Egal ob Milliardensubventionen für Solarenergie, Kindergeld, Eltern-Freizeitjahr oder Mietendeckel: Geht es um staatliche Interventionen und Umverteilung, ist Deutschland für viele Vergiftete Geschenke – wenn Politiker Medien mit Millionen fördern, wollen sie auch mehr Einfluss
Auf Druck von bürgerlichen Verlegern, linken Lobbyisten und jammernden Medienschaffenden will das Parlament die staatliche Medienförderung massiv ausbauen. Ein Irrweg.
KOMMENTAR
Lucien Scherrer 21.06.2021, 05.30 Uhr 71 Kommentare
Die Portokosten zahlt der Staat bereits heute mit, aber soll er künftig auch Zeitungsartikel mitfinanzieren? Briefkasten im Zürcher Kreis 4.
Goran Basic / NZZ
Schweizer «Progressive» das gelobte Land. Für Liberale
dagegen ist das nördliche Nachbarland oft ein abschreckendes Beispiel für Staatsgläubigkeit und politischen
Machbarkeitswahn. Bloss gibt es für beide Seiten immer wieder Gegebenheiten, die nicht in dieses einfache Weltbild passen.
So müssen oder dürfen die Deutschen unabhängig vom
Geschlecht erst mit 67 in Rente gehen, was sehr progressiv ist, für Schweizer «Progressive» jedoch trotz höherer
Lebenserwartung genauso tabu ist wie bei der Einführung der AHV im Jahr 1947. Für eine Überraschung haben die Staats- und Umverteilungsmeister aus dem Norden jüngst im Bereich der Medienförderung gesorgt: Das
Bundeswirtschaftsministerium hat Pläne gestoppt, die
«digitale Transformation» der Medien mit bis zu 220 Millionen Euro im Jahr zu fördern. Dies zum Ärger der Zeitungsverleger und der Online-Anbieter.
In der oft als «neoliberal» kritisierten Schweiz waren die gleichen Kreise dagegen äusserst erfolgreich. So hat das Parlament letzte Woche ein Medienförderungspaket aus dem Departement von Simonetta Sommaruga (sp.) verabschiedet, das selbst deutsche Etatisten neidisch machen dürfte. Die klassischen Verlagshäuser sowie die Verbands- und die Mitgliederpresse erhalten künftig Subventionen von 120 Millionen Franken pro Jahr, für vergünstigte Zustellgebühren.
Das sind 90 Millionen Franken mehr als bisher.
Gleichzeitig will das Parlament die Online-Medien fördern, mit nochmals 30 Millionen Franken im Jahr. Ohne dieses
Gewinne im Corona-Jahr
vorerst auf sieben Jahre befristete Subventionsprogramm, so der Tenor unter den Befürwortern, sei nicht nur der
Journalismus, sondern auch die Demokratie bald tot.
Tatsächlich hat die Medienbranche mit existenziellen
Problemen zu kämpfen. Die Werbeeinnahmen, die einst rund zwei Drittel des Ertrags ausmachten, sind stark rückläufig.
Tech-Konzerne wie Google und Facebook verbreiten mediale Inhalte, ohne die Anbieter dafür zu entschädigen. Und die Kunden, die jahrelang daran gewöhnt wurden, digitale Medienangebote gratis zu konsumieren, müssen davon überzeugt werden, für Online-Journalismus einen
angemessenen Preis zu bezahlen. Allerdings steht die Branche viel besser da, als es die Klagen über das drohende Ende der Presse und der Demokratie vermuten lassen.
Selbst im Corona-Jahr 2020 haben die meisten grossen
Medienkonzerne der Schweiz Gewinne erzielt. Die TX-Gruppe (unter anderem «Tages-Anzeiger», «Bund», «20 Minuten») vermeldete zwar Verluste, verbuchte aber immer noch einen operativen Gewinn vor Abschreibungen von 130 Millionen Franken. Die alternative «Wochenzeitung» hält sich seit Jahren mit steigenden Abonnenteneinnahmen am Markt; die Corona-Krise hat man im Gegensatz zu anderen
Medienhäusern ohne Kurzarbeitsentschädigung gemeistert.
Die NZZ-Titel zählen mittlerweile rund 200 000 Abonnenten, und auch bei anderen Zeitungen ist die Entwicklung im digitalen Markt erfreulich.
