Stefano Vellavorgetragen wurde. Ziel der Initiative ist die Sammlung von Daten zur Resistenzentwicklung bei behandel- ten und therapienaiven HIV-Positiven weltweit in einer großen Datenbank.
Diese soll frei zugänglich sein und helfen, Strategien zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung von Resistenzen zu ent- wickeln. Das „HIV Drug Resistance Sur- veillance Network“ kann unter der Adresse www.who.int/hiv_AIDS/ einge- sehen werden. Ein vergleichbares eu- ropäisches Projekt, SPREAD-Projekt genannt, koordiniert Charles Boucher von der Universität Utrecht.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Mark Oette
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie
Heinrich-Heine-Universität Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf
M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002 AA2871
Mit Kanonen auf Spatzen
Die Autoren kommen in dem Beitrag gegen Ende ihrer Analyse zu einer The- rapieempfehlung: Ritalin, ein gemäß § 1 Abs. 1 BtmG i. V. m. Anlage III ver- kehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel. Nicht ohne Grund
aber unterliegt Methylphenidat der Betäubungsmittelaufsicht. Die Bezeich- nung „verschreibungsfähig“ sollte auch vor dem Hintergrund, dass die Recht- sprechung bei einer nicht indizierten Vergabe von Betäubungsmitteln von ge- fährlicher Körperverletzung ausgeht, nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Dies fehlt als Hinweis leider.
Überhaupt scheint es doch, als werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, wenn man einem zehnjährigen Kind ge- gen Verhaltensauffälligkeiten bereits ein Betäubungsmittel verordnet. Wel- che Medikamente möchten die Autoren dem Jungen denn geben, wenn es in Kürze zu Schwierigkeiten in der Puber- tät kommt? Hier liegt auch ein wesentli- cher Punkt des diagnostizierten Pro- blems: die Sichtweise der Therapeuten.
Medikamente und Verhaltenstherapie sollen es richten. Ich sehe diese Kombi- nation kritisch. Die Statistiken machen keine Angaben zum sozialen Umfeld der untersuchten Gruppe: Man erfährt lediglich, dass die Daten im städtischen Raum von Aachen erhoben wurden. Es könnten also durchaus Kinder und Ju- gendliche von allein erziehenden Müt- tern gewesen sein, die uns da vorgestellt wurden. Die Abwesenheit des Vaters aber führt häufig zu Strukturproblemen bei Kindern, wie wohl auch im Fall von
„Peter“. Was zwar in der Anamnese er- wähnt, worauf aber nicht näher einge- gangen wird. Ich möchte die These auf- stellen, dass Hyperaktivität in der be- schriebenen Form nicht ohne Logik auf- tritt, sondern unmittelbar etwas über das Milieu aussagt, in dem die Kinder aufwachsen. Ein langfristig verantwor- tungsvoller ärztlicher Umgang mit die- ser Patientengruppe sollte darin beste- hen – in Abgrenzung zu den Empfeh- lungen des Beitrages – an der Gestal- tung eines Umfeldes mitzuwirken, in dem diese Kinder und Jugendlichen al- tersgerecht gesund aufwachsen können, statt sie zu „psychiatrisieren“. Wem bei hyperaktiven Kindern sofort Betäu- bungsmittel einfallen, der scheint – so hart das klingen mag – auch sonst etwas phantasielos zu sein.
Martin Riemer
FB Gesundheitswissenschaften Universität Bielefeld Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld
Nicht nachvollziehbar
Die Autoren schreiben: „Nach den Er- gebnissen der Screeninguntersuchung waren 15 bis 16 Prozent der Kinder be- ziehungsweise Jugendlichen auffäl- lig.“ Muss es nicht heißen: „In der Screeninguntersuchung ordneten sich 15 bis 16 Prozent der Kinder und Ju- gendlichen (oder ihre Eltern) in eine Rangskala ein, die nach genannten statistischen Kriterien als auffällige Werte definiert werden?“ Es gibt so viele Gründe, sich selbst (oder dem ei- genen Kind) in bestimmten Items ei- nen höheren Ausprägungsgrad zuzu- schreiben, die nicht das geringste mit der Frage zu tun haben, ob eine Be- handlungsbedürftigkeit gegeben ist oder nicht. Werden hier nicht eher Da- ten über die Normierungen und Wert- vorstellungen der befragten Familien gewonnen?
