
, '^""'''" ""' ''""' S'''"'"""'™ Gebiete zu be- cerUe,,t^ T
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geboten.KLeranai;tiktrii,;,' """
""^™'"=™" G™'«"'"
- Kinder ^ekü^ll^t:" dt^ r C::::^ ^iu^l^ Z' S"
ebenso unter die
Lupe nehmen
wie seinennbewulen
'ftiebko.^ H terrt^tS^kTinr'' ™"."'r' ™" "-'"«eweihteL™ ^B^nt^e 1;
Darstellung
unseZ T
ch .ik wi d n'-f
"°"°"""''"
"'«"''™- °'^nicht einen „Ersatz" und '
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überzeugen, daB wir mit ihr suchen, sonderndaß w T T
"^'"•"»''^^«"'"g" ^erAnalyse
Ver- den Dienstdes"ar,t;"hrxCeSerstler"'
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'^'-'^ '"veS- ^^^t:?r ^- r ;r:^?;^ "-^ '-T' - '-
vorschreitenden organischen
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die psychischen Motive,
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r.!«. PIM,, V1II/5-S
» INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC UNIVERSITY
DIEPSYCHOANALYTISCHEHOCHSCHULEINBERLIN
142 Steff BoriisteUi
gemeinen
aber lassenwir
die neurotischenund
daneben organisch erkrankten Patienten nicht ohne ärzdiclie Hilfe, auchwenn
wirvon
der analytischen Hilfe sehr viel erwarten, nämlich dieStärkung
desGesundungswillens
des Patientenund
eine Garantie für die richtigeAnwendung
der ärzHichen Therapie.Die
Kinderanalytiker, derenTechnik
hier ^cschÜdejlwerden
soll, meinen: wie diekranke Lunge und
derkranke
Zaiin unserer analytischen Palienten zu ihrer Ge-sundung neben
derAnalyse
einen Spezialarzt brauchen, so ist auch das erkrankte, in seinenFunktionen gehemmte
Ich desKindes
zu schwach, als daß dasKind ohne
die wichtige Hille mit seinerHem- numg kämpfen
könnte. DieIch-Hemnuingcn
habenaußerdem
mitman-
chen organischenKrankheiten
gemein, daß sie sich vertiefen,je langersie dauern. Mit unserer
Technik
glauben wir den therapeutischenProzeß
zu steigernund
zu verhindern, daß dieHemmung
inihrem
ganzen
Umfang
bis zurBeendigung
derAnalyse
anhält.Die
zu beschreibendeTechnik
soll an einigen Beispielen aufgezeigt werden. Ichwandte
sie zuerst beidem
GV^JährigenNiels
an, dermein
erster analytischer Patient wurde. Ich hatte ihn alsSchüler über-nommen,
mit der Aufgabe, ihn in mögliehst kurzer Zeit schulfähig zu machen. Bereits in den erstenWochen
entwickelte sich diean
unsere Arbeitsstunde regelmäßig sich anschließende „Gesprächs- stunde" zur korrekten Analyse.Da
ich erkannte, daßdem
nichtnur
lerngehenimten, sondern auch sonst
schwer
neurotischemKinde nur
mit derAnalyse
zu helfen war,übernahm
ich ihn als Patienten.Aber
ich zögerte, der Analyse
wegen
die Arbeitsstunde, deren Verlaufmich
sehr interessierte, aufzugehen, meinte, das hätte Zeit,wenn
sie an-finge, der
Analyse
hinderlieh zu werden. Sie ist es bisznm
Schluß der Analyse nicht geworden, auch in sieben anderen Fällen, indenen
ichmich
bei Kindern, die ich analysierte,um
ihre Schularbeitenküm-
merte,
wurde
durch diese Arbeit dieAnalyse
nicht inFrage
gestellt.Im'Falle
Niels benahm
ich mich als seine Lehrerin nicht viel anders, als ich mich als seine Analytikerin zubenehmen
hatte: passiv, nicht zueinem von
mir geforderten Resultat drängend, gleichmäßig freundlich, snzum
Arbeilen ermutigend wie in derAnalysenstunde zum
Sich-Mitteilen. mitdem
gleichen psychologisclien Interesse die Ergebnisseund
das Verhaltenbeim Lernen
betrachtend wiedanach
die Mitteilungen der Analysenstunde.
Eine
einerseitsso passive, ander- seits so entschieden aufErmutigung
gerichteteHaltung wäre
aber auch,wenn man
bloß mitdem Kinde
lernenund
es nichtdaneben
ana- lysieren wollte, richtig gewesen.Das war
nämlich schonnach dem
oberflächlichen Einblick in den Lernwiderstand
und
dasgesamte Ver-
halten des Kindes zu erkennen: die Schule, das
Lernen von
SchreibenTechnik <]er Kindcü-analysc bei Kindern mit Leriiliommimgüii 143
iiiKl
Lesen
hatte dasKind
bis dahin als ein Sichhineinbegeben in angst- ciTegende Situationen erlebt, denDruck
der Schuleund
der bei denSchularbeiten helfenden Mutter
und
Hauslehrerin alsÄußerungen
ihrer Feindseligkeit
gegen
ihn. Fühlte er sich in der Schule gefoltert so erregte derZwang
des Hauses, sich in die Folterqual zu begeben,' seinenHaß
und seine Aggressionen.Er
schützte sich mit hysterischenErkrankungen gegen
denBesuch
der Schule, rächte sich mit Nieht- begreifenund
Unleidlichkeit für denZwang
zur Schularbeit. Wollte ich also dasKind
zu einerneuen Beziehung zum Lernen
bringen, somußte
ich alles vermeiden,was an
die bisherige. Schuleund
den Arbeitsdruck der Mutterund
der Hauslehrerin erinnerte. Ich sagte alsodem
Kinde: „Ichwerde
deiner Mutetr raten, dich aus der Schule, diedu
so nicht leiden kannst, herauszunehmen. Ich empfehle ihr eine Schule, in der alles ganz andersund
viel schöner ist.Deine
Mutterimd
deine Lehrerin sollen dich nichtmehr
mitdem Lesen und
Schrei- benund Rechnen
quälen.Deine
Fibel kannst du in denSchrank
ein- sperren.Wir
wollen alles,was
nötig ist, allein lernen und ohne die Fibel,und
ohne daß ich dichzwingen
werde.Mir
wird esganz
gleich sein,was und
wieviel du aneinem Tag
liest oder schreibst,mich
interessiert bloß,
warum
du nicht schreibenund
lesen willst. Ich glaube, dir so helfen zu können,daß du
es bald willstund
gerne tust."Analysiert