Dass es noch einige Jahre dauern wird, bis die digitalen Kunden die rückläufigen Einnahmen aus der gedruckten
Jeder bekommt etwas, und der Staat bezahlt
Presse kompensieren, macht den Ruf der Verleger nach mehr Subventionen für die Postzustellung zwar nachvollziehbar.
Aber die Risiken und Fehlanreize, die man mit dem
basarmässig ausgehandelten Medienpaket in Kauf nimmt, sind gross. Denn was der Verlegerverbandspräsident Pietro Supino als «guten Kompromiss» bezeichnet, basiert auf einem bewährten, aber fragwürdigen eidgenössischen
Prinzip: «Du bekommst dies, ich bekomme das, die Rechnung bekommt die Allgemeinheit.»
Dieses Prinzip hat unter anderem dazu geführt, dass die Landwirtschaft und der öffentliche Verkehr in der Schweiz mit Milliarden subventioniert werden. Mit dem Effekt, dass Böden übernutzt sind, Gutverdiener zu Dumpingpreisen Zug fahren oder dass die Allgemeinheit unnötige
(Freizeit-)Fahrten und fragwürdige Bahnprojekte bezahlt, für die sich Politiker aus Randregionen als Wohltäter feiern lassen.
Es ist denn auch kein Zufall, dass sich im Parlament bekannte ÖV- und SRG-Lobbyisten wie Martin Candinas (Die Mitte) und staatsaffine SP-Politikerinnen an vorderster Front für die Medienvorlage starkgemacht haben. Förderungswürdig ist in den Augen dieser ländlich-urbanen Allianz alles, was in der eigenen Region wächst oder das eigene politische Weltbild bestätigt. Weil man den grossen privaten Verlagen misstraut oder nichts zutraut, soll der Staat überall eingreifen und für
«Vielfalt» sorgen.
Dies einerseits, indem er die gebührenfinanzierte SRG stärkt, obwohl dieses mit 1,2 Milliarden Franken alimentierte
Liberale im Dilemma
Medienhaus die privaten Verlage seit Jahren mit medialen Konkurrenzangeboten bedrängt – und damit auch die Vielfalt bedroht. Im Rahmen des Medienpakets ist diese Position der SRG bekräftigt worden, denn eine Mehrheit des Parlaments wollte ihr keinerlei weitere Beschränkungen in der
Berichterstattung auferlegen. Für die privaten Medienhäuser ist das trotz allen zusätzlichen Millionen eine schlechte Nachricht.
Als zweite Garanten der angeblich bedrohten Medienvielfalt haben die Mitte-links-Parteien die zahlreichen Online- Medien im Land auserkoren. Sie sollen wegen ihrer
«zunehmenden Relevanz für die Demokratie» (Simonetta Sommaruga) von einer direkten Presseförderung profitieren, womit der Staat erstmals redaktionelle Inhalte privater Medien sponsert.
Dieser Paradigmenwechsel ist rechtlich umstritten und in vielerlei Hinsicht problematisch. Gerade der Bereich der Online-Medien zeigt, dass genug private Mittel und
Initiativen da sind, um journalistische Projekte zu lancieren.
Regional beleben Titel wie «Die Ostschweiz» oder «Bajour»
den Markt, auf nationaler Ebene wären die «Republik»,
«Watson» und der «Nebelspalter» zu nennen. Hinzu kommen zahlreiche weitere, oft politisch gefärbte Projekte, die mithilfe von Stiftungen initiiert und am Leben erhalten wurden.
Das neue Mediengesetz sieht nun aber vor, finanzschwache Publikationen pro eingenommenen Franken mit bis zu 70 Rappen zu unterstützen. Damit entbindet der Staat die Zivilgesellschaft nicht nur von der Verantwortung, in den unabhängigen Journalismus zu investieren. Er stellt
zumindest liberale Publizisten vor ein Dilemma: Nehmen sie
die Staatshilfe an, machen sie sich politisch unglaubwürdig.
Verzichten sie darauf, sind sie im Wettbewerb benachteiligt.
Bei der linken Konkurrenz sind die Hemmungen ideologiebedingt kleiner. So hat der alternative
Verlegerverband «Medien mit Zukunft» wiederholt klar
gemacht, wer diese Zukunft finanzieren soll. Die Betreiber des mit Stiftungsgeldern aus dem Basler Daig alimentierten
Portals «Bajour» spekulierten schon 2019 auf künftige Staatsbeiträge: Erst, so erklärten sie, brauche man die
Stiftungsgelder «zur Überbrückung», dann gedenke man von Fördergeldern zu leben.
