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Archiv "Nutzen-Schaden-Relation: Gedanken zur Informierungspraxis des Bundesgesundheitsamtes im Falle Molsidomin" (20.11.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

Molsidomin wurde in der Bundes- republik Deutschland 1978 zuge- lassen und unter der Handelsbe- zeichnung Corvaton® in den Han- del gebracht. Für die Zulassung müssen dem Bundesgesundheits- amt seinerzeit Unterlagen vorge- legen haben, die den Nutzen der Substanz bei einer Erkrankung des Menschen und die Unbedenk- lichkeit ihrer Anwendung bele- gen, die aber auch das Risiko er- kennen lassen, das bei einer län- gerfristigen Einnahme der Sub- stanz eingegangen wird. Zu sol- chen Unterlagen gehörten auch zu jenem Zeitpunkt schon not- wendigerweise die Ergebnisse abgeschlossener Untersuchun- gen zur akuten und chronischen Toxizität der Substanz bei Tieren.

Im Rahmen derartiger Untersu- chungen muß auch eine mögliche Mutagenität oder Karzinogenität der Substanz — soweit dies nach dem damaligen Stand der Er- kenntnisse möglich war — ausge- schlossen worden sein.

Die Rückfrage beim Hersteller er- gab, daß diese Zulassungsunterla- gen der Behörde tatsächlich vor- gelegt worden waren. Keine der Untersuchungen hatte einen Hin- weis auf eine Schädigung des ge- netischen Materials ergeben. Bei der chronischen Anwendung der Substanz in überhohen Dosen bei

Ratten aber waren bei wenigen Tieren Tumoren der Nasen- schleimhaut festgestellt worden.

Dieser Befund — so die Aussage des Herstellers — war dem Amt zum Zeitpunkt der Zulassung be- kannt, und er war auch Anlaß ei-

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Bei der allenthalben geforderten Trans- parenz der Gründe behördlicher Ent- scheidungen bringt die Unterlassung (der genannten Informierung der Fach- kreise) das Amt in den Verdacht be- hördlicher Willkürakte.

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ner erneuten Untersuchung bei Mäusen und Ratten mit der Ab- sicht, seine Bedeutung zu erken- nen.

Die Ergebnisse der Nachuntersu- chung liegen jetzt vor. Danach sollen erneut bei der Anwendung überhoher Dosen über einen län- geren Zeitraum bei Mäusen und Ratten Tumoren der Nasen- schleimhaut gefunden worden sein. Dieser Befund hat die drasti- sche Maßnahme des Bundesge- sundheitsamtes verursacht.

Die Entscheidung des Amtes wirft mehrere Fragen auf:

C) Warum wiegen die jetzigen Resultate schwerer als die zur Zeit der Zulassung bekannten?

© Mit welcher Rechtfertigung kann das Ergebnis eines Tierex- perimentes unter extremen Be- dingungen das vorübergehende Verbot eines Wirkstoffes rechtfer- tigen, der seit mehr als sieben Jahren beim Menschen einge- setzt worden ist, ohne entspre- chend auffällig geworden zu sein? Die Übertragbarkeit von tierexperimentellen Resultaten auf den Menschen ist schon nor- malerweise eingeschränkt, in wie- viel stärkerem Maße trifft dies zu, wenn die Prüfbedingung alles an- dere als realistisch ist?

® Liegen für Wirkstoffe mit ver- gleichbarer Wirkung, das heißt die organischen Nitrate, entspre- chende Untersuchungen vor?

Wird die Karzinogenität mit der Substanz Molsidomin in Zusam- menhang gebracht, oder ist sie vielleicht eine Folge der Wirkung, die diese Substanz auf die Blutge- fäße hat? Angenommen, solche Veränderungen würden auch nach extremen Dosen von Isosor- biddinitrat zu beobachten sein, könnte dies auch bei diesem Wirkstoff zu einer ähnlichen Maß- nahme Anlaß geben? Würde also des vagen Verdachtes einer mög- lichen Schädigung bei normaler Anwendung wegen auf ein sicher wirksames Therapeutikum für die koronare Herzkrankheit zu ver- zichten sein?

