A 762 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 15|
13. April 2012 mussten über einen endotrachealenTubus beatmet werden, Anfallsrezi- dive traten bei 11,4 % (Midazolam) und 10,6 % (Lorazepam) auf. Die i.m.-Gabe beschleunigte auch die Notfallbehandlung: Bei den Patien- ten, die anfallsfrei in die Notauf- nahme kamen, waren zwischen An- kunft der Sanitäter und Applikation von Midazolam im Mittel 1,2 Mi- nuten vergangen, bei Lorazepam hatte es mit 4,8 Minuten viermal so lange gedauert. In Bezug auf die an- schließende Zeit bis zum Sistieren der Anfälle war allerdings Loraze- pam schneller als Midazolam (1,6 vs. 3,3 Minuten). Keine Unterschie- de gab es bei den Nebenwirkungen.
Fazit: Intramuskulär verabreichtes Midazolam ist bei Patienten im Sta-
tus epilepticus mindestens so sicher und wirksam wie intravenös gege- benes Lorazepam.
Im begleitenden Editorial wird mit dieser Studie eine grundsätzli- che Änderung der präklinischen Behandlung von Patienten im Sta- tus epilepticus gesehen, sofern in absehbarer Zeit ein Autoinjektor für Midazolam verfügbar wird. Dieser Applikationsform sei wegen der größeren Zuverlässigkeit auch der Vorzug vor nasalen oder bukkalen Galeniken zu geben. Letztere wie- derum hätten eine Zukunft in der Prophylaxe eines Status epilepticus.
Josef Gulden
Silbergleit R, Durkalski V, Lowenstein D, et al.:
Intramuscular versus intravenous therapy for prehospital status epilepticus. N Engl J Med 2012; 366: 591–600.
Die bei der Aufmerksamkeitsdefi- zit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) angewandten Stimulanzien können Blutdruck und Herzfrequenz erhö- hen. Auch Spätkomplikationen der Therapie bis hin zu plötzlichen To- desfällen sind bekannt. Daher wur- de in einer großen Kohortenstudie retrospektiv die Frage der kardio- vaskulären Sicherheit untersucht.
Für die von der US-amerikani- schen Agency for Healthcare Re- search and Quality und der FDA fi- nanzierten Studie wurden die Daten von mehr als 1,2 Millionen Kindern
und jungen Erwachsenen im Alter von 2 bis 24 Jahren aus Versiche- rungsunterlagen ausgewertet. Die Analyse umfasste 2 579 104 Perso- nenjahre, davon 373 667 unter ADHS-Medikation (Methylpheni- dat, Dexmethylphenidat, Dexam - phetamin, Amphetamin, Atomoxe- tin, Pemolin). Verglichen wurde die Häufigkeit schwerer kardiovaskulä- rer Ereignisse (plötzlicher Herztod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) von Kindern und jungen Erwachsenen mit und ohne ADHS-Medikation.
Insgesamt traten in der Kohorte 81 schwere kardiovaskuläre Ereignisse auf (33-mal plötzlicher Herztod, 9 Herzinfarkte, 39 Schlaganfälle), was einer Häufigkeit von 3,1 Ereig- nissen auf 100 000 Personenjahre entspricht. Patienten, die ADHS- Medikamente einnahmen, hatten kein erhöhtes Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (adjus- tierte Hazard Ratio 0,75). Das kar- diovaskuläre Risiko lag damit um ein Viertel niedriger als bei gleich- altrigen Teilnehmern, die keine ADHS-Medikamente eingenommen hatten, allerdings war das Konfi- denzintervall weit: 0,31–1,85. Auch verschiedene Subgruppenanalysen
ergaben keine eindeutigen Hinwei- se auf ein erhöhtes kardiovasku - läres Risiko unter ADHS-Medika- tion. Trotz der hohen Patientenzahl lässt sich aufgrund der geringen Ereignisrate statistisch nicht aus- schließen, dass die Ereignisrate un- ter ADHS-Medikation doch etwas steigt, das absolute Risiko wäre jedoch sehr gering.
Fazit: Bei der Behandlung von Kin- dern und Jugendlichen mit ADHS kommt es durch die Medikation nur sehr selten zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Die bislang gelten- den Vorsichtsmaßnahmen zur The- rapie sollten jedoch unbedingt be- achtet werden.
Prof. Dr. med. Veit Roeßner, Di- rektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Dresden, kom- mentiert: „Die Behandlung von ADHS mit Stimulanzien gehört zu den bestuntersuchten medikamen- tösen Therapien bei Kindern und Jugendlichen, sie werden seit meh- reren Jahrzehnten klinisch ange- wandt, mit rascher und guter Wirk- samkeit.“ Zudem seien kurz-, mit- tel- und langfristige unerwünschte Effekte – trotz immer wieder geäu- ßerter entsprechender Vermutungen – relativ selten oder nur vorüberge- hend. Für neuere Substanzen wie Atomoxetin ergebe sich ein ähnlich positives Bild, allerdings auf Grundlage von weniger Daten.
Die US-amerikanische Zulas- sungsbehörde weist aufgrund der Studienergebnisse nochmals auf die Kontraindikationen hin: Die ADHS-Medikamente sollten nicht bei Patienten mit schweren Herz- krankheiten angewandt werden (2).
Auch Patienten, für die ein Blut- druckanstieg unter der Therapie problematisch wäre, sollten diese Arzneimittel nicht erhalten. Die FDA rät zudem zu regelmäßigen Kontrollen von Herzfrequenz und Blutdruck. Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
1.Cooper W, Habel LA, Sox CM, et al.: ADHD drugs and serious cardiovascular events in children and young adults. N Engl J Med 2011; 365: 1896–904.
2. FDA Drug safety communication vom 11.
November 2011: www.fda.gov/Drugs/Drug Safety/ucm277770.htm
SICHERHEIT VON ADHS-MEDIKAMENTEN
Das kardiovaskuläre Risiko ist offenbar gering
GRAFIK
Rate schwerer kardiovaskulärer Nebenwirkungen unter ADHS-Medikation
Adjustierte Rate pro 100 000 Personenjahre
keine frühere derzeitige ADHS-Medikation
modifiziert nach: N Engl J Med 2011; 365: 1896–904