man
ein Kind, so hatman
die Möglichkeil, früher oder späterim
Verlauf derAnalyse
zu erfahren,wodurch und
inwieweit eine außeranalytischeMaßnahme,
etwa wie hier die Überredung, ge- wirkt hat.Mein
Nichtbewerten, sondernErnstnehmen
seiner Lern- unlust, dieBetonung
seiner Hilfsbereitschaftan
Stelle desihm
ge-wohnten Zuredens
„jederMensch muß
doch schreiben können", ver- führten dasKind
zueinem Vertrauen
zu mir, das ihn die Arbeit mit mir gern versuchen ließund
das zugleich für die erste analytische Arbeit förderlich war. GeschicktePädagogen
wissen,daß man
einschwer
behandelbaresKind
vor allemanders
anfassenmuß,
als esgewohnt
ist; tutman
das weitgehend,während man
dasKind
zugleich analysiert, so hindertman
trotz solcher nichtanalytischenMaßnahmen
nicht, daß
man
zurÜbertragungsperson
wird.Wir
tretenzwar
für dasBewußtsein
desKindes
in die Reihe seiner bisherigen Erzieher,wir benehmen
uns aber so anders als seine anderen Erzieher es taten, daß ein Verhalten des Kindes, das als Reaktion auf die bisherigen Er-ziehungsmaßnahmen
verständlich ist, unsgegenüber
wiederholt leicht als einvon
früherenErfahrungen
her auf uns übertragenesdem Kinde
deutlich zumachen
ist.Aus dem
Verlauf derZusammenarbeit
soll einiges in chronologi- scher Reihenfolgewiedergegeben
werden.Wir
entdeckten in d°er u*144 Steff Bornsteiii
ersten Arbeitsstunde, daß der
Junge
dasZusammensetzen von Lauten
zu Silben noch nicht wirklieh begriffen Iiatte. So hat er sich, ohnedaß
es
bemerkt
wurde, halb verstehendund
halb mechanisierend lesend, durch die halbe Fibel durchgequält.Er
hat also gleich zuBeginn
desLernens
mit seinem Verständnis versagt. Ich verstand noch nicht denGrund
dieses ersten Versagens,den
die spätereAnalyse
erst auf-deckte, wir begriffen aber,
daß man
auf Lticken nicht aufbauen kann.In einer Stunde
war
dieLücke
aufgefüllt, allerdings ließ ich ihn auf eine andereMethode
als seine bisherige Scliule erfassen, daß1—
a „la"und 1-i
„li" heißt. P:r zeigtenun
ein Stück der Freude, die ein durch- schnittlich gesundesKind beim
ersten Lesenlernen zuentwicKem
pflegt.
Er
schriebnun
aufmeinen
Vorschlag die Silben oder die Worte, dieihm Spaß
machten, wieder etwas anderes als in der bcliuie,wo
er reihenweiseimmer
das gleicheund vom
Lehrer vorgeschriebeneWort
schreiben mußte.
Wir
entdeckten dabei,daß ihm
dieBenennung
derKonsonanten
Schwierigkeiten macht.Er
möchte mich gern auf dieProbe
stellenund
kündet mir an, erwerde
jetzt dasWort „Popo"
schreiben.
Er müßte
nachdem
bereits Begriffenengenau
wissen,wie
das
Wort
geschrieben wird, hat aberungeheure Mühe
dabei, weil eres
im
Stillen buchstabiert: „Peitsche p, o. Peitsche p, o", also für diemutige
Absicht, ein verbotenesWort
zu sehreiben, zwei Peitschendrohen
sieht.Aber
nicht eine tiefeDeutung
läßtnns
das begreifen, sondern dieAufdeckung,
daß seine Lehrerin verzweifelt, weil er so scliwer lernte,ihm
dieKonsonanten
ineinem
besonderenGewand
an- bot,um
sie „kindgemäfler" zumachen: P war
„das Peitsehen-P"B
„der Bläser",F
„dasFeuer" und
so weiter.Wenn
also Nielsda&
Wort
„dof" schreiben wollte,worauf
er sichwie
auf einenhohen Genuß
freute,war ihm
dieFreude
bald verdorben,denn
ermuß buch
stabioren: „Dach-D, o, Feuer-f",
und
da er unter Gewitteräugstenl^J
geriet er in
Unruhe und
wollte für das „Feuer-f" den „Bläser-b'*schreiben. Hätten
wir
darauf gewartet, bis dieAnalyse
die neurnti sehenWurzeln
solcherVerwirrung
zerstreute, so hätte Niels erst viel^
Monate
später dasWort
„dof" schreiben können.Wir
faßten esals eine
Aufgabe
unserer Arbeitsstunde auf, dieKonsonanten von ihren
unsinnigen Attributen zu befreien. Ich zeigte Njelgmein Verständnis
dafür,
daß
dasLesen
keinVergnügen
sein kann,wenn
diePhantasie
aufunangenehme Nebenwege
verführt wird. Mit solchem Arbeitenan
der Oberfläche entfernten wir ein Hindernis nach
dem
anderen uinjerreichten, daß die Arbeitsstunde nicht
mehr
an die Pein seiner ersten Lernerlebnisse erinnerte.Er
schreibtWorte von
Dingen, die ergern
hat, oder von Dingen, die er nicht leiden kann,
Namen von angenehmen,
Namen
vonunangenehmen
Leuten, ausgedaclite Worte, verkelirfeTechnik der Kinderanalyse bei Kindern mit
Lernhommun
gcn 145Worte
usw., späterganze Gedanken. Bas unruhige Kind
lernt es sichzu
entspannenund
darauf zu achten, welcherZweck ihm
in den'sinnkommt,
lernt,ohne
es zu merken, etwas,was ihm dann
in der 4na- lysenstundo die freilaufende Mitteilung erleichtert.Das
Schreiben hat für ihn nichtsmehr von
einerauferzwungenen
Pflicht,
wird ihm
als ein Mittel zur Mitteilungvon Gedanken
inter- essant.Immer
wieder verwechselt er dieKonsonanten
„b—
p, d—
t
k
—
g" mit anderen, nicht miteinander, sondern wahllos mit irgendeinem
anderen Buchslaben, meist mit „r".Wenn
er sich besinnt, hält er alle diese Buchslaben auseinander, aber er wird unruhig, sobald einervon
ihnenvorkommt.
Als er einmal wieder sich nicht erinnert,wie
der BuchstabeD
geschrieben wird (er schrieb damals Block- schrift), schlage ichihm
vor, irgend etwas hinzuschreiben,was
dieHand
gerade willund was
gar nicht ein Buchstabe zu sein braucht.Er
malt
nun
zwei gedruckte, aberumgekehrte „D"
nebeneinander, die ovalen Striche nachaußen
gerichtet, die Steilstriche nebeneinan-der.