Ist es nicht so, dass gerade die be- handlungsbedürftigen Kinder und Ju- gendlichen sich in der Selbst- oder El- ternbeschreibung gar nicht als auffäl- lig präsentieren?
Entsprechende Skalierungen und die daraus gezogenen Schlussfolgerun- gen zum Themenkomplex des so ge- nannten „ADHS-Syndroms“ (ADHS, Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivi- tätsstörung) sind für mich überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Ich möch- te es wirklich verstehen!
Dr. med. Stefan Hilby Brauhausgasse 2 97616 Salz
Hohe Prävalenz
Wenn Ziegert et al. von 12,5 bis 27 Prozent der deutschen Kinder und Ju- gendlichen schreiben, die Verhaltens- auffälligkeiten, Leistungs- und emo- tionale Störungen aufweisen, und in ihrer Aachener Studie dies untermau- ern, so zeigt dies in eindrucksvoller Weise, dass es sich hier um ein Pro- blem handelt, das im Allgemeinen von Ärzten oftmals vernachlässigt wird.
Dies darf aber nicht darüber hin- wegtäuschen, dass die breite Bevölke- rung dieses Problem längst erkannt hat. Die Spitze des Eisberges kann zu dem Beitrag
Psychische Auffälligkeiten von Kindern und
Jugendlichen in der
allgemeinärztlichen Praxis
von
Dr. med. Bärbel Ziegert Andreas Neuss
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann
Prof. Dr. med. Waltraut Kruse in Heft 21/2002
DISKUSSION
schön an den von Ziegert et al. ange- führten hyperkinetischen Störungen gezeigt werden, die sogar von Lehrern sehr großzügig diagnostiziert wurden und zu deren Behandlung verunsicher- ten Eltern eine „unbedingt notwen- dige“ Methylphenidat-Therapie emp- fohlen wurde. Gerade hier ist es Aufga- be des Allgemeinarztes frühzeitig zu intervenieren und geeignete Pfade, von denen der medikamentöse nur ei- ner ist, zu beschreiten. Dem Hausarzt kommt hier in der Rolle des Lotsen ei- ne besondere Aufgabe zu, und es ist zu fordern, dass in Zukunft diesem The- ma in den allgemeinmedizinischen Curricula und damit in der alltäglichen Anamnese und Untersuchung bei Kin- dern besondere Bedeutung zugemes- sen wird.
Diese wird derzeit noch nicht deut- lich hervorgehoben, ist aber den ande- ren „Volkserkrankungen“ prozentual durchaus nicht unterlegen. Untermau- ernd kommt hier noch die „DAK-Un- tersuchung“ zu psychischen Auffällig- keiten bei Kindern und Jugendlichen hinzu, in der sich ebenfalls eine hohe Prävalenz findet.
Dr. med. Alexander Jakob Ringstraße 18
64367 Mühltal
Schlusswort
Wir haben uns sehr über die außeror- dentlich lebhafte Resonanz auf unse- ren Artikel gefreut, die bestätigt hat, dass psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle in der hausärztlichen Versor- gung spielen.
Der Anmerkung von Herrn Rie- mer, „dass die Verordnung von Me- thylphenidat nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte“, stimme ich zu. Arzneimittel, wie Me- thylphenidat (zum Beispiel Ritalin, Medikinet) dürfen selbstverständlich nur nach sorgfältiger Diagnose und im Rahmen eines umfassenden medizini- schen Behandlungskonzepts Anwen- dung finden, das neben der Beratung der Eltern und Lehrer, psychothera- peutische und psychosoziale Behand- lungs- und Betreuungsmaßnahmen
umfasst. Bei eindeutiger Diagnose ei- nes hyperkinetischen Syndroms ist der Einsatz von Medikamenten jedoch ein zentrales und unverzichtbares Thera- piekonzept (2, 5).
