• Keine Ergebnisse gefunden

Verstoß einer Grenzbebauung gegen das Gebot der Rücksichtnahme

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Verstoß einer Grenzbebauung gegen das Gebot der Rücksichtnahme"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

VG München, Beschluss v. 09.08.2017 – M 1 SN 17.2668 Titel:

Verstoß einer Grenzbebauung gegen das Gebot der Rücksichtnahme Normenketten:

BauGB § 34 Abs. 1 BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3 Leitsatz:

Das Interesse eines Nachbarn an der Freihaltung des Baugrundstücks von einer grenzständigen Bebauung hat bei einer bereits vorhandenen Grenzbebauung auf dem eigenen Grundstück geringeres Gewicht, denn die vorhandene Grenzbebauung verdeutlicht, dass das Baugrundstück und das Grundstück des Nachbarn in einem Nachbarschaftsverhältnis verbunden sind, das eine Hinnahme der beiderseitigen Grenzbebauung beinhaltet. (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Nachbar, Regellose Bebauung, Rücksichtslosigkeit einer Grenzbebauung (verneint), Baugenehmigung, Gebot der Rücksichtnahme

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Sechs-Familienhauses.

2

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 508 Gemarkung ... (Antragstellergrundstück).

Dieses ist mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut. Es wird im Westen von der I... Straße und im Osten von der K...straße begrenzt. Im Süden grenzt das Antragstellergrundstück an das Grundstück FlNr. 510 Gemarkung ... (Baugrundstück). An dieser Grenze besteht auf dem Antragstellergrundstück eine

Grenzbebauung. Sie erstreckt sich auf nahezu die gesamte Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze.

Im westlichen Bereich ist diese Bebauung eingeschossig mit einer Dachterrasse (Länge ca. 10,6 m), im östlichen Bereich handelt es sich um ein zweigeschossiges Gebäude mit Wohnnutzung auf einer Länge von ca. 8,4 m. Auf dem Antragstellergrundstück besteht von der Grundstücksgrenze Richtung Norden abgerückt ein mit der Grenzbebauung verbundenes Wohn- und Geschäftshaus. Dieser Baukörper ist ca. 7 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Er hat eine Traufhöhe von 7,53 m, eine Firsthöhe von 9,42 m und verfügt über ein Erdgeschoss, ein erstes Obergeschoss sowie ein Dachgeschoss.

3

Südlich an das Baugrundstück anschließend besteht auf FlNr. 512 Gemarkung ... ebenfalls eine grenzständige Bebauung zum Baugrundstück hin. Diese Bebauung verfügt über drei Geschosse mit Flachdach. Die Wandhöhe der Westseite dieses Gebäudes beträgt 10,46 m. Weder für das Baugrundstück noch für die benachbarten Grundstücke im Norden und Süden besteht ein Bebauungsplan.

4

Unter dem .... März 2016 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die

Errichtung eines Sechs-Familienhauses auf dem Baugrundstück. Das Gebäude soll deckungsgleich an das

(2)

auf dem südlich anschließenden Grundstück FlNr. 512 Gemarkung ... bestehende Gebäude anschließen.

Sowohl in der Gebäudebreite (10,51 m) als auch in der Gebäudehöhe (10,46 m) sieht die Planung eine Fortsetzung des dortigen Bestandes vor. Wie diese Bebauung soll das Bauvorhaben drei Geschosse erhalten. Die geplante Bebauung reicht bis an die Grenze des Antragstellergrundstücks. Auf der Grundstücksgrenze zu diesem ist damit eine Grenzbebauung von 10,51 m Länge sowie 10,36 m Höhe vorgesehen.

5

Mit Bescheid vom 4. Mai 2017 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung. In den Gründen der Genehmigung führte die Antragsgegnerin aus, dass die grenzständige Bebauung aufgrund der in der Umgebung vorhandenen regellosen Bebauung habe

zugelassen werden können. Aus städtebaulichen Gründen sei eine geschlossene Bauweise entlang der I...

Straße geboten. Das Gebot der Rücksichtnahme werde durch die Grenzbebauung nicht verletzt.

Hinsichtlich der Baukörpergröße halte sich das Vorhaben im Rahmen der Umgebungsbebauung. Es bestehe zu den vorhandenen Wohnräumen auf dem Grundstück der Antragstellerin ein Abstand von 7,10 m. Der Lichteinfall zu den Wohnräumen sei weiterhin ausreichend.

6

Mit Telefax vom ... Juni 2017 hat die Antragstellerin Klage erhoben und beantragt, die Baugenehmigung vom 4. Mai 2017 aufzuheben (Az. M 1 K 17.2667).

7

Mit Telefax vom ... Juni 2017 beantragt die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren

„festzustellen, dass die von der Antragstellerin am ... Juni 2017 gegen die der Beizuladenden erteilte Baugenehmigung vom 4. Mai 2017... erhobene Anfechtungsklage ... aufschiebende Wirkung hat.“

8

Die Baugenehmigung vom 4. Mai 2017 sei rechtswidrig und verletzte die Antragstellerin in ihren Rechten.

Deshalb sei die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung anzuordnen. Im Süden der von der Antragstellerin mit einer Dachterrasse genutzten Grenzbebauung zum Baugrundstück entstehe eine 7 m hohe Brandwand. Damit verliere das Grundstück und das Anwesen der Antragstellerin die Belichtung in den Wintermonaten. Bezogen auf den Baukörper auf dem Grundstück der Antragstellerin sei das geplante Vorhaben zu wuchtig. Die Anwesen östlich der K...straße könnten nicht zur Beurteilung der Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens herangezogen werden. Selbst wenn man diese Bebauung

heranziehen wolle, sei etwa bei dem Anwesen G... nur eine Bebauung mit zwei Stockwerken und Satteldach vorhanden. Die geplante Bebauung sei im Vergleich dazu zu groß. Allein aus dem Umstand, dass dort eine geschlossene Bebauung vorhanden sei, lasse sich nicht folgern, wie hoch die

Grenzbebauung im vorliegenden Fall sein dürfe. Diese sei von geradezu erschlagender Wirkung. Die bisherigen Aufenthaltsräume der Antragstellerin seien wegen der verschlechterten Belichtungssituation nicht mehr als solche nutzbar. Gleiches gelte für die Dachterrasse, welche die meiste Zeit des Jahres so verschattet würde, dass ein Aufenthalt nicht mehr möglich sei.

9

Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2017 beantragt die Antragsgegnerin den Antrag abzulehnen.

10

Das zugelassene Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.

Zur näheren Umgebung sei sowohl die Bebauung zwischen der I... Straße und der K...straße als auch die östlich der K...straße gelegene Bebauung zu zählen. Die K...straße habe angesichts ihrer geringen Breite und der direkt ohne Abstand an die Straßenseite angebauten Gebäude keine trennende Wirkung. Die nähere Umgebung sei durch zwei- und teils dreigeschossige Bebauung geprägt. Deshalb halte sich das Bauvorhaben im Rahmen der Umgebungsbebauung. Zudem gebe das südlich des Baugrundstücks befindliche Gebäude hinsichtlich der Gebäudehöhe und -breite den Rahmen nach oben vor. In dem maßgeblichen Bereich herrsche eine abweichende Bauweise vor. Eine Grenzbebauung sei auch bei Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen gerechtfertigt. Die Dachterrasse der Antragstellerin sei nicht genehmigt. Es liege ein ausreichender Abstand von 7 m zwischen dem Hauptgebäude und der

Grenzbebauung vor. Deshalb sei keine gesundheitsgefährdende Beeinträchtigung der Belichtung und

(3)

Besonnung der nach Süden orientierten Aufenthaltsräume der Antragstellerin zu erwarten. Eine erdrückende Wirkung des geplanten Baukörpers sei nicht ersichtlich.

11

Mit Telefax vom .... Juli 2017 beantragt die Beigeladene, den Antrag abzulehnen.

12

Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots sei nicht erkennbar. Die Firsthöhe des geplanten

Wohngebäudes liege nur 94 cm über der Firsthöhe des Gebäudes der Antragstellerin. Zudem bestehe ein Abstand von 7 m zwischen der Außenwand des geplanten Bauvorhabens und dem zurückgesetzten Wohngebäude der Antragstellerin. Da die Grenzwand fensterlos sei, bestünden keine

Einblicksmöglichkeiten. Eine unzumutbare Verschattung sei im Hinblick auf die Lichtverhältnisse durch die Einhaltung eines Lichteinfallswinkels von 45 Grad in Höhe der Fensterbrüstung vor Fenstern von

Aufenthaltsräumen sichergestellt. Zwar werde die Belichtung der ungenehmigten Dachterrasse auf dem Grundstück der Antragstellerin eingeschränkt. Bei Errichtung der Dachterrasse habe jedoch nicht davon ausgegangen werden können, dass die Grundstücksgrenze von einer Grenzbebauung frei bleiben werde, nachdem die Umgebung eine derartige Grenzbebauung in der Regel vorgebe. Auch auf dem Grundstück der Antragstellerin befinde sich ein grenzständiges, zweigeschossiges Gebäude.

13

Zum weiteren Vorbringen der Parteien und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die beigezogenen

Behördenakten sowie die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 1 K 17.2667 Bezug genommen.

II.

14

Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.

15

Das Gericht legt den Antrag des Antragstellerbevollmächtigten im Schriftsatz vom ... Juni 2017 so aus, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 4. Mai 2017 begehrt wird. Der im genannten Schriftsatz ausdrücklich formulierte Antrag auf

Feststellung des Bestehens einer aufschiebenden Wirkung der Klage könnte keinen Erfolg haben. Die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hat nach § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung. Die ausdrücklich beantragte Feststellung des Bestehens einer aufschiebenden Wirkung widerspräche dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und bliebe somit ohne Erfolg. Nachdem der Bevollmächtigte der Antragstellerin in seinem Antragsschriftsatz vom ... Juni 2017 unter II. zur Begründung des Antrags ausgeführt hat, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Beizuladende „anzuordnen“ sei (S. 3 des Antragsschriftsatzes), geht das Gericht davon aus, dass der Antrag auf S. 1 des Antragsschriftsatzes ein Schreibversehen des Bevollmächtigten der Antragstellerin darstellt. Unter dieser Prämisse ist es gemäß §§ 88, 86 VwGO möglich, das Begehren der Antragstellerin als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO anzusehen.

16

Der so verstandene Antrag ist unbegründet.

17

Im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO trifft das Gericht eine eigene

Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden

Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Hierbei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des

Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Überprüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.

(4)

18

Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben war der Antrag abzulehnen, da die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die Baugenehmigung verletzt die Rechte der Antragstellerin bei summarischer Überprüfung nicht. Die hier ausschließlich in Betracht kommende Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Antragstellerin liegt nicht vor.

19

Zur Beurteilung einer Verletzung des im unbeplanten Innenbereich im Gebot des Einfügens gem. § 34 Abs.

1 BauGB verankerten Rücksichtnahmegebots ist auf das Gebiet östlich der I... Straße und beidseits der K...straße abzustellen (1.). Bei Betrachtung dieser Bebauung ergibt sich schon aus den dem Gericht vorgelegten Plänen, dass es sich um eine regellose Bebauung handelt (2.). Die in einem solchen Gebiet zulässige Grenzbebauung zum Grundstück der Antragstellerin ist nicht rücksichtslos (3.) und sie entfaltet auch bei Berücksichtigung der Höhe des Gebäudes keine erdrückende Wirkung (4.).

20

1. Ein Abwehranspruch der Antragstellerin gegen das Bauvorhaben kann sich grundsätzlich aus § 34 Abs. 1 BauGB ergeben, sofern die Grenzbebauung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt und sich daher nicht einfügt. Zur Beurteilung dieser Frage ist nach § 34 Abs. 1 BauGB auf die nähere Umgebung i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abzustellen.

21

Das Gebiet, das für die bauplanungsrechtliche Beurteilung hinsichtlich der Bauweise für das Baugrundstück und das Grundstück der Antragstellerin maßgeblich ist, wird nach Westen durch die I... Straße abgegrenzt.

Bei der I... Straße handelt es sich um eine im Bereich des Baugrundstücks 15 m breite Verkehrsachse, die allein schon aufgrund des dadurch geschaffenen räumlichen Abstands zwischen der Bebauung östlich und westlich der I... Straße als Zäsur im Bebauungszusammenhang wirkt. Hinzu kommt, dass die Straße offenbar eine erhebliche Verkehrsbedeutung hat. Ausweislich des in den Behördenakten befindlichen Immissionsgutachtens ist auf der I... Straße eine Verkehrsstärke von 12.700 Kfz pro Tag zu verzeichnen (Bl.

89 der Behördenakten). Dies verstärkt die trennende Wirkung derselben. Darüber hinaus herrscht östlich der I... Straße im Bereich des Baugrundstücks eine andere Bebauungsstruktur vor, als auf der Westseite der I... Straße. Während die Westseite durch große Gebäude mit größeren Freiflächen gekennzeichnet ist, besteht östlich davon eine Bebauung mit geringen Freiflächen und kleineren Gebäudegrundflächen.

Aufgrund der deutlichen Zäsur durch die I... Straße muss das Baugrundstück und das Grundstück der Antragstellerin dem östlich dieser Straße gelegenen Bebauungskomplex zugerechnet werden. Dieser einheitlich zu beurteilende Bereich umfasst nicht nur die Bebauung zwischen der I... Straße und der östlich des Baugrundstücks verlaufenden K...straße bis zum W... Die K...straße östlich des Baugrundstücks ist schon angesichts ihrer geringen Breite nicht geeignet, die westlich und östlich von ihr gelegene Bebauung deutlich zu trennen. Darüber hinaus beginnt auf dem Grundstück der Antragstellerin und dem

Baugrundstück eine sich dann Richtung Osten fortsetzende Bebauungsstruktur, die für eine zentrale Altstadtbebauung typisch ist. Sie wird durch grenzständige Gebäude mit weitgehend geschlossener Bebauung bestimmt. Damit ist das Gebiet zwischen der I... Straße im Westen, dem W... im Süden, der G...

im Osten sowie der Fortsetzung der G... im Norden zu Beurteilung heranzuziehen.

22

2. In dem maßgeblichen Gebiet ist für die Beurteilung des Nachbarschutzes hinsichtlich der Bauweise auf die zu einer regellosen Bebauung entwickelten Grundsätze zurückzugreifen.

23

In einem unbeplanten Gebiet mit teils offener, teils geschlossener Bebauung sind regelmäßig beide Bauweisen planungsrechtlich zulässig (BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4). Nach Art. 6 Abs.

1 Satz 3 BayBO entfallen Abstandsflächen nicht nur dann, wenn nach Planungsrecht an die Grenze gebaut werden muss, sondern auch dann, wenn an die Grenze gebaut werden darf (BayVGH, B.v. 10.12.2001 - 20 ZS 01.2775 – juris Rn. 19). Es ist daher bei der Mischung von Grenzbebauung und offener Bauweise allein auf das Bauplanungsrecht abzustellen.

24

Die Grenzbebauung ist dem Grunde nach zulässig, wenn eine entsprechende Bauweise in der Umgebung gehäuft vorzufinden ist (BayVGH, B.v. 29.4.2003 – 20 B 02.1904 – juris Rn. 16). Dies ist hier der Fall. Der Bereich östlich der K...straße ist nahezu durchgehend bis zur Grundstücksgrenze bebaut. Auch auf dem

(5)

südlich des Baugrundstücks liegenden Grundstück FlNr. 512 sowie auf dem Grundstück der Antragstellerin besteht eine Grenzbebauung von erheblichem Umfang. Es ist damit eine Mischung von geschlossener und offener Bauweise zu verzeichnen. Bei dieser regellosen Bebauung ist dem Grunde nach eine

Grenzbebauung bauplanungsrechtlich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig.

25

3. Die Grenzbebauung durch das streitgegenständliche Vorhaben verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.

26

Bei einer Mischung von Grenzbebauung und offener Bebauung ist im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB eine Grenzbebauung dann nicht zulässig, wenn sie gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt (BayVGH, U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616 – juris Rn. 25).

27

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben

verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem

Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist oder ob es sich umgekehrt um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9).

28

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben gebietet das Interesse der Antragstellerin kein Abrücken des Bauvorhabens von der Grenze. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass die geplante Bebauung unter städtebaulichen Gesichtspunkten nach der Umgebungsstruktur geboten ist. Durch die grenzständige Bebauung des südlich des Baugrundstücks gelegenen Grundstücks FlNr. 512 wird die östlich der K...straße bereits vorhandene geschlossene Bebauung aufgenommen und fordert geradezu die Fortsetzung derselben auf dem Baugrundstück. Durch die Gestaltung des genehmigten Baukörpers auf dem Baugrundstück wird eine einheitliche Bebauungszeile geschaffen, die es ermöglicht, eine durchgehende Häuserfront entlang der die Innenstadtstruktur begrenzenden I... Straße herzustellen. Die Verfestigung einer derartigen Struktur legt auch die bereits auf dem Grundstück der Antragstellerin vorhandene Bebauung nahe. Auf dem Grundstück der Antragstellerin besteht zur K...straße hin bereits eine Grenzbebauung durch Wohnnutzung an der Südgrenze. Damit ist davon auszugehen, dass auch künftig eine einheitliche Häuserzeile in dem Bereich der drei Grundstücke zwischen der I... Straße und der K...straße beibehalten wird.

29

Das Interesse der Antragstellerin an der Freihaltung des Baugrundstücks von einer grenzständigen Bebauung hat wegen der bereits vorhandenen Grenzbebauung auf ihrem Grundstück geringeres Gewicht.

Die vorhandene Grenzbebauung verdeutlicht, dass das Baugrundstück und das Grundstück der

Antragstellerin in einem Nachbarschaftsverhältnis verbunden sind, das eine Hinnahme der beiderseitigen Grenzbebauung beinhaltet. Es würde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn die Antragstellerin beanspruchen würde, dass das Baugrundstück von einer angrenzenden Bebauung frei bleibt, obwohl sie selbst dieses Recht zur gemeinsamen Grundstücksgrenze hin für sich beansprucht. Dies gilt umso mehr, als die vorhandene Grenzbebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin nahezu den gesamten Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze einnimmt. Hinter diesem Maß an Grenzbebauung bliebt die streitgegenständliche Planung erheblich zurück. Während die gesamte Grenzbebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin eine Länge von ca. 17 m hat (Maßentnahme aus dem amtlichen Lageplan), soll die gemeinsame Grundstücksgrenze durch das streitgegenständliche Vorhaben nur auf einer Länge von ca. 10,5 m bebaut werden.

30

(6)

Die Grenzbebauung ist auch im Hinblick auf die gesunden Wohnverhältnisse im Bestandsgebäude der Antragstellerin nicht rücksichtslos. Grundsätzlich stellt die Einhaltung eines Lichteinfallswinkels von 45° in Höhe der Fensterbrüstung vor Fenstern von Aufenthaltsräumen eine ausreichende Belichtung sicher (BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 1 NE 05.2818 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 9.6.2011 – 2 ZB 10.2290 – juris Rn. 5). Die Antragsgegnerin verweist im Baugenehmigungsbescheid vom 4. Mai 2015 deshalb zu Recht darauf, dass im vorliegenden Fall eine ausreichende Belichtung der Aufenthaltsräume des Hauptgebäudes der Antragstellerin gewährleistet bleibt. Bei Realisierung des streitgegenständlichen Vorhabens verbleibt ein Lichteinfallswinkel von 47° bis zur Unterkante der Balkontüren im ersten Obergeschoss des bestehenden Anwesens der Antragstellerin. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine Belichtung des Bestandes auf dem Antragstellergrundstück auch von Osten und Westen gewährleistet bleibt und die Fenster an der Südseite von Westen wegen des dort vorhandenen größeren Abstandes der Bebauung Licht bekommen.

31

Eine mangelnde Belichtung ihres Grundstücks kann die Antragstellerin auch nicht in Bezug auf die Dachterrasse geltend machen. Durch die Realisierung der Dachterrasse unmittelbar an der Grundstücksgrenze hat sich die Antragstellerin selbst der Gefahr ausgesetzt, dass durch eine

Grenzbebauung auf dem Baugrundstück eine Minderung der Belichtung der Dachterrasse eintritt. Eine Verschattung des Außenwohnbereichs durch Nachbargebäude ist in einer dichten innerstädtischen

Situation unvermeidbar. Die Nutzung derselben, die nach Angaben der Antragsgegnerin nicht genehmigt ist, ist durch die Verwirklichung des streitgegenständlichen Vorhabens nicht ausgeschlossen. Die

Antragstellerin konnte nicht davon ausgehen, dass das Antragstellergrundstück dauerhaft unbebaut bleibt und so eine Besonnung der Dachterrasse von Süden dauerhaft gewährleistet ist.

32

4. Das streitgegenständliche Bauvorhaben stellt sich auch nicht deshalb als rücksichtslos dar, weil es wegen seiner Höhenentwicklung gegenüber dem Anwesen der Antragstellerin eine erdrückende oder einmauernde Wirkung hat.

33

Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kommt auch dann in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude

„eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“

Baukörpern in geringen Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 19.3.1981 – 1 C-1/78 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23). Im dicht bebauten

innerstädtischen Bereich kommt eine derartige erdrückende Wirkung indessen nur dann in Betracht, wenn das strittige Nachbargebäude erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5).

34

Zur Beurteilung der erdrückenden Wirkung ist nicht auf die Verhältnisse auf der Dachterrasse der

Antragstellerin, sondern auf das Verhältnis zwischen den Hauptgebäuden auf dem Baugrundstück und dem Grundstück der Antragstellerin abzustellen. Nachdem aufgrund der regellosen Bebauung an der

gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Grenzanbau zulässig ist, kann dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht entgegen gehalten werden, es wirke als Grenzbebauung gegenüber der nachbarlichen

Grenzbebauung erdrückend. Denn die Dachterrasse und das streitgegenständliche Vorhaben werden an der Grenze unter Verzicht auf die beiderseitigen Abstandsflächen aneinander bebaut. Die Antragstellerin hat aufgrund der bauplanungsrechtlichen Situation die Möglichkeit, künftig ein Gebäude in gleicher Höhe an das streitgegenständliche Vorhaben anzubauen. Die Terrassennutzung ist wie oben ausgeführt nicht schützenwerter als anderer Außenwohnbereich.

35

Im Verhältnis zum bestehenden Hauptgebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin ist indes keine erdrückende Wirkung des geplanten Baukörpers zu erkennen. Die nördliche Außenwand des Bauvorhabens liegt in einer Entfernung von ca. 7 m zu den nächstgelegenen Aufenthaltsräumen mit Fenstern an der Südseite des Haupthauses auf dem Grundstück der Antragstellerin. Während die Höhe des

streitgegenständlichen Bauvorhabens an der Nachbargrenze 10,36 m erreicht, ist bei dem Baukörper auf dem Grundstück der Antragstellerin eine Firsthöhe von 9,43 m zu verzeichnen. Der Höhenunterschied beider Gebäude beträgt daher unter 1 Meter bei einem Abstand von 7 m. Bei einem verdichtet bebauten

(7)

Bereich in der Innenstadt ist ein solcher Höhenunterschied regelmäßig zu beobachten und deshalb hinzunehmen.

36

Dieses Ergebnis bestätigt auch ein Vergleich der Geschossigkeit der beiden Gebäude. Das Haupthaus auf dem Grundstück der Antragstellerin verfügt über einen Erdgeschoss, ein Obergeschoss sowie einen Dachgeschoss mit Satteldach. Das geplante Vorhaben soll ebenfalls drei Geschosse erhalten.

37

Ein Einmauerungseffekt ist nicht zu erkennen, da der geplante Baukörper zum Grundstück der

Antragstellerin nur eine Breite von 10,5 m erhalten soll, während das Gebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin eine größere Breite aufweist und durch die Freiräume zur I... Straße und zur K...straße hin ausreichend Raum zur Verfügung hat.

38

5. Die Antragstellerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Antragstellerin waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da es der Billigkeit entspricht, deren Kosten als erstattungsfähig zu erklären, nachdem sie sich durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko gem. § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat und mit dem Antrag obsiegt hat.

39

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 und 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der Nachweis einer nahezu gesamten Beteiligung an einer (Aktien-) Gesellschaft als Vermutung des fehlenden autonomen Verhaltens (Nahezu-100 %-Vermutung).. 91 Kontext und Reichweite

4 VwGO ergibt sich eine solche Anhörungspflicht; mit der Möglichkeit der Aus- setzung der Vollziehung muss gerechnet werden (vgl. Besondere Umstände, die im konkreten Fall

Thomas Schmidt und Herrn Ingo Grünewald aussprechen, die mir während meiner Tätig- keit in der Kanzlei zeitliche Freiräume für die Arbeit an der Dissertation ermöglichten und Herrn

Das Gebot der Rücksichtnahme hebt insoweit auf die ge- genseitige Verflechtung der baulichen Situation unmittelbar benachbarter Grundstücke ab und nimmt das

In besonders gelagerten Einzelfällen können auch Einblicksmöglichkeiten in das Nachbar- grundstück einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme begründen (OVG Bre- men, B.

Soweit die Antragsteller mit ihrer Beschwerde vortragen, sie durften davon ausgehen, dass in der rückwärtigen Nachbarschaft zu ihrem Haus mehr oder weniger gleichartige

Hierzu zählen nebst Geh- und Radwegen auch Grünflächen. Um den Stellplatz oder die Garage/der Carport auf Ihrem Grundstück mit einem Fahrzeug erreichen zu können,

urheberrechtlich geschützt sind – für diesen Antrag nutzen zu dürfen und diese Berechtigung auch beinhaltet, dass die beteiligten Stellen diese Unterlagen zum Zwecke der Prüfung