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Erfolglose Anfechtung und keine sonstige Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer anwesenheitsbezogenen variablen Vergütung

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Academic year: 2022

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LArbG München, Beschluss v. 15.06.2018 – 3 TaBV 6/18 Titel:

Erfolglose Anfechtung und keine sonstige Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer anwesenheitsbezogenen variablen Vergütung

Normenketten:

BGB § 119, § 120, § 123, § 124, § 142, § 147 Abs. 2, § 182 BetrVG § 77, § 87

TVG § 4 Abs. 3 MTV § 16 Abs. 2 EFZG § 4 a

ArbGG § 87 Abs. 1, § 92 a ZPO § 519, § 520

Leitsätze:

Eine Betriebsvereinbarung, die die Zahlung einer anwesenheitsbezogenen variablen Vergütung vorsah, wurde weder wirksam angefochten noch war sie aus sonstigen Gründen (teilweise) unwirksam (Rn. 35 und 43)

1. Eine Betriebsvereinbarung, welche hier die Zahlung einer anwesenheitsbezogenen variablen Vergütung vorsieht, unterliegt als privatrechtlicher Vertrag aufgrund inhaltlich übereinstimmender Willenserklärungen der Betriebspartner den Regeln des allgemeinen Teils des BGB. Sie kann deshalb nach Maßgabe der §§

119 ff. BGB seitens des Betriebsrats angefochten werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

2. Es ist durch Auslegung festzustellen, ob eine Regelungsabrede, die nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse einwirkt, oder eine Betriebsvereinbarung, also ein privatrechtlicher Normenvertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Regelung der

betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sowie über Inhalt, Abschluss und Bedeutung von Arbeitsverträgen, geschlossen wurde. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)

3. § 77 Abs. 3 BetrVG, wonach Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, steht dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung, welche hier die Zahlung einer

anwesenheitsbezogenen variablen Vergütung vorsieht, nicht entgegen. Im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung - hier wegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG - gilt der Tarifvorbehalt des § 77 Satz 1 BetrVG nicht. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)

4. Eine Betriebsvereinbarung ist nicht deshalb unwirksam, weil Arbeitsverträge günstigere Regelungen zu dem Regelungsgegenstand enthalten. Die arbeitsvertraglichen Regelungen gehen belastenden

Regelungen einer Betriebsvereinbarung vor, ohne die Betriebsvereinbarung in ihrer Wirksamkeit zu berühren. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Betriebsvereinbarung, Anfechtungsgrund, Anfechtungsfrist, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Bescheid, Beschlussverfahren, Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Tarifvertrag

Vorinstanz:

ArbG München, Beschluss vom 15.11.2017 – 37 BV 49/17 Rechtsmittelinstanzen:

BAG Erfurt, Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 4/19 BAG Erfurt, Beschluss vom 15.01.2019 – 1 ABN 57/18 Fundstellen:

BeckRS 2018, 44043 DZWir 2021, 28 LSK 2018, 44043  

(2)

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 15.11.2017 - 37 BV 49/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit, hilfsweise über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung.

2

Der Antragsteller ist der Betriebsrat bei der zu 2) beteiligten Arbeitgeberin, einem Unternehmen der E. Er wurde erstmals 2003 gewählt. Im Betrieb der Arbeitgeberin am Standort A-Stadt werden Logistik- und Produktveredelungsdienstleistungen für die europäische Elektronikindustrie erbracht. Die Arbeitgeberin ist nicht tarifgebunden.

3

Am 22.02.2007 schlossen die Arbeitgeberin und der anwaltlich vertretene Betriebsrat eine

Betriebsvereinbarung über variable Vergütung im Lager (Anlage A1 = Bl. 61 ff. d. A. und AG4 = Bl. 192 ff. d.

A.; im Folgenden: BV Variable Vergütung), die auszugsweise lautet:

„Präambel Bei C. soll im Lager eine zukunftsgerichtete, leistungsorientierte Vergütung erfolgen. Zu diesem Zweck wird ein Teil der Vergütung auf Basis von messbaren Leistungskennzahlen ausgezahlt. Die Ziele sollen realistisch und erreichbar, gleichzeitig aber auch Anreiz und Motivation für die Mitarbeiter sein. Ferner wird ein Teil der Vergütung an krankheitsbedingten Fehlzeiten anknüpfen und eine durchgängige

Anwesenheit von Mitarbeitern im jeweiligen Geschäftsjahr entsprechend honorieren.

