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it dem GKV-Gesundheitsre- formgesetz 2000 ist der Anwen- dungsbereich des Standardtarifs für Privatversicherte ausgeweitet wor- den. Der Standardtarif wurde zugleich bereits zum 1. Januar 2000 in der Amtli- chen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in Form einer Gebührenbe- grenzung für Ärzte berücksichtigt. Seit diesem Zeitpunkt gilt der neu einge- führte § 5 b GOÄ, der Ärzte verpflich- tet, Standardtarifversicherte zu redu- zierten Gebührensätzen zu behandeln.Die Vorschrift des § 5 b begrenzt die Höhe der ärztlichen Liquidation für Leistungen von Standardtarif-Versi- cherten bei Laborleistungen auf den 1,1fachen Gebührensatz, bei Leistun- gen nach den Abschnitten A, E und O des Gebührenverzeichnisses (überwie- gend medizinisch-technische Leistun- gen) auf den 1,3fachen Gebührensatz und bei den übrigen Leistungen auf den 1,7fachen Gebührensatz. Mit dieser Be- grenzung wird erreicht, dass ärztliche Leistungen für Standardtarifversicher- te vollständig von den privaten Kosten- trägern erstattet werden und damit Selbstbehalte in der Regel entfallen.
Der Versicherte, der für sich die Be- grenzung der Liquidation in Anspruch nehmen will, muss sich dem Arzt ge- genüber ausweisen. Dazu soll ein von der privaten Krankenversicherung für diesen Tarif ausgestellter Versiche- rungsausweis dienen. Inwieweit der Arzt bei der Höhe seiner Liquidation an Bedingungen des Standardtarifs ge- bunden ist – auch ohne Kenntnis des Versicherungsstatus eines Standardta- rifversicherten –, ist rechtlich umstrit- ten. Deshalb ist es empfehlenswert, dass der Patient in der Praxis nach sei- nem Versicherungsstatus befragt und dieser schriftlich in den Patientenunter- lagen festgehalten wird.
Der Tarif entspricht in seinem Lei- stungsniveau dem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Damit
entspricht auch der Leistungskatalog für den Standardtarifversicherten in et- wa dem GKV-Leistungskatalog. Ge- setzlich gefordert ist allerdings nur die Vergleichbarkeit der Leistungen und keine vollständige Deckungsgleichheit.
Der Beitrag ist gesetzlich begrenzt auf den durchschnittlichen Höchstbeitrag der Gesetzlichen Krankenversicherung (zurzeit 870,75 DM im Westen; im Osten 740 DM). Der Standardtarifver- sicherte ist im Krankenhaus Regellei- stungspatient, das heißt, er verzichtet mit dem Wechsel in den Standardtarif auf die Wahlleistungen im Kranken- haus.
Nur geringer Zuspruch
Auf der Grundlage der früheren Ge- setzesregelung zum Standardtarif (§ 257 Abs. 2 a SGB V) haben von den insgesamt sieben Millionen privat ver- sicherten Personen nur 1 059 (Stand:
31. Dezember 1997) den Standardtarif gewählt. Der anspruchsberechtigte Per- sonenkreis war begrenzt auf Privatver- sicherte, die das 65. Lebensjahr vollen- det hatten und über eine mindestens zehnjährige Vorversicherungszeit in ei- ner Vollversicherung verfügten. Die Einkommensverhältnisse des Versi- cherten spielten dabei keine Rolle; al- lerdings sollte die Attraktivität des Ta- rifs dadurch eingeschränkt werden, dass für die Krankenhausbehandlung entsprechend der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nur die Regelleistung und keine Wahl- leistung beinhaltet ist. Darauf gerichte- te Zusatztarife waren ausgeschlossen, sodass sich hieraus das bisher begrenz- te Interesse an diesem Tarifangebot er- klärt.
Die bisherige gesetzliche Regelung zum anspruchsberechtigten Personen- kreis wurde zum 1. Juli 2000 ergänzt.
Begründung hierfür ist unter anderem
die Regelung des GKV-Gesundheitsre- formgesetzes, die eine Rückkehr von der PKV in die GKV ab dem vollende- ten 55. Lebensjahr (zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit) nicht mehr ermög- licht. Um diesen in der GKV gesetzlich versicherungsfreien und damit nur in der PKV versicherbaren Personen Schutz vor sozial unvertretbaren Bei- tragsbelastungen zu geben, wurde der brancheneinheitliche Standardtarif mit Wirkung zum 1. Juli 2000 gesetzlich aus- geweitet. Anspruchsberechtigter Per- sonenkreis:
❶Versicherte Personen ab vollende- tem 55. Lebensjahr, wenn sie minde- stens zehn Jahre einen substitutiven Versicherungsschutz (Vollkostenversi- cherung) hatten und ihr jährliches Ge- samteinkommen die Jahresarbeitsent- geltgrenze nicht übersteigt; dabei sind Ehegatten unter Anhebung des Versi- cherungsbeitrags auf 150 Prozent des Höchstbeitrages der GKV einbezogen, wenn beider Gesamteinkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht über- steigt (Jahresarbeitsentgeltgrenze = Beitragsbemessungsgrenze: in den al- ten Bundesländern zurzeit 77 400 DM pro Jahr, in den neuen Bundesländern 63 900 DM pro Jahr.
❷Versicherte Personen ab vollende- tem 65. Lebensjahr unter den gleichen Bedingungen, jedoch ohne Einkom- mensbegrenzung für sich (bisheriger Personenkreis – Altregelung), aber nunmehr mit Einkommensbegrenzung, wenn der Ehegatte mitversichert wird.
❸Versicherte Personen, die An- spruch auf Beihilfe nach beamtenrecht- lichen Grundsätzen haben, werden den oben genannten Personengruppen gleichgestellt; das heißt, sie sind unter den gleichen Voraussetzungen an- spruchsberechtigt, wobei Familienan- gehörige, die in der GKV mitversichert wären, einbezogen sind.
Mit der Neuregelung zum Stan- dardtarif ist damit ein eigener beihilfe- P O L I T I K
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A2204 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000
Gebührenordnung für Ärzte
Erweiterter Standardtarif seit 1. Juli
Reduzierte Gebührensätze für bestimmte Personengruppen
P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000 AA2205
konformer Standardtarif geschaffen worden. Er berücksichtigt, dass Beamte einen Beihilfeanspruch haben und nur einen prozentualen Anteil nach Abzug dieses Beihilfeanspruchs privat versi- chern müssen.
❹Unabhängig vom Lebensalter können Frührentner und Frühpen- sionäre, die in der gesetzlichen Renten- versicherung rentenberechtigt sind und den Rentenantrag gestellt haben, oder Ruhegehaltsempfänger nach zehnjähri- ger Vorversicherungszeit in den Stan- dardtarif wechseln, wenn ihr Einkom- men unter der Bemessungsgrenze liegt, wobei Familienangehörige, die in der GKV mitversichert wären, einbezogen sind.
❺Beamte mit besonderen Risiken (Vorerkrankungen, Behinderungen
usw.), die sonst in der PKV einen Risi- kozuschlag zahlen müssten oder ganz abgelehnt werden würden, sind eben- falls anspruchsberechtigt. Bei ihnen entfallen die weiteren Voraussetzun- gen, die Vorversicherungszeiten, Al- ters- und Einkommensgrenzen; aller- dings müssen sie innerhalb bestimmter Fristen den Standardtarif annehmen.
Der Verband der privaten Kranken- versicherung e.V. teilte mit, dass für die- sen Personenkreis innerhalb der ersten sechs Monate nach Verbeamtung ein Annahmezwang zur Aufnahme in den Standardtarif besteht und dass noch GKV-versicherte Beamte, die in der PKV einen Risikozuschlag zahlen müss- ten, oder aus Risikogründen ganz abge- lehnt werden würden, ohne Altersbe- grenzung befristet bis zum 31. Dezem-
ber 2000 ohne Risikozuschlag in den Standardtarif der PKV wechseln kön- nen.
Angehörige der genannten Perso- nen, die in der GKV beitragsfrei mit- versichert wären, können ebenfalls in den Standardtarif wechseln.
Eine politische Wertung der Rege- lungen zum Standardtarif ist im Deut- schen Ärzteblatt, Heft 5 vom 4. Februar 2000, erfolgt. In diesem Artikel ist zum Personenkreis der Anspruchsberechtig- ten des Standardtarifs eine Korrektur erforderlich. Nur Beamte mit ungünsti- gem Risoko (Behinderungen) können ohne Vorversicherungszeit und ohne Berücksichtigung des Gesamteinkom- mens den Standardtarif wählen (siehe Kasten im genannten Artikel – letzter Absatz). Renate Hess,Bundesärztekammer
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ie bekannteste Deklaration des Weltärztebundes (World Medical Association, WMA) ist wohl die 1964 beschlossene Deklaration von Helsinki. Dieses Dokument beschäftigt sich mit der ärztlichen Berufsauffas- sung zur medizinischen Forschung am Menschen. Zwar ist die Deklaration weder völkerrechtlich noch sonst recht- lich aus sich heraus verbindlich; den- noch ist ihr Einfluss auf die ärztliche Ethik und auf nationale Regelungen zur medizinischen Forschung am Men- schen unbestritten. Die Regeln werden in fast jedem Land der Welt angewandt – außer in den USA. Auch in Deutsch- land haben die beratenden Ethikkom- missionen ihre Entscheidungen auf der Grundlage der Deklaration von Helsin- ki zu treffen.Doch dieses Dokument steht jetzt zur Disposition. Auf der diesjährigen Generalversammlung der WMA im Oktober in Edinburgh wird nämlich möglicherweise eine Novellierung der
Deklaration von Helsinki beschlos- sen. Es ist zu befürchten, dass durch die geplan- te grundlegende Revision, zu der ausgerechnet die American Medical Association (AMA) den Anstoß gegeben hat, wesentliche ethische Standards unterschritten wer- den.
Erfordernis des
„informed consent“
Zu den wichtigsten Prinzipien der De- klaration gehören das Erfordernis des
„informed consent“, die Unterschei- dung zwischen therapeutischer und nichttherapeutischer Forschung am Menschen und der besondere Schutz
von Nichteinwilli- gungsfähigen. Au- ßerdem ist der Forscher ver- pflichtet, biome- dizinische Ver- suche am Men- schen von einer Ethikkommission prüfen zu lassen. Da- bei sieht die Deklarati- on vor, dass die „Planung und Durchführung eines jeden Versuches am Menschen in einem Ver- suchsprotokoll niedergelegt werden sollte, welches einem besonders berufe- nen, vom Forschungsteam und Sponsor unabhängigen Ausschuss zur Beratung, Stellungnahme und Orientierung vor- gelegt werden sollte. Dabei wird davon ausgegangen, dass dieser Ausschuss gemäß den Gesetzen oder Bestimmun- gen des Landes, in welchem der Ver- such durchgeführt werden soll, aner-
kannt ist.“ ✁
Medizinische Forschung am Menschen
Abkehr von einheitlichen Standards
Der Weltärztebund beschließt im Oktober möglicherweise
eine Novellierung der Deklaration von Helsinki.
Bereits mehrfach wurde die ur- sprüngliche Fassung geändert. Die heu- te geltende Version geht im Wesentli- chen auf die Novellierung durch den Weltärztekongress in Tokio im Jahr 1975 zurück. Eher kleinere Änderun- gen wurden zuletzt 1996 in Somerset West (Südafrika) beschlossen.
Eine völlige Neufassung der Dekla- ration von Helsinki schlug die AMA unter Federführung von Prof. Dr.
Robert J. Levine, Yale, vor. Die geplan- te Novellierung sah unter anderem vor, dass keine Unterscheidung mehr zwi- schen therapeutischer und nichtthera- peutischer Forschung gemacht werden sollte. Wissenschaftliche Versuche an Nichteinwilligungsfähigen sollten mög- lich werden.
Eingehende Erörterungen über die- sen Entwurf endeten 1998 mit dem Be- schluss des Weltärztebundes, Änderun- gen nur insoweit vorzunehmen, als sie durch die Weiterentwicklung der medi- zinischen Wissenschaft geboten seien.
Bei der Sitzung des Vorstandes in San- tiago de Chile 1999 legte Levine einen nahezu unveränderten Entwurf vor, der nach längerer Debatte zurückgezogen wurde.
Die Sorge um die Versuchsperson
Die WMA beauftragte eine US-ameri- kanische, eine kanadische und eine finnische Ärztin mit der Bearbeitung der Deklaration unter Wahrung der bestehenden Grundsätze und unter Beachtung von Änderungsvorschlä- gen der Mitgliedsorganisationen. Die Generalversammlung in Tel Aviv legte einen Zwischenbericht vor und for- derte die Mitgliedsorganisationen er- neut auf, konkrete Vorschläge für eine Revision der Deklaration zu un- terbreiten. Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte bereits einen „Vorschlag für eine Überarbeitung der Deklarati- on des Weltärztebundes von Helsinki“
vorgelegt.
In diesem Vorschlag, der vorwie- gend auf der bisher geltenden Fassung basiert, wird ausdrücklich zwischen Versuchen unterschieden, „die im We- sentlichen im Interesse des Patienten liegen, und solchen, die mit rein wis-
senschaftlichem Ziel ohne unmittelba- ren diagnostischen oder therapeuti- schen Wert für die Versuchsperson sind“. Die Sorge um die Versuchs- person müsste stets ausschlaggebend sein im Vergleich zu den Interessen der Wissenschaft und der Gesell- schaft.
„Weltweite Akzeptanz“
Bei jedem Versuch am Menschen müs- se „die Versuchsperson ausreichend über Absicht, Durchführung, erwarte- ten Nutzen und Risiken des Versuches sowie über möglicherweise damit ver- bundene Störungen des Wohlbefindens unterrichtet werden“. Nach dieser Auf- klärung sollte der Arzt die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ein- holen.
Versuche an nicht voll geschäftsfähi- gen Menschen sollten nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich sein. Die Standards seien als „Leitlinie für die Ärzte auf der ganzen Welt ge- dacht“; kein Arzt sei von der straf-, zi- vil- und berufsrechtlichen Verantwor- tung seines Landes befreit, heißt es in dem Entwurf der Bundesärztekammer, dessen Grundlage das so genannte Göt- tinger Papier war, das die Ergebnisse ei- nes Internationalen Symposiums in Helsinki aus dem letzten Jahr festhält.
Danach hatte sich die Deklaration von Helsinki „im Grundsatz bewährt und weltweite Akzeptanz gefunden“. Not- wendig sei keine völlige Neukonzepti- on, sondern seien nur einzelne Korrek- turen und Änderungen.
Von dem Entwurf der BÄK hat die Arbeitsgruppe, die im Mai auf der Vor- standssitzung des Weltärztebundes in Divonne-les-Baines eine Neufassung vorlegte, allerdings so gut wie nichts berücksichtigt. In dem im Juli überar- beitet vorgelegten Entwurf sollen künf- tig die Begriffe „Risiko“ anstelle von
„Zwischenfall“ und „medizinische For- schung“ anstelle von „biomedizinische Forschung“ verwendet werden. Außer- dem wird eine Änderung der Struktur vorgesehen. Es sind nur noch zwei Ka- pitel geplant: Grundprinzipien für „je- de medizinische Forschung“ und „Me- dizinische Forschung im Zusammen- hang mit ärztlicher Versorgung“. Diese
Änderungsvorschläge wurden von der Mehrheit des Vorstandes mit knappen Mehrheiten akzeptiert. Zahlreiche wei- tere geplante Novellierungen stießen jedoch teilweise auf scharfe Kritik. So werden beispielsweise die Termini „hu- man beings“, „subjects“ und „patients“
ohne erkennbare Ordnung und ohne klare Definition angewandt.
Zu den gravierenden, mit der Mehr- heit von nur einer Stimme angenomme- nen Veränderungen gehört nach wie vor der Verzicht auf die Unterschei- dung zwischen therapeutischer und nichttherapeutischer Forschung. Die Einholung des „informed consent“
bleibt im Wesentlichen unverändert.
Für die medizinische Forschung soll al- lerdings künftig als Rechtfertigungs- grund ein möglicher Nutzen für den be- troffenen Patienten nicht mehr zwin- gend vorgeschrieben werden. Dadurch kündigt sich ein Wandel vom individu- ellen Nutzen zum „sozialen Benefit“ als ausschließlichem Rechtfertigungsgrund für jede Forschung an.
Prüfung der Anwendbarkeit
Bis zum 7. August konnten die Mit- gliedsorganisationen den Entwurf über- prüfen und Änderungsvorschläge ein- bringen. Falls die geplante Novellie- rung im Oktober beschlossen werden sollte, muss in jedem Mitgliedsland ge- prüft werden, ob die Deklaration an- wendbar ist oder nicht. Bereits bei dem von Levine vorgelegten Entwurf hatten einige Ethikkommissionen in Deutsch- land beschlossen, ihn nicht anzuwen- den. Auch der im Oktober zur Schluss- abstimmung stehende Entwurf scheint den Ethikkommissionen nicht akzep- tabel zu sein. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Medizinischer Ethik- kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld, sagte: „Der Vorstand des Arbeitskreises sieht den vorliegenden Entwurf kritisch und bezweifelt, dass die Ethikkommissionen in Deutschland eine derartige Deklaration anwenden würden.“
Der Weltärztebund hat ein Diskussi- onsforum eingerichtet unter www.wma.
net. Gisela Klinkhammer
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A2206 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 34–35½½½½28. August 2000