Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 18|
2. Mai 2014 A 765V
or drei Jahren noch hat sie für große Aufregung gesorgt. Heute ist die frühe Nutzenbewertung, die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AM- NOG) in das deutsche Gesundheitswesen eingeführt wurde, zu einem Routineverfahren geworden: Vor kur- zem hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den 70. neuen Wirkstoff bewertet. Zeit für eine Zwi- schenbilanz: 13 Wirkstoffen hat der G-BA einen be- trächtlichen Zusatznutzen zugesprochen, 22 einen ge- ringen und sechs weiteren einen nicht quantifizierba- ren. Immerhin 26 Wirkstoffe hatten nach Einschätzung des G-BA dagegen keinen Zusatznutzen, und drei wur- den direkt einem Festbetrag zugeordnet. Ein Ziel des AMNOG war es, bei neuen Arzneimitteln die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist gelungen – auch, wenn mancher pharmazeutische Hersteller das Urteil des G-BA nicht geteilt haben wird.Ein anderes Ziel war es, die Herstellung echter Inno- vationen zu belohnen. Bei zehn der 13 neuen Medika- mente mit beträchtlichem Zusatznutzen seien die Ver- ordnungen nach dem Beschluss des G-BA rapide ge- stiegen, hatte dessen unparteiischer Vorsitzender, Josef Hecken, vor kurzem erklärt. Auch dieses Ziel wurde demnach erreicht. In der Summe hat das AMNOG in gut drei Jahren zu deutlichen strukturellen Verbesserun- gen im Arzneimittelbereich geführt.
Der weitere Erfolg des AMNOG hängt allerdings wesentlich an zwei Aspekten. Zum einen reichen die Informationen, die zum Zeitpunkt der frühen Nutzen- bewertung vorliegen, nicht aus, um Nutzen und Sicher- heit eines neues Arzneimittels realistisch bewerten zu können. Bei dem im April 2011 auf den Markt gekom- menen Wirkstoff Fingolimod beispielsweise, der zur Behandlung hochaktiver schubförmiger multipler Skle- rose eingesetzt wird, mussten bis heute vier Rote- Hand-Briefe verschickt werden. Darauf haben die Au- toren des von der Techniker-Krankenkasse in Auftrag gegebenen „Innovationsreport 2014“ hingewiesen. Zu- sätzlich zu einer frühen braucht man daher auch eine späte Nutzenbewertung. Für manche Wirkstoffe befris-
tet der G-BA deshalb bereits heute seinen Beschluss und fordert von den Herstellern, bis zu einem bestimm- ten Zeitpunkt weitere Daten für eine solche Spätbewer- tung vorzulegen. Auch durch die Versorgungsfor- schung, wie im „Innovationsreport“ geschehen, können solche Bewertungen vorgenommen werden. Sie sind extrem wichtig.
Zum anderen ist es unerlässlich, dass ebenso Arznei- mittel aus dem Bestandsmarkt bewertet werden. Höchst problematisch ist es daher, dass der Gesetzgeber vor kurzem dem G-BA die Möglichkeit genommen hat, auch für diese Medikamente Nutzenbewertungen vor- zunehmen. Dafür sei der administrative Aufwand zu hoch, befanden Union und SPD. Heute gibt es zahlrei- che Hinweise darauf, dass die gesetzliche Krankenver- sicherung viel Geld für Arzneimittel aus dem Bestands- markt bezahlt, die keinen Zusatznutzen haben. Diese systematisch zu bewerten, hätte nicht nur die Arznei- mittelversorgung in Deutschland verbessert, sondern ebenfalls die Ausgaben gesenkt. Da dies nun nicht ge- schehen wird, bleibt das AMNOG, trotz aller Verdiens- te, am Ende nur Stückwerk. Zum Glück sind Ärzte je- doch nicht auf den Gesetzgeber angewiesen, um den Nutzen von Arzneimitteln beurteilen zu können. Die Autoren unabhängiger Arzneimittelzeitschriften leisten diese wichtige Arbeit seit Jahren.
DREI JAHRE AMNOG
Erfolge und ein großer Makel
Falk Osterloh
Falk Osterloh Politischer Redakteur in Berlin