§ 2 Gegenstand der vorliegenden Betriebsvereinbarung

1. Die bei Unterzeichnung dieser Betriebsvereinbarung (Stichtag) beschäftigen Mitar beiter erhalten derzeit zum Teil eine „Flexible Leistungs- und Anwesenheitsprämie“ bzw. eine Zulage in Form einer

Erfolgsbeteiligung oder sonstigen monatlichen Zulage („variable Vergütung“). Die variable Vergütung wird vollumfänglich zum Gegenstand der vorliegenden Betriebsvereinbarung gemacht und richtet sich zukünftig nach den zwischen den Betriebsparteien gemäß den in der vorliegenden Betriebsvereinbarung geregelten Voraussetzungen. …

3. Die variable Vergütung setzt sich aus einer anwesenheitsbezogenen Komponente (§ 3) und einer leistungsbezogenen Komponente (§ 4) zusammen. Die anwesenheitsbezogene Komponente beträgt zunächst maximal 10% der Grundvergütung. Ab 01.01.2010 kann die anwesenheitsbezogene Komponente vom Unternehmen durch etwaige Vergütungserhöhungen auf maximal 10% der Gesamtvergütung erhöht werden.

§ 3 Anwesenheitsbezogene Komponente

1. Die anwesenheitsbezogene Komponente wird für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters infolge Krankheit im jeweiligen Geschäftsjahr um ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, gekürzt.

2. Der für die Kürzung zugrunde zu legende Jahresdurchschnittsverdienst bemisst sich nach dem im jeweils vorherigen Geschäftsjahr verdienten Arbeitsentgelt. Als Arbeitsentgelt gelten alle geldwerten Leistungen an den Mitarbeiter, gleich ob es sich um Geld- oder Sachbezüge handelt. Zur Berechnung des auf einen Arbeitstag entfallenden Teils des Arbeitsentgelts wird von 260 Arbeitstagen im Geschäftsjahr ausgegangen.

Für neu eingestellte Mitarbeiter wird das während des jeweils laufenden Geschäftsjahres verdiente Arbeitsentgelt als Jahresdurchschnittsverdienst im Sinne von Satz 1 zugrunde gelegt.

§ 12 Schlussbestimmungen

1. Diese Betriebsvereinbarung tritt für alle Mitarbeiter mit Wirkung ab dem 01.07.2007 unter der Bedingung in Kraft, dass 80% der abgegebenen Stimmen bis zum Ablauf der vom Unternehmen jeweils gesetzten Frist

(3)

der Betriebsvereinbarung einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben. Hierzu erhalten die Mitarbeiter ein schriftliches Angebot des Unternehmens.

Wird diese Zustimmungsquote von 80% unterschritten, kann das Unternehmen dies dennoch für ausreichend erklären; in diesem Fall gilt die Betriebsvereinbarung im Geschäftsjahr 2008 (01.07.2007 - 30.06.2008) nur für diejenigen Mitarbeiter, die der Geltung einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben.

Beträgt die Zustimmungsquote mindestens 60%, aber weniger als 80% und hat das Unternehmen dies für ausreichend erklärt und beträgt der Zielerreichungsgrad im Geschäftsjahr 2008 mindestens 85% im Jahresdurchschnitt, gilt die Betriebsvereinbarung ab dem 01.07.2008 für alle Mitarbeiter, ansonsten gilt sie für alle Mitarbeiter, sobald in einem Geschäftsjahr der Zielerreichungsgrad von 85% überschritten wurde.

3. Die Betriebsvereinbarung löst in ihrem Geltungsbereich sämtliche bislang bestehen den Regelungen zur leistungs- und erfolgsbezogenen Vergütung ab. …

5. Die Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von 12 Monaten schriftlich gekündigt werden. Eine Beendigung aufgrund ordentlicher Kündigung kann jedoch frühestens zum 30.06.2010 erfolgen.

6. Nach Ablauf der Kündigungsfrist wirkt diese Betriebsvereinbarung nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird. Die Betriebsparteien werden unverzüglich nach Ausspruch einer Kündigung Verhandlungen über eine Neuregelung aufnehmen. …“

4

Darüber hinaus sah § 10 BV Variable Vergütung eine Beschäftigungssicherung vor. Gegenüber Mitarbeitern, die der BV Variable Vergütung fristgemäß einzelvertraglich zustimmten, sicherte die Arbeitgeberin zu, bis zum 30.06.2010 unter bestimmten weiteren Bedingungen auf eine betriebsbedingte Beendigungs- oder Änderungskündigung zu verzichten. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der BV Variable Vergütung wird auf die Anlage A1 und AG4 Bezug genommen.

