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ie viele Bilder er seit dem 6. April 1997 schon gemalt hat, will Klaus Fresenius nicht sagen.Vielleicht weiß er es auch gar nicht mehr so genau. Minde- stens ein Bild pro Nacht, so- viel ist sicher; in besonders produktiven Phasen können es auch 20 oder 30 gewesen sein, sagt er.
Der 6. April 1997 ist ein besonderes Datum für den Maler aus Speyer. Damals begann er, Tagebuch zu führen über die letzten tau- send Tage unseres Jahrtau- sends. Jeden Tag wollte er mindestens ein Bild schaffen.
Arno Reinfrank, in London ansässiger Schriftsteller und langjähriger Freund Frese- nius’, sollte täglich einen Text beisteuern.
Mit einem mulmigen Ge- fühl im Bauch begann Frese- nius zu malen: „Vorher hatte ich Zeiten, da habe ich Wo- chen und Monate nicht ge- malt“, erinnert er sich. „Dann plötzlich ganze Serien, explo- sionsartig. Jeden Tag minde- stens ein Bild – wenn das mal gutgeht, dachte ich.“
„Schnell und spontan“
Bisher ist alles gutgegan- gen. Berechenbar ist das Ex- periment der beiden Künst- lerfreunde dennoch nicht geworden, denn Reinfrank und Fresenius stimmen ihre Tagebucheinträge nicht mit- einander ab. Was der 65jähri- ge Autor, der seit 1955 in London lebt, und der 46jäh- rige Maler, der seinem Ge- burtsort Speyer bis heute treu geblieben ist, im Laufe eines Tages schaffen, muß deshalb nicht immer zueinan- der passen. Am 1. Juli 1997 zum Beispiel, dem Tag der
Rückgabe Hongkongs an China, malte Fresenius einen roten, tanzenden Drachen.
Reinfrank war tags zuvor in Wien im Theater gewesen und schickte seine Gedanken zur „Medea“ von Christa Wolf.
„Manchmal gibt es auch Tage, an denen wir fast genau übereinstimmen“, sagt Frese-
nius. In diesem Wechselspiel liegt für ihn der Reiz des ge- meinsamen Tagebuches: „Es ist ja mehr als nur die Texte von Arno Reinfrank und meine Bilder. Entscheidend
ist, wie beides zusammen wirkt.“
Fresenius arbeitet nachts.
„Schnell und spontan“, sagt er. „Was einmal auf dem Pa- pier ist, wird nicht mehr über- arbeitet.“ Seine Collagen, Gemälde und Zeichnungen spiegeln seine „Befindlich- keit“ am Ende eines Tages wi- der. Reiseeindrücke können
darin auftauchen, eine An- sicht der Eckkneipe, die er abends besucht hat, aber auch eine Unglücksmeldung oder Kriegsnachricht aus der Zei- tung. Mit Eschede hat er sich
auseinandergesetzt, kürzlich war der Krieg im Kosovo ein Thema seiner Arbeit: „Plötz- lich tauchen auf meinen Blät- tern flüchtende, leidende Menschen auf“, sagt er. „Hilf- los“ fühlte er sich im Ange- sicht des Krieges: „Was kann man als Künstler da schon tun?“
Alle sieben bis zehn Tage bekommt Fresenius die Texte zum gemeinsamen Tagebuch von Reinfrank aus London zugeschickt. Zu jedem Text wählt er aus seinen Bildern ein passendes aus. Bis zum 31.
Dezember 1999 werden sie es noch so halten.
Limitierte Auflage Die Sylvesternacht zwi- schen den Jahrtausenden will Fresenius in Speyer begehen, zusammen mit der Band, in der er singt. „Wir wollen ein Konzert geben, vielleicht in der Fußgängerzone. Mein Bild zum Tag könnte dann ein Foto unseres Auftritts sein“, sagt er. „Wer weiß?“
In den ersten Monaten des neuen Jahrtausends soll das gemeinsame Tagebuch von Fresenius und Reinfrank unter dem Namen „Fin de siècle – die letzten 1 000 Ta- ge“ in einer limitierten Auf- lage von 199 Exemplaren er- scheinen (Vierfarbdruck im Faksimile-Charakter, Hoch- format von 32 x 24 cm, Lei- nen-Einband und -Schuber.
Jede Ausgabe mit Ori- ginal-Manuskriptseite nach Wunsch, Subskriptionspreis bis zur Jahrtausendwende 1 500 DM, danach 1 800 DM).
Informationen dazu gibt der herausgebende Verlag und Antiquariat Marsilius, Kut- schergasse 22, 67346 Speyer, Telefon 0 62 32/2 41 30, Fax 62 06 29. Alexandra Endres A-1747 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 26, 2. Juli 1999 (11)
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