§45 Gewerbeordnungs-undAnlagenrecht I. Zur EinordnungdesGewerberechts
Währenddas AllgemeineÖffentlicheWirtschaftsrecht diefüralleWirtschaftszweige undfürjedestaatliche BeeinflussungmaßgeblichenNormen undGrundsätze behan- delt,befasstsichdasBesondereÖffentlicheWirtschaftsrechtmitderrechtlichenOrd- nungeinzelner WirtschaftszweigeundmitbestimmtenTeilbereichenderWirtschafts- steuerung(s.Bd. IRn. 55).MangelseinerKodifikationdesGewerberechts,aufgrund historischgewachsenerundsachlichbedingterSonderregelnsowiewegenderdynami- schenEntwicklungentziehtsichdieseMaterieweitgehendeinerklarenSystematisie- rung(s. Bd. IRn.50 ff.).Deshalb werden im Schrifttum unterschiedliche Konzepte vertreten,diehierimEinzelnennichtdiskutiertwerdenkönnen.Hinzutretenzahlrei- cheÜberschneidungenmitumweltrechtlichenMaterien,diesicheinerklarenAbgren- zungentziehen(s. Bd. I Rn. 40 ff.). Man denke nur an das Immissionsschutzrecht, das KreislaufwirtschaftsrechtsowiedasGentechnikrecht.
Die vielfältigen Erscheinungsformen des Besonderen Öffentlichen Wirtschaftsrechts könnennicht erschöpfend dargestelltwerden. Die nachfolgenden Ausführungenbe- schränkensichaufausgewählteSachmaterien,diejuristisch,ökonomisch,ökologisch, technologischundgesellschaftlichgleichermaßenvonInteressesind.Dabeihandeltes sicheinerseitsumklassischeRepräsentantenwiedasGewerbe-undSubventionsrecht undandererseitsummoderneReferenzgebietewiedasRegulierungs-undProduktwirt- schaftsrecht.Dadas GewerberechtdieMutterdesÖffentlichenWirtschaftsrechts ist unddiemeistenwirtschaftlichenBetätigungengewerberechtsrelevantsind,wirddieser Sektorzuerstbehandelt.
II. Rechtsgrundlagenund EntwicklungdesGewerberechts 1. DieGewerbeordnungundgewerberechtlicheSpezialgesetze
DasGewerberechtistalsTeildesRechtsderWirtschaftimSinnevonArt.74Abs.1 Nr.11 GG grundsätzlich Bundesrecht (s. Bd. I Rn. 300 ff.). Es ist grundlegend in derGewerbeordnunggeregelt (s.zuAusnahmenRn. 35ff.), diemitWirkung vom 1.10.1869vomNorddeutschenBunderlassen
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wurdeundnachzahlreichenNovellie- rungeninderFassungderBekanntmachungvom22.Februar1999
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gilt.DieGewer- beordnungzählt damitzu denältesten wirksamen öffentlich-rechtlichen Gesetzen.
Einerseitsistdieüber150-jährige ExistenzderGewerbeordnungeinüberzeugender Beleg für die Beständigkeit der nach wie vor in ihrverankerten Grundgedanken.
AndererseitsistdieAnwendungundAuslegungeinzelnergewerberechtlicherBestim- mungenschwierig. Esfehltaneinemeinheitlichen juristischen Sprachgebrauch,da die Gewerbeordnung ständig dem Wandel der Wirtschaft,den Anforderungen des EU-BinnenmarktesunddemFortschreitenderTechnikangepasstwurde,ohnedass diedetailreichenÄnderungenundErgänzungeneinemzukunftsfähigenübergreifen- denGewerbeleitbildeinschließlichmodernerAnforderungenderGesetzgebungslehre folgen(s.Rn. 23 ff.).
1 Vgl.hierzuStober,Quellen,Nr.38.
2 BGBl.I,S.202mitÄnderungen.
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ImUnterschiedzurUrsprungsfassung,die aufeine KodifikationdesWirtschaftsver- waltungsrechtsangelegtwar,regelt dienunmehr geltendeGewerbeordnungdas Ge- werberechtnichtmehrumfassend.SiewurdevielmehrOpfereinerzunehmendenSpe- zialisierung
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und Ausdifferenzierunggewerbeaffiner Rechtsbereiche. Betrachtetman dasInhaltsverzeichnis,dannkannmanunschwererkennen,dassmehrereTitel(Taxen, Meistertitel,GewerblicheHilfskassen,StatuarischeBestimmungen)undVorschriften- komplexe(AufhebungvonRechten,Anlagenrecht)inzwischen weggefallen,aberim- mernochinderGliederungenthaltensind.MehrereGewerbezweigesowiebestimmte Aspekte mitökologischem,technischemund arbeitsschutzrechtlichemGeprägewur- den aus demGesetz herausgenommen und sondergesetzlich normiert. Das geschah teilweiseausGründenderRechtsvereinheitlichungundTransparenz
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sowiezurStär- kungderLandeskompetenzenfürfolgendeGebiete:
– Gaststättenrecht(§33GewO), – Handwerksrecht(§§81ff.GewO),
– Immissionsschutzrecht(§§16ff.GewOund§67BImSchG), – Produktsicherheitsrecht(§§24ff.GewO),
– Spielhallenrecht,
– Messe-undAusstellungsrecht(§§64 ff.).
UnabhängigdavonbestehenzahlreichespezielleGewerbegesetze,diesichteilweisezu SonderrechtsgebietenentwickelthabenoderandersmotivierteRegelungen,diewegen des Merkmals der gewerbsmäßigen Betätigung einen gewerberechtlichen Einschlag haben.