Genau
so hat er aberam Tag
vorher dasGesäß
einesMan-
nes gezeichnet,und
ichkann ihm nun
sagen: „Vielleicht stören dich diePopo-Gedanken,
den richtigen Buchstaben zu finden, vielleicht' unterhalten wir uns in der Gesprächsstunde darüber, weshalb sie dich stören."Er
ist sofort begeistert einverstanden, „ja, b—
p, d—
t,k —
gdas sind alles Popo-Buchstaben".
Zu
meiner großenÜberraschung
verwechselt er sievon
dieser Stundean
nicht mehr, freut sich einigeTage
lang,wenn
sievorkommen,
gibt erst nach einigenTagen
dieBezeichnung
„Popo-Buchstabe" auf, aus Angst, sie könnteihm
auchin der Schule herausrutschen.
Etwas
später bekennt er, die Schreib- schrift seiihm
lieber als die Druckschrift, weil er bei derDruck-
schrift an das
„Drucken" denken
müsse,was
seinWort
für Defäzierenist. Erst zwei
Monate
später, als er bereits ohne Schwierigkeiten schreiben konnte,und
als in der Analyse ein bedeutsames Stück seiner Kastrationsängste zurBesprechung kam
(er bangte nicht nurum
seinen Penis, sondern auchum
den Verlust seines Kots), brachte er seineAufklärung
dafür, wieso jene sechsKonsonanten
zu Vertretern^ des verbotenenund Angst machenden Analen wurden und
daher vonihm
abgewehrt
wurden.Er
zeigte mir seine Fibel,um
die ichmich
bisher nichtgekümmert
hatte,und
sagte, jetztkönne
er ruhig die Seiten lesen,„wo
die früher sogenanntenPopobuchstaben
stehen". Diese Seiten hatten als Illustrationen Bildervon
Tieren, die zu den Objekten seiner Tierphobie gehörten.Der
Buchstabe „r", der häufigste Ersatz- buchstabe, stand auf einer Seite miteinem
ihn sehr beruhigenden Bildund
dasWort „Ruhe"
auf dieser Seite gefielihm
ungemein, als ver- spreche esihm Ruhe
vor den beängstigenden Phantasien,Wir wußten
146 Steff Eornstein
damals
bereits,daß
er in seinen verdrängten Phantasien fürelitete,daß
Tiere seinenKot
fressenund
ihn dabei kastrierenwürden;
des- halbwar
esihm
also immöglich, die Seiten seiner ITibel inRuhe
auf-zunehmen.
Es
zeigte sieh beiNiels immer
wieder bis in die letzte Zeit seiner Analyse:weder
die zuerstganz
verschütteteund nun
mit Hilfe derAnalyse
freigelegte Sublimierimgsbereitschalt des Knaben, noch dievon
derneuen
Schulegeweckte Lust
zu Leistungen reichten aus,um
ihm
diese Leistungen zu ermöglichen.Die
geraeinsame Arbeitsstundewar nun
der Ort,an dem
er einen Teil derForderungen
seines Trieb- lebens, den Teil nämlich, der bereits in Arbeitund
Produktivität ab- geführtwerden
konnte, mit denForderungen
der durch die Schule repräsentierten Realität vereinigen lernte.Er war
wie jemand der die größte Lust hat, sich mit anderen zu verständigen, deren Sprache aber nicht kennt.Er war
ja bereits 3 bis 4 Jahre ein neurotisches Kind,war
von der neurolisehenMutter fürBewältigung
voniSehwieri»- keilen nichtim
mindesten vorbereitet,wußte
nicht,wie man
lerntund
lernte es nicht spontanwie
ein gesundesund
gut vorbereitetes Kind. .; . ,Niels
beginnt eine Arbeitsstunde mit der Absicht, eine Geschichte, die er selbst erfanden hat, aufzusehreiben.Er
hat Schwierigkeiten dabei, die ich beobachte, über die er selbst aber keineAuskunft
geben konnte.Die
meisten Erwacliseneu könnten hinterher in derAnalyse
berichten: „Es ist mir nicht gelungen zu schreiben, ich konnte mich nicht konzentrieren, ichmußte
auf jedesGeräusch
hin- horchen, so wie ich esimmer
zuHause
tue,um
zu hören,was meine
Mutterim Nebenzimmer
spricht." EinKind
besitzt selten eine solche Fähigkeit zur Selbstbeobachtung.Niels weiß
nicht, daß zu seiner innerenRuhe und
Konzentrierllieit aiich eine äußere Rulie gehört.Erst als ich
ihm
diese verschaffte, lernt er aus eigenerErfahrung
zwischen gutenund
schlechten Arbeitsbedingungen zu unterscheiden.Erst
dann
hebt es sich für seineSelbslwahrnehnmng
ab:„wenn
ich allein bin, lausche ich ängstlich auf alleSiimmon im
Hanse",und
erst
dann kann
dieAnalyse
an seineAngst
herantreten, die ihn das tun läßt.Sehe
ich in der Arbeitsstunde,wie Niels
schreibt, sokann
ich erfassen,was
er selbstauch
nichtangeben
könnte,woran
es liegt,daß
er drei- bis viermal solangsam
schreibtwie
seine Schulkamera- den.Er kommt von einem Wort
nicht los, wiederholt es,während
er schon das nächste schreibt.Er
denkt durcheinander an den geschrie-benen
Satzund
an den zu schreibenden undan
die zu erwartendeWirkung
beidem Lehrer und
an sein Frühstück. In der ersten Zeit<
Technik der Kinderaiialyse bei Kindern mit Lernliemmiingcn 147
kann
ich nichts tun als durchmeine
eigene Eulieund
Interessiertheitan dem von ihm gewünschten
Ziel seineUnruhe etwas
lindern. Vor-übergehenden
Erfolghabe
ich,wenn
ich mal sage:„Laß
das alteWort
los, dasneue
tut dir auch nichts."Aber
das Verfahren des ängst- lichen Festhaltens an bereitsGeschriebenem
verschwindet ganz, als in derAnalyse
dieGründe
seinesSichanklammerna an
die Mutter zur Sprachekommen und
ichihm mm
sagen kann:„Du
trennst dichbeim Lesen und
Schreiben ebensoschwer von
dem,was
zuerst isl,wie
du
dich von der Mutterschwer
getrennt hast, alsdu
ins Kinder-heim
kamst.Dabei
sind dochWorte
keine Muttisund man
braucht auch vorneuen Worten
keineAngst
zuhaben wie
vor denfremden Frauen
iin Kinderheim, alsdu
ganz klein warst." So wird durch diegemeinsame
Arbeit diese rascher desexualisiert, alswenn
sie außer- halb derAnalyse und
somitnur ungenau
in ihren Störungen bekannt,sich vollzöge.