5

Ebenfalls am 22.02.2007 vereinbarten die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit (im Folgenden: BV Arbeitszeit), um dem Betrieb den Zuschlag für Erweiterung des Standorts zu sichern (vgl. Anlage AG5 = Bl. 209 ff. d. A.).

In der Folge unterbreitete die Arbeitgeberin den Mitarbeitern Zustimmungserklärungen zur BV Variable Vergütung mit folgendem Inhalt (Anlage K13 = Bl. 515 ff. d. A.):

„Zustimmung zur Betriebsvereinbarung „Variable Vergütung“

Hiermit stimme ich, …, der am 22.02.2007 zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung „Variable Vergütung“ zur Sicherung des Standortes AStadt zu. Die in dieser Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen werden somit Gegenstand meines Arbeitsvertrages.

Die übrigen Bestimmungen meines Arbeitsvertrages, insbesondere die Betriebszugehörigkeit, gelten weiter.“

6

Die Arbeitgeberin zeichnete mit Datum 25.05.2007 „Zustimmung erhalten und einverstanden“. 87% der Mitarbeiter des Betriebsteils Lager, konkret 196 von 225 Mitarbeitern, haben der BV Variable Vergütung zugestimmt.

7

Bis zum Inkrafttreten der BV Variable Vergütung erhielten die Mitarbeiter des Lagers eine „Flexible Leistungs- und Anwesenheitsprämie (flexible L+A-Prämie)“, die in Arbeitsverträgen als Teil der Vergütung bzw. des Arbeitsentgelts mit einem konkreten Betrag ohne weitere Regelungen zu Voraussetzungen und Höhe ausgewiesen war (vgl. Anlage A3 = Bl. 80 ff. d. A.). Der genannte Betrag stellte einen

Dauervorschuss dar, der bei Ausscheiden des Mitarbeiters ggf. mit der Restzahlung der L+A-Prämie verrechnet werden sollte. Teilweise wurde eine fixe L+A-Prämie bis zu einem bestimmten Datum gewährt und arbeitsvertraglich vereinbart, dass der Mitarbeiter danach an der für Mitarbeiter im Lager gültigen Regelung partizipieren (teilhaben) solle (vgl. 2. Mustervertrag der Anlage A3 = Bl. 87 d. A.).

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(4)

Mit Schreiben vom 19.06.2012 kündigte der Betriebsrat die BV Variable Vergütung, die sich seitdem in der Nachwirkung befindet.

9

Wegen Kürzungen der Anwesenheitsprämie nach der BV Variable Vergütung bei krankheitsbedingten Fehlzeiten klagten verschiedene Arbeitnehmer erfolglos vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht München (vgl. hierzu die Übersicht aus dem Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 24.05.2018, Seite 5 = Bl. 551 d. A.). Die Berufung des Arbeitnehmers W. gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts München vom 29.11.2016 - 3 Ca 12633/15 - wurde durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom

08.03.2017 - 11 Sa 10/17 - als unzulässig verworfen. Hilfsweise hielt das Landesarbeitsgericht München die Berufung, die sich gegen die Kürzung der Anwesenheitsprämie im Zeitraum 2012 bis 2015 wandte, für unbegründet. Für die Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts München wird auf die Anlage AG9 = Bl. 383 ff. d. A. Bezug genommen.

10

Zwischen den Parteien ist streitig, wann der Betriebsrat Kenntnis vom Inhalt und Gegenstand dieser Klagen erlangte. Mit E-Mail vom 29.06.2015 unter dem Betreff „Anwesenheitsprämie“ teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat ihre Entscheidung mit, die sog. „Anwesenheitsprämie“ aus der BV Variable Vergütung für den Zeitraum 01.07.2015 bis 30.06.2016 auszusetzen und zu 100% an die Mitarbeiter auszuzahlen. Während dieses Zeitraumes werde die Arbeitgeberin die Krankheitsquote bzw. Zunahme oder Abnahme beobachten.

