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Archiv "Der Umgang mit vorgeburtlichem Leben: Regeln und Ausnahmen" (21.11.2003)

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an wunderte sich zunächst viel- leicht, warum der Nationale Ethikrat sich auf seiner dies- jährigen Jahrestagung Ende Oktober in Berlin ausgerechnet mit dem eher aus- gefallenen Thema „Der Umgang mit vorgeburtlichem Leben in anderen Kul- turen“ beschäftigte. Der Vorsitzende des Gremiums, Prof. Dr. jur. Spiros Si- mitis, erläuterte denn auch gleich zu Beginn, weshalb ausgerechnet die Be- schäftigung mit Weltreligionen Hilfe- stellung bei der Suche nach nationalen Lösungen auf drängende medizinethi- sche Fragestellungen liefern kann. Er ist der Auffassung, dass man nur dann eine gemeinsame Lösung finden könne, wenn man die unterschiedlichen Auf- fassungen kennt. Auch

in Deutschland müss- ten die Vorstellungen eingebracht werden,

„die durch Migration in unser Land gekom- men sind“.

Doch dass es in den Weltreligionen keine einfachen und eindeutigen Ant- worten gibt, verdeutlichten bereits die Vorträge zum Islam. So betonte Prof.

Dr. Sadek Beloucif, Mitglied des franzö- sischen Nationalen Ethikrates, dass im Islam der heilige Charakter des Lebens respektiert werden müsse. Der Fötus gelte als schützenswert vom Beginn sei- ner Beseelung an, das sei für die mei- sten Rechtsgelehrten vom 40. Tag an.

Für andere allerdings beginne das Le- ben bereits mit der Zeugung. Abtrei- bungen eines beseelten Embryos seien deshalb verboten. Künstliche Befruch- tung sei dann erlaubt, wenn dafür nicht die Samen- oder Eizellen fremder Spender verwendet werden. Das thera- peutische Klonen sei im Gegensatz zum

reproduktiven Klonen unter bestimm- ten Voraussetzungen erlaubt. Zwar müsse auch die Würde so genannter überzähliger Embryonen respektiert werden. Doch können Beloucif zufolge überzählige Embryonen dennoch für die Forschung akzeptiert werden, da sie ansonsten der Zerstörung anheim fal- len würden.

Zwischen Ideologie einerseits und der Realität andererseits gibt es aller- dings starke Unterschiede, die Dr. Carla Makhlouf Obermeyer von der Weltgesund- heitsorganisation er- läuterte. Viele islami- sche Staaten hätten aus der Kolonialzeit restriktive Regelun- gen des Schwangerschaftsabbruchs „ge- erbt“. In 28 islamischen Ländern, in denen die Sharia gelte, sei Schwanger- schaftsabbruch verboten. Nur in Bah- rain, der Türkei und Tunesien seien die Abtreibungsgesetze liberaler gestaltet.

Doch auch in den Ländern mit restrikti- ver Regelung gebe es „viel Spielraum“.

So sei in Ägypten der Schwanger- schaftsabbruch verboten. Die Polizei greife in der Regel jedoch nur dann ein, wenn es zu Todesfällen komme. In Bangladesch werde ein Schwanger- schaftsabbruch einfach als Regulierung der Monatsblutung bezeichnet. Auch in islamischen Ländern „schießen die In- vitro-Fertilisationszentren wie Pilze aus dem Boden“. Sie dienten der „stillen Rettung vieler Ehen“, seien jedoch nur

einer wohlhabenden Schicht zugänglich und würden vorwiegend bei der Un- fruchtbarkeit des Mannes in Anspruch genommen.

Im Judentum, so Prof. Dr. Avraham Steinberg, Jerusalem, beginne das Le- ben des Fötus erst mit der Nidation, so- dass zwischen Präembryo und Embryo unterschieden werden müsse. Menschli- che Würde käme allerdings auch dem Präembryo zu. Sogar der Samen sei schützenswert, weshalb Samenspenden und Masturbation verboten seien. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) sei zulässig, da sie lediglich eine Vernich- tung defekter Präembryonen bedeute.

Auch embryonale Stammzellforschung sei erlaubt. Auf die Frage, warum denn Masturbation zum Schutz von Samen unzulässig, dagegen PID und embryo- nale Stammzellforschung erlaubt seien, antwortete Steinberg: „Diese Techni- ken sind nur deshalb erlaubt, weil die Vorteile die Nachteile überwiegen.“

Schließlich könnten durch die Stamm- zellforschung möglicherweise Men- schenleben gerettet werden. Und die Gefahr, ein Kind mit schweren Missbil- dungen zur Welt zur Welt zu bringen, habe mehr Gewicht als die noch relativ geringen Rechte des Präembryos.

