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Archiv "Fallpauschalen: Sterbenden Patienten nicht angemessen" (22.11.2013)

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A 2272 Deutsches Ärzteblatt

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22. November 2013

Das Leser-Forum

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

FA LLPA U SCH A LEN

Das DRG-System enthält grundlegen- de Fehler, die nicht durch punktuelle Eingriffe behoben werden können (DÄ 39/2013: „Das deut- sche DRG-System: Grundsätzliche Kon- struktionsfehler“ von Michael Simon).

Abschaffen

. . . Es handelt sich um einen der wichtigsten Artikel, der in den letz- ten Monaten im DÄ erschienen ist.

Das vor zehn Jahren „mit deutscher Gründlichkeit“ eingeführte DRG- System hatte ja zunächst das Ziel, die unnötig langen Liegezeiten zu vermindern, was auch gelang. Das vollständige Unterordnen der Be- zahlung von Krankenhausleistun- gen unter das DRG-System hat aufgrund der von Simon geschil- derten systemimmanenten Fehler inzwischen zu großen Kollateral- schäden geführt. Als Beispiel sol- len die nachhaltige Störung der Zu- sammenarbeit der Krankenhäuser untereinander, die unsägliche

„Mengenausweitung“ invasiver Methoden und die ungenügende Finanzierung der Krankenhäuser genügen. Allein die Tatsache, dass eine Sonderfinanzierung der Uni- versitätskliniken infrage gestellt wird, ist grotesk. Das DRG-System hat zu einer extrem ungesunden Konkurrenz unter den Krankenhäu- sern geführt, die in keiner Weise den Interessen der Patienten dient.

Selbst die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kollegen ist durch den „Kodierungswahn“ ge- stört. Die Tätigkeit der meisten Chefärzte kann inzwischen nicht mehr als „freier Beruf“ bezeichnet

werden, da sie durch ökonomische Zwänge zu sehr in ihrer therapeuti- schen Freiheit eingeschränkt wer- den, was sich dann auch wieder ne- gativ auf die Ausbildung des medi- zinischen Nachwuchses auswirkt.

Nicht zuletzt scheinen die Einspar- effekte der kürzeren Liegezeiten durch ein personelles Aufrüsten aufseiten der Kliniken und Kran- kenkassen (Kodierer, MDK etc.) wieder zunichtegemacht zu wer- den.

Es ist pikant, dass dieses System ausgerechnet von den sich doch immer als besonders humanistisch gebärdenden Sozialisten, das heißt Rot-Grün, auf den Weg gebracht wurde und bestätigt damit wieder einmal das ewige Paradoxon, dass jene, die das „Gute“ wollen, oft- mals das „Schlechte“ produzieren . . . Unter den gegebenen Umstän- den wäre es das Beste und Verant- wortungsvollste, das DRG-System als Hauptkriterium für die Bezah- lung von Krankenhausleistungen abzuschaffen. Auch auf dem nächs- ten Ärztetag sollte das Thema DRG ausgiebig diskutiert werden.

Prof. Dr. med. Jens Oeken, Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Klini- kum Chemnitz gGmbH, 09116 Chemnitz

Ein Experiment

Wie auch immer man selbst zum DRG-System steht: Unstrittig ist, dass es in vielfältiger Weise, direkt und indirekt, mal mehr und mal weniger ausgeprägt, flächende- ckenden Einfluss auf die medizini- sche Behandlung nimmt. Dass dies so sein würde, war beabsichtigt und bei Einführung der Fallpau- schalen bekannt. Bezüglich der möglichen Auswirkungen bestan- den hingegen Unsicherheiten und

kontroverse Auffassungen. Mithin handelt es sich bei dem DRG-Sys- tem seit Anbeginn um ein Experi- ment mit ungewissem Ausgang.

Dies gleicht – von einer wesentli- chen Ausnahme abgesehen – der Ausgangssituation bei wissen- schaftlichen Studien und medizini- schen Experimenten: Während letztgenannte der Zustimmung ei- ner Ethikkommission bedürfen, um überhaupt an den Start gehen zu dürfen, hat das DRG-Experiment offensichtlich nie eine derartige Überprüfung erfahren. Zumindest wurde meine entsprechende Nach- frage anlässlich der Vorstellung des DRG-Systems in einer mittelhessi- schen Universitätsklinik seinerzeit vom Protagonisten – einem Mit- glied der DRG-Research-Group – mit Unverständnis und Achselzu- cken quittiert.