Sollte die Quote gleichbleiben oder sinken, könnte die Regelung endgültig in einer Betriebsvereinbarung verankert werden (Anlage A12 = Bl. 419 d. A.). Der Betriebsrat stimmte diesem Vorschlag per E-Mail seines Vorsitzenden vom 16.07.2015 nicht zu. Er wollte nach den Sommerferien mit der Verhandlung über eine neue Betriebsvereinbarung beginnen, weil Gespräche mit der Geschäftsleitung seit Sommer 2013 geführt worden seien. Des Weiteren erklärte der Betriebsratsvorsitzende aus (vgl. Anlage K12 = Bl. 420 f. d. A.):

„Die Rechtsstreit(e) mit mehrere(n) Lagermitarbeiter(n) über die Einführung der Anwesenheitsprämie setzt uns in eine unangenehme Position und problematische Lage. Das gilt für die Geschäftsleitung auch.

Das Gremium über dieses Thema ist viel vorsichtiger geworden!!!!!!!

… Wenn wir mit der neue(n) Regelung starten, Sie werden ausreichende Zeit haben die Krankheitsquote zu bewerten.

…“

11

Mit Schreiben vom 20.02.2017 erklärte der Betriebsrat die Anfechtung der Willenserklärung zum Abschluss der Betriebsvereinbarung Variable Vergütung wegen arglistiger Täuschung. Im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss der BV Variable Vergütung habe der frühere Geschäftsführer der Arbeitgeberin, Herr S., vorsätzlich und arglistig mit der Aussage getäuscht, dass sich die Vergütungssituation durch die Neuregelung der BV Variable Vergütung nicht verschlechtern werde. Ebenso habe Frau Sch. in Anwesenheit des Geschäftsführers S. bei der Betriebsversammlung am 22.02.2007 gesagt, dass keine Nachteile gegenüber den bestehenden Arbeitsverträgen für die Mitarbeiter entstünden und die Verträge nicht geändert würden. Die Geschäftsleitung habe gedroht, dass nur unter diesen Bedingungen das Lagerhaus erweitert werde (vgl. Anlage A4 = Bl. 105 d. A.).

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Der Betriebsrat hat erstinstanzlich Feststellung begehrt, dass die BV Variable Vergütung nichtig, hilfsweise dass sie insgesamt bzw. ihre §§ 2, 3, 4 und 12 unwirksam seien. Der Betriebsrat habe die Willenserklärung zum Abschluss der BV Variable Vergütung mit Schreiben vom 20.02.2017 wirksam angefochten. Vom Inhalt und Gegenstand der Klagen auf vollständige Zahlung der Anwesenheitsprämien habe der Betriebsrat erstmalig durch ein Schreiben von Mitarbeitern vom 04.10.2016, das ihm am 20.10.2016 übergeben worden sei, erfahren (Anlage AG6 = Bl. 307 ff. d. A.). Die Betriebsvereinbarung sei zudem unwirksam. Für die Mitarbeiter hätten günstigere Regelungen aufgrund der Vereinbarung der A+LPrämien in den

Arbeitsverträgen bestanden, die durch eine verschlechternde Betriebsvereinbarung - wie im vorliegenden Fall die BV Variable Vergütung - nicht hätten abgelöst werden können. Die BV Variable Vergütung sei gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam, weil § 16 MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern vom 01.03.2007 den Umfang der

Krankenbezüge regele. Für die Anwendbarkeit dieser tariflichen Regelung komme es nicht darauf an, ob

(5)

der Arbeitgeber tarifgebunden sei und deshalb der Tarifvertrag aufgrund Tarifgebundenheit beider Vertragsparteien auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung finde.

13

Die Arbeitgeberin hat für ihren Zurückweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Anträge seien unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die Anfechtungsfrist sei nicht eingehalten worden, da der Betriebsrat ausweislich des E-Mail-Verkehrs spätestens seit Sommer 2015 von der Kürzung der

Anwesenheitskomponente wisse. Die BV Variable Vergütung sei auch wirksam. Die frühere L+A-Prämie sei in den vorformulierten Arbeitsverträgen betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet gewesen und habe durch die BV Variable Vergütung abgelöst werden können. Die BV Variable Vergütung hielte dem kollektiven Günstigkeitsvergleich stand. Ein wesentlicher Teil der BV Variable Vergütung sei die

Beschäftigungssicherung gewesen. Im Juni 2007 seien für die variable Vergütung insgesamt 247.218,08 € brutto bezahlt worden; im August 2007 nach Geltung der BV Variable Vergütung seien insgesamt

280.543,52 € brutto aufgewendet worden.