Abtreibungen seien, so Steinberg, im Judentum in der Regel nur in den ersten 40 Schwangerschaftstagen zulässig.

Prof. Shimon Glick, Beer Sheva, be- richtete über die Praxis in Israel. Unter britischem Mandat, also bis 1948, seien Abtreibungen verboten gewesen; so- wohl die Frau als auch der Arzt hätten mit strengen Strafen rechnen müssen.

Nach der Entstehung des Staates Isra- el sei dieses Gesetz bis auf eine Locke- rung im Jahr 1966 weiter in Kraft ge- blieben. 1977 sei das Abtreibungsrecht neu geregelt worden. Danach seien Schwangerschaftsabbrüche unter be- stimmten Voraussetzungen erlaubt worden. Unter dieser Gesetzgebung kam es zu 15 000 bis 20 000 legalen Ab- treibungen jährlich, wobei die größte Zahl unter die so genannte soziale In- dikation fiel. Als im Jahr 1979 die Re- gierung wechselte, fiel den religiösen Parteien eine größere Bedeutung zu, was zur Streichung der sozialen Indi- kation geführt habe. Dies habe sich je- doch als Pyrrhus-Sieg erwiesen. Denn auch nach dem Wegfall der sozialen In- T H E M E N D E R Z E I T

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A3078 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003

Der Umgang mit vorgeburtlichem Leben

Regeln und Ausnahmen

Die relevanten Glaubensinhalte der Weltreligionen

wurden auf der Jahrestagung des Nationalen Ethikrates gegenübergestellt.

„Im Judentum beginnt das Leben des Fötus

mit der Nidation.“

Foto:OKAPIA

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dikation sei die Zahl der legalen Ab- treibungen nicht gesunken. Die Ursa- che: Die sozialen Indikationen seien einfach als medizinische Indikationen erklärt worden.

Es gebe kein Land auf der Welt, in dem so viele Gentests und pränatale Diagnostik wie in Israel vorgenommen würden. Drei Prozent aller in Israel ge- borenen Kinder seien durch In-vitro- Fertilisation entstanden. Für die For- schung an embryonalen Stammzellen wurden im Jahr 2001 Leitlinien eines Beratenden Bioethischen Komitees der Israelischen Wissenschaftsakademie vorbereitet. Diese Leitlinien versuch- ten die Balance zwischen dem Lebens- schutz des menschlichen Embryos und dem „enormen lebensrettenden Poten- zial der Stammzellforschung“ zu wah- ren. Die Erzeugung von embryonalen Stammzellen für Forschungszwecke ist daher verboten, die Forschung an

„überzähligen“ Embryonen jedoch er- laubt. Die Präimplantationsdiagnostik sei eine in Israel gängige Praxis.

Der große Unterschied der asiati- schen zu den monotheistischen Religio- nen besteht vor allem in dem Glauben an Wiedergeburt und Reinkarnation, wie Dr. Damien Keown berichtete. Und dieser Glaube präge auch die Einstel- lung zum Embryo. Geburt und Tod sei- en wie Drehtüren, durch die jedes Indi- viduum immer und immer wieder hin- durchgehe. Eines der Grundprinzipien der buddhistischen Ethik sei die Ge- waltfreiheit, und dazu gehöre auch der Respekt vor dem Leben, der sich nicht nur auf menschliches Leben, sondern auch auf Tiere und sogar Pflanzen be- ziehe. Der Buddhismus lehre, dass die verschiedenen Formen von Leben ein Kontinuum bilden, das heißt, die Le- bensform kann ent-

weder ein Tier, ein Mensch oder sogar ein Gott sein. In Anbe- tracht der Tatsache, dass der Mensch wie- dergeboren werden

könne, sei das Töten von Menschen in jedem Zustand seines Lebens, geboren oder ungeboren, moralisch verwerflich.

In den traditionelleren buddhisti- schen Ländern wie Thailand und Sri Lanka sei Abtreibung außer in einigen begründeten Ausnahmen verboten. Il-

legale Abtreibungen seien jedoch an der Tagesordnung. Jährlich würden in Thailand circa 300 000 Abtreibungen in einer der zahlreichen illegalen Ab- treibungskliniken vorgenommen. In Ja- pan, wo Schwangerschaftsabbrüche le- gal sind, würden jähr-

lich mehrere Millionen Abtreibungen vorge- nommen.

Im Hinduismus sei nach den ayurvedi- schen Texten der Fö- tus Mensch von der Empfängnis an, da er ab diesem Zeitpunkt

Seele und Körper habe, einschließlich des Karmas, das seine Individualität begründe, erläuterte Prof. Katherine K.

Young, Montreal. Der Fötus sei durch das ethische Prinzip des ahimsa, der Gewaltfreiheit, geschützt, und durch die Pflicht, den Fötus zu schützen, sei auch das Verbot des Schwangerschafts- abbruchs begründet. Abtreibung gelte als aktive Tötung und als ebenso ver- werflich wie Beischlaf mit der Frau des Gurus, Mord und das Essen von Rind- fleisch. Schwangerschaftsabbruch wer- de mit schweren Strafen belegt, wie zum Beispiel mit dem Verlust der Ka- ste, was den Verlust des rituellen und sozialen Status bedeutet. Die einzige Ausnahme, bei der ein Schwanger- schaftsabbruch straffrei ausgehe, sei auch im Hinduismus die Rettung des Lebens der Mutter.

Dr. Jyotsna Gupta, Leiden, machte deutlich, dass es in der Realität häufig anders aussieht. So sei in Indien im Jahr 1971 die Abtreibungsregelung liberali- siert worden, um das rasante Bevölke- rungswachstum einzudämmen. Durch die Globalisierung hätten zunehmend auch die Möglichkei- ten der westlichen Re- produktionsmedizin und pränatalen Dia- gnostik Einzug gehal- ten. Die Amniozen- tese sei jedoch keine Form der pränatalen Diagnostik, son- dern eine Form der Geschlechtsbestim- mung geworden. Töchter seien in der indischen Gesellschaft unerwünscht, weil die Familie für sie eine beträchtli- che Mitgift bieten müsse. Zwar sei die Geschlechtsselektion im Jahr 1994 ver-

boten worden, sie sei jedoch dennoch gängige Praxis. Zunehmend würden in Indien auch Möglichkeiten der extra- korporalen Fertilisation, wie Ei- und Samenspenden, aber auch Leihmutter- schaft angeboten, was zu einem regel- rechten „Fertilitäts- tourimus“ geführt ha- be. Im vergangenen Jahr habe die indische Regierung von einem Ausschuss zwei Richt- linienentwürfe erar- beiten lassen, wonach das therapeutische Klonen bei bis zu 14 Tagen alten Embryonen erlaubt sei, al- lerdings nur mit Zustimmung der „Be- sitzer“ der Embryonen.

Im Konfuzianismus sei es dem Men- schen verboten, Gott zu spielen und in die Schöpfung einzugreifen, führte Dr.

Julia Tao Lai Po-wah, Hongkong, aus.

Die Natur sei ein moralischer Prozess, der Leben gibt und zu Leben führt. Die Mission des Menschen sei es, der Natur zu helfen. Menschen dürften und müss- ten die Natur zwar verändern, es sei je- doch nicht hinnehmbar, so weit in die Natur einzugreifen, dass Designerbabys entstehen. Der Mensch werde nämlich unvollkommen geboren, und er habe das Potenzial zur Perfektionierung, die er selbst erreichen müsse. Man sei ver- pflichtet zu handeln, dürfe seine Gren- zen aber nicht überschätzen. Doch trotz dieser religiösen Vorgaben wird die Embryonenforschung in China konse- quent weiter vorangetrieben.

Deutlich wurde letztendlich, dass al- len Religionen die Ehrfurcht vor dem Leben und das Wissen von der Unver- fügbarkeit des Menschen gemeinsam sei, wie Prof. Dr. theol. Eberhard Schockenhoff, Freiburg, ausführte. Ei- nigkeit gibt es jedoch nicht in der grundlegenden Frage, ab wann Leben eigentlich beginnt. Landesbischof Prof.

Dr. theol. Wolfgang Huber, neu ge- wählter Ratsvorsitzender der Evangeli- schen Kirche in Deutschland, wies ab- schließend darauf hin, dass die Antwor- ten der Religionen lange vor dem Beginn der Reproduktionsmedizin gefunden wurden. „Jetzt muss ihre An- wendbarkeit überprüft werden.“ – Das Christentum war übrigens nicht Gegen- stand der Tagung. Gisela Klinkhammer T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003 AA3079

„Im Islam ist der Fötus schützenswert

von Beginn seiner Beseelung an.“

„Im Konfuzianismus ist es dem Menschen verboten,

Gott zu spielen

und in die Schöpfung

einzugreifen.“

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