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Vollkasko in der Medizin?

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Editorial

180 Ärzteblatt Sachsen 5 / 2014

Vollkasko in der Medizin?

Zwischen Anspruch und Wirklich- keit

Erinnerungen an eigene Studienzei- ten und Erwartungen an den Beruf werden wach, wenn ich Studenten unterrichten darf. Auch die heutigen Studenten möchten vor allem eines:

die Kunst des Heilens erlernen. Die Erkenntnis, dass dies in den unter- schiedlichsten Facetten geschieht und dass oft mehrere Wege zur Genesung des Patienten führen kön- nen, reift dabei früh. Dies ist wichtig, richtig und gut. Natürlich besteht bereits frühzeitig der Wunsch, auch die Patienten- und Alltagswirklich- keit kennenzulernen. Aber genau da beginnt es kompliziert zu werden.

Denn unterhalte ich mich mit Kolle- gen, bestätigen diese die Schwierig- keit, die illusionären Vorstellungen der Studenten über den ärztlichen Beruf mit der notwendigen tiefen ethischen, aber auch ökonomischen Verantwortung zu verbinden. Warum ist das so?

Nach meiner Meinung ergibt sich die größte Ernüchterung dadurch, dass wir bereits frühzeitig im Berufsleben feststellen müssen, dass unsere Tä - tig keit Grenzen hat. Grenzen dahin- gehend, dass wir uns einer deutlich veränderten Erkrankungswelt gegen- übersehen, die von der Medizin und vor allem aber von der Gesellschaft wohl noch nicht ausreichend beach- tet wird, obwohl diese sich bereits

seit Jahren zeigt. Ich meine damit die Längerlebigkeit, die damit einherge- henden chronischen Erkrankungen ebenso wie die der Karzinomerkran- kungen sowie die damit verbunde- nen Probleme des Gesundheitssys- tems.

Nun, ganz hilflos ist die heutige Medizin natürlich nicht. Wir können viel tun. Aber können wir im besten Sinne heilen – eine „Restitutio ad integrum“ in jedem Falle erreichen?

Dies doch wohl eher nicht, auch wenn es oft anders suggeriert wird.

Es bleibt immer ein Rest Erkrankung übrig. Gesundheit bedeutet heutzu- tage eben nicht mehr:

„Ein Zustand des vollständigen kör- perlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebre- chen.“ (WHO)

Sondern vielmehr:

„Zustand des objektiven und subjek- tiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung im Einklang mit den eigenen Mög- lichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet.“

(Klaus Hurrlemann) oder

„Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigun- gen nachzugehen.“

(Friedrich Nietzsche)

Zweifellos die einfachere Definition ist die von Friedrich Nietzsche, lässt sie Wertvorstellungen eines Men- schen scheinbar außer Acht. Hurrle- man hingegen ordnet den Menschen ein. Er spricht von Möglichkeiten und Zielvorstellungen. Das bedeutet, der Einzelne muss sich auch aktiv an seiner Genesung beteiligen, er muss seine Ziele bei Eintritt einer Erkran- kung neu justieren, das bedeutet Mitarbeit und Eigenbeteiligung in Prävention und Genesung. Hierin liegt für mich der empfundene Kon- flikt: Vollkasko und vollständige Ge -

nesung oder eine dem Alter und den Umständen entsprechende Gesund- heit.

Die derzeitige öffentliche gesell- schaftspolitische Diskussion zum Krankenkassenbeitrag impliziert Ge - sundheit im Sinne der WHO-Defini- tion. Selten wird dabei durch die Politiker und die Verantwortlichen dargestellt, dass im SGB V seit Jah- ren eine Grund- und eben keine Luxusversorgung festgeschrieben ist.

Im Gegenteil, die „Alles ist möglich“

Vollkasko-Mentalität wird schon aus wahltaktischen Gründen befördert.

Eine Eigenbeteiligung wird nur fiska- lisch und am Rande betrachtet.

Mich veranlasst die Frustration darü- ber, zuweilen gegenüber meinen Patienten folgendes festzustellen:

„Die Existenz des CSE-Hemmers rechtfertigt nicht die Bockwurst und die des Insulins schon gleich gar nicht die Schwarzwälder-Kirsch- Torte“. Meist ernte ich dafür ein ungläubiges oder verständnisloses Lächeln, genau wissend, dass alle Empowermentversuche bei meinen

„mündigen“ Patienten leider nur Schall und Rauch sind.

Der Begriff der „Eigenbeteiligung“

bedeutet aber auch Verantwortung für die eigene Gesundheit und für die Gesellschaft zu übernehmen.

Doch wird er zu oft mit einer weite- ren finanziellen Beteiligung neben dem Krankenkassenbeitrag verbun- den. Wie eine Studie der TU Dresden beweist, stellt die Einführung von Wirtschaftlichkeit in der Arztpraxis im Sinne von einer angemessenen Vergütung durch den Patienten an den Arzt einen negativen Erfolgsfak- tor bei der Übernahme einer Arzt- praxis dar. Patienten möchten nicht, dass ihr Arzt auch Unternehmer ist.

Seelsorgerischer Einsatz und Rund- umversorgung werden von uns Ärz- ten eingefordert. Diesem Anspruch kommen wir gern nach, nur unter- scheiden sich offenbar die Blickwin- kel. Allzu oft fehlt uns in Klinik und Praxis die Zeit für die Patienten, wel- che aus Krankheitsgründen unsere volle Aufmerksamkeit bedürfen, weil notwendige subsidiäre Strukturen © SLÄK

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Ärzteblatt Sachsen 5 / 2014 181

fehlen oder unnötige Arztbesuche uns in Anspruch nehmen, wie die Konsultationszahlen in unseren Kran- kenhausnotaufnahmen an Wochen- enden und Feiertagen zeigen. Das notwendige Maß an Selbstdisziplin scheint in unserer Gesellschaft ab -

handen gekommen zu sein. Der Slo- gan lautet „Es kostet doch nichts“.

Doch es kostet – es kostet ärztliche Zeit und Arbeitskraft. Und es kostet das Geld der Solidargemeinschaft.

Würde so mancher unserer Patienten nur ein bisschen mehr eigene Ver-

antwortung übernehmen, dann glaube ich, fiele es uns Ärzten auch leichter, den Patienten auch in Zukunft im Mittelpunkt unseres Inte- resses zu behalten.

Erik Bodendieck Vizepräsident

Editorial

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