® Die neue Einschätzung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses hat die Behörde veranlaßt, „über Nacht" das Ruhen der Zulassung zu verfügen. Für den sofortigen Vollzug muß es zwingende Grün- de gegeben haben, die jedoch an- dererseits nicht ausreichten, die Zulassung definitiv zu widerrufen.

Es muß demnach angenommen werden, daß der Behörde Er- kenntnisse vorliegen, die weit

Nutzen-Schaden-Relation

Gedanken zur Informierungspraxis

des Bundesgesundheitsamtes im Falle Molsidomin

Die vielen Ärzte (und Apotheker), die genaueren Auf- schluß über die näheren Umstände, die zur Rücknahme von Molsidomin geführt haben, vom Bundesgesund- heitsamt erwarteten, wurden enttäuscht. Auch Fachkrei- se erhielten bis heute keine Information, die über die all- gemeine Presseverlautbarung hinausgegangen wäre, nämlich, daß wegen des begründeten Verdachts der Karzinogenität die Zulassung bis Ende des Jahres ruhe.

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 47 vom 20. November 1985 (21) 3513

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Bundesgesundheitsamt

über die angedeuteten hinausge- hen und die die Entscheidung rechtfertigen und auch die Form ihrer Bekanntgabe. Es ist ver- ständlich, daß bei einer drohen- den Gefährdung von Patienten ohne Verzug gehandelt werden muß, und es soll auch nicht über die gleichzeitige Information der Fachkreise und der Öffentlichkeit geklagt werden, da es unreali- stisch wäre, daß eine vorgezoge- ne Unterrichtung der Fachkreise beim Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Vorgängen nicht gleichzeitig von der allgemeinen Presse aufgegriffen würde. ..,. Es ist indes nicht verständlich, warum die Behörde bei einer so weitreichenden Entscheidung zu einer Substanz, deren Bedeutung durch ihre Erwähnung in allen einschlägigen Lehrbüchern doku- mentiert werden kann, sich nicht veranlaßt sieht, den Fachkreisen im Nachgang zu der Bekanntgabe der Entscheidung, die Grundlage der Entscheidung offenzulegen. Bei der allenthalben geforderten Transparenz der Gründe behörd- licher Entscheidungen bringt die Unterlassung das Amt in den Ver- dacht behördlicher Willkürakte; es steht zu befürchten, daß da- durch die Reputation des Amtes bei Ärzten und Apothekern leidet.

Bei dem augenblicklichen Infor- mationsstand wird sich ausge- rechnet die Behörde, deren vor- nehmste Aufgabe es mit ist, das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels zu beurteilen, den Vorwurf gefallen lassen müssen, das Nutzen-Schaden-Verhältnis ihrer Entscheidungen nicht zu be- denken. (Als Schaden ist hier nicht etwa die Umsatzeinbuße des Herstellers gemeint, sondern der Vertrauensverlust, den diese Maß- nahme für die Arzneimittel ganz allgemein nach sich zieht).

Prof. Dr. rer. nat. Albrecht Ziegler Abteilung Pharmakologie

Klinikum der

Christian-Aibrechts- Universität Hospitalstraße ~

2300 Kiel

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Krankenkassen-AG:

Anhaltszahlen als Normwerte?

