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UND „SICH DREHEN&#34

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SOZIALE, KOSMOLOGISCHE UND MYTHOLOGISCHE BEZÜGE DER

VERBEN ,3ERAUSK0MMEN" UND „SICH DREHEN" IM RENDILLE*

von Günther Schlee, Hamburg

Diese beiden Begriffe „herauskommen" und ,,sich drehen"' habe ich als Einstieg gewählt, über den ich Sie einen kurzen EinbHck in das auf Kosmos und GeseUschaft bezogene Glaubenssystem der Rendille nehmen lassen wiU. Dieses Glaubenssystem läßt sich nicht aus einigen Sätzen und Begriffen ableiten, sondern seine Beschrei¬

bung erfordert Kenntnis der Kultur und besonders der Sprache in aU ihren Verwen¬

dungen. Das, was ich Ihnen hier vorführen kann, hat daher nur exemplarischen

Charakter und rechtfertigt aus sich heraus keine Verallgemeinerungen oder induk¬

tive Schlüsse. Kontrollierbar werden Aussagen über ein Glaubenssystem erst da¬

durch, daß das täglich beobachtete verbale und nicht-verbale Verhalten diesem

System konform gehen. Die letzte Kontrolle besteht darin, daß der Forscher als

Erlerner der Sprache und Kultur die beschriebenen sprachlichen und gedanklichen

Formen kreativ anwendet und erfolgreich in ihnen kommuniziert. Alles, was auf

schmalerer empirischer Basis steht, läuft Gefahr der Überinterpretation und Fehl¬

interpretation.

Da diese Art der semantischen Analyse neben dem sprachlichen den außersprach¬

lichen Kontext hinzuziehen und von Wissen über Kultur und Umwelt ausgehen

muß, gestatten Sie mir, einige Fakten über die Rendüle und ihren Lebensraum vor¬

auszuschicken.

Die Rendille sprechen eine kuschitisehe Sprache^. Der durch gemeinsame Initia¬

tionsriten konstituierte Stammesverband umfaßt etwa 9.000 Mitglieder. Die Sprach¬

gemeinschaft ist etwas größer.

Sie nomadisieren mit großen Herden von Kamelen und Kleinvieh in einem ariden

Gebiet Nordkenias. Die Vegetation variiert zwischen Akazien savanne, die allerdings nur an den Ufern der meist trockenen Flußbetten anzutreffen ist. Dornbuschsteppe

und — am anderen Extrem — baumloser Wüste.

Der Kalender der RendiUe ist sehr elaboriert. Unabhängig voneinander existieren

das Sonnenjahr und der Zyklus von zwölf empirischen Monaten. Das Datum wird

als Tag des Mondzyklus' angegeben und Zeitspannen werden in Monaten und Tagen

berechnet. Bei der Terminfestsetzung für ein Fest, das nur einmal un (Sonnen-!)Jahr

* Eine ausführlichere Fassung dieses Vortrags ist im Band der Marburger Studien zur Afrika

^ unä Asienkunde abgedruckt.

1 In dieser Kurzfassung analysiere ich nur den zweiten Begriff

2 Diese Sprache habe ich in einem Anhang zu meiner Dissertation grammatisch beschrieben:

Schlee, Günther: Das Glaubens- und Sozialsystem der Rendille. Kamelnomaden Nordkenias, Diss. phil. Hamburg 1977 (noch unveröffentlicht), S. 547-629.

XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen

(2)

464 Günther Schlee

Stattfinden soll, zeigt sich, daß die Rendille den Unterschied zwischen zwölf Mona¬

ten und einem Jahr verstehen und mit ihm umgehen können.

Die Grobstruktur der Zeit besteht in einem Altersklassensystem. Eine Alters¬

klasse umfaßt ideal vierzehn Jahrgänge. Das Heiratsalter beträgt für Männer 35 plus-

minus sieben Jahre. Während des Altersklassenzyklus' davor sind sie Krieger. Sie

üben als solche eine wichtige Schutzfunktion gegen Nachbarstämme - Gabbra und

Turkana - aus und gehen auch selbst auf Kriegszug, um Vieh zu erbeuten und

mänrüiche Feinde zu erschlagen, deren Genitalien, als Trophäe zu Hause vorgewie¬

sen, Urnen Geschenke und Ehren einbringen. Da solcherart es die Krieger sind, die

mehr als die verheirateten Männer einer Zeit Uir Gepräge geben, benennt man die

Zeit ihres Kriegertums nach üinen: ,,die Zeit, als die-und-die Altersklasse Krieger waren".

(Es folgt die Analyse des Verbs „herauskommen", die hier aus Platzgründen entfällt)

Nun zu unserem zweiten Beispiel. Mar-nän (mit dem Verbstamm mar) bedeutet

„eine Kreisbewegung ausfuhren", umfaßt also den semantischen Bereich, der im

Deutschen - je nach der Entfernung des Agens vom Mittelpunkt der Kreisbewegung - entweder als „sich drehen" oder als ,,hemmgehen" bezeichnet wird. So z.B. heißt es im Zusammenhang mit einer rituellen Prozession:

Göb la-ka-sö-mar-a.-

Siedlung Pass Loc Ven herumgehen III. Pers. Imperf.