Beispiele: Gewerbsmäßige Waffenherstellungund gewerbsmäßigerWaffenhandel nach§§21ff.Waffengesetz.GewerbsmäßigerHandelmitTierennach§11Abs.1 Nr.3 Tierschutzgesetz. Zulassung von Fleischgewinnungsbetrieben nach §6 Fleischhygienegesetz.GewerbsmäßigeProstitutionnachdemProstitutionsschutz- gesetz.
2. DieGewerbeordnungalsGrundgesetzdesGewerberechts
UnbeschadetdesebenbeschriebenenVerlustesanmateriellerRegelungssubstanzdarf mandieGewerbeordnunggleichwohlnochalsdas„Grundgesetz“desGewerberechts bezeichnen
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. Dafür gibt es mehrere Gründe. Teilweise verweisen gewerberechtliche Sonder-oderNebengesetzeergänzendaufdieVorschriftenderGewerbeordnung.
Beispiele:§31BGastG,§1HwO.
TeilweisewerdenBestimmungenderGewerbeordnungunmittelbaroderanalogher- angezogen.
Beispiele:§6aund§15Abs.2GewO.
Ferner enthält die Gewerbeordnungfür das gesamte Gewerberechtoder bestimmte SektorengeltendespezielleVerfahrensvorschriften.
Beispiele: Gewerbeanzeigeverfahren, Gewerbeuntersagungsverfahren, Daten- schutzverfahren,Gewerberegisterverfahren,VerfahrenübereineeinheitlicheStelle, Genehmigungsfiktion,ElektronischeVerfahren.VerfahrenzurAnerkennungberuf- licherQualifikationen.
3 S.auchKnauff,DVBl.2011,727,729.
4 S.BT-Ds.12/2693;s.zudieserEntwicklungStober,DÖV1995,125ff.;M.Benda,Gewerberechtund Kodifikation,1999,S.56ff.;R.Schröder,in:Schulte/Kloos(Hg.),HandbuchÖffentlichesWirtschafts- recht,2016,§6I;ähnlichHuber/Unger,in:Schoch(Hg.),BesonderesVerwaltungsrecht,2018,S.694.
5 SoauchM.Benda,Gewerberechtund Kodifikation,1999,S.66;skeptischKahl,in:Hoffmann-Riem/
Schmidt-Aßmann(Hg.),VerwaltungsverfahrenundVerwaltungsverfahrensgesetz,2002,S.67,108f.
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Deshalbkannmansagen,dassdieGewerbeordnunganverfahrensrechtlichenNormie- rungendazugewonnenhat,wassieanmateriellemRegelungsgehaltverlorenhat.Al- lerdingssinddieeinschlägigenBestimmungennichtgebündelt,sondernanverschiede- nenStelleninderGewerbeordnungzufinden.
3. UnionsrechtlicheGrundlagendesGewerberechts
a)Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Das nationale Ge- werberechthatwegendesAnwendungsvorrangesdesUnionsrechts(s. o. Bd. I Rn. 47) dieVorgabendesEuropäischenBinnenmarktrechtszubeachten. Sokönnensichalle Unionsbürgerinnen und Unionsbürgeraufdie Niederlassungs-,Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit(Art. 49ff.AEUV)sowieaufdieFreizügigkeitderArbeitneh- mer(Art.45AEUV)berufen.WährenddieNiederlassungsfreiheitdasRechteinräumt, eineselbstständigeErwerbstätigkeitaufzunehmenundauszuübensowieeinUnterneh- menzu gründenund zu leiten (Art.49 Abs.2 AEUV),erstrecken sich die anderen Grundfreiheitennach Art.57f. und 63 AEUV auf gewerblicheund handwerkliche Tätigkeiten sowie auf Dienstleistungender Banken und Versicherungen. Insgesamt bewirktdiestarkeBeeinflussungdesUnionsrechtseinenUmbruchdesnationalenÖf- fentlichenWirtschaftsrechts
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.UmdieAufnahmeundAusübungselbstständigerTätig- keitzuerleichtern,existierendiejeweilsalsRahmenrichtlinieausgestalteteBerufsaner- kennungsrichtlinieunddieDienstleistungsrichtlinie
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b)Die Berufsanerkennungsrichtlinie. Die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerken- nungvonBerufsqualifikationen fasstaufderGrundlage vonArt.53 und 62AEUV die früheren Generalrichtlinien zur gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prü- fungszeugnisseund sonstiger Befähigungsnachweiseim Interesseeiner Rechtsverein- heitlichung ineiner Rechtsquelle zusammen. Sie giltfür reglementierte Berufe,also fürTätigkeiten,derenAufnahmeundAusübunganbestimmteBerufsqualifikationen– wie etwadie Ablegung einer Sachkundeprüfung– gebunden ist (Art.3 Abs.1 lit.a BQRL).Dazuwurde§11bGewOerlassen,derdieÜbermittlungpersonalbezogener DatenbeireglementiertenBerufenvorsieht.DieRichtliniegibtausweislichdesdritten ErwägungsgrundesPersonen,die ihreBerufsqualifikation in einemMitgliedstaater- worben haben, Garantien hinsichtlich des Zugangs zu demselben Beruf und seiner Ausübungineinem anderen MitgliedstaatunterdenselbenVoraussetzungen wiefür Inländer(Anerkennungsprinzip–Art.4BQRLi. V. m.§9HwO)
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.Gleichzeitigbehal- tendieMitgliedstaatendieMöglichkeit,dasMindestniveaudernotwendigenQualifi- kationfestzusetzen,dieLeistungsqualitätzusichernundbestimmteErfordernissevor- zuschreiben (Regeln über die Berufsorganisation, die beruflichen Standards einschließlichstandesrechtlicherVorschriften,dieHaftungsowiedieKontrolle).Fer- nerstrebt dieBerufsanerkennungsrichtlinie an,die Aufnahmebestimmungenfür be- stimmteindustrielle,handelsrelevanteundhandwerklicheTätigkeitenzuvereinfachen und die Verfahrensregeln zu vereinheitlichen (Erwägungen 18, 30 und 40). Hierzu dientauchdieEinführungeinesEuropäischen Berufsausweises(§6bAbs.2 GewO).