Dr. med. Martin Just, 35043 Marburg

Sterbenden Patienten nicht angemessen

In seinem sehr nachdenklich stim- menden Beitrag über grundsätzli- che Konstruktionsfehler des deut- schen DRG-Systems weist Herr Si- mon darauf hin, dass Deutschland der einzige Staat ist, in dem

„DRGs als striktes Preissystem“

eingesetzt werden. Zu ergänzen ist an dieser Stelle, dass Deutschland auch das einzige Land der Welt ist, welches die stationäre Palliativme- dizin über das DRG-System abbil- den möchte. So ist im neuen, am 14. Oktober 2013 veröffentlichten Fallpauschalenkatalog mit der ZE 145 erstmals ein Zusatzentgelt für die spezialisierte stationäre pallia- tivmedizinische Komplexbehand- lung vorgesehen. Zu befürchten ist, dass daher künftig auch diejenigen

U SC

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Palliativstationen, die bislang als

„Besondere Einrichtungen“ aner- kannt waren und daher über tages- gleiche Pflegesätze abrechnen konnten, mittels Fallpauschalen fi- nanziert werden müssen.

Das große Vertrauen der politisch Verantwortlichen in die Anwend- barkeit des Fallpauschalensystems auf die stationäre Palliativversor- gung beruht darauf, dass durch Zu- satzentgelte dem „personal- und zuwendungsintensiven Aspekt der Versorgung von palliativ zu versor- genden Patientinnen und Patienten Rechnung getragen“ werde. Diese Zusatzentgelte seien auf der Grundlage der Ist-Kosten der Be- handlungen kalkuliert, so dass die Leistungserbringer eine leistungs- gerechte und kostendeckende Ver- gütung erhalten würden.

So beruhigend diese Zusicherun- gen klingen mögen, so grundsätz- lich sind die Fragen, die sich erge- ben, wenn nun alle Palliativstatio- nen, unabhängig von den spezifi- schen Versorgungsgegebenheiten, gezwungen werden sollen, die von ihnen betreuten Patienten über Fallpauschalen abzurechnen; ganz abgesehen einmal von der Frage, ob die vom InEK zugrunde geleg- ten Kalkulationsdaten tatsächlich die Wirklichkeit aller Palliativsta- tionen abbilden – auch auf diese Problematik der Repräsentativität weist der Beitrag von Herrn Simon zutreffend hin!

Hat es unser Gesundheitssystem wirklich nötig, die Betreuung ster- bender Menschen mit den prinzi- piell gleichen Maßstäben zu mes- sen wie die anhand medizinischer Prozeduren messbare Patientenbe- treuung auf Akutstationen? Müssen künftig auf allen Palliativstationen Kodierer danach forschen, wie der Aufenthalt des sterbenden Patien- ten für die Klinik möglichst kos- tendeckend abgerechnet werden kann? Sind untere, mittlere und obere Verweildauer ein angemesse- ner Maßstab, wenn es um das Ster- ben in Würde geht? Ist für die Ver- gütung der Leistungen auf Pallia- tivstationen ein Entgeltsystem er- strebenswert, das letztlich durch Wettbewerb Effizienzreserven frei- setzen soll? Natürlich kann man ar-

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22. November 2013 gumentieren, dass die Vergütung

nach dem Fallpauschalensystem als Mischkalkulation doch empi- risch abgesichert sei. Und doch muss die grundsätzliche Kritik er- laubt sein, dass dieses Abrech- nungsmodell zu einer Sichtweise auf den sterbenden Patienten füh- ren kann, die seiner Situation grundsätzlich nicht angemessen ist.

Warum in aller Welt müssen wir einen so vulnerablen Bereich die- sem Abrechnungssystem und sei- nen Leistungsanreizen aussetzen, dessen Schattenseiten in der letzten Zeit zunehmend in die öffentliche Diskussion geraten? Ist es nicht allseits konsentierter politischer Wille, in Deutschland die Rahmen- bedingungen der Betreuung ster- benskranker Menschen so zu ver- bessern, dass der Ruf nach der ak- tiven Sterbehilfe oder dem ärztlich assistierten Suizid in den Hinter- grund tritt? . . .

Vielleicht bietet die nach den Bun- destagswahlen notwendige Neube- setzung des Gesundheitsministeri- ums eine Chance für ein Moratori- um, ein Innehalten, um die Konse- quenzen einer zwangsweisen Ein- beziehung aller Palliativstationen in das Fallpauschalensystem in Ru- he zu bedenken, statt unerschütter- lich am einmal eingeschlagenen Weg festzuhalten – „koste es, was es wolle“!

Literatur beim Verfasser

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Weber, Leiter der Interdisziplinären Einrichtung für Palliativmedizin, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Uni- versität Mainz, 55131 Mainz

Weiterentwickeln

Der Autor Prof. Dr. Michael Simon beschreibt zutreffend die lauter werdende Diskussion über die Steuerungswirkungen des DRG- Systems, das in Deutschland seit nunmehr zehn Jahren die Kranken- hausfinanzierung regelt. Ob dies aber grundsätzliche Konstruktions- fehler beinhaltet, darf bezweifelt werden . . .

