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Archiv "Glanz und Elend klinischer Großstudien" (14.01.1987)

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ff 3

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Glanz und Elend

klinischer Großstudien

Ortwin F. Schäfer

Mit einem Kommentar von Frederick H. Epstein Die Medizin wird

ebenso wie die Quantenmechanik von dem Prinzip

„Störung" be- herrscht. Die ex- akte Bestimmung irgendeiner Varia- blen schränkt zwangsläufig die Determinierbar- keit anderer, in- kompatibler Para- meter ein. Damit wird verständlich, warum klinische

Großstudien die von ihnen erwar- teten Antworten zum Teil schuldig bleiben müssen.

Ohne sogenannte klini- sche Großstudien, das heißt ohne die Zusammenarbeit vie- ler Institutionen mit naturge- mäß kleinen individuellen Un- terschieden, wäre der Fort- schritt der Arzneimittelbe- handlung heute nicht mehr denkbar. Dem Wohl der Kran- ken kann nicht besser gedient werden, als mit möglichst we- nig Fällen in möglichst kurzer Zeit zu einem zuverlässigen.

Urteil über ein neues Medika- ment, vor allem in sogenann- ten Phase-III-Studien, zu kom- men. Da heute aus ethischen Gründen der Vergleich ganz überwiegend gegen eine be- währte Standardtherapie, nur bei rein subjektiven Erschei- nungen oder Veränderungen gegen ein sogenanntes Placebo durchgeführt wird, ist die Zahl

der erforderlichen Fälle größer geworden, weil für die meisten Krankheiten und Präventionen bereits bewährte Methoden zur Verfügung stehen. Wäh- rend es zu den Gepflogen- heiten des Deutschen Ärzte- blattes gehört, gerade in der Praxis tätigen Kollegen nur ei- ne für uns für richtig gehaltene Behandlung zu empfehlen, ha- ben wir zu dem beachtenswer- ten Beitrag von Dr. Schäfer ei- nen Kommentar des interna- tional weithin bekannten Epi- demiologen Professor Dr. F.

H. Epstein erbeten — einer- seits, um einer einseitigen Un- terrichtung zu begegnen, ande- rerseits, damit sich die Kolle- gen ein eigenes Urteil über die immer mehr zunehmenden so- genannten Großstudien bilden können. Rudolf Gross

K

linische Großstudien werfen erfahrungsgemäß mehr Fragen auf, als sie zu beantworten vermögen.

Darüber hinaus sind sie, wie jüngst die LRC-CPPT-Studie (Lipid Re- search Clinics Coron.ary Primary Prevention Trial) wieder einmal ein- drucksvoll unter Beweis gestellt hat, Gegenstand heftigster Kritik und nicht enden wollender Diskussio- nen. Das Aition, die tiefere Ursache hierfür:

Mit den Regeln der klassischen Logik kann man bei der Behandlung komplexer Systeme — und mit sol- chen Systemen hat es die Medizin im allgemeinen zu tun — Schiffbruch er- leiden. Lebende Organismen sind

dadurch gekennzeichnet, daß die zu einer bestimmten Struktur gehören- de Funktion ebenfalls eine gewisse Struktur aufweist. Dieser Funktions- struktur kann häufig wiederum eine Funktion zugeordnet werden usw.

Als Beispiel sei die zirkadiane Rhythmik der Kortisol-Ausschüt- tung durch die Nebennierenrinde angeführt.

Der rhythmischen Zeitstruktur der Funktion Hormonsekretion kommt eine wichtige Funktion zu:

sie dient der Anpassung der organis- mischen Aktivität an den Wechsel von Tag und Nacht, indem das Glu- kokortikoid tageszeitabhängig Stoff- wechselvorgänge regelt. Je mehr A-88 (40) Dt. Ärztebl. 84, Heft 3, 14. Januar 1987

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Strukturen, Funktionen und Funk- tionsstrukturen in einem System miteinander verknüpft, verflochten und verwoben sind, um so höher ist dessen Komplexitätsgrad. Mit stei- gender Komplexität wird es immer schwieriger, bestimmte Parameter

eines Systems zu manipulieren, ohne daß andere Größen zum Teil erheb- liche und unvorhersehbare „Störun- gen" erfahren. Dies hat eine weit- reichende Konsequenz: Komplexe Systeme und Phänomene sind nicht vollständig determinierbar und dem- zufolge auch nicht vollständig be- schreibbar.

In der Quantenmechanik liegt mit Blick auf die Heisenbergsche Unschärferelation eine analoge Si- tuation vor. Beispielsweise lassen sich wegen des Prinzips „Störung`

und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau messen.

Die nicht vollständige Determi- nierbarkeit komplexer Systeme läßt sich an einer klinischen Studie auf- zeigen. Daß eine bestimmte Anzahl von Patienten mit erhöhten Chole- sterin-Werten von einer lipidsenken- den Medikation profitiert, steht auf- grund der LRC-CPPT-Studie zwei- felsfrei fest. Hingegen muß die Fra- ge offenbleiben, in welchem Ver- hältnis der vorhandene Nutzen zu all den Risiken steht, welche das ge- samte medikamentös behandelte Pa- tientenkollektiv eingehen mußte.

Wie wichtig dieser Gesichtspunkt ist, belegt die berühmte MRFIT- Studie (Multiple Risk Factor Inter- vention Trial). Danach wies die Pa- tientengruppe mit leichter Hyperto- nie und koexistenten EKG-Anoma- lien unter der antihypertensiven Therapie eine höhere Mortalitätsra- te als die Kontrollen auf.

Da bei jeder Therapie neben der erwünschten Wirkung auch

„Störungen" in Form von weiteren, erwünschten und unerwünschten Ef- fekten auftreten, müssen in der Me-

dizin - ebenso wie in der Quanten- mechanik - Variablen existieren, welche so miteinander verbunden sind, daß eine genaue Kenntnis der einen Größe mit einer entsprechen- den Unkenntnis der anderen einher- geht. Solche Variablen werden in

der Physik als „inkompatibel - be- zeichnet.

Der Begriff „Störung" kann in diesem Zusammenhang gar nicht weit genug gefaßt werden. Ein kon- kretes Beispiel: Im Rahmen der MRFIT-Studie wurde die eine Gruppe infarktgefährdeter Männer einem strengen Regime von Präven- tivmaßnahmen unterworfen. Dem- gegenüber wurde die gleich große Kontrollgruppe von Risikopatienten mit gängigen Rezepten und Rat- schlägen vom Hausarzt bedacht.

Das Ergebnis ließ keinen besonde- ren Nutzen der Intensivprophylaxe erkennen. Eine mögliche Ursache für diesen unerwarteten Befund: ei- ne „Störung" des Versuchsablaufes in der „Hausarzt-Gruppe" . Es muß nämlich davon ausgegangen werden, daß nicht wenige dieser Patienten - nachdem sie über Sinn und Zweck der Studie aufgeklärt worden waren - ihren hohen Risikostatus durch Änderung ihrer Lebensgewohn- heiten zu beeinflussen versuchten, um auf diese Weise ein ihrer Mei- nung nach vorhandenes therapeuti- sches Defizit zu kompensieren.

Nicht zuletzt aufgrund unserer Ausbildung sind wir gewohnt, uns beim rationalen Denken der klassi- schen Logik zu bedienen. Dabei wird jedoch ganz allgemein überse- hen, daß nur kompatible Größen klassisch-logisch miteinander ver- knüpft werden dürfen. Ist diese Vor- aussetzung nicht erfüllt, muß man, wie in der Quantenmechanik, auf die Quantenlogik zurückgreifen.

Im Gegensatz zur klassischen Logik mit ihren unerbittlichen Ent- weder-oder-Entscheidungen bezieht

die Quantenlogik eher dem Wesen der Komplementarität entsprechen- de Sowohl-als-auch-Positionen. Sie verzichtet daher auf die Frage, ob ei- ne Lipidsenkung sinnvoll ist oder nicht, sondern versucht, denjenigen Personenkreis einzugrenzen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dieser Maßnahme einen Nutzen zieht.

Damit wird verständlich, warum bei klinischen Großstudien die eine oder andere Frage unbeantwortet bleiben muß. Studien dieser Art können dem Arzt keine Patentre- zepte an die Hand geben. Sehr wohl aber vermögen sie ihm die Entschei- dung darüber zu erleichtern, wel- ches Therapie-Konzept für einen in- dividuellen Patienten und seine Krankheit optimal sein dürfte.

Literatur

1. The Lipid Research Clinics Coronary Pri- mary Prevention Trial Results, JAMA 251 (1984) 351-364, 365-374

2. Multiple Risk Factor Intervention Trial.

Risk Factor Changes and Mortality Results, JAMA 248 (1982) 1465-1477

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. nat. Ortwin F. Schäfer Philippsbergstraße 27

6200 Wiesbaden

_Kommentar

Kritik am

quantenmechanischen Ansatz zur Beurteilung

klinischer Großstudien

Interventionsstudien in bezug auf die Verhütung der vorzeitigen koronaren Herzkrankheit scheinen heutzutage eine beliebte Zielscheibe für Angriffe zu sein. Zuerst ist es wichtig, die Tatsachen festzuhalten.

Vermutlich als Beispiel für „Glanz`

die Lipidsenker-(LRC-CPPT-) Studie angeführt, als Beispiel für

„Elend" die MRFIT-Studie. Sogar das Glanzbeispiel sei „Gegenstand heftigster Kritik und nicht enden wollender Diskussion" . Demge- genüber ist zu sagen, daß die LRC- Studie von berufener Seite keiner

pir

Die Variablen in klinischen Studien sind nicht kompatibel

und daher für klassisch-logische Ven<nüpfungen unbrauchbar.

Dt. Ärztebl. 84, Heft 3, 14. Januar 1987 (41) A-89

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