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Die Kunst des japanischen Farbenholzschnitts geht, wie so vieles in der japanischen Kultur, auf chinesische Vor- bilder zurück. Im 9. Jahrhun- dert nach Christi, etwa 200 Jahre nach Übernahme der chinesischen Kultur und Ein- führung des Buddhismus in Japan, sind offensichtlich die ersten Holzplatten-Drucke entstanden. Meist handelt es sich um Positiv-Drucke. Die Holzschnitte dieser frühen Zeit sind immer nur Schwarz- drucke und zeigen eine noch sehr grobe Linienführung.
Man verwendete sie zur Ver- vielfältigung von buddhisti- schen Schriften, für An- dachtsbilder, Amulette und vorübergehend auch zur Her- stellung von auswechselbaren Schriftzeichen.
In der Epoche der Toku- gawa-Shogune (1603-1868) trat eine grundlegende Ände- rung ein. Nach jahrzehnte- langen Bürgerkriegen war es in Japan erstmals zu einem dauerhaften inneren Frieden gekommen, allerdings er- kauft durch eine strikte Iso- lierung des Inselreiches von der übrigen Welt. Dieser Friede und die damit verbun- dene soziale Umschichtung führten in der neuen Haupt- stadt Edo (heute Tokyo) zur Entwicklung eines lebenslu- stigen, diesseitsbezogenen Bürgertums. Man gab sich den Vergnügungen der „ver- gänglichen Welt" hin, dem Ukiyo. Dies wurde die Blüte- zeit der japanischen Holz- schnittkunst. Als Gegenstük- ke zur klassischen traditionel- len Kunst der Tosa- und Ka- no-Schulen wurden Holz- schnittdrucke hergestellt zur Unterhaltung, zur Informa- tion, und sie galten keines- wegs als Kunstwerke.
Diese Ukiyo-e (Bilder der vergänglichen Welt) machen
uns mit den Idolen und Inter- essen jener Zeit vertraut: mit den berühmten Kurtisanen des Yoshiwara, den Kabuki- Schauspielern, den Sumo- Ringern und den Helden der japanischen Geschichte.
Ausgesprochen populär wa- ren auch Darstellungen der in Japan allgegenwärtigen Ge- spenstergeschichten. Dazu kamen Tier- und Pflanzen- darstellungen sowie später auch Landschaftsbilder. Die- se einfache Volkskunst zeich- net sich durch Fröhlichkeit und Unbeschwertheit aus.
Während ihrer zweihun- dertjährigen Blütezeit durch- lief die Ukiyo-e-Holzschnitt- kunst mehrere Entwicklungs- phasen. Als ihr eigentlicher Begründer gilt allgemein Mo- ronobu. Bei den Werken aus seiner Zeit handelt es sich ausschließlich um Schwarz- weiß-Drucke — oftmals hand- koloriert in wenigen Farben
—, die in ihrer kraftvollen, klaren Darstellung begei- stern. Ab Mitte des 18. Jahr- hunderts entstanden dann die ersten Zwei- und später auch Vielfarben-Drucke. Hier ist vor allem Harunobu zu nen- nen. Seine anmutigen, lieb- reizenden Frauengestalten stehen in starkem Gegensatz zu den frühen Darstellungen der sog. „Primitiven". Frau- enbildnisse in höchster Voll- endung finden wir dann we- nig später bei Kiyonaga, Eishi, Utamaro und ihren Zeitgenossen bzw. Schülern.
Unübertroffen sind wohl Utamaros großformatige Frauenportraits. Einen brei- ten Raum nahmen auch die ausdrucksstarken Schauspie- ler-Bilder der Torii-Schule wie auch der Künstler um Shunsho ein. Sie waren ei- gentlich nichts anderes als Reklamebilder der gerade aktuellen Kabuki-Theater-
Japanische Farb- holzschnitte beein- flußten im 19. Jahr- hundert den euro- päischen Impres- sionismus: „Le Pe- se Tanguy" von Vincent van Gogh (1853-1890)
aufführungen. Der unum- strittene Meister der Schau- spielerportraits ist aber zwei- fellos Sharaku, über dessen Identität noch heute gerätselt wird. Seine Bilder sind Aus- druck der inneren Konzen- tration und Spannung der Schauspieler in ihren Rollen.
Rückbesinnung
auf die Holzschnittkunst Anfang des 19. Jahrhun- derts schließlich beginnt die letzte Phase der großen Zeit japanischer Farbdrucke mit Künstlern wie Hokusai, Hi- roshige, Kuniyoshi oder Ku- nisada. Vor allem die unver- gleichlichen Landschaftsdar- stellungen oder die Tier- und Pflanzenbilder aus dieser Zeit (in erster Linie Hokusai und Hiroshige) nehmen ja uns westliche Betrachter ge- fangen. Mitte des vergange- nen Jahrhunderts begann dann der Verfall der Holz- schnittkunst, bedingt durch achtlose Massenproduktion, Einführung der Anilinfarben, gewaltsame Öffnung Japans durch Commodore Perry und seine „schwarzen" Flotte im Jahre 1853 und schnelle west- liche Orientierung Japans im Gefolge der Meiji-Revolu- tion 1868. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es dann zur Rückbesinnung auf die Qualitäten der Holz-
schnittkunst. Auch heute noch verwenden sowohl mo- derne wie auch traditionali- stische japanische Künstler die alte Technik des Holz- druckes.
Japanische Farbholz- schnitte sind für den westli- chen Kulturkreis nun nicht nur als eigene Kunstrichtung interessant, sondern sie ha- ben einen starken, wenn nicht sogar entscheidenden Einfluß auf den europäischen Impressionismus ausgeübt.
Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts japanische Holzschnitte insbesondere in Paris auftauchten und be- kannt wurden, steckte die eu- ropäische Malerei in einer tiefen Krise. Die traditionel- len europäischen Gestal- tungsmittel schienen über- holt, die in den Kunstakade- mien gelehrten Malweisen mit ihren literarischen Inhal- ten und ihrer illusionistischen Darstellungsweise hatten ihre Aussagekraft verloren. Die Portraits der europäischen Maler dieser Zeit, besonders deutlich zu sehen bei Lem- bach, erstarrten in einer praktisch von allen Malern benutzten Einheitsbewegung und Einheitshaltung. Nicht zuletzt fragte man sich, wie den lähmenden Einflüssen der aufkommenden Fotogra- fie zu begegnen sei. Die nach der Öffnung Japans in immer größerer Zahl nach Europa
Als der Japonismus in Mode kam
Einfluß der japanischen Holzschnitte auf die Impressionisten
Gerhard Pulverer
A-1764 (112) Dt. Ärztebl. 85, Heft 23, 9. Juni 1988
In Paris, Grand Palais, ist die Ausstellung „Le Japo- nisme in Europe" bis zum 15. August zu sehen: außer dienstags 10-20 Uhr, mitt- wochs bis 22 Uhr.
kommenden japanischen Farbholzschnitte, besonders solche von Hokusai und Hi- roshige , fand man neu, un- verbraucht und „primitiv".
Die völlig andersartige, bis- lang nicht gekannte Ästhetik der japanischen Holzschnitte faszinierte die europäischen Künstler. Dazu kam, daß die China-Mode des 18. Jahrhun- derts ebenso wie der nach Napoleons Ägyptenabenteu- er nach Europa gekommene Orientalismus mit seinen isla- mischen Form- und Farbei- gentümlichkeiten der japani- schen Holzschnittkunst die Wege ebneten. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Begegnung im richtigen Augenblick.
Felix Bracquemond, ei- nem französischen Graphi- ker, scheint schon 1856 ein Band von Hokusais Skizzen- büchern (Manga) in die Hän- de gefallen zu sein. Dank sei- ner Bekanntschaft mit vielen anderen Künstlern, Kriti- kern, Schriftstellern und Sammlern, hat dieser Fund sehr schnell Furore gemacht.
Er kopierte viele Manga-Ab- bildungen und dekorierte da- mit das von Rousseau in Auf- trag gegebene, später be- rühmt gewordene „Japani- sche Service". Weitere Holz- schnitte stöberte man in den Kuriositätenläden wie „La porte chinoise" und „Chon- que chinoise" auf. Neben Bracquemond sind als Väter dieser Entwicklung noch wei- tere drei Franzosen zu nen- nen, nämlich der Sammler und Romanschriftsteller Ed- mond de Goncourt, der Schriftsteller Philippe Burty und der Kunsthistoriker Er- nest Chesneau. Als erste Ma- ler nahmen Whistler, Manet und Degas die Gestaltung und Farbengebung der japa- nischen Holzschnitte auf und setzten sie in ihre eigene Kunst um. Dazu kamen noch die beiden großes Aufsehen.
erregenden Weltausstellun- gen 1862 in London und 1867 in Paris. Sir Rutherford Al- cock, der erste englische Ge- neralkonsul in Japan, schick- te 614 Stücke japanischer Kunst 1861 nach London, die
dort während der Weltaus- stellung gezeigt wurden.
Auch bei der Pariser Welt- ausstellung sah man japani- sche Holzschnitte. Burty ver- öffentlichte 1872/73 eine Ar- tikelserie mit dem Titel „Ja- ponisme" , die sicherlich dem in den 70er Jahren des ver-
gangenen Jahrhunderts in Pa- ris entstandenen Modetrend
„Japonismus" den Namen gab. In jedem Salon in Paris wurden japanische Stellschir- me gezeigt, man kleidete sich in Kimonos, und auch in den großen Warenhäusern wurde fernöstlicher Krimskrams feilgeboten. Auch die Künst- ler waren nachhaltig von ja- panischen Holzschnitten be- einflußt, es sei nur an Monet, Redon, Cezanne, Van Gogh, Gauguin und Toulouse-Lau- trec erinnert. Auch bei den Nabis Bonnard, Vouillard und Denis ist dieser Einfluß spürbar. Während die ersten Impressionisten vorwiegend Werke von Hokusai, Hiroshi- ge und späteren Künstlern kannten und verwerteten, waren es bei den Nabis die starken Linien der „Primiti- ven" aus der frühen Zeit um Moronobu. Auch spätere Meister wie Gustav Klimt aus der Zeit der Wiener Sezes- sion benutzten japanische
Holzschnitte, gemalte Quer- rollen, Kimonos und No-Ge- wänder als Vorbilder.
Bestimmte Inhalte japani- scher Darstellungen, Land- schaftsformen, Tiere, Bäume und Blumen haben besonde- ren Eindruck auf die westli- chen Künstler ausgeübt. Von großem Einfluß waren sicher- lich die von den Japanern verwendeten hellen, transpa- renten, leuchtenden Farben, besonders wenn sie flächen- haft verwendet wurden. Un- gewohnte Kompositionsfor- men der Japaner, wie z. B.
asymmetrischer Aufbau, Überschneidungen, ange- schnittene Objekte sollen den flüchtigen und zufälligen Augenblick der Darstellung betonen und das Augenmerk des Betrachters auf einzelne wichtige Punkte konzentrie- ren. Darstellungen des täg- lichen Lebens, wie die vielen Skizzen in Hokusais Manga, regten an, ebenso wie das In- einanderrücken von Ebenen zum Ausgleich für die in der japanischen Darstellungs- kunst fehlende Perspektive.
Auch mit Darstellungen in.
der Diagonale und mit Ver- gitterungen im Landschafts- raum gelang es den Japanern meisterhaft, eine räumliche Tiefe herzustellen. Sensatio- nen wie Regenböen, Sturm, Meereswellen, Wasserfälle, Abendleuchten sind ein häu- fig anzutreffendes Detail in japanischen Landschaftsdar- stellungen.
Nach japanischem Vorbild: Monets Garten in Giverny Nachhaltigen Einfluß auf die gesamte Entwicklung hat- ten nicht zuletzt die beiden, bedeutenden Händler japani- scher Holzschnitte in Paris, der Japaner Hayashi und der Deutsche Bing. Dazu kam noch eine Reihe exzellenter Holzschnitt-Ausstellungen in Paris in den 80er und 90er Jahren. Interessant ist viel- leicht auch, daß Monet sich in dieser Zeit in Giverny ei- nen Garten nach japani- schem Vorbild anlegte oder
daß einige bedeutende Maler wie Whistler, Monet, van Gogh nicht unbedeutende Holzschnitt-Sammlungen zu- sammentrugen. Das rapide steigende Interesse an japani- scher Kunst hatte natürlich auch zur Folge, daß der Han- del mit minderwertiger Ex- portware aus Japan florierte.
In der späten Meiji-Zeit wur- den in Japan speziell für den Export nach Europa und USA hergestellte Massenarti- kel produziert, die künstle- risch schlecht und verfäl- schend waren. Um dem ent- gegenzusteuern, veröffent- lichte Bing 1889/91 seine Zeitschrift „Le Japon Artisti- que" , und bei der Weltaus- stellung 1900 in Paris wurden von japanischer Seite wirk- lich erlesene Kunstgegen- stände aus der kaiserlichen Sammlung und aus buddhisti- schen Tempeln gezeigt. Nach 1900 nahm dann der Japonis- mus-Trend allmählich ab.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med.
Gerhard Pulverer Hygiene-Institut der Universität Köln Goldenfelsstraße 19-21 5000 Köln 41
Kunstauktionen in - Bern vom 15. bis zum 17. Juni
—Mehr als 1500 Katalognum- mern umfaßt das Angebot von Werken alter und moder- ner Meister vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Ge- genwart, das von der Berner Galerie Kornfeld vom 15. bis 17. Juni versteigert wird: Bil- der, Aquarelle, Zeichnun- gen, Skulpturen, illustrierte Bücher und Graphik. Neben den Schwerpunkten „Gra- phik und Handzeichnungen alter Meister" sowie „Mo- derne Kunst des 19. und 20.
Jahrhunderts" (zwei Katalo- ge) dürften auch zwei Samm- lungen, in Spezialkatalogen beschrieben, besonderes In- teresse finden: „Graphik von Ernst Ludwig Kirchner" so- wie „Hundert expressionisti- sche Kleinformate". Diese beiden Sonderauktionen fin- den am Freitag, dem 17. Ju- ni, statt. GK A-1766 (114) Dt. Ärztebl. 85, Heft 23, 9. Juni 1988