In klinischen Studien konnte ge- zeigt werden, dass Methylphenidat mit einer Responderrate von 80 Pro- zent hyperaktives und impulsives Ver- halten deutlich vermindert, die Auf- merksamkeit- und Konzentrations- fähigkeit verbessert, aggressives Ver- halten abbaut und soziale Isolation verhindert (4). In Deutschland leiden circa fünf Prozent aller Kinder an einer Aufmerksamkeitsdefizit/Hyper- aktivitätsstörung (ADHS), davon wird nur ein Viertel mit Methylphenidat behandelt. Dies entspricht aus Sicht des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte keinesfalls einem leicht- fertigen Verordnungsverhalten, im Gegenteil, zu wenig betroffene Kinder profitieren vom Einsatz des Medika- mentes (1).
Herr Riemer stellt die These auf:
„Hyperaktivität tritt nicht ohne Logik auf, sondern sagt unmittelbar etwas über das Milieu aus.“ Sicherlich nimmt das Milieu wesentlichen Einfluss auf kindliches Verhalten. Bei den Unter- schichtskindern war auch in unserer Studie eine Tendenz zu mehr offener Aggression erkennbar. Beim ADHS werden jedoch auch genetische Fakto- ren und Störungen der Transmitter- funktion als ursächliche Faktoren dis- kutiert.
Wie Herr Hilby richtig herausstellt, sind Fragebögen in Form des CBCL und YSR nicht in der Lage, psychische Störungen mittels Symptomfragen zu klassifizieren, also anhand des Fra- gebogens ein ADHS zu diagnostizie- ren. Nach vorliegenden Studiener- gebnissen sind die beiden Untersu- chungsinstrumente jedoch als Instru- ment zur Erfassung klinisch relevanter Verhaltensauffälligkeiten geeignet (3, 6). Empirisch statistische (CBCL und YSR) und klinisch diagnostische Klas- sifikationssysteme müssen als sich ergänzende Systeme verstanden wer- den (6).
In Peters Fall veranlasste das El- terngespräch zusammen mit auffälli- gen Werten in der CBCL die Vorstel- lung in der Kinder- und Jugendpsych-
iatrie, wo nach kinder- und jugend- psychiatrischer Untersuchung die Diagnose gestellt wurde.
Wie Herr Jakob, so möchten auch wir Hausärzte dazu anregen, psychi- schen Störungen bei Kindern und Ju- gendlichen besondere Aufmerksam- keit zu widmen. Sie und die Kinderärz- te sind durch die miterlebte Anamnese häufig die ersten, die mit Problemen der Kinder beziehungsweise Jugendli- chen konfrontiert werden und durch ihre Lotsenfunktion eine frühzeitige Diagnostik und Therapie einleiten können.
Literatur
1. Bastikeit von M: Anti-Zappel-Pille wird als Droge verscherbelt. Ärztliche Praxis 2002; 46: 7.
2. Greenhill LL, Findling RL, Swanson JM: A double- blind, placebo-controlled study of modified-release methylphenidate in children with attention-defi- cit/hyperactivity disorder. Pediatrics 2002; 109: E39.
3. Lösel F, Bliesener T, Körferl P: Behavioral and emo- tional problems in adolescents: German adaptation of the youth self-report of the child behavior check- list and comparison with U.S.-data. Zeitschrift für Klinische Psychologie 1991; Band XX, Heft 1:
22–51.
4. Stiefelhagen P: Hyperkinetisches Syndrom und Le- gasthenie – Ärztliche Hilfe für den Zappelphilipp.
MMW-Fortschr Med 2002; 21: 4–8.
5. The MTA Cooperative Group. A 14-month randomi- zed clinical trial of treatment strategies for attenti- on-deficit/hyperactivity disorder (ADHD). Arch Gen Psychiatry 1999; 56: 1073–1086.
6. Walter R, Remschmidt H, Deimel W: Gütekriterien und Normierung einer deutschen Version des Youth Self-Report. Z Kinder-Jugendpsychiat 1994; 22:
23–38.
Dr. med. Bärbel Ziegert Lehrgebiet Allgemeinmedizin Universitätsklinikum Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
E-Mail: bziegert@ukaachen.de M E D I Z I N
A
A2872 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 4325. Oktober 2002