Niels
erfährtzwar
aus seiner Analyse, daß er denAnspruch
hat, das einzigeKind
seiner Mutter zu sein,immer
die Hilfe der Mutterzu
bekommen, daß
er gern der Kleine und Hilfsbedürftige ist. Ich lenkezwar beim Deuten
in der Analyse seineAufmerksamkeit
darauf,daß
er auch bei seinemLernen
eine seinem Alterund
seinen Fähig- keiten nichtmehr
entsprechendeTendenz zum
Unselbständigseinund
Sichhelfenlassen zeigt.Aber
diese Einsicht hängt so lange für ihn in der Luftund
bleibtunwirksam,
bis er es in der Arbeitsstundeerlebt,
daß er unglücklich istund
nichts zu tun imstande ist,wenn
ich es
ihm
versage,ihm
da zu helfen,wo
er sich sclion selbst helfen kann.Kommt dann
derHinweis von
mir: „So spielst du auch bei unserer Arbeit ein kleinesKind und
bist böse,wenn
ich niiclium
dich nicht
kümmere,
das isl das,was
wir schon aus der Gesprächs- stunde wissen", so ist dieWirkung
gleich da: er beginnt selbständig zu arbeiten, lernt es zu ertragen, daß ich,während
er arbeitet,meinen
eigenen Arbeitenim
Nebenzinuner nachgehe, beginnt auch allmäh-lich, hei sich zu
Hause
allein zu arbeilen.Aus
derAnalyse weiß
ich, daß seine Unkonzentriertheitund
moto- rischeUnruhe
eine Flucht vor seinen Pbaniasienund
seinen Angst- gesiehten bedeutet,und
beobachte tatsäelilich,daß
erum
so ruhigerwird, je
mehr
dieAnalyse
seine Phantasienbewußt macht
und ihnen das Schreckliche ninniit.Aber
eskommt
vor, daß ermanche
Arbeits-stunde in einer besonderen
Unruhe
beginnt,unentwegt
und gedankeu- flüchtig redet.Dann weiß
ich, daßetwas Neues im Gang
ist, oder daß eretwas
Besonderes erlebt hat.Wir
unterbrechendann
die Stunde und schieben die Analysenstunde dazwisclien.Danach
arbeitet er ruhigund
zielbewußt. So erlebt er dieBeziehung
zwischen derAna-
148
Steff Bornsteinlyse
und
seinemTagesleben und
erhält einen bedeutenden Motor für die Analyse.Die
Ausführlichkeit, mit der Eiuzelheiten aus derZusammenarbeit
mitNiels
geschildert werden, soll nicht nur das Ineinandergreifenvon Analyse und
dieser Arbeit deutlich machen, sondern vor allem zeigen: dieLernhemmung
desKindes muß
miterlebt werden,um
ver-standen zu werden.
Und man muß
sieauch
in ihrer Oberfläche ver- stehen,um
sieabbauen
zu können.Niels
verstand ineinem
späterenStadium
seiner Analyse,weshalb
er gleich bei Schulbeginn versagt hatte;damals war
er mitunbewußter Angst
angefüllt, weilihm
der Schulbesuch eine gefährlicheTrennung vou
der Mutter bedeutete weil er dieWiederholung
eines früherenund von ihm
nichtbewäif
'
ten Erlebnisses fürchtete, die Mutier könnte iu seiner
Abwesenhff
ein neues
Kind bekommen.
Dieses Verstehen seiner ersten Schul ängste liätle aber nicht seniigf,um
ihn richtig lesenund
schreiben zu lassen,wenn
dieGrundlagen
seiner Kenntnisse bereits so lücken- haftund verworren waren
wie oben geschildert. Allerdings hätte aber auch dieKorrektur
der Grundlagen,wie
sie unseren Arbeitsstunden er-folgte, nicht genügt,
um Niels
schulfühig zu machen.Denn
seineAblehnung
der Schule Iialto ihre liefenWurzeln
in nicht erledigten früh-infantilen Konfliktennud
solche sind nur analytischund
nicht mit freundlicherPädagogik
zu lösen.IL
Handhabung der Übertragung bei dieser
Technik.
tDie
Art des Arbeitens miteinem Kind
mitLernliemmungen
istselbstverständlich
von
Fall zu Fall verschieden. Verschiedengehe
ichauch
vor,wenn
derWiderstand
desKindes gegen
diegemeinsame
Arbeit gelegenllieh sogroß
ist, daß es sich weigert, die verabredete Arbeitsstunde einzuhalten.Er war
zwar, als wir dieVerabredung
trafen, sehr einverstanden,
daß
ichihm
helfe, es hatteauch
begriffen, daß ichihm
anders helfen will als seine sonstigen Erzieher,daß
wir durch diegemeinsame
Arbeit besser verstehen wollen,warum
er nicht arbeiten mag.Aber
diese intellektuelle Einsicht hindert nicht, daß dasKind
manclimal eineunüberwindbare
Unlustgegen
die Arbeit spürt.Selten ist es in solchen Fällen richtig, starr auf die Einhaltung der Arbeitsstunde zu bestellen. Niels erklärte zu
Beginn
einer Stunde trotzig;„Heute werde
ich nichts tun, nicht schreiben, nicht lesen, nicht rechnen, nichts."Er
gibt keiuenGrund
an, wiederholt nur: „ich lassemich
nicht zwingen,du
kannst machen,was du
willst,du
kannstmich
nicht zwingen." Ich betone,daß
ich nicht daran denke, ihn zuetwas
zu zwingen, „aberwenn du
dieganze
Stunde nichts tustund
Technik der Kindcraiialyse bei Kindern mit Lern
hemmuu
gen 149 vielleicht darauf wartest, ob ich dich nicht doch—
wie alle anderen bisher— zwingen
will, sowerde
ich dich dieganze
Stunde sitzen lassenund
bedauern, daß ich heute nichtsdavon
verstehen kann, weshalbdu
vordem
SehreibenAngst
hast."Nach
einerWeile
erklärtNiels,
er hätte es sich überlegt, er wolle mitden Buntstiften, die ichihm
einstweilen spitzte, schreiben, aber gerade jedesWort
mit einer anderen Farbe.Er
hattemich
zuGewaltmaßnahmen
provozieren wol-len,
wie
er es mit seiner Mutter zu tun pflegte, er stellte sich mir mit der passiven Resistenz entgegen, die er allen seinen Erziehungs- personen entgegenbrachte, er betonte schließlich seinen eigenen"Willen, ,,jedes
Wort
mit einer anderenFarbe
zu schreiben", als er denWiderstand
aufgab, als er merkte, daß ich seinen Willen nicht erdrücken wolle.Wenn
dieWeigerung
desKindes, mit mir zuarbeiten, sehr häufig als ein Zeichen negativerÜbertragung
leicht deutlich wird, so pflegt sich diese zu gleicher Zeit in der Analysenstunde breit zu machen. Nichtimmer äußern
Kinder ihre negativeÜbertragung
in der Arbeitsstunde auf diese Weise, daß sie nicht arbeiten.