Die "Arbeitsgemeinschaft für Ge- meinschaftsaufgaben der Kran- kenversicherung" (Rellinghauser Straße 93-95, 4300 Essen 1) hat die erstmals Ende 1981 erschiene-

nen "Anhaltszahlen für die Kran-

kenhausverweildauer" aktuali- siert. Dieser (nicht unumstrittene) Verweildauer-Katalog (122 Seiten) ist in der zweiten Auflage den Sachbearbeitern der gesetzlichen Krankenkassen als eine Art "Ent- scheidungshilfe" und "verwal- tungstechnische wie praktische"

Hilfe an die Hand gegeben wor- den, um so gezielt die Verweildau- er nach Indikationen zu überprü- fen. Den Intentionen der Heraus- geber zufolge soll der Kassen- sachbearbeiter auch den Rat des Vertrauensärztlichen Dienstes einholen, insbesondere bei Be- wertung seltener Diagnosen und auch bei auffälligen Abweichun- gen zwischen den im Katalog an- gegebenen Verweilzeiten und der beantragten stationären Aufent- haltszeit Bei der Erarbeitung des Essener Kataloges haben Sach- verständige des Vertrauensärzt- lichen Dienstes und andere Ex- perten mitgewirkt.

Die Anhaltszahlen betonen, daß keineswegs verbindliche Verweil- zeiten für einzelne Krankheitsbil- der und -verläufe ("Standardver- weilzeiten") vorgegeben werden sollen. Vielmehr solle die Prüfung bei Einzelfällen erleichtert und den Krankenkassen aufgezeigt werden, welche Erstbefristung für die Kostenübernahme vorzuneh- men und wie ein Verlängerungs- antrag des Krankenhauses zu ent- scheiden ist. Darüber hinaus soll mit Hilfe des Essener Katalogs be- urteilt werden, wann und inwie- weit Anfragen an das Kranken- haus zu stellen sind.

Sowohl der Krankenhausaus- schuß der Bundesärztekammer als auch die Deutsche Kranken-

hausgesellschaft (DKG) haben un- geachtet dieser beschwichtigen- den Vorbehalte Bedenken dahin- gehend geäußert, daß bei einer ri- gorosen und generellen Praktizie- runQ der Anhaltszahlen durch die Krankenkassen globale Anhalts- werte leicht in Normwerte um- funktioniert werden könnten. Indi- viduelle Einflußfaktoren auf die Verweildauer könnten dann unbe- rücksichtigt bleiben. "Aus gege- benem Anlaß" hatte die Bundes- ärztekammer die Essener Arbeits- gemeinschaft darauf hingewie- sen, undifferenzierte bürokrati- sche Anfragen qua Verweilzeit- dauerkatalog ebenso zu vermei- den wie deren schematische An- wendung durch die Krankenkas- senverwaltungen.

Auch die zweite Auflage gibt An- laß zur Besorgnis. Denn darin heißt es, daß der Vertrauensärzt- liche Dienst immer dann unver- züglich eingeschaltet werden sol- le, wenn "bei den auf den Kosten- übe rnahme-Erkläru ngsschei nen von den Krankenhäusern angege- benen Diagnosen und Verweil- dauerterminierungen eine Abwei- chung vom vorliegenden Katalog"

feststellbar ist.

Gleichsam als auch möglichen Klärungsweg gibt die Essener Ar- beitsgemeinschaft an, daß es

"den Krankenkassen unbenom- men bleiben wird, sich vor Ein- schaltung des Vertrauensärzt- lichen Dienstes mit den Kranken- häusern zur Klarstel Iu ng von Zweifeln ... in Verbindung zu set-

zen." Gerade aber dieser Weg

muß oberster Grundsatz jeder Ab- klärung sein,

Die Deutsche Krankenhausgesell- schaft hat erst kürzlich festge- stellt, daß eine Befristung der Ver- weildauer und eine einseitige Än- derung der Kostenübernahmeer- klärung seitens der Kassen nach statistisch ermittelten Durch- schnittswerten rechtlich unzuläs- sig sei. Wie der DKG-Justitiar Rechtsanwalt Jörg Robbers fest- stellt, hätten die Krankenkassen gemäߧ 184 RVO regelmäßig mit 3514 (22) Heft 47 vom 20. November 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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