Zur Fortbildung Aktuelle Medizin NOTIZ
In der Bundesrepublik Deutsch- land werden orale Antidiabetika vom Typ der Sulfonylharnstoffe (SH) häufiger verordnet als in an- deren vergleichbaren Ländern.
Allgemein gelten SH bei weniger als einem Drittel der älteren Pa- tienten mit „Typ-Il-Diabetes" als indiziert. Hierzulande werden je- doch fast alle Typ-Il-Diabetiker mit SH behandelt. Diese Situation ist unbefriedigend, weil mit der frei- zügigen Verordnung von SH der kausale Therapieansatz bei Typ-II- Diabetes — Diät und Gewichtsab- nahme — vernachlässigt wird. Die Medikation von Sulfonylharnstof- fen ist häufig eine „Therapie der Bequemlichkeit", die anstelle ei- ner konsequenten Diätbehand- lung verordnet wird.
Orale Antidiabetika vom Sulfonyl- harnstoff-Typ stimulieren die en- dogene Insulinsekretion und kön- nen außerdem die Insulinempfind- lichkeit peripherer Gewebe erhö- hen. Dadurch kann bei Diabeti- kern mit noch partiell erhaltener lnselzellfunktion (Typ-Il-Diabetes) die Blutglukosekonzentration ge- senkt werden. Der vor Jahren ge- äußerte Verdacht, daß die langfri- stige Medikation von SH negative Auswirkungen auf das kardiovas- kuläre System haben könne (UGDP-Studie), hat sich bislang nicht bestätigt.
Im Therapiespektrum des Typ-II- Diabetes haben die oralen Antidia- betika vom Typ der Sulfonylharn- stoffe ihren fest umrissenen Platz.
Für die praktische Durchführung der oralen Diabetestherapie mit SH gelten unverändert folgende Regeln:
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Ziel der Behandlung des Typ-II- Diabetes ist das Wohlbefinden des Patienten und die Vermeidung von Komplikationen. Beides erfordert für die Mehrzahl der Patienten ei- ne Einstellung auf Blutglukose- werte unter 180 mg/dl im Tages- profil. Die HGA i -Konzentration soll im Normbereich oder nur ge- ring darüber liegen. Der Harn soll glukosefrei sein.Q Die Verordnung von SH ist nur dann indiziert, wenn es unter in- tensiver Vorbehandlung mit Diät nicht zu einer befriedigenden Sen- kung der Blutglukose gekommen ist. Bei übergewichtigen Patienten muß die Diättherapie das Gewicht deutlich reduziert haben.
Notwendigkeit und Nutzen einer exakten Diätbehandlung des Typ- II-Diabetes stehen außer Zweifel.
Die Ärzteschaft ist daher aufgeru- fen, sich verstärkt um die diäteti- sche Information und Motivation der Diabetiker zu bemühen. Dabei sollten neben dem ärztlichen Ein- zelgespräch und der Aushändi- gung einer individuellen schriftli- chen Diätverordnung vermehrt auch weitere Möglichkeiten der Diätinstruktion — wie Gruppen- schulung und Mitarbeit praxis-as- soziierter Diätassistentinnen — ge- schaffen und genutzt werden.
O Stark wirksame SH können — vor allem bei alten Menschen, bei hoher initialer Dosierung, bei un- genügender Kohlenhydratzufuhr und gleichzeitigem Alkoholkon- sum — zu schweren, protrahier- ten Hypoglykämien führen. Daher sollen Diabetiker mit leichter Stoffwechselstörung, mit einge- schränkter Nierenfunktion, mit un- zuverlässiger Diäteinhaltung so-
wie in höherem Alter (über 70 Jah- re) besonders vorsichtig und be- vorzugt mit anderen SH-Präpara- ten behandelt werden.
O Ist mit Diät und SH eine opti- male Einstellung des Diabetes nicht zu erreichen, muß der Pa- tient frühzeitig mit Insulin behan- delt werden.
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Nach längerdauernder optima- ler Diabetes-Einstellung unter Diät und SH soll die SH-Tagesdosis schrittweise reduziert und ein Aus- laßversuch durchgeführt werden.Viele Patienten bleiben danach al- lein mit Diät gut einreguliert.
O Auch bei zunächst gutem Er- folg der oralen Diabetestherapie ist im weiteren Verlauf eine nach- lassende Wirkung der SH zu er- warten. Bei den meisten Patienten entwickelt sich nach Jahren ein
„Spätversagen" der SH, das recht- zeitige Umstellung auf Insulin er- forderlich macht.
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Eine Kombination mehrerer oraler Antidiabetika vom Sulfonyl- harnstoff-Typ ist sinnlos. Die Kom- bination eines SH-Präparats mit einem Biguanid (Glucophage®) kann — unter strenger Beachtung der Kontraindikationen und Aufla- gen für eine Biguanid-Medikation— manchmal nützlich sein. Die kombinierte Therapie mit SH und Insulin kann kurzfristig zu einer besseren Einstellung des Diabetes führen. Der längerdauernde Nut- zen einer solchen kombinierten Behandlung ist nicht bewiesen.
Deutsche Diabetes Gesellschaft Der Vorstand
i. A. Prof. Dr. A. Hasselblatt, Vorsitzender
(Ausschuß für dieses Statement:
M. Berger, F. A. Gries, A. Hassel- blatt, K. D. Hepp, H. Otto ([feder- führend]), K. Schöffling, E. Standl)
Korrespondenzad resse:
Professor Dr. H. Otto Klinikum für Innere Medizin Zentralkrankenhaus Bremen-Nord Hammersbecker Straße 228 2820 Bremen 70
Orale Diabetestherapie
mit Medikamenten vom Typ der Sulfonylharnstoffe
Eine Stellungnahme der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (1983)
38 Heft 40 vom 7. Oktober 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A