„Man geht um die Siedlung herum."

Eine Übertragung fmdet in den Bereich Zeit statt. Die RendiUe-Vorstellung von

der Zeit ist zyklisch - eine Vorstellung, die sich auch in der europäischen Tradition findet, dort aber gegenüber der üblichen Metaphorik, die die Zeit als Fluß sieht, zurücktritt. ...

Gu asömare ...

Jahr/Frühjahrsregenkam herum

,,Ein Jahr später, nach einem Jahr, der Frühjahrsregen war gekommen, nach den Früh¬

jahrsregen" o.ä.

Ebenso sagt man auch DdJi asömare.

Däji ist ein Umlauf der Weltgeschichte und beträgt 84 Jahre; ausgehend von dem

auf der Sieben-Jahres-Woche (,,Montagsjahr", „Dienstagsjahr" etc.) aufbauenden Altersklassensystem sind das zwölf Sieben-Jahres-Zyklen, sechs Altersklassenzyklen (die Beschneidung einer neuen Altersklasse geschieht alle vierzehn Jahre in einem

Freitagsjahr), oder zwei Generationen. Die Beschneidung von Großvater und Enkel

liegt, von Ausnahmeregelungen abgesehen, 84 Jahre auseinander. Großvater und

Enkel benehmen sich aber in vieler Hinsicht wie Altersklassengenossen und üire

Altersklassen erhalten - wiederum von Ausnahmeregelungen abgesehen - den

gleichen Namen. Es handelt sich also um dieselbe Altersklasse, die nur wieder ein

weiteres Mal ,hemmgekommen" ist.

(3)

Bezüge der Verben „herauskommen" und „sich drehen" im Rendille 465

So heißt es in einem Bericht eines Seniors über Ereignisse des ausgehenden neun¬

zehnten Jahrhunderts:

Wah-ds ^ a kholo-td (!)

I , \ I I \

Dmg/Etwas jenes (Kopula) Altersklasse diese Das war diese (!) Altersklasse.

Und in einem sich anschließenden Bericht über renzente Ereignisse, in dem die Ähn¬

lichkeit mit den Ereignissen von vor 84 Jahren hervorgehoben wird (damals gab es

erst Krieg, dann Frieden ...), hören wir:

Int-iye (goratj diho^ asömare.

. Ort Det (von früher) Krieg herumkam ,,Der Ort (!!) des Krieges ist herumgekommen."

Das zugrundeliegende Bild des Zeitablaufs ist also das einer Kreisbewegung, wo¬

bei auf dem Kreisumfang die einzelnen Ereignisse als Punkte, wörtlicher: ,,Orte", in

festem Abstand voneinander vorgegeben sind. Bei dieser Vorstellung einer sich im

ganzen drehenden kreisförmigen Anordnung mag die Anschauung des Firmaments

Pate gestanden haben. Der Rendille-Kalender, bestimmte rituelle Gebote und eine

Sparte der Wahrsagerei beruhen auf einer hochentwickelten astronomischen An¬

schauung.

(4)

THE SOUTHERN BAUCHI GROUP OF CHADIC LANGUAGES*

von Kiyoshi Shimizu, Marburg

1. THE VANISHING LANGUAGES OF BAUCHI STATE

During the two dry seasons (January-March) of 1974 and 1975, 1 conducted,

under the auspices of the Centre for the Study of Nigerian Languages, Ahmadu

Bello University, Kano, a detailed linguistic survey of the western half of Bauchi State, Northern Nigeria. The method was simply to visit as many settlements found in this area as possible and to collect a short wordhst of Swadesh first 100 basic items from all the speech forms which are distinct from each other.

At the end of the survey, I had actually been able to cover almost all those parts of Bauchi State which lie to the west of the Bauchi-Ningi road in the north and to

the west of the Yankari Game Reserve in the South. As a result the following two

points concerning the linguistic situation in this area have become clear.

(1) The linguistic groups found in this area:

There are as indigenous groups in this area speakers of languages from three dif¬

ferent stocks:

a) The Southern Bauchi Group of Chadic (over 32 speech forms);

b) Jarawan Bantu (about 15 speech forms);

c) Plateau 1. b. (about 15 speech forms).

In addition to these, there are the following immigrant populations of notable size:

a) Hausa;

b) Fulani (Rumaadaa);

c) Kanuri (mostly Hausa or Fula-speaking);

d) Angas-Sayaa, and others who still speak their own languages.

(2) The fact that all these languages are vanishing.

Almost the entire population in this region of Bauchi State are culturally Mos¬

lems, and Hausa is rapidly replacing the indigenous languages. After the survey my rough estimation of the situation is as follows:

a) More or less 80% of the languages from which I collected data are no longer

spoken by young people. They not only speak Hausa but consider it as their own

language as well;

b) For more or less 50% of the languages 1 surveyed, there are only a few very

old people who can still speak or remember their own languages;

* The full text of the paper and linguistic data collected and analysed during this survey is to be published in the near future as a supplement Xo Africana Marburgensia.

XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen

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