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Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 15.11.2017 - 37 BV 49/17 - die Anträge abgewiesen.

Die Anträge seien zulässig. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO ergebe sich für die vorliegenden Anträge bereits daraus, dass die Betriebsparteien wissen müssten, ob die BV Variable Vergütung im Lager noch anzuwenden sei. Dies gelte auch für die Zeit der Nachwirkung. Die BV Variable Vergütung sei nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig, weil der Betriebsrat die Anfechtungsfrist im Sinne des § 124 Abs. 1 BGB nicht gewahrt habe. Danach könne die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung nur binnen Jahresfrist erfolgen, wobei die Frist im Fall der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdecke, beginne. Der Betriebsrat habe spätestens seit dem 29.06.2015 darüber Kenntnis gehabt, dass die in der BV Variable Vergütung geregelte Anwesenheitsprämie nicht immer zu 100%, d.h. unabhängig von der Anwesenheit des jeweiligen Mitarbeiters, gezahlt werde.

Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Director Human Resources H. an den Betriebsratsvorsitzenden X.

durch E-Mail vom 29.06.2015. Auch die Antwortemail des Betriebsratsvorsitzenden vom 16.07.2015 belege, dass die Kürzungen bei der Anwesenheitsprämie aufgrund der Regelungen in der BV Variable Vergütung dem Betriebsrat bekannt gewesen seien. Habe der Betriebsrat spätestens am 29.06.2015 von der

Tatsache, dass ggf. einzelne Mitarbeiter bei der Anwesenheitsprämie schlechter behandelt werden würden als zuvor, Kenntnis erlangt, habe die Anfechtungsfrist ein Jahr später im Juni 2016 geendet. Die

Anfechtungserklärung vom 20.02.2017 sei daher verspätet.

15

Die BV Variable Vergütung sei weder im Ganzen noch in Teilen unwirksam. Eine Betriebsvereinbarung könne nicht wegen günstigeren Regelungen in Einzelarbeitsverträgen unwirksam sein. Diese gingen den belastenden Regelungen einer Betriebsvereinbarung nach dem in § 4 Abs. 3 TVG nur unvollkommen geregelten Günstigkeitsprinzip vor. Sollte entgegen der Auffassung des Betriebsrats eine Einheitsregelung in Gestalt einer Gesamtzusage bzgl. der L+A-Prämie vorgelegen haben, hätte diese durch die BV Variable Vergütung im Anschluss an die Entscheidung des Großen Senats vom 16.09.1986 ausnahmsweise abgelöst werden können. Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zur L+A-Prämie seien

betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet gewesen, wie das Landesarbeitsgericht München in seiner Entscheidung vom 15.03.2017 - 11 Sa 10/17 - festgestellt habe. Die BV Variable Vergütung halte dem kollektiven Günstigkeitsvergleich stand. Hierbei dürfe nicht ausschließlich auf die gezahlten Zulagen vor und ab Wirksamkeit der BV Variable Vergütung abgestellt werden. Es müsse zusätzlich die in § 10 BV Variable Vergütung geregelte Beschäftigungssicherung miteinbezogen werden. Es komme nicht darauf an, ob ein einzelner Arbeitnehmer einmal eine geringere Anwesenheitsprämie erhielte, als in Zeiten vor dem Inkrafttreten der BV Variable Vergütung. Auch sei nicht relevant, ob die Beschäftigungssicherung

ausgerechnet für diese Person entscheidend gewesen sei. Kollektiv betrachtet sei das Gesamtpaket, das Inhalt der BV Variable Vergütung sei, nicht ungünstiger als die frühere Einheitsregelung. Schließlich greife die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht ein, weil es sich um eine Angelegenheit handele, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege.

16

Gegen diesen, seinen Prozessbevollmächtigten am 18.12.2017 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 15.01.2018 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 12.03.2018 am 12.03.2018 begründet.

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17

Der Betriebsrat vertritt weiterhin die Auffassung, dass die BV Variable Vergütung nichtig, jedenfalls als Ganzes oder in Teilen unwirksam sei.