Niels
erklärte eine Zeitlang, er brauche mich nicht, er brauche überhaupt keine Frau, er arbeite allein, für seinen Lehrer, ein
Mann
für einenMann.
Ich zeigtemich
erfreut über seine Absicht, selbständig zu arbeitenund
wußte, welche augenblickliche Übertragungssituationuns
in derAnalyse
beschäftigen wird.Während
dieAnalyse
zeigte,wie
er nachEnttäuschungen
bei der Mutter sichdem
Valerzuwandte und um
ihn warb,machte
sein Verhalten in den Arbeitsstunden deut- lich, daß seineZuwendung zum Mann
seine Impulse zur Selbständig- keit besser stützte als seineAnlehnung an
die Frau.Der 7K
Jahre alteTom
verlangt in der Arbeitsstunde,daß
ichihm
auf eine besondereArt
Lustzum
Schreibenmachen
solle.Er
möchte,daß
ichneben ihm
sitzeund
nach jeder Zeile zärtlich sage:„Kannst du
nicht noch ein bißchen?"Er macht
langePausen
zwischen den Zeilen.Zwei Tage
später erzählt er in der Analyse,daß
er sehr langeund
in kleinen Kotbällchen defäziereund
erinnert sich an seineGroß-
mutter, dieihm
zuredete, als er noch aufdem Tbpfchen
saß, daß ernoch' etwas machen
solle. Ich deutete ihm, daß er in der Arbeits- stunde ein Spiel mit mir spielen wolle:„Großmutter
quält dasKind
aufdem Töpfehen und
dasKind macht
extra langsam."Tom
antwortet, er wisse schon,was
ich damit meine,und
schlägt miram
nächstenTag
in der Arbeitsstunde vor: „Großmutter, laß mich heute allein
im Zim-
mer, ich schreibe heute allein."Er
hattedann
seine Rekordleistung vorzuweisen, er hattem
20Minuten
4 Seiten sehr gut geschriebenund zum
Schluß die stolzenWorte; „Das
habe ich allein geschrieben, Steffist mit Absicht aus
dem Zimmer
rausgegangen."150 Sieff Bornsteiii
Man kann
fragen,wie
es möglieh ist,daß
die Aktivität desAna-
lytikers, die bei dieser
Technik
doch entfaltet wird, nicht hindert, daßman
t^bertragungsperson bleibt.Unsere
Aktivität hat einen anderen Charakter alsdie der Erziehiingspersonen.Da
wir dasKind
zu gleiciier Zeit analysiei-en, also seinen Reaktionen, gleichgültig, ob sie uns be-quem
oderunbequem
sind, das gleicheaufmerksame
Interesse ent-gegenbringen, ist es leicht für uns,
dem Kind
nicht böse zu sein,wenn
es anders will, als wir es uns dachten.
Das Kind
fühlt, daß wir seinemWiderstand gegenüber
nicht hilflos sind,und
daß es bei unsund an
unsererPerson manches
abladen kann,was
es bei seinen sonstigen(eile geliebten, teils gehaßten
Menschen
zurückhaltenmuß.
DieÜber-
tragung, die dasKind
in der Arbeitsstunde äußert, wird in der gleich- zeitigenAnalyse
aufgefangenund
analysiert, nicht nur,wenn
sie sieh als Trotzwidersland in der Arbeitsstunde breit machte, sondern auch,wo
sie als scheinbar positiveÜbertragung
die allzu großeAnlehnung an
die hilfsbereite Mutter wiederholteund
dasKind
bei der Arbeit keine selb.5tändige Initiative ergreifen ließ.Die erziehliche Aufgabe, die wir bei dieser
Technik übernehmen,
widerspricht nicht unserer analytischen Aufgabe.Wenn wir
dasKind
zu
einem Kampf
mit seinenHemmungen
bringenund
dasKind
bei diesemKampf
mit unserer Hilfe stützen, so lehren wir damit das Kind, sich mit den zwei Prinzipien, die inihm im
Streit sind, auseinandernu- setzen:dem
Lust-und dem
Realitätsprinzip.Wenn
ich mitdem Kind
auf eine pädagogisch geschicktere, den psychologischen Möglichkeiten desKindes
entsprecliendere Art arbeite, als es seine anderenLehrer
taten, so zeige ich
ihm
damit: auch die unhistvoUe Realitätkann man
sich lustvoller gestalten;
und wenn
das Ich des Kindes stärkergewor-
den ist: auch die unUistvolIe Realität gehörtzum Leben und
siezu
bewältigen, zur
Aufgabe
desgesunden
Menschen.Es
ist aberauch
die
Aufgabe
der psychoanalytischen Behandlung, den Patientenzu einem
Gleichgewicht zwischen seinen Lustbedürfnissenund
derAn- passung an
die Realität zu bringen.Selbstverständlich ist es, daß
man
bei der Zusanmienarbeit mitdem Kind nur
die Hilfe gibt, die es wirklich braucht, nur dieVerführungen
anwendet, die unbedingt nötig sind,um
dasKind
dazu zu b)-ingcn, gerade das,was
es phobisch meidet, zu versuchen. Sehr liäufig erlebtman, wenn man
die Dosis des Hilfsaufwands verringert, weil dasKind
bereits sich allein weiter helfen kann, daß
dann
eine stürmische nega- tiveÜbertragung
einsetzt.Das Kind
fühlt sich von der hilfsbereitenund
als allmächtig erachteten Mutter in Stich gelassen, fühlt sichohne
ihre sichtbareAnteilnahme
ganz hilflosund
erlebt einen Rückfall in seineHemmung.
In solchen Fällen führtemanchmal
dieAnalyse
dieserTechnik der Kinderanalyse bei Kindern mit
Lernhemmungen
151 SO erlebtenÜbertragung
zu den tiefstenWurzeln
derHemmung. Das KinA
glaubte nichts zu können, weil es nichtgenng von
der Mutterbekommen
zuhaben
glaubte.Es
ist für die Kinderanalytiker kein Geheimnis, daß dieGegen-
übertragung, dieBeziehung
des Analytikerszum
Patienten, in der Kinderanalyse vorschwereren Problemen
steht als in derAnalyse
derErwaehseuen, Kinder
stellen sowohlan
die Liebesbereitschaft alsauch
an dieMaehtwünsche und
die sadistischenRegungen
desErwachsenen
höhereAnsprüche
als es dieErwachsenen im Verkehr
miteinandertun.
Das
wissen alle, die mitKindern
zu tunhaben
oderMensehen
beobachten, die sichKindern widmen. Kinder
locken die Affektivität des Analytikers leichter heraus als dieerwachsenen
Patienten.Der
Kinderanalytikerkann zwar
beobachten, wieihm
mit Hilfe dieserdem Kinde gegenüber
größerwerdenden
Labilität der Affekllage die Ein- fühlung in dasKind
leichter gelingt,wie
sieihm
hilft, einenKontakt
zwischendem Kind nnd
sich herzustellen; erkann zwar
aufGrund
eigenen Analysierlseins seine Affekte leichter kontrollierenund
sie den vonihm gewünschten
Zielen dieuslbarmachen;
dennoch wird er beobachten, daß dieBewältigung
derGegenüberlragung
gelegentlich dieSumme
der technischen Schwierigkeiten der ICinderanalyse ver- größert. Joweniger
ich mitdem Kinde
außerhalb derAnalysenstunde
verkehre, jeweniger
aktiv ich in .seinbewußtes Leben
eingreife,um
so geringer sind die Schwierigkeiten bei der Meisterung der
Gegen-
übertragung.IIL
Andere Beispiele und Begründungen.
Nicht
immer
ist eine gleich analysierbareUberlragnng
derGrund
dafür daß daslerngehemmte Kind
mit uns nicht lernenmag. Tom
zum
Beispiel ging zuBeginn
derVerhandlung
bereitwillig aufmeinen Vorsehlag
ein, täglich vor der Analysenstunde etwas zu schreiben, damit ich seine ihn sehr ärgernde Schrift besser verstündeund
das Rätsel seiner Schreibunlust auflöse.Trotzdem
hat er oft zuBeginn
große Schwierigkeiten, dieAbmachung
einzuhalten.Noch
sprach nichts dafür, daß dies alsAusdruck
derÜbertragung
zu deuten wäre.Man
mußte
in solchen Fällen daran denken, daß dieseKinder
infolge des Verstriektseins ihrerEnergien
in denKampf
mitdem
zuVerdrängen-
den tatsächlich ein geschwächtes Ich haben, mitweniger
Kraft für dieBewältigung
der an sie gestelltenForderungen
ausgerüstet sind als andere unneurolische Kinder.Das
äußert sichdann
als geringere Intelligenz oder Arbeitsscheu oderMangel an Ausdauer;
das Arbeitenfällt diesen
Kindern
tatsächlichschwer nnd ermüdet
sie leicht. Sie sindaußerdem
oft so labil,daß
sie schon bei geringenStörungen
des152
Sleff Bornsleininneren Gleichgewichtes ihr
an
sich schon geringes Interessean
den Objekten und denAufgaben
derAußenwelt
gleich zurückziehen, bei A^'ersagungen oderEnttäuschungen
des Alltags etwa, die ein gesundesKind
mit flüchtigerTrauer
odereinem
Zornausbrucli erledigen würde.Es
genügt nicht dann, daß ich danach forsche:was
hat dicli geärgert?Es
scheintmir
auch nicht wichtig, darauf zu warten, daß durch die psychoanalytische Betrachtung, durch dieAuflösung
der unerledigten Triebkonflikte des Kindes sein Ich sich für die Erfüllung der Auf-gaben
seines Alltags stärke. InAnalysen Erwachsener
bleibt uns nichts anderes übrig als solches geduldigeWarten;
wir wissen aber auch,wie
resistentHemmungen
der Ich-Funktionen sich verhalten,Wie
lange Zeitstrecken zu ilirer Beseitigung erforderlich sind. BeiKindern
möchten wir verhüten,daß
sie sich an ihrVersagen im Lebenskampf gewöhnen,
es für selbstverständlichnehmen,
gar einenNebengewinn
ausihm
herausholen lernen.Obwohl
wir wissen,daß
die
ganze Hemmung
zuverlässig erst durch ihre gründlicheAnalyse
verschwinden wird, scheint es uns richtig, dasKind
gleich in einenKampf gegen
sie einzuspannen.Um
das zu erreichen, versuche ichdem Kind
denKampf,
fürden
es noch zuschwach
ist, zu erleichtern.Wie
ich das tue, hängtvon dem
Kinde, seiner augenblicklichen Situa-tion,
meinem
Geschick ab. MitT
om zum
Beispiel, der sehrgern
vor- gelesen bekam, aber seiner Schreibstörungenwegen
einÜbermaß
Zeit für eine geschriebene Heftseite brauchte, vorabrede ich, daß " h
ihm
für jede in einer bestimmten Zeit gesciiriebenen Seite fünf Seil auseinem Buch
vorlese. Freut ihn das Buch, so sehreibtTom
zwe"und
drei Seiten, damit ichihm
zehnund
fünfzehn Seiten vorleseUnd
es zeigt sich, daß die
Analyse
seiner Schreibstörung besservoran- schreitet,
wenn
er sclireibt.Einmal
verführe ichTom,
derwegen
eines aktuellen
Ärgers
tief verstimmt istund
nicht sehreiben will mitdem
Vorschlag:„Wie wäre
es,wenn
du alle Ärgernisse derWelt von denen du
weißt, in das Heft einsehriebest?"Ein
anderes Mal, alser auf seinen Lehrer
wütend
istund
deshalb nichtsvom
Schreibenwissen will,
stimme
ich ihn, derFremdworle
liebt, mitdem Vorschlag um: „Du
könntest eineganze
Seite Beleidigungenund Anklagen gegen
deinen Lehrer schreiben, das heißtdann
ein Pamplüet." Ver- weise ich mit einem solchen Vorschlag auf das Schreiben als auf ein erlaubtes Mittel, Aggressionen auszudrücken, so entlaste ich damitToms
Schreibenvon
denunbewußten
Schuldgefühlen, die er mit der Schreibtätigkeit verknüpft.Denn
ichweiß
auseinem
in der ersten Analysenstunde gebrachtenTraum,
daß für seinUnbewußtes
das Schreiben eine Aggressiongegen
den Vater bedeutetund
vermute,daß
er es deshalb meidet.
Ihm
das damals zu sagen,wäre
sinnlos gewesen.Technik der Kiiideranalyse bei Kintleni mit Lenihemmuiigeii 153 er hätte die
Deutung
nicht begriffen.Er
e r 1 e b t aber die aggressiven Tendenzen, die sich in seiner Schrift entladen, als er in der Stunde bei mir schreibtund
aufmeinen
Vorschlag mir seineGedanken
er- zählt, dieihm während
des Schreibens einfallen.Tom
sehreibtnäm-
lich so: er wirft mit
einem
bösen Gesichlsausdruck dieBuchstaben
einzeln aufs Papier,ganz ohne
Druck,macht dann
an den Buch- staben Verzierungen, trennt dieWorte
durch sorgfältig gemalte Kleckse, verliert bald die Lust, weiter zu sehreiben, weilihm
die Heftseiteunschön und
verschmutzt vorliommt.Er
erzählt mirnun beim
Sehreiben, daß er in der linkenHand
einenKönig
der Unlust, in der rechten einenKönig
der Lust, deram
Schreiben Lust hätte, gefangenhielte. Die Buchstaben seien Schwerter oder
Kämpfer
des Lustkönigs, aber die Kleckse .seien dieKanonenhomben
desKönigs
der Unlust, die dieser zwischen die Soldaten des Lustkönigs werfe. Natürlich be-kommen
die SoldatenAngst und mögen
nichtmehr
ins Feld. Ich sagte dazu: „Mir schien, daß derKönig
die Unlust nichtKanonenbomben,
sondern Spatzen ausDreck
in dein Heft warf.Vor Dreck
schienen mir deine SoldatenAngst
zu haben." DieseAufmunterung,
sichzum
Analen
zu bekennen,nimmt Tom
begeistert auf.Mehrmals
läßt erjetzt den
König
der Unlustdem König
der Lust Spatzen ausDreck
vor dieFüße
werfen. Ich erkläre,nachdem
er eineWeile
so sich amüsierte: „Mir seheint jetzt, derKönig
der Lust hatDreck ganz
gern, sonst ließe er sich das
vom König
der Unlust nicht gefallen."Nach
dieserDeutung
schmiertTom
nichtmehr
in sein Heft.Drei
Tage
danachmacht
ermich
auf dienunmehr
ganz veränderten korrek- tenFormen
seiner Buchstabenaufmerksam. Früher
konnte er sie nicht leiden, jetzt imponieren sieihm
als richtige Buchstabe]].Was
hat sich vollzogen? Die Schrift, der ich scheinbar einen dualen Sinn zu
haben
gestattete,wurde
nichtmehr um
dieses Sinnes willen ge- fürchtet. Sie hat die allzu deutlich sich verdrängende, aberihm unbewußte
sexuelleNebenbedeutung
verloren,wurde dem König
der Lust, den Ich-Kräften, Untertan. DieAngst
aber, diebeim
Schreiben der da durchbrechenden anal-sadistischen Sexualität galt, brachte in gleicher ZeitTom
in die Analyse.Mehrere Wochen
später schrieb er in sein Geschichtenheft folgende Geschichte:„Der König
hatte ein Volk.Das
hieß Schreibevolk.Das war
gar nicht mit seinerRegierung
zufrieden, weil seineRegierung
Qnatseh machte. DieEinwohner waren
nämlich alle Buchstabenund
derKönig
spielte
immer
mit den Buchstaben.Das
gefiel ihnen gar nicht:und da
wurden
dieWörter
T.-üstund
sinnlos oder dasWort
falsch.Und
der 'König spielteimmer
mit denEinwohnern.
Schließlich ging es nicht154
Steff Boniäteinmehr
so weitei-. Diewurden Immer
wüster, derKönig wütend
darüber,daß
siewüst
wurden. Sie wollten ihn nichtmehr haben und
er wollte nichtsvon
ihnen wissen.Das
ist schon aber lange her. Jetzt ist allesDreck
geworden."Nie hätte
Tom
die Sexualisierung seiner Schrift so glänzend charakterisieren, d. h. sie so echt erleben können,wenn
ich darauf verzichtet hätte, mitihm
zu schreiben.Unsere
Schreibstunde drängte das zu ihr gehörige Material in die Analyse.Tom
erinnerte sich, daß er bei seinen ersten Schreibversuchen denEhrgeiz
hatte, gleich so schnell wie sein Vater zu sehreiben.Und
als es nicht ging,war
er enttäuschtund
böse.Das
Böseseinmuüte
er verdrängen,denn
das EnttäuscUungsgelühl: „ichkann
doch nicht so gut wiePapa"
rührtean
eineWunde,
die er seit Jahren zu verdrängen suchte,an
seine Eifersucht auf das größere Glied des Vatersund
an seine Angstvor- stellungen, daßihm wegen
seiner früheren Onanie die Kastration drohe.Wenn dann Tom
inderAnalyse
sehr früheErinnerungen
repro- duzierteund
uns verriet, wie er als Zweijähriger Vaterund
Muttertrennte,
indem
er nachts einkoteteund
schrie, so konnten wirihm
sagen:
„Daran
erinnern noch die Kleckse, mit denen dubeim
Schreibendie einzelnen
Worte
trennst."Er wußte
jetzt aus eigenen frischen Erlebnissen, daß wir recht hatten,wenn
wirihm
zeigen, daß bei seinem Schreiben seine verdrängtenWünsche
ans Lieht drangen: sein.Wunsch,
so groß wie der Vater zu seinund
alles wie er zukönnen
eingekleidet in die Phantasie, ein„König
des Schreibens" zu seinund Könige gefangen
zu halten, die erKrieg
spielen lassen könne; die ver- drängteWut gegen
den Vater,nun
aber an seinen eigenenBuchstaben
ausgelebt; der verdrängteWunsch,
wieihm
beliebt, zu onanieren (erspielt mit den Buchstaben,
wie
er mag,und
nicht, wie er soll).Die Abwehr
seines strengen Uber-Ichsgegen
alle diese verbotenenRegun- gen
äußerte sich beiTom
darin, daß seine Buchstabenhauchdünn und ohne Druck
wurden, daßihm
seine häßlichen HeftseitenEkel
verursachten, und daß er überhaupt nicht schreiben mochte.So
konnte er seineSchreibhemmung
vor allem als einen Protestgegen
die sichbeim
Schreibenvordrängenden
Phantasien erfassen.Zeigten die Beispiele aus der Arbeit mit
Niels, wie
wir eineHem- mung
desKindes
besser verstehen,wenn
wir sie bei unsererTechnik
miterleben, so sollen die Beispiele aus der Arbeit mitTom
zeigen,wie
dasKind
unsere analytischenDeutungen
seinerHemmung
besser verstehen kann,wenn
es sieneben
uns erlebt..•*=
Zum Begriff der „Lernstörung"
Von Fritz Redl, Wien
Terminologische
Untersuchungen
erfreuen sieh keinergroßen
Be- liebtheit.Man nimmt
sie bestenfalls als notwendiges übelvon
Zeit zu Zeit inKauf und
ärgert sichimmer
einwenig
über den, der sieeinem
aufdrängt.Manche
Wissenschaftler lehnen sie völlig ab. Sie linden sie lächerlich, dürr,immer
einwenig
prätentiös, erörtern siedoch mit großer Wichtigkeit starre begriffliche Details, denen jeder
Bezug
zur Praxis zu fehlen scheint. Sieerwecken
leicht denAnschein
des Spielens mit leerenFormen, manchmal
sieht es geradezu so aus, als ob sie dieForm
wichtigernähmen,
als den Inhalt.Mit diesem
Vorwurfe
aber geschieht den terminologischen Unter-suclumgen
unrecht.Nur wo
sie zu früh auftauchen,wo
sieam Anfang
eines jungen Wissenschaftsbetriebes stehen,
wirken
sie so blutleer, übereilt. Indem Ausmaß,
indem
sich der Arbeitsrahmen des Wissen- schaftlers mitkonkretem
Inhalt füllt,werden
sie dringlicher, unent- behrlicher. Ihre Vernachlässigung beimVorhandensein
eines großen Tatsachenmaterials ist sogar ein ausgesprochener Mangel,Denn wenn
sie auch selbst nichts
Neues
hinzufügenkönnen
zu dengesammelten
Erfahrungen, so haben sie doch eine unleugbareBedeutung
für ihrezweckmäßige Verwertung.
Die
Wissenschaft der psychotherapeutischenPädagogik im
weite- sten Sinne des Wortes, wie sie der Erziehungsberater treibt, ist indem Stadium
angelangt, indem
esangemessen
scheint, die praktische Arbeit gelegentlich durch rein begriffs-theoretischeUntersuchungen
zu unterbrechen.Denn
wir sind dochgezwungen,
alles zu benennen,was
wir darstellenund
mitteilen wollen.Und wenn
wir mit diesenBenennungen
anfangs auch nicht allzu vorsichtig sein müssen, so- lange sie uns nurbeim Finden
unserer Ergebnisse unentbehrlich wer- den, für dieZwecke
der Darstellungund
Mitteilungmüssen
wir uns größerer Exaktheit befleißigen.Denn
wie leicht ergibt sich der Fall,daß
einTerminus
auf verschiedenen Seiten gleichzeitig auftaucht, ohne daß wir die Sicherheit hätten, daß seineBedeutung
in allen diesen Fällen dieselbe ist. Oft ändert sichauch
dieBedeutung
einesTerminus im
Gebrauche, er rücktimmer
weiter von seinem ursprünglichenWortsinne
abund
füllt sieh ganz unmerklich mitneuem
Inhalt. In solchen Fällen ist eine besonders vorsichtige kritischeBesinnung
am
Platz.Ich glaube, daß wir mit
dem Terminus
„Lernstörung" auf diesemPunkte
angelangt sind, .'•
156 FritK Redl
"Wie
könnten
wir den Begriff derLernstöning
definieren?Der
erste
Gedanke,
der sich da aufdrängt, ist wohl der, als sein konsti- tuierendesMerkmal
das Ausbleiben des Selnilerfolges anzusetzenLegt
uns die Praxis der Erziehungsberatung diesenGedanken
nicht sogarnahe? Wann werden denn
Kinder in dieBeratung gebracht?
Kaum
jemals bevor sich nicht böse Miilerfolge gezeigt haben.'Aber
sind wir berechtigt, für den Begritf der
Lerustörung
als wesentlichesMerkmal
anzusetzen,was
sich in der Praxis derErziehungsberatung
als auffällig erweist? Gibt es nicht Fälle, in denen der Schulerfolg ausbleibt, ohne daß wir eigentlich von „Lernslörungen" reden
könn-
ten?
Und muß umgekehrt
in allen Fällen von „Lernstörnngen"ein
„Versagen"
des Kindes eintreten? DieseFragen müssen
wir erst be- antworten, ehe wir eswagen
dürfen, den Begriff derLernstörung zu dem
des Mißerfolges in eine konstante Relation zu setzen.I.
Störung, Insuffizienz und
S c h u 1 e rf o 1 g.Rollen wir zunächst die erste
Frage
auf: Gibt es ein „Versagen"- in der Schule,ohne
daß wir von „Lernstörnngen" sprechenkönnten?
Wir
beantworten dieseFrage
olmeweiteres mit „ja"und begründen
dies durch eine
Erörterung
des Begriffes der „Störung",Da muß uns denn
vor allem eines stutzigmachen:
in der landläufi- gen Ausdrucksweise,wie
sie unter Ijclirernund
auch sonst impäd-
agogischenGespräche
gebräuchlich ist,kommt
dasWort
„Störung'' gar nicht vor!Sofern
man
sichvom Versagen
einesKindes
tiberlianptRechen-
schaft gibt, liegen die
Erklärungsversuche
in zweifacherRichtung Entweder
wir setzenden
Mißerfolg einesKindes
auf dasKonto
seiner„Dummheit". Etwas
feiner ausgedrückt: wir schreiben ihn seineinMangel an Begabung
zu.Oder
aber wir meinen,daß
die intellektuellen Fähigkeitenzwar
inOrdnung
seien,daß
esdas betreffendeErziehungs-
objekt aber
an dem
nötigen Fleiß fehlen lasse, daß wir also„Faul-
heit" als
Ursache
seinesVersagens
zu betrachten haben.Dabei
bilden„Dummheit" und
„Faulheit" dieEndpunkte
einer Reihe, Je nachdem
Ausmaß,
indem
der eineFaktor am
Zustandekouuiien desMißerfolges
beteiligt ist, braucht der andere nicht
mehr
zu Hilfe gerufen zuwer-
denund
umgekehrt. Ichwähle
dabei absichtlich die derberenAus-
drücke
an
Stelle der liebenswürdigeren Unisehreibungsforiuen fürden
eigentlich gemeinten Sachverhalt.
Doch
wollen wir schärfer festlegenwas
das laienhafteDenken
mit diesen beiden Feststellungen eigent-lich meint:
„Dummheit"
heißt so viel wie Fehlen derBegabung, d^^
man
eben mitbringenmuß, um
eineAufgabe
überhaupt leisten zukön-
nen.