Auch für Politiker und Verwaltungen ergeben sich ganz neue Einflussmöglichkeiten. Je mehr sich die Medien wie
unrentable Bauernbetriebe vom Staat aushalten lassen, desto leichter lassen sie sich unter Druck setzen. Im Parlament ist eine Anfrage der Grünen Aline Trede hängig, ob der
Bundesrat Wege sehe, «Fördermittelempfänger für mehr Diversity in die Pflicht zu nehmen». Bürgerliche Ständeräte wiederum wollen vorsorgliche Publikationsverbote
erleichtern.
Vor allem aber erhalten Machtträger nun die Gelegenheit, ideologisch genehme Projekte zu finanzieren, die auf dem Markt nicht überlebensfähig wären – im Namen der
Demokratie und der Vielfalt. Für rot-grüne Politiker ist die Versuchung traditionell besonders gross, mit Staates Hilfe ein Gegengewicht zur «bürgerlichen» Presse aufzubauen. Seit dem frühen Niedergang der sozialdemokratischen Presse
Erst Stiftungsgelder verbrauchen, dann Staatshilfe
beantragen
fühlt man sich von den Medien latent benachteiligt, obwohl Journalisten gemäss Umfragen mehrheitlich links sind (was sich entgegen anderslautenden Behauptungen in der
Berichterstattung durchaus bemerkbar macht).
Worum es den angeblich um die vierte Gewalt besorgten Politikern wirklich geht, machte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran in einem Interview mit der «Medienwoche» deutlich.
Zuerst behauptete sie, die kommerzielle Medienlandschaft sei
«ganz klar FDP-dominiert, und zwar rechte FDP». Selbst der
«Tages-Anzeiger», der seine «Leser*innen» mit Klagen über soziale Ungerechtigkeit, zu wenig gehörte «Aktivisten», engherzige SVP-Richter und die unfähige FDP bei Laune hält, ist in Badrans Wahrnehmung von rechten Journalisten
unterwandert.
Als Lichtblick hat Badran dagegen das von eher linken bis sehr linken Journalisten gestaltete Portal «Watson»
ausgemacht, das dem Publikum echten «Service public» biete und deshalb gefördert gehöre. Dass «Watson» dem FDP- Verleger Peter Wanner gehört, erwähnt Badran nur nebenbei – und es ist offenbar unwichtig, weil bei «Watson» die
politische Richtung stimmt.
Subventionen und Abgaben, die einmal gesprochen sind, lassen sich in der Schweiz kaum noch rückgängig machen, selbst wenn sie, wie die Medienförderung, vorerst befristet sind. Bürgerliche Kreise um den ehemaligen FDP-Nationalrat Peter Weigelt haben kürzlich angekündigt, gegen die Vorlage das Referendum zu ergreifen. Eine Abstimmung wäre in jedem Fall zu begrüssen. Und selbst wenn die Schweiz in einem weiteren Bereich noch «deutscher» wird als
Deutschland: Von unten legitimierter Etatismus ist in jedem Fall erträglicher als von oben verordnete Politik.
Erwin Dufner vor 7 Tagen
Ein hervorragender Kommentar, vielen Dank. Die Linken wissen schon immer, wie sie ihre Macht ausbauen. Das Volk verdummen, die Medien beherrschen.
Leider sind sie da sehr erfolgreich.
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Jürg Simeon vor 7 Tagen
Vielen Dank, das ist beste ordnungspolitische, liberale NZZ. Die Hand, welche mich füttert, beisse ich nicht. Es ist praktisch unmöglich sich dem wirklich zu entziehen.
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71 Kommentare
Die Presse- und Meinungsfreiheit geniesst in Schweden einen hohen Stellenwert. Die Medienvielfalt will der Staat deshalb nicht dem Markt überlassen. Das Resultat überzeugt jedoch nicht immer.
Das Parlament entscheidet, wie der Bund künftig die Schweizer Medien finanziell unterstützen soll. Worum geht es? Welche Punkte sind umstritten?
Und weshalb wurde im Ständerat plötzlich der ganze Onlineteil des Pakets infrage gestellt?
Staatliche Medienförderung wird in der Schweiz heftig diskutiert – in Schweden ist sie schon lange Tatsache
Rudolf Hermann, Stockholm 30.11.2020
Medienpaket: Das Hin und Her zwischen den Räten geht weiter
Larissa Rhyn, Bern, Michele Coviello 03.06.2021
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