18

Der Betriebsrat habe am 29.06.2015/15.07.2015 noch keine Kenntnis von der Täuschung durch die Arbeitgeberin gehabt. Diese Kenntnis habe der Betriebsrat erst erlangt, nachdem er sich aufgrund von Beschwerden von Mitarbeitern Anfang Februar 2017 mit der Thematik beschäftigt und anwaltlichen Rat geholt habe. Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat darüber getäuscht, dass sich bei Anwendung der BV Variable Vergütung das Gehalt der betreffenden Mitarbeiter im Vergleich zu den arbeitsvertraglichen Regelungen nicht verschlechtern würde, obwohl dies tatsächlich der Fall sei. Dies sei dem damaligen Geschäftsführer S. als Vertreter der Arbeitgeberin auch bekannt gewesen. Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat auch darüber getäuscht, dass in den Arbeitsverträgen vor Abschluss der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung bereits eine wirksame Regelung bezüglich einer anwesenheits- und einer

leistungsbezogenen Komponente enthalten gewesen sei, die die Arbeitgeberin nicht zum Abzug in Krankheitsfällen bzw. bei Abwesenheit berechtigt hätte.

19

Die BV Variable Vergütung sei jedenfalls unwirksam. Die BV Variable Vergütung habe schon nicht in Kraft treten können, weil das in § 12 Abs. 1 BV Variable Vergütung vorgesehene Quorum von 60% bzw. 80% an wirksamen Vereinbarungen/Zustimmungen nicht erreicht worden sei. Es habe an wirksamen

Vereinbarungen/Zustimmungen über die Anwendbarkeit der BV Variable Vergütung auf die Arbeitsverträge der Mitarbeiter nach § 147 Abs. 2 BGB gefehlt. Angebote der Mitarbeiter vom Februar 2007 seien durch die Arbeitgeberin erst drei Monate später am 22.05.2007 angenommen worden.

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Die BV Variable Vergütung sei keine Betriebsvereinbarung im Sinne von § 77 Abs. 2 BetrVG. Es habe an der Absicht gefehlt, der getroffenen Regelung eine unmittelbare und zwingende Wirkung zukommen zu lassen. Die BV Variable Vergütung habe in den Änderungsvereinbarungen in Bezug genommen und damit individualrechtlicher Bestandteil der Arbeitsverträge werden sollen. Die BV Variable Vergütung habe unter der aufschiebenden Bedingung stehen sollen, dass 80% der Mitarbeiter die Zustimmungserklärung unterzeichneten.

21

Sollte überhaupt eine Einheitsregelung vorliegen, wie es die Auffassung der Arbeitgeberin und des Arbeitsgerichts sei, habe sie nicht wirksam durch die BV Variable Vergütung abgelöst werden können. Die arbeitsvertraglichen Regelungen seien nicht betriebsvereinbarungsoffen.

22

Die BV Variable Vergütung sei gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die Entscheidung des

Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016 - 5 AZR 135/16 sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Durch die BV Variable Vergütung werde eine zu § 16 Abs. 2 MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern vom 01.03.2007 anderslautende Regelung geschaffen.

23

Der Betriebsrat beantragt,

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München Az.: 37 BV 49/17 vom 15.11.2017 wird abgeändert.

II. Es wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung über Variable Vergütung im Lager vom 22.02.2007 nichtig ist.

Hilfsweise:

III. Es wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung über Variable Vergütung im Lager vom 22.02.2007 unwirksam ist.

Weiter hilfsweise:

(7)

IV. Es wird festgestellt, dass die §§ 2, 3, 4 und 12 der Betriebsvereinbarung über Variable Vergütung im Lager vom 22.02.2007 unwirksam sind.

24

Die Arbeitgeberin beantragt,

Die Beschwerde des Antragstellers und Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 15.11.2017, Az. 37 BV 49/17, wird zurückgewiesen.

25

Die Anfechtung sei bereits aufgrund des Ablaufs der Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB

ausgeschlossen. Der Betriebsrat habe aufgrund der E-Mail-Korrespondenz mit Herrn H. jedenfalls seit dem 29.06.2015 Kenntnis davon gehabt, dass die anwesenheitsbezogene Komponente auf Basis der BV Variable Vergütung gekürzt worden sei; andernfalls hätte es der Entscheidung und den Einigungsversucht mit dem Betriebsrat über eine befristete Aussetzung der Kürzung und damit der „Auszahlung zu 100%“ nicht bedurft.