Mit dem DRG-System in seiner perfekt deutschen Ausgestaltung wurde erreicht, dass sehr differen- zierte medizinische Leistungen auch sehr differenziert vergütungs-

technisch abgebildet werden. Fast 1 200 Fallpauschalen haben unab- hängig von weiteren Differenzie- rungen eine Bandbreite der Vergü- tung zwischen ein- und sechshun- dertfachem Vergütungssatz (DRG- Relativgewichte zwischen 0,11 und 62) herbeigeführt, die im früheren Pflegesatzsystem trotz zusätzlicher Sonderentgelte nicht annähernd er- reicht wurden.

Erste Folge dieser Differenzie- rung war aber die Herstellung von Transparenz: Traditionelle Ein- gruppierungen der Krankenhäuser nach Bettenklassen oder landessei- tigen Festlegungen (Maximal-, Re- gel- und Grundversorger) wurden entweder bestätigt oder aber voll- kommen falsifiziert.

Die im internationalen Vergleich sehr überdurchschnittliche Ver- weildauer hatte offenkundig nicht nur medizinische, sondern auch ökonomische Gründe; mit dem DRG-Fallpauschalensystem wurde eine weitgehende Angleichung an vergleichbare Daten des westeuro- päischen Auslands erreicht.

Mit der Verkürzung der Verweil- dauer um circa 50 Prozent während der vergangenen 20 Jahre treten selbstredend auch Überkapazitäten zutage. Diese abzubauen, bleibt ei- ne grundsätzliche volkswirtschaft- liche Aufgabe, die entweder zen- tralverwaltungswirtschaftlich, wie vom Autor Simon gewünscht, oder dezentral marktwirtschaftlich ge- löst werden kann.

Bestandteil des DRG-Systems ist bekanntlich die sukzessive An- gleichung aller Krankenhauspreise in jeweils einem Bundesland; hier- für wurde den Krankenhäusern mit mehrfacher Verlängerung der Kon- vergenzphase sieben Jahre Zeit eingeräumt. Ein solches Vorgehen ist nicht illegitim, wenn man daran denkt, dass die Krankenhausvergü- tung durch Zwangsabgaben, näm- lich die Beiträge der gesetzlich Versicherten, erfolgt. Die Orientie- rung an Durchschnittswerten stellt einen pragmatischen, aber wirksa- men Weg dar; sie sanktioniert po- sitiv eine gute Wirtschaftlichkeit und Organisationseffizienz, nega- tiv die Nichterledigung von Haus- arbeiten.

Nicht gelöst worden ist mit dem DRG-System das Problem der dua- len Krankenhausfinanzierung, die eine volkswirtschaftliche Fehlkon- struktion darstellt. Die Bundeslän- der kommen in der Tat fast aus- nahmslos ihren gesetzlichen Ver- pflichtungen zur Finanzierung der Investitionen nicht nach. Fast alle Bundesländer konterkarieren die vorgenannten Wirkmechanismen des DRG-Systems mit diskretionä- rer Krankenhausstandortpolitik.

Hier gilt es, in Richtung monisti- scher Finanzierung, wie im Bun- desgesetz grundsätzlich vorgese- hen und in Nordrhein-Westfalen annäherungsweise bereits reali- siert, voranzugehen.

Es kann nicht bestritten werden, dass auch das DRG-System ökono- mische Fehlanreize enthält, die auf- grund der Finanzierung zulasten Dritter (Krankenkassen) von den beteiligten Akteuren, also den Pa- tienten und den Krankenhäusern, auch nicht ganz unterdrückt wer- den, zumal die Grenzmoral im Ge- sundheitswesen offenkundig nicht höher einzustufen ist als in anderen, mit weniger Ethikanspruch daher- kommenden Branchen.

Deshalb muss das DRG-System weiterentwickelt werden in Rich- tung mehr Qualitätstransparenz, die sich auch auf die Qualität der Indikationsstellung beziehen muss.

Gesetzliche Vorschriften, Anstren- gungen der Selbstverwaltung und nicht zuletzt innovative Aktivitäten von Klinikportalen (Weiße Liste, Qualitätskliniken.de) wirken hier in die richtige Richtung.

Fatal wäre es jedoch, das DRG- System, das seine internationale Bewährung bereits durch mehrfa- chen Export in andere Länder unter Beweis gestellt hat, grundsätzlich infrage zu stellen. Transparenzher- stellung, Qualitätsverbesserung und Wirtschaftlichkeitsbeförderung blieben auf der Strecke, wenn ein Rückweg beschritten würde in Richtung etatistischer Kranken- hausplanung und Selbstkostener - stattungsprinzip.

Dipl.-Volksw. Dr. rer. pol. Georg Rüter, Vorsitzender des Zweckverbandes freigemein - nütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwest - falen, 48149 Münster

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