Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 46⏐⏐14. November 2008 A2425
S E I T E E I N S
G
esundheitsversorgung in Deutschland ist mitun- ter ein schwer zu begreifendes Geschehen – ins- besondere innerhalb des GKV-Systems. Zu den Myste- rien, die sich den Gesetzen der Logik entziehen, gehört die nach SGB V unterschiedliche Bewertung neuer Un- tersuchungs- und Behandlungsmethoden im ambulan- ten und stationären Bereich, geregelt in den §§ 135 und 137c. Vereinfacht ausgedrückt ist in der vertragsärzt- lichen Praxis alles Neue verboten, sofern es nicht explizit erlaubt wird (Erlaubnisvorbehalt), und im Krankenhaus alles Neue erlaubt, sofern es nicht ausdrücklich verboten wird (Verbotsvorbehalt).Über die Sinnhaftigkeit dieser an sich widersprüch- lichen Regelungen wird schon seit Längerem gestritten.
Gerade mit Blick auf die seit Jahren anhaltenden ge- sundheitspolitischen Bestrebungen, die Grenzen zwi- schen den Sektoren aufzuheben oder zumindest durch- lässiger zu gestalten, muten solche Bestimmungen wie ein Anachronismus an. Auch ist es nur schwer vorstell- bar, wie vor diesem gesetzlichen Hintergrund künftig eine sektorenübergreifende Qualitätssicherung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) funktio- nieren soll.
In einer solchen diffusen Gemengelage bleibt es nicht selten den obersten Gerichten vorbehalten, einen gangbaren Weg durch das Vorschriftengestrüpp aufzu- zeigen. Ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des Bun- dessozialgerichts (BSG) vom 28. Juli 2008 (Az.:
B 1 KR 5/08 R: Klage einer Alternativklinik, als Ver- tragskrankenhaus zugelassen zu werden) hat nun den Gemeinsamen Bundesausschuss und dessen Vorsitzen- den Rainer Hess in der Rechtsauffassung bestärkt, dass gleiche Kriterien bei der Bewertung von ambulanten und stationären Behandlungsmethoden gelten müssen.
In der Urteilsbegründung wird explizit ausgeführt:
Es begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, Beur- teilungen des G-BA aus dem Bereich der vertragsärzt- lichen Versorgung auch für die Bewertung von Unter- suchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären Versorgung heranzuziehen, wenn diese Be- urteilungen gebietsübergreifende Aussagen beinhalten.
Der Verbotsvorbehalt für den stationären Bereich dürfe
nicht im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebi- gen Methoden für das Krankenhaus ausgelegt werden.
Denn durch die Regelung nach § 137c SGB V werde selbstredend nicht die Geltung des allgemeinen Quali- tätsgebots nach § 2 außer Kraft gesetzt.
Das BSG-Urteil stärkt Hess den Rücken bei aktuel- len und künftigen Auseinandersetzungen über die Zu- ständigkeiten des G-BA – zum Beispiel mit dem Bun- desgesundheitsministerium. Dieses hatte 2004 einen Beschluss des G-BA beanstandet, nach dem die Proto- nentherapie bei der Behandlung des Mammakarzinoms aus dem stationären Leistungskatalog der GKV auszu- schließen sei. Dem G-BA wurde auferlegt, den fehlen- den Nutzen dieser Methode nachzuweisen, was nach An- sicht des Landessozialgerichts Essen aber kaum mög- lich ist. Eine letztinstanzliche Klärung dieser Auseinan- dersetzung steht noch aus; es ist jedoch zu vermuten, dass das Bundessozialgericht in diesem Fall an seiner einmal eingeschlagenen Argumentation festhalten wird.
Grundsätzlich positiv ist, dass auf diesem Weg für die Einheit der Rechtsordnung innerhalb der GKV Sor- ge getragen wird. Künftig sollte man aber verstärkt darauf achten, dass technischer Fortschritt und Innova- tionen, die eine verbesserte Patientenversorgung ver- sprechen, nicht aus Rationierungserwägungen aus der GKV herausgehalten werden, sondern in breit abge- stimmten klinischen Studien ihren Nutzen unter Beweis stellen können.
Thomas Gerst Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
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Thomas Gerst