DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
E
ntsprechend der Freiheit und Freizügigkeit seines Berufes ist der Arzt kei- nen Festlegungen in der Ho- norierung seiner beruflichen Verrichtungen unterworfen."Man stelle sich einmal vor, es würde heute jemand diesen Satz sprechen oder drucken.
Oder die folgenden: „Eine ir- gendwie geartete Gebühren- gleichstellung mit anderen Berufen ist generell abzuleh- nen. Unser Berufsstand läßt sich nicht über Gebühren die Zeit vorschreiben, die wir für eine erfolgreiche Behandlung brauchen."
Ein Freiberufler-Radikalis- mus, in dem natürlich ein wahrer Kern steckt. Aller- dings würde es im Zeitalter der K-Gesetze, der Konzer- tierten Aktionen, der Kosten- dämpfung wohl kein Arzt- funktionär wagen, derartiges in die Welt hinauszuposau- nen. Diese markigen Feststel-
Hochnäsig
lungen müssen aus einer zu- rückliegenden Zeit stammen, als man sie noch mit Forde- rungen verknüpfen konnte wie: „Demnach müssen also die Gebühren um 40 Prozent angehoben werden."
Irrtum. All dies wird tatsäch- lich und allen Ernstes im Jah- re 1985 verbreitet — nur: nicht von Ärzten, sondern von Heil- praktikern. In den obigen Zi- taten ist statt „Arzt" einzuset- zen: „Heilpraktiker"; so steht es in der Zeitschrift „Gesun- des Leben".
Damit begründet dort ein Vertreter der Heilpraktiker die Forderung, das „Gebüh- renverzeichnis" vom 1. Ja- nuar 1977 um 40 Prozent auf-
zubessern. In keinem anderen Beruf gebe es acht Jahre alte Tarife (die alte ärztliche Ge- bührenordnung brachte es al- lerdings auf beinahe 20 Jah- re). Und irgendwelche Multi- plikationsfaktoren könne man sich auch nicht aufzwingen lassen: „Sollen, wenn es kei- ne andere Lösung gibt, die Kassen zahlen, was möglich ist."
„Der Heilpraktiker übt seinen Beruf frei und selbstverant- wortlich aus", heißt es an- spruchsvoll weiter, „unab- hängig von staatlicher oder sonstiger Bevormundung, ge- bunden durch das allgemeine Sittengesetz, die verfassungs- mäßigen Gesetze und Verord- nungen . . .".
Zum zeitgemäßen Maßhalten bei den Honoraren mögen die Ärzte ja bereit sein — Heil- praktiker sind über so etwas offenbar erhaben. gb
111/ enn man die Ostberli- ner „humanitas" —
„Zeitung für Medizin und Gesellschaft" — regelmä- ßig liest, fragt man sich, war- um alle unsere als arbeitslos gemeldeten Ärzte nicht nach drüben strömen wollen, wo doch die sozialistische Ent- wicklung die Ärzte so voll- kommen befreit haben soll:
„sowohl aus ihrer Stellung als Entrechtete und Mißbrauchte des Kapitals als auch aus ei- ner dem Volk entfremdeten Sonderstellung, aus Kasten- geist und Elitedenken"; der Arzt im Sozialismus, heißt es weiter, sei „frei von kommer- ziellen Belastungen und In- teressen, frei vom Einfluß pharmazeutischer und medi- zintechnischer Konzerne, un- abhängig von Versicherungs- trägern und Standesorganisa- tionen". Und so kann er sich dann voll dem Menschen als
„biopsychosoziales Wesen"
zuwenden.
Die im Westen behauptete Freiheit und Unabhängigkeit
Unterschied
des Arztes ist dagegen näm- lich „eine Lüge", wie dieser DDR-Autor aus der Sicht sei- nes Arbeitsgebietes als Dia- betologe „ganz konkret fest- stellen kann". Das hört sich so an: „Es ist schon, meine ich, ein Unterschied, ob jeder der über 600 000 Diabetiker unse- res Landes in Zusammenar- beit mit den Hausärzten in re- gelmäßiger Kontrolle — Dis- pensairebetreuung — durch spezialisierte, in der Diabe- tesbehandlung erfahrene Ärz- te steht, oder ob (wie unsere Fachkollegen zum Beispiel in der BRD unumwunden bekla- gen) die Behandlung von Dia- betikern im wesentlichen nur in den Händen nicht ausrei- chend qualifizierter privater, sogenannter ,praktizierender Ärzte' liegt." Der Autor ver- stärkt diese „Aussage" dann noch mit dem Hinweis auf die
Betreuung von schwangeren Diabetikerinnen in der DDR, für deren optimale Versor- gung qualifizierte Diabetolo- gen, Gynäkologen, Neonato- logen und Anästhesisten so- wie alle erforderliche Medi- zintechnik wie Kardiotoko- graphie und Ultraschallfeto- metrie zur Verfügung stün- den. In einem kapitalistischen Staat sei so etwas überhaupt nicht möglich, „weil alle Gy- näkologen — auch ohne ent- sprechende Erfahrung und Voraussetzungen — die Be- handlung der diabetischen Schwangeren beanspruchen und die Patientinnen auf sie angewiesen sind".
Das besonders Gravierende:
dies ist nicht etwa ein Propa- ganda-Artikel für den durch- schnittlichen DDR-Zeitungs- leser, sondern die Grundsatz- rede eines Medizinprofessors auf einer Tagung der Arbeits- gemeinschaft „Wissen- schaftstheoretische und welt- anschauliche Probleme in der Medizin" in Leipzig! king
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 16 vom 17. April 1985 (1) 1129