Fehlt es an derVergleichbarkeit derBerufe, dann kann derAufnahmemitgliedstaat zusätzlich Anpassungslehrgänge und Eignungsprüfungen vorschreiben (Art.14f.
BQRL i. V. m. §13c GewO). Im Übrigen dürfen die Mitgliedstaaten aufgrund von Art.5BQRLdieDienstleistungsfreiheitnichteinschränken,
– wennderDienstleisterzurAusübungdesselbenBerufesrechtmäßigineinemNie- derlassungsmitgliedstaatniedergelassenistoder
6 Eisenmenger,NVwZ2010,337ff.
7 RL2005/36/EGv.7.9.2005,ABl.EUNr.L255v.30.9.2005,S.22 ff.,inderaktuellenFassung;RL2006/
123/EGv.12.12.2006, ABl.EUNr.L376 v.27.12.2006,S.36 ff.,inderaktuellenFassung;s.näher Asemissen,BerufsanerkennungundDienstleistungenimEuropäischenBinnenmarkt,2014.
8 S.näherKluth/Rieger,EuZW2005,486ff.;Stork,WiVerw.2006,152ff.;Frenz,GewArch.2007,27f.
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– wennderDienstleisterdenselbenBerufmindestenszweiJahrewährendderletzten zehn Jahre imNiederlassungsmitgliedstaat ausgeübt hat, sofern derBeruf nicht reglementiertist.
Die BerufsanerkennungsrichtliniebefreitnichtvonderAnzeigepflicht,wenn Dienst- leistungstätigkeitenineinemanderenMitgliedsstaatausgeübtwerden(§13aGewO), die mit Inkrafttreten der Richtlinie kodifiziert wurden
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. Dabei handelt es sich um einenrelativgeringenEingriffindieBerufsfreiheitund dieVerkehrsfreiheiten, zumal dieTätigkeitsofortnachderAnzeigeerbrachtwerdendarf.
c)Pro-Forma-MitgliedschaftundweitereModernisierungmitgliedstaatlicherRegelun- gen.DerDienstleistungsbinnenmarkthatdanebeneineweitereverwaltungsorganisa- torischeKonsequenz,die inArt.6BQRL ihrenNiederschlag gefundenhat. Danach hatder AufnahmemitgliedstaatDienstleistervon denErfordernissen derZulassung, EintragungoderMitgliedschaftbeieinerBerufsorganisationzubefreien.Gestattetist lediglich eine automatische oder Pro-Forma-Mitgliedschaft, sofern die Eintragung oderMitgliedschaftdieErbringungderDienstleistungwederverzögertodererschwert nochfürdenDienstleisterzusätzlicheKostenverursacht.DieMitgliedstaaten dürfen beieinemOrtswechseldesDienstleistersallenfallseinevorherigeMeldungverlangen, umsichzuinformieren(Art.7BQRL).
DadieEuropäischeKommissionoffensichtlichmitderUmsetzungderBerufsanerken- nungsrichtlinie nichtzufrieden ist, hatsie ineiner Mitteilung vom 2.10.2013
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zur BewertungdernationalenReglementierungendesBerufszugangsStellungbezogenund denMitgliedstaatenaufgegeben,ihreVorschriftenzuüberprüfenund zumodernisie- ren.DieInitiativezieltdaraufab,denVerbraucherschutzzuintensivieren,dieWettbe- werbsfähigkeitzuverbessernunddieBeschäftigungzufördern.
d)DieDienstleistungsrichtlinie.WährenddieBerufsanerkennungsrichtlinieaufregle- mentierte Berufeanwendbarist, schafftdieRichtlinie2006/123/EG überDienstleis- tungenimBinnenmarkteinenallgemeinenRechtsrahmen,dereinembreitenSpektrum vonDienstleistungenzugutekommtundgleichzeitigdenBesonderheiteneinzelnerTä- tigkeitenundBerufeRechnungträgt.EshandeltsichumeinenselektivenAnsatz,der dieNiederlassungsfreiheitderDienstleistungserbringersowiedenDienstleistungsver- kehrvereinfachenund erleichternsoll(Art.1DLR).Diese RichtlinieergänztdieBe- rufsanerkennungsrichtlinie,weilsiezuAspektenStellungnimmt,dienichtGegenstand der Berufsanerkennungsrichtlinie sind (Berufshaftpflichtversicherung, kommerzielle Kommunikation,multidisziplinäreTätigkeiten).
Zur Durchsetzungder erwähnten Freiheiten sind folgende in Art.14 und 16 DLR normierte,meistvondemEuGHentwickelteAnforderungen(Auflagen,Verbote,Be- schränkungen,Bedingungen–s.zurDefinitionArt.4Nr.7DLR)verboten:
– Staatsangehörigkeitserfordernis(fürDienstleister,Beschäftigte,Gesellschafter,Ge- schäftsführer),
– Residenzerfordernis,
– VerpflichtungzurNichterrichtungeinerNiederlassung, – VerpflichtungzurUnterhaltungeinerNiederlassung, – ErfordernisdeswirtschaftlichenBedarfs,
– ErforderniseinerfinanziellenSicherheit,
9S.näherzurInterpretationKorte, DVBl. 2009, 489 ff.; Heidfeld, NVwZ 2009, 1471 ff.; Schönleiter, Gew- Arch.2009,384ff.;Glückert,GewArch.2010,234ff.;Krajewski,NVwZ2009,929ff.