26

Die BV Variable Vergütung sei wirksam in Kraft getreten, weil das erforderliche Quorum erreicht worden sei.

Bei dem als Anlage K13 vorgelegten Schreiben handele es sich um das Angebot der Arbeitgeberin gemäß

§ 12 Abs. 1 BV Variable Vergütung auf Zustimmung zur BV Variable Vergütung, die von den Mitarbeitern im Betriebsteil Lager zu 87% angenommen worden seien. Mit seiner Unterschrift vom 25.05.2007 habe der Geschäftsführer der Arbeitgeberin lediglich den Empfang der Zustimmungserklärung bestätigt, was sich auch aus den Worten „Zustimmung erhalten und einverstanden“ ergebe.

27

Bei der BV Variable Vergütung handele es sich um eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 Abs. 2 BetrVG. Nach § 12 Abs. 1 BV Variable Vergütung habe die Betriebsvereinbarung für alle Mitarbeiter, die unter ihren Geltungsbereich fielen, gelten sollen. Im Gegensatz zu dem vom LAG Düsseldorf entschiedenen Sachverhalt fehle es an einer Abrede der Beteiligten, wonach die BV Variable Vergütung „in

Änderungsvereinbarungen in Bezug genommen und damit auch individualrechtlicher Bestandteil der Arbeitsverträge“ werden sollte. Auch fehle es an einer Absprache der Betriebsparteien, wonach die Betriebsvereinbarung für Mitarbeiter, die ihre Zustimmung zur BV Variable Vergütung nicht erteilten, keine Wirkung entfalten sollte.

28

Die BV Variable Vergütung habe wegen der betriebsvereinbarungsoffenen Gestaltung der Arbeitsverträge, wie dies im Anschluss an die Entscheidung des LAG München vom 15.03.2017 - 11 Sa 10/17 -

anzunehmen sei, die frühere Regelung der L+A-Prämie wirksam ablösen können. Sollte keine Betriebsvereinbarungsoffenheit der Regelung gegeben sein, würde sich hieraus aufgrund des Günstigkeitsprinzips nicht die Unwirksamkeit der BV Variable Vergütung ergeben.

29

Die BV Variable Vergütung sei nicht wegen Verstoßes gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Nach der herrschenden Vorrangtheorie komme § 77 Abs. 3 BetrVG in Angelegenheiten, die der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unterlägen, nicht zur Anwendung.

Vielmehr gelte hier allein § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG. Damit sei eine uneingeschränkte Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 BetrVG möglich, wenn und soweit dem Arbeitgeber in sozialen Angelegenheiten wegen fehlender eigener Bindung an einen konkreten Tarifvertrag ein

Mitbestimmungsrecht verbleibe. Die Arbeitgeberin sei unstreitig nicht tarifgebunden. Das

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ergebe sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Bei § 4 a EFZG handele es sich nicht um eine abschließende gesetzliche Regelung.

30

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Betriebsrats vom 09.03.2018 (Bl. 500 - 518 d. A.) und der Arbeitgeberin vom 24.05.2018 (Bl. 547 - 561 d. A.) sowie auf das Protokoll des Anhörungstermins vom 15.06.2018 (Bl. 562 - 565 d. A.) Bezug genommen.

31

Die Kürzung der anwesenheitsbezogenen Komponente war weiterhin bis zum 30.06.2018 ausgesetzt.

(8)

II.

32

Die Beschwerde ist zulässig, aber begründet.

33

1. Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.

34

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Die BV Variable Vergütung ist weder nichtig noch unwirksam.

35

a) Die BV Variable Vergütung ist nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB (für die Zukunft) nichtig.

36

aa) Die BV Variable Vergütung unterliegt als privatrechtlicher Vertrag aufgrund inhaltlich übereinstimmender Willenserklärungen der Betriebspartner den Regeln des allgemeinen Teils des BGB (Düwell/Lorenz, BetrVG, 5. Aufl. 2018, Rn. 7 und 11). Sie kann deshalb nach näherer Maßgabe der §§ 119 ff. BGB seitens des Betriebsrats angefochten werden.

37

bb) Mit dem Schreiben des Betriebsrats vom 20.02.2017 liegt keine wirksame Anfechtungserklärung gem.

§§ 123 f. BGB vor.

38

(1) Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Anfechtungserklärung des Betriebsrats nicht binnen der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erfolgt ist.

39

Im Fall der arglistigen Täuschung beginnt die Anfechