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Archiv "Alt oder Kölsch: Eine Frage der Ideologie" (03.03.2000)

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laubt man den Kabaret- tisten Jürgen Becker und Konrad Beikircher, so ist der Genuss von Altbier eine der schlimmsten Erfah- rungen, die man als Kölner machen kann. Umgekehrt gibt es aus Düsseldorfer Sicht, etwa von den „Toten Hosen“, Aussagen, die glei- ches vom Kölsch behaupten.

Der Gegensatz zwischen den beiden rheinischen Metropo- len findet seine Ausprägung also auch im Biergeschmack.

Ganz unbestreitbar gehört Kölsch, neben dem Karneval, dem Dom und dem Hännes- chen Theater, zu den wichtig- sten stadtkölnischen Iden- titätsträgern. Der Kölner trinkt Kölsch und nichts an- deres. Außerdem legt er Wert darauf, dass sein Bier in der Stadt selbst gebraut wird.

Gelungenes Marketing

Einem Urteil des Ober- landesgerichts Köln aus dem Jahr 1980 zufolge darf Kölsch

„in der Regel“ nur in Köln ge- braut werden. Rheinisch-sa- lomonisch fügten die Richter jedoch hinzu, dass in Ausnah- mefällen Kölsch sehr wohl auch außerhalb der Kölner Stadtgrenzen gebraut werden dürfe, dann nämlich, wenn die betreffende Brauerei ihr Bier schon seit jeher unter der Bezeichnung „Kölsch“

auf den Markt bringe. So gibt es also auch Kölsch, das in Wahrheit aus Bonn, aus Dor- magen oder aus Leverkusen stammt. Den echten Kölner mag das schmerzen, aber er kann sich mit dem Gedanken trösten, dass sein Gerstensaft wenigstens nicht aus Düssel- dorf kommt.

Im Falle des Düsseldorfers und seiner Präferenz für das Altbier verhält es sich etwas komplizierter. Zum einen stand die Wiege des Altbiers nicht in Düsseldorf, sondern am linken Niederrhein, wo sich auch heute noch die größ- ten Altbierbrauereien befin- den. Zum anderen ist die Lie- be des Düsseldorfers zu „sei- nem“ Bier in den letzten Jah- ren spürbar abgekühlt. Immer

mehr Düsseldorfer geben dem Pils, dem Weizenbier oder so- gar amerikanischem Bier den Vorzug vor dem Alt, wenn sie sich nicht gleich konsequen- terweise dem Champagner zu- wenden, dessen Absatz in Düsseldorf jedes Jahr neue Rekordmarken erreicht.

Die Brauereien reagieren auf diesen Trend mit Werbe- kampagnen, die dem Alt ein zeitgemäßeres Image ver- schaffen sollen, da es bei den Jüngeren mittlerweile als „un- cool“ gilt, Alt zu trinken. Auch in Fragen des Biergeschmacks ist der Düsseldorfer also eher dem Zeitgeist verpflichtet als der Tradition. Ein frisch ge- zapftes Kölsch würde er aller- dings auch an einem heißen Sommertag und in Ermange- lung anderer Erfrischungen kategorisch zurückweisen.

Apropos Tradition: Wie so oft, so ist sie auch im Fall von Kölsch und Alt gar nicht so alt, wie man glauben machen möchte. Beide Gat- tungsbezeichnungen sind ver- hältnismäßig jungen Ur- sprungs und gleichzeitig frü- he Beispiele für gelungenes Marketing. Kölsch taucht als Begriff erstmals um 1900 auf, und zwar als Abkürzung für Kölsch Wieß, ein gefiltertes obergäriges Bier, im Gegen- satz zum ungefilterten Brung.

Die Gattungsbezeichnung Alt hat sich in Düsseldorf gar erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Zuvor sprach man dort von Düssel, ein Be- griff, der heute allerdings als Markenname von einer einzi- gen Brauerei exklusiv bean- sprucht wird. Erst durch die moderne Brautechnik wurde es überdies möglich, Kölsch und Alt in stets gleich blei- bender Qualität herzustellen

und damit Bier überhaupt zu einem Markenprodukt zu ma- chen. Was man in den Jahr- hunderten zuvor getrunken hat, war sowohl in Köln als auch in Düsseldorf ziemlich ähnlich, obergäriges Bier nämlich, das mit dem heu- tigen Alt und Kölsch nicht verwechselt werden darf und ganz sicher auch den Quali- tätsansprüchen heutiger Kon- sumenten nicht entsprochen haben wird.

Lokalpatriotismus Abgesehen von der etwas unterschiedlichen Färbung, haben Alt und Kölsch auch heute mehr gemein, als es die Lokalpatrioten in Köln und Düsseldorf wahrhaben wol- len. Beide werden nach dem obergärigen Brauverfahren hergestellt, bei dem die Hefe nach oben steigt; beide wer- den ohne Kohlensäure aus dem Fass gezapft; beide trinkt man aus zylindrischen Glä- sern, deren Form sich erst in

den letzten Jahrzehnten ab- weichend entwickelt hat.

Der Kellner, der dem Dur- stigen ein frisches Kölsch oder Alt serviert, wird in Köln und in Düsseldorf übereinstim- mend Köbes gerufen. Auch medizinisch gibt es keinen Un- terschied zwischen Alt und Kölsch: Beide enthalten die gleichen Vitamine, Mineralien und Spurenelemente, wirken darüber hinaus entwässernd und verdauungsfördernd. Sie werden bei Nierensteinleiden zur Therapie eingesetzt. Bei- de enthalten allerdings auch 4,8–5,0 Vol.-Prozent Alkohol- gehalt.

Bei einer Blindverkostung dürften überdies nur wenige Probanden in der Lage sein, Alt und Kölsch geschmack- lich auseinander zu halten.

Die Frage „Alt oder Kölsch?“

ist also weniger eine solche des Geschmacks als vielmehr eine der Ideologie und somit fester Bestandteil dessen ge- worden, was Kölner und Düs- seldorfer trennt.

Nur Kölner und Düssel- dorfer? Entlang einer Linie von Heinsberg im Westen, über Grevenbroich, Dorma- gen, Langenfeld bis Solingen im Osten wird ein tiefer rheini- scher Kulturgraben sichtbar, der mit dem Gegensatz links- und rechtsrheinisch nur unzu- reichend umschrieben ist.

Nördlich davon beginnt das Altbierterritorium, südlich da- von, bis zur Ahr, befinden sich die Bastionen des Kölsch. Die- se Beobachtung erhält eine er- höhte Relevanz durch den Umstand, dass es noch andere im Brauchtum begründete Unterschiede gibt, die der Grenzziehung folgen, nämlich solche karnevalistischer Natur.

Als Faustregel gilt: Wo man Alaaf ruft, da trinkt man Kölsch, wessen jeckes Herz nur durch Helau zu rühren ist, der trinkt Alt. Der Graben, der quer durch das Rheinland verläuft, ist also wesentlich tiefer, als es die Frage nach der Bierpräferenz vermuten lässt, denn beim Karneval – so weiß jeder Rheinländer – hört der Spaß auf.

Prof. Dr. phil. Jörg Engelbrecht

A-546 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 9, 3. März 2000

V A R I A FEUILLETON

Zeichnung. Ralf Brunner

Alt oder Kölsch

Eine Frage der Ideologie

Anmerkungen zu

einem bierernsten Thema

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