10Kom(2013)676final.
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– ErforderniseinerGenehmigung,
– ErfordernisderEintragungineinRegisterodereinerMitgliedschaft.
DieseBefreiungen,diein§4Abs.1GewOkonkretisiertwerden
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,beziehensichnur aufDienstleistungserbringer,diekeinezusätzlicheNiederlassungimInlandhaben.
Beispiel:BefreiungvonGenehmigungs-undAnzeigepflichten.
LiegteineNiederlassung(s.dieLegaldefinitionin§4Abs.3GewO)vor,dannfindet dasdeutscheGewerberechtAnwendung.DieDifferenzierungberuhtaufderÜberle- gung,dasssichderNiederlassungswilligedauerhaftundfreiwilligindieObhuteiner anderen Rechtsordnungbegibt und deshalb intensivereBeschränkungen hinnehmen kannalseinDienstleistungserbringer,dernurvorübergehendgrenzüberschreitendtä- tigist
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.Ferneristzubeachten,dassdieDienstleistungsrichtlinienichtfürallegewerb- lichenTätigkeitengilt.SoistetwadasSicherheitsgewerbeausdrücklichausgenommen, dasdeshalbinderGewerbeordnungeineSonderstellungeinnimmt,weildieDienstleis- tungsrichtlinienachpolitischenVorgaben1:1umgesetztwerdensollte.
e)Diskriminierungsverbot und Verwaltungszusammenarbeit. Nach Art.9 und 15 DLR dürfenMitgliedstaaten die Aufnahme und Ausübungeiner Dienstleistung nur dannGenehmigungsregelnunterwerfen,wennfolgendeimUnionsrechtallgemeinan- erkannteVoraussetzungenerfülltsind:
– keineDiskriminierung(Art.20DLR),
– zwingendeGründedesAllgemeininteressesund – VerhältnismäßigkeitderRegelung.
Vor diesem Hintergrund sind Doppelprüfungen grundsätzlich unzulässig (Art.10 Abs.3 DLR).Die DLRstelltfernerverfahrensrechtliche ErfordernissefürGenehmi- gungenauf,dieaberkaumindieverfahrensrechtlicheAutonomiederMitgliedstaaten eingreifen,weilsierechtsstaatlicherStandardsind(s.Art.10und13DLR).Indiesem Zusammenhangsoll dieErbringungvonDienstleistungendadurchbeschleunigtund vereinfachtwerden,dassderGesetzgebereineGenehmigungsfiktion(§6aGewO)ein- geführt und das Institut des Einheitlichen Ansprechpartners geschaffen hat. Es hat seinenNiederschlagin§6bGewOi. V. m.§§71aff.VwVfGgefunden.Esistzweifel- haft,obdermitderneuenRechtsfigurbezweckteSinnerfülltwird,weil§6bAbs.1 Satz2 GewOgestattet,bestimmtegewerberechtlicheVerfahrenvonderAbwicklung übereineeinheitlicheStelleauszuschließen.AußerdembesitzendieseStellenkeineEnt- scheidungsbefugnisundindenBundesländernsindunterschiedlicheInstitutionenzu- ständig.DeshalbträgtdiesesOrganisationsmodellmangelsdesCharakterseinerOne StopAgencyeherzurRechtsunsicherheitbeidenAdressatenbei.
Es leuchtet ein, dass die beschriebenen Verbesserungen der Niederlassungs- und DienstleistungsfreiheiteineintensiveVerwaltungszusammenarbeitzwischendemHer- kunftsmitgliedstaatunddemAufnahmemitgliedstaatvoraussetzen,umeinewirksame ÜberwachungderDienstleistungserbringeraufderGrundlagegenauerundvollständi- ger Informationen sicherzustellen. Sie erfolgt nach Art.8 und 56ff. BQRL sowie Art.28ff.DLRvornehmlichimWegederAmtshilfe,desInformationsaustauschesund derÜberwachung,dieinsbesonderein§11bGewOsowiein§§8aff.VwVfGgeregelt ist.Ungeklärtist,obesdurchdenSystemwechselzuKontrolldefizitenkommt
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. f)MitgliedstaatlicheRegelungsvorbehalteimGewerberecht.Einerseitsbelegendieer- wähntenBestimmungen dieelementare Bedeutungderunionsrechtlichen Grundfrei-
11Mann,GewArch.2010,93ff.
12Calliess/Korte,DienstleistungsrechtinderEU,2011,§6Rn.64;Shirvani,DVBl.2012,1338f.
13S.näherLuch/Schulz,GewArch.2009,143ff.;Korte,DVBl.2009,489ff.
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heitenfür dasnationaleGewerberecht.Andererseitsentspricht dieGewerbeordnung denBinnenmarktanforderungeninhohemMaße.Dennsiebasiertnach§1GewOauf demPrinzipderGewerbefreiheit,dasaufunionsrechtlicherEbenedieGrundlageder dargelegten gewerberechtlichen Grundfreiheiten bildet. Deshalb spielten verbotene sog.InländerdiskriminierungenimGewerberechtkaumeineRolle
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.Hinzutretenspe- zifischemitgliedstaatlicheRegelungsvorbehalte(s.etwaArt.52AEUV),dieinEinzel- fällenaufdieordnungsrechtliche AusgestaltungdesGewerberechts(s. u.Rn. 101 ff.) gestützt werdenkönnen
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. Allerdings sindRegelungsumfang und Regelungsgrenzen dieserKlauselnzumSchutzderöffentlichenOrdnung,SicherheitoderGesundheitum- stritten.JedenfallsdürfendaraufgestützteVerboteodersonstigeBeschränkungenwe- dereinMittelzurwillkürlichenDiskriminierungnocheineverschleierteBeschränkung desBinnenmarktverkehrszwischendenMitgliedstaatenseinundsiemüssendenVer- hältnismäßigkeitsgrundsatz beachten(s. o. Bd. IRn. 187 ff.).BestehenBedenken,ob einenationaleRegelungoderAuslegungunionskonformist,kanneinVorabentschei- dungsverfahrennachArt.267AEUVdurchgeführtwerden.
Beispiele: Vereinbarkeit derProstitution
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und desBetriebs vonLaserdromsmit derDienstleistungsfreiheit
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.
III. ZurReformdesGewerberechts 1. GescheiterteReformversuche
WegenderzahlreichenSonderregelungenfüreinzelneGewerbezweigeistdasGewerbe- recht inzwischen sehr zersplittert und unübersichtlich
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. Deshalb wird gelegentlich nacheinerReformdesGewerberechtsgerufen.SohatderBundesratbereitsimJahre 1958 empfohlen,zur Vorbereitungder Neufassungder GewOeine Gewerberechts- kommissioneinzusetzen
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.AuchdasSchrifttumhatsichintensivmitderNeukodifika- tion desGewerberechtsbefasst
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.ImJahre1981ist derdamalige DIHTunterdem Titel „Gewerberechtaus einem Guss“mit demEntwurf einesGewerbegesetzbuches an die Fachöffentlichkeit getreten
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. Der Gesetzgeber hat jedoch lediglich mehrere Rechtsbereinigungsgesetze erlassen, die nur marginale Verbesserungen gebracht ha- ben
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.ImJahre1991legtederDIHTunterdemMotto„MehrRechtdurchweniger Gesetze“VorschlägefüreinenneuenTitelIeinesGewerbegesetzbuchesvor
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,derals AllgemeinerTeilfüralleGebietedesGewerberechtsgültigeLeitlinienaufstellt.Dieser Entwurf strebt eine Vereinheitlichung, Vereinfachung und Modernisierung der ge- werblichenBegriffeundeinesystematischeNeugliederungdesGewerberechtsan.Als zweiterReformschrittwarvorgesehen,dassdiespeziellfüreinzelneGewerbeerlasse- nenVorschriftenaufihreNotwendigkeithinüberprüftundsoweiterforderlichanden AllgemeinenTeilangepasstwerden.DerDIHThatjedochdiesesProjektjedenfallsin der Öffentlichkeitlange Zeit nicht offensiv weiterverfolgt. Stattdessen hat derfür WeiterentwicklungenmaßgeblicheBund-Länder-ArbeitskreisGewerberechtunterBe-
14S.auchGerhardt,GewArch.2000,372ff.
15Oeter,in:Graf/Paschke/Stober(Hg.),GewerberechtimUmbruch,2004,89 ff.
16BVerwG,GewArch.2002,66ff.;EuGH,GewArch.2004,473.
17BVerwGE115,189ff.
18SiehezuletztEisenmenger,GewArch2018,181 ff.
19BT-Ds.3/318,S.44;s.auchThieme,ZRP1970,25.
20Thieme,ZRP1970,25ff.;Joly,NeuordnungdesGewerberechts;Rother,GewArch.1974,357ff.;Dreier, NVwZ1988,1073;M.Benda,GewerberechtundKodifikation,1999,S.75ff.
21Abgedrucktin:WiVerw.1982,189ff.;M.Benda,GewerberechtundKodifikation,1999,S.80ff.
22S.etwaDrittesRechtsbereinigungsgesetzv.28.6.1990,BGBl.I,S.1221undnäherStober,NJW1992, 2128.
23Abgedrucktin:NVwZ1991,1063;s.dazuauchSattler,GewArch.1991,417ff.
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teiligungdesDIHTeinenReformentwurferarbeitet.Nach mehrmaligen Beratungen warendieTeilnehmerjedochübereingekommen, denumfassendenReformvorschlag nichtaufzugreifen,sondernsichaufbestimmtePunktezubeschränken
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.Einsinnvol- lesKonzepteineseinheitlichen,schlankenGewerberechtsenthieltdasGewerbegesetz derDDRv.6.3.1990
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.Eshatteaberoffensichtlichwegenseinerscheinbarbelasteten ostdeutschenHerkunftunbeschadetseinerEntstehungnachdemMauerfallkeinereale Chance,indieDiskussionumdieGewerberechtsreformeinbezogenzuwerden.
DieseAusgangslagebedeutetzusammengenommen,dassdasGewerberechtnurstück- weisemodernisiertundinsbesonderedurchdieStreichungüberholter sowiedieAuf- nahmeneuerTatbeständeunddieVerfeinerungdesInstrumentariumsandieökonomi- sche, technische und soziale Realität angepasst wurde
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. Die Gewerberechtsnovelle 1998,diedenneuenTypdesÜberwachungsgewerbeseinführte(§§29und38GewO), isteintypischerBelegfürdiesenmethodischenWeg.
AuchdasimJahre2002erlassene„DritteGesetzzurÄnderungderGewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften“
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konzentriert sich auf den ersten BlickaufmarginaleBereinigungenunddieAufhebungeinzelnerBestimmungensowie Gewerbepflichten.AllerdingsfügtdieseNovellemit derAufnahmearbeitsrechtlicher Grundsatznomen (Vertragsfreiheit, Weisungsrecht, Arbeitsentgelt – §6 Abs.2 und
§§105ff.GewO)gewerbefremdeElementeindieGewerbeordnungein.DieseErsatz- funktionfüreinfehlendesArbeitsgesetzbuchistauchdeshalbkaumsystemgerechtund widersprüchlich, weil der Gesetzgeber zutreffend erst vor wenigen Jahren arbeits- schutzrechtlicheRegelungenausderGewerbeordnungherausgenommenhat
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unddie neuenBestimmungennichtnurfürgewerbliche,sondernfüralleArbeitnehmergelten (z. B.auchfürinderUrproduktionoderinFreienBerufenBeschäftigte),obwohlder personaleund sachlicheAnwendungsbereichderGewerbeordnungbegrenzt ist(s. u.
Rn. 47 ff.)29. Diese spezielleSituation trifft ebenfallsfür §6 Abs.1a GewO zu, der auchAngehörigederFreienBerufeverpflichtet,denverbraucherschutzorientiertenIn- formationsanliegendes§6cGewORechnungzutragen
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. 2. RegelungsbedarffürneuegewerblicheGeschäftsmodelle?
Noch nicht abschließendgeklärt ist die Frage, ob und inwieweit die technologisch undelektronischgeprägteInternet-undMedienwirtschaftmitzahlreicheninnovativen GeschäftschancenneuengewerberechtlichenRegelungsbedarfproduziert.
Beispiele:Internetversteigerung,Teledienstei. S. v.§1Abs.1TMG,Maklerleistun- gen viaInternet, GewerblicherTransport mitDrohnen, Erscheinungsformender SharingEconomywieetwadieVermittlungvonMitfahrgelegenheiten
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.
EinerseitsgeltenfürInternetdiensteunddigitalerbrachteLeistungenimInteresseder Verwirklichungeines wirksamen EU-Binnenmarktesgrößte ökonomischeFreiheiten.
24S.näherFuchs/Demmer,GewArch.1997,60ff.;Sprenger-Richter,in:Robinski,Gewerberecht,2.Aufl., S.6f.
25GBl.derDDRI,S.219=DDR-SartoriusNr.200;s.auchGewArch.1990,88ff.und206ff.
26EbensoKempen,NVwZ1999,361ff.;M.Benda,GewerberechtundKodifikation,1999,S.67;skeptisch fernerEhlers,in:Ehlers/Fehling/Pünder(Hg.),BesonderesVerwaltungsrecht,BandI,3.Aufl.2012,§18.
27G.v.24.8.2002,BGBl.I,S.3412;BT-Ds.14/8796;Schönleiter/Viethen,GewArch.2003,129ff.
28S.W.B.Schünemann,in:Graf/Paschke/Stober(Hg.),GewerberechtimUmbruch,2004,S.217ff.
29Schönleiter/Viethen,GewArch.2003,129f.
30S.auchGlückert,GewArch.2010,195f.
31HeckmannundSchönleiter,in:Graf/Paschke/Stober(Hg.),DasWirtschaftsrechtvordenHerausforderun- gendesE-Commerce,2002,69ff.und81ff.;Giemulla/Schyndel/Friedl, Gewerblicher und privater Einsatz vonDrohnen,2018;Brahms/Maslaton,NVwZ2016,1125 ff.;Stellpflug/Hilbert,NVwZ2017,1490 ff.;
Ingold,DÖV2016,595 ff.;Ludwigs,NVwZ2017,1646 ff.;M.Kilian,NJW2017,3043,3048.
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Andererseitsbefinden sich die Wirtschaftsbranchender NewEconomy schonheute nichtineinemgewerbeordnungsfreienRaum.VordiesemHintergrundist unklar,ob das Gewerberecht an seine Grenzen stößt
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und tatsächlich ein „Internetgewerbe- recht“erforderlichist
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.ZwarkannesimEinzelfallausGründenderRechtsklarheit und Rechtssicherheit gebotensein, punktuelle Anpassungen vorzunehmen. Das gilt vornehmlichfürdieSammlungundVerwendungvonNutzerdaten,diejedochausführ- lichbereitsinderDatenschutzgrundverordnungnormiertist.KeinezusätzlichenVor- schriftensindjedenfalls notwendig,soweit dieneuegewerblicheTätigkeitvoneiner Niederlassungi. S. v.§4Abs.3 GewOauserfolgt.Denndasstationäre Gewerbeer- fasstseit jeherwirtschaftlicheAktivitäten,diesichaußerhalbvonLadenlokalenund Geschäftsstellenabspielen.Insoferneröffnetdas Internetlediglicheinenzusätzlichen Vertriebskanal,derzurKategoriederAusstrahlungdesstehendenGewerbesgerechnet wirdundfürdenzahlreichezivilrechtlicheVerbraucherschutzbestimmungenAnwen- dungfinden.ImÜbrigenzeigtdiePraxis,dassSchrifttumundRechtsprechungdurch- ausinderLagesind,dieneuenGeschäftsmodelleunterdasgeltendeÖffentlicheWirt- schaftsrecht zu subsumieren. Das gilt auch für digital organisierte Portale und Plattformen,dieVermittlerdiensteundweitereLeistungengegenEntgeltanbieten
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. Beispiele: Bei dem MitfahrvermittlerdienstUber war umstritten, ob es sich um einen Verkehrsdienstleister(Geltungdes nationalenPersonenbeförderungsrechts) oder lediglich umeinen Internetanbieterhandelt. Bei Essenslieferdiensten, Putz- kräfteportalenoderStart-UpCareshipistoffen,obnureineVermittlungzwischen KundenundDienstleistervorliegtoderobdieVermittlergleichzeitigalsGewerbe- treibende einzuordnensind. Hinsichtlich derDienste derFirma Uber, die gegen Entgelt eine Verbindung zwischen nicht berufsmäßigen Fahrern, die das eigene FahrzeugbenutzenundPersonenherstellt,dieFahrtenunternehmenmöchten,sind die Vermittlerdienste nach Ansicht des EuGH
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untrennbar mit der Verkehrs- dienstleistung verbunden. Zur Begründung führt derEuGH aus, Uber vermittle nicht nur über eine Smartphone-Anwendung, sondern biete Fahrten über seine Softwareselbstan.FahrerundPassagierbräuchtenbeidezwingenddieApp.Folg- lichdürftendieMitgliedstaatenderEUdieVermittlerdiensteregulieren.
NachdiesemBefundhaltensichdiezahllosenÄnderungenderGewerbeordnung
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in engeninnovatorischenGrenzen.Siebeschränkensichzusammenfassendvornehmlich aufBereinigungen,Detailanpassungen,Ergänzungen,Teilnovellen,Titelüberarbeitun- gen,UmsetzungvonEU-Rechtund dieHerausnahmevonGewerbezweigenund Ge- werbeanlagensowiedieadditiveFortschreibungaktuellaufgetretenerRegelungserfor- dernisse. Immerhin haben die zahlreichen Legislativakte zu einer bruchstückhaften ModernisierungderGewerbeordnunggeführt,diedenordnungsrechtlichenFortschritt aufdiesemRechtsgebietabbildet.
3. ErprobungsklauselalsReformersatz?
DieseBeurteilunggiltauchfürdieEinfügungeinerErprobungsklauselin§13GewO, dieallerdingsnureinenbeschränktenExperimentierraumöffnet.Danachwerdendie Landesregierungen ermächtigt, zur Erprobung vereinfachender Maßnahmen, insbe- sonderezurErleichterungvonExistenzgründungenundBetriebsübernahmen,Ausnah- men vonBerufsausübungsregelungen zuzulassen, soweit sich die Auswirkungen auf dasGebietdesjeweiligenLandesbeschränken.
32Sprenger-Richter,in:Robinski,Gewerberecht,2.Aufl.,S.8.
33Heckmann,in:Graf/Paschke/Stober(Hg.),DasWirtschaftsrecht,a. a. O.,S.69ff.
34Ingold,DÖV2016,595 ff.
35EuGHGewArch2018,105 ff.;sieheauchIngold,NJW2014,3334 ff.;ders.,DÖV2016,595 ff.
36S.dieEinzelnachweisebeiLandmann/Rohmer,GewOBd.1Einl.Rn.23.
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Beispiel:Anzeigeerstattungnach§14GewObeiderIndustrie-undHandelskam- meroderHandwerkskammerstattbeiderzuständigenGewerbeordnungsbehörde.
4. ReformzwischenDeregulierungundVerrechtlichung
DaswissenschaftlicheInteresseamGewerberechtundseinerWeiterentwicklungten- diertgegenNull
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,weilsich dieForschung primäraufneueGeschäftsmodelle und dieLösungtechnikaffinerRechtsproblemekonzentriert,ohnedieüberkommenerecht- licheBasisundihreSystematisierungzuhinterfragen.Unklaristferner,obGesetzgeber undWirtschaftdieKraftfüreineRekodifizierungdesGewerberechtsimSinne einer WiedereinsetzungderGewerbeordnungindenursprünglichenStandfinden.Einerseits fehlt es gegenwärtig an dem erforderlichen Novellierungsdruck. Denn die Verwal- tungs-undWirtschaftspraxiskommtscheinbar mitdemvorhandenenRegelungsins- trumentariumund Vorschriftengestrüpp aus.Gleichzeitigführtdas Gewerberechtin der Rechtspolitik ein Schattendasein, weil man mit Novellierungen offenbar keine Wählerstimmengewinnenkann
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.UndauchausunionsrechtlicherSichtbesteht–wie dargelegt–angesichtsdesliberalgefasstenundsichimÜbrigenimRahmenzulässiger AusnahmekonstellationenbewegendenGewerberechts
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nurgelegentlicherrudimentä- rer Anpassungsbedarf
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,um grenzüberschreitende Binnenmarktfreiheitenzu sichern (s. o.Bd. IRn. 447 ff.).AußerdemhatderBundesgesetzgeberimZugederFöderalis- musreform(s. u. Rn. 35 ff.) wichtige Gewerbesektoren an die Bundesländer abgegeben unddamitdievorhandeneRechtszersplitterungzementiert.
AndererseitsscheintsichinjüngsterZeitdieErkenntnisdurchzusetzen,dassdasgel- tendeGewerberechtzukompliziert,zuundurchsichtig,zuverwirrend,zuwenigabge- stimmt,zuengmaschigundzu wirtschafts-und verbraucherfernnormiertist
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.Des- halb wird eine Verschlankung angemahnt
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. Gleichzeitig erlebt die Idee einer Vereinheitlichung und Vereinfachung vonRechtsgebieten im Sinne einer Deregulie- rung(s. o. Bd. I Rn. 50 f.) eine Renaissance, wie die gelungenen Kodifikationsbeispiele Lebensmittel-undFuttermittelgesetzbuch,Baugesetzbuch,SozialgesetzbuchundZoll- kodexzeigen.AucheinBlicknachÖsterreich
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undnachPolen
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belegt,dassmateri- elleGewerberechtskodifikationenmöglichsind.
ParallelzudemaufgezeigtenDeregulierungstrendverfolgteinegegenläufigeTendenz dasZiel,unterBeibehaltungderexistierendenStrukturenneueGewerbezulassungsre- gelungenzuschaffenbzw.zusätzlicheBeschränkungenundVerschärfungeneinzufüh- ren.DieMotivesindunterschiedlich.
Beispiele:§11a,§31,§34a,§34c,§§34d–34jGewO
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.
37KritischPeine, in: FS Rauschning, 2001, S. 669 ff.; s. aber zur Kodifikationsidee Kahl, in: Hoffmann-Riem/
Schmidt-Aßmann(Hg.),VerwaltungsverfahrenundVerwaltungsverfahrensgesetz,2002,67,108;Eisen- menger/NünkesowieErnst/Geissen,NVwZ2003,1222ff.undallgemeinGraf/Paschke/Stober(Hg.),Ge- werberechtimUmbruch,2004;s.aberauchKnauff,DVBl.2011,727ff.
38Peine,in:Graf/Paschke/Stober(Hg.),GewerberechtimUmbruch,2004,214.
39S.etwaEuGH,GewArch.1999,473und2000,19.
40S.auchSchulze-Fielitz,NVwZ1993,1156,1162ff.;Stober,in:Kobler/Heinze/Hromadka(Hg.),FSSöll- ner,2000,S.1125ff.
41Kempen,NVwZ2000,1115;Schönleiter/Viethen,GewArch.2003,129.
42Eisenmenger,GewArch2018,181 ff.
43M. Benda, Gewerberecht und Kodifikation, 1999, S. 38 ff.; Peine, (o. Fn. 33), S. 669 ff.; Potacs, in: Holou- bek/Potacs(Hg.),ÖffentlichesWirtschaftsrecht,Band1,2002,S.8f.
44S.etwadaspolnischeGesetzüberdieWirtschaftstätigkeitunddazuPopowska,in:DajczakundAndere (Hg.),HandbookofPolishLaw,2011,271 ff.und283 ff.
45Richtlinie2002/92/EGdesEuropäischenParlamentesundRatesv.9.12.2002überVersicherungsvermitt- lungABl.EGBr.L9v.15.1.2003,S.3ff.
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5. ZurZweckmäßigkeiteinesGewerbegesetzbuches
Unabhängig von rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Überlegungen ist zweifelhaft, ob die Schaffung eines umfassenden Gewerbegesetzbuches zweckmäßig ist.TeilweisewirdderBedarfbejaht,weildasGewerberechteinerÜberprüfungnorma- tiverBesitzständebedürfeundandieEntwicklungdesAllgemeinenVerwaltungsrechts rückangebundenwerdenmüsse
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.VoreinerallzuschnellenAufgabegewachsenerge- werberechtlicherGrundsätzeundvoreinerzuintensivenBegrifflichkeiteinesmoder- nenGewerberechtsistzuwarnen.TraditionundDynamikdiesesRechtsgebietesver- langeneinbehutsamesVorgehenbeiderFestlegunglangfristigwirkenderStrukturen.
Esistkaumzuerwarten,dassdiegroßenWirtschaftszweige,dieinzwischenSpezialge- setzeerhaltenhaben,daszumTeilmühsamErreichtepreisgeben.Mandenke nuran dasHandwerksrecht,dasRegulierungsrecht
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oderandasGüterkraftverkehrsrecht
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. DieKritikerweisenzuRechtaufdieVorbilderdesSozialgesetzbuchesunddesmittler- weile aufgegebenen Arbeitsgesetzbuches hin, sodass auch ein Gewerbegesetzbuch kaum über eine gutgeordnete Gesetzessammlung mit einleitenden Grundsätzen hi- nauskommendürfte(sog.formaleKodifikation).Es wirddaranerinnert,dassRege- lungenwiedasWirtschaftsüberwachungsrechtunmöglichdieDistanzzudenLebens- vorgängenhabenkönnen,dieihrerseitsVoraussetzungfürdiehoheAbstraktionund dieDauersind,ohnedie eineKodifikationnichtzustandekommenoderkeinenBe- stand behalten könne.Außerdemfehlees an einer systematischenAufarbeitungdes ÖffentlichenWirtschaftsrechts,dienichtAufgabedesGesetzgebers,sondernderWis- senschaftsei
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.FernerhatsicheinGroßteilderaußerhalbderGewerbeordnunggere- geltenGebietezuSpezialmaterienentwickelt,dienurnochgeringeGemeinsamkeiten mitdenanderengewerblichenVorschriftenaufweisenund sichdaherfüreineRück- führungnichteignen
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.MandenkenurandaswirtschaftsrelevanteUmweltrecht,das expandierende Produkt-und Medienwirtschaftsrecht(s. u. z. B.Rn. 495 ff.) oderan dasRegulierungsrecht.AusdemBlickwinkelderWirtschaftsüberwachung(s. o.Bd. I Rn. 875 ff.)istesfragwürdig,obzahlreichegewerberechtlicheNebengesetzebzw.Ge- setzedesÖffentlichenWirtschaftsrechtsmitinfrastrukturellem,wirtschaftslenkendem undwirtschaftsförderndemCharakterunterdemAspektGewerberechtzusammenge- fasstwerdenkönnen.Manvergegenwärtigesich nurdenBereichdesVerkehrs-und Beförderungsrechts
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. Schließlich wird auch ein Gewerbegesetzbuch nicht auf eine VielzahlvonVerordnungenverzichtenkönnen,umdieFlexibilitätderRechtsanwen- dungzusichern
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.
6. ZurKodifikationdesAllgemeinenTeilsalsersteReformstufe
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46Kahl,in:Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann(Hg.),VerwaltungsverfahrenundVerwaltungsverfahrensge- setz,2002,S.67,108f.
47Möstl,GewArch.2011,265ff.
48Knauff,DVBl.2011,727ff.
49Henke,DVBl.1983,983f.;Müller,WiVerw.1982,238.
50Tagung desBund-Länder-Ausschusses„Gewerberecht“am16.10.1981;Sprenger-Richter,in:Robinski, Gewerberecht,2.Aufl.,S.6f.;M.Benda,GewerberechtundKodifikation,1999,S.98.
51EbensowohlMüller,WiVerw.1982,228.
52S.fernerJoly,GewArch.1975,73.
53DIHT(Hg.),GewerberechtauseinemGuss,WiVerw.1982,190.
54S.auchSprenger-Richter,in:Robinski,Gewerberecht,2.Aufl.,S.6f.
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