29
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
22. Juli 1983 80. JahrgangBedenklich
R
echtsstaatlich höchst bedenklich sei das in den Bundesländern praktizierte Verfahren be- züglich der Durchführung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung von 1976, hieß es in der Be- gründung zum Bundesrats- entwurf von 1981, dieses Gesetz ganz aufzuheben.„Bezüglich der Durchfüh- rung" bedeutet praktisch:
Ein geltendes Gesetz wird einfach nicht mehr beach- tet, auch von Staat und Be- hörden nicht. Zweitens aber stehe man damit vor der Situation, daß wir „ein Impfgesetz gegen eine Seuche besitzen, die es nicht mehr gibt" — dies ist nun aber eine mindestens ebenso bedenkliche Be- hauptung! Sie geht zurück auf die „Feststellung" der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO) vom Sommer
1980, die Pocken seien nunmehr in der Welt aus- gerottet. Auf dieses Ziel hatte sich die WHO in ei- nem mehrjährigen, höchst segensreichen Programm konzentriert (und dabei die Leistungsfähigkeit moder- ner Seuchenhygiene ein- drucksvoll bewiesen).
Im
an sollte aber auch sehen, daß die WHO ihrem eigenen Erfolg realistischer gegenüber- steht als die Politiker, die jetzt bei uns voreilige Maß- nahmen darauf gründen wollen: Die WHO hält wei- terhin nicht weniger als 200 Millionen Dosen- Pok- kenimpfstoff vorrätig, und sie geht im übrigen sofort den Verdachtsfällen nach, die immer wieder einmal gemeldet werden, wie ge- rade vor wenigen Wochenim indischen Bundesstaat Bihar. Auf die Risiken hatte der Vorstand der Bundes- ärztekammer, auf Grund von Beratungen des Wis- senschaftlichen Beirates, schon Ende 1981 hinge- wiesen. Und er hatte auch daran erinnert, daß in Ost- europa und in vielen Län- dern der dritten Welt wei- terhin gegen Pocken ge- impft wird.
I
n einem Schreiben an.den Bundesgesundheits- minister hat Bundesärz- tekammerpräsident Dr.
Karsten Vilmar jetzt noch einmal vor der Aufhebung des Pockenimpfgesetzes gewarnt. Sollten — zum Bei- spiel im Gefolge des mo- dernen Ferntourismus — doch noch einmal Pocken eingeschleppt werden, so wäre die deutsche Bevöl- kerung gefährdet: Das
Bundesseuchengesetz reicht nicht aus; Impfstoff wird nicht mehr herge- stellt, die vorhandenen Re- serven können also nicht aktualisiert werden; der Impfschutz bei den Ge- sundheitsberufen ist dem- nächst nicht mehr gege- ben. Solche Einwände hat die Bundesregierung noch Anfang dieses Jahres zu- rückgewiesen.
A
ber wenn man zum Beispiel liest, daß Nordrhein-Westfalen im Ernstfall seine Pocken- verdächtigen oder -kran- ken in Hamburg versorgen lassen müßte, dann fragt man sich, ob die „rechts- staatlichen Bedenken"nicht auf weniger riskante Weise entkräftet werden könnten als durch Radikal- lösungen. gb
Die Information:
Bericht und Meinung
Abdingung —
Fragen und Antworten 13 Die Bundesregierung zu einer
Kleinen Anfrage der SPD-Fraktion
Nachrichten 15
Trendmeldungen einiger privater Krankenversicherungen — Islamisch- medizinischer Kongreß in Teheran — Pharma-Forschung: 2,4 Milliarden DM
Themen der Zeit
Die Schmutzarbeit beginnt . 16
Vor 50 Jahren: Gleichschaltung im Deutschen Ärzteblatt (III) Norbert Jachertz
Feuilleton
Ernst Ludwig Kirchner:
zyklothyme Persönlichkeit . . . 21
Leben und Werk des Künstlers — Aus einem Vortrag beim Davoser Seminar- kongreß der Bundesärztekammer Prof. Dr. med. habil. Albert Schretzenmayr
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Übersichtsaufsätze Calcium-Antagonisten bei koronarer Herzerkrankung:
Wirkungsmechanismen und
therapeutische Möglichkeiten 25
Dr. med. Burkhart Krämer, Prof. Dr. med. Wolfgang Kübler
Arzneimittel- und
Drogenmißbrauch bei Kindern
und Jugendlichen 34
Dr. med. Henning Kehrberg
Für Sie gelesen
Die unterschiedliche Prognose von Rumpf- und Extremitätenmelanomen
— Niedrigere Ranitidindosis bei Le-
berzirrhose 33
Die Bedeutung des ärztlichen Ge- sprächs bei Erkrankungen des Bewe-
gungsapparates 43
Rifampicin vermindert Effektivität und biologische Wirksamkeit von Prednisolon — Naloxon zur Behand- lung der chronischen idiopathischen
Obstipation 48
Fortsetzung auf Seite 3
Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 29 vom 22. Juli 1983 1