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A1136 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 17½½27. April 2001
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enn ein Junge gebo- ren war, so ein alter Brauch, sägte der Va- ter einigen Kiefern die Kro- nen ab. In den zwei bis drei Jahrzehnten, bis der Sohn heiratete und Bau-holz für sein Haus benötigte, konser- vierte sich der ge- kappte Stamm von selbst: Das Harz trieb in ihm nach oben; die Bretter, zu denen er zer- schnitten wurde, waren also nahezu frei von harzigen Stellen. Solches Holz hatte noch weitere Vorteile: Es eignete sich ganz vorzüglich zur Her- stellung von Mö-
beln, auf die man sich setzen und legen konnte – ohne har- zige Flecke in Hose oder Bett- linnen zu bekommen.
In solchem Holz entstehen auch so gut wie keine Risse mehr. Das ermöglicht, aus ei- nem einzigen Stück auch große Gegenstände herauszu- arbeiten, die man sonst aus einzelnen Teilen zusammen- leimen müsste, den kubbestol etwa; ein solcher Sessel, rund- um mit Schnitzereien verziert, prunkt im Speisezimmer der Villa Troldhaugen, dem ehe- maligen Wohnhaus von Ed- vard Grieg, die komplett aus Holz erbaut ist, am Stadtrand der ehemaligen Hansestadt Bergen. Einheimische Möbel- industrie hat seit Jahrzehnten den Trend zu soliden Massiv- holzmöbeln geprägt und wei- terentwickelt.
Überlieferte
Handwerkstechniken
In welcher Vielfalt Holz den Alltag und das Kulturbewusst- sein der Norweger bestimmt, lässt sich beispielhaft und ein-
drucksvoll auf Ullinsvin am Ostrand von Vagamo erleben.
Dieser Hof im oberen Gud- brandsdal, wo auf trockenem Boden langsam wachsende Kiefern gutes Holz ergeben, ist seit fast 800 Jahren be- wohnt und liegt einen halben Fahrtag nördlich von Oslo.
Heute dient er mehr oder we- niger als „Workshop“, weil dort die überlieferten Hand- werkstechniken Besuchern
demonstriert werden. Um den rechteckigen Gutshof stehen Blockhäuser, jedes hat eine bestimmte Funktion: als La- ger für Lebensmittel und Gerät, als Werkstatt und Schneiderei oder, erfüllt von besonderer Betriebsamkeit, als Schreinerei, in der auch gedrechselt und geschnitzt wird. Der Holzschnitzer wer- kelt unverdrossen an der Fuß- zier eines Stuhles, während
seine Frau den Gästen Arbeit und Gegenstände erläutert.
Die Motive der Schnitzerei- en, die viele Gebrauchs- zu Kunstgegenständen machen, sind seit Generationen in lan- gen Wintern eingeübt wor- den. Die kunstvoll gefertigten Holzgefäße, genannt Röm- megröt, stehen heute auf oder neben dem Fernseh- gerät in weiträumigen Wohn- zimmern.
Norwegischer Sakralbau in Holz Die Epoche des norwegi- schen Sakralbaus in Holz verdient noch heute höchste Bewunderung. Von den einst etwa 800 Stabkirchen sind gerade noch 30 übrig geblieben. Wäh- rend Blockhäuser aus waagerecht liegenden Balken bestehen, ist das Konstruktionsele- ment der stavkirke der senkrecht gestell- te Ständer, der stav.
In mühseliger Arbeit sägte man aus Got- tesfurcht dazu Bret- ter in zweistöckigen Sägewerken. Block- hausbau wäre einfa- cher und billiger ge- wesen. Zwischen den Eckpfeilern schlossen Planken die Wände, Giebel wurden von Andreaskreuzen ge- halten. Die älteste dieser Kirchen ent- stand Anfang des 11. Jahr- hunderts, gerade in der End- zeit der Wikinger. Bei Sturm ächzt und knarrt die Stab- kirche in allen Fugen. Sie scheint sich im Wind zu wiegen. In ihrer elastischen Statik erlaubt sie den Ver- gleich mit dem Wikinger- schiff – und das ist unter Ken- nern noch immer die tragen- de Säule norwegischer Holz- baukunst. Rainer W. Hamberger Feuilleton
Hütten, Blockhäuser und Design von Gebrauchsgegenständen
werden in Norwegen auch heute vornehmlich im Umgang mit Holz geschaffen.
Holzbau
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An einer Tür im Frei- lichtmuseum in Lille- hammer/Gudbrands- tal wird gezeigt, wie man mittels beson- ders gewachsener Hölzer Belastungsfra- gen löste. Die kom- plette Konstruktion ist aus Holz. Das Schloss wurde erst in jüngster Zeit ange- bracht.
In der Stabkirche von Torpo (gebaut etwa 1150 n. Chr.) zeigt sich die geniale Statik mit- tels Verbindungen zwischen den tragenden Pfeilern. Fotos: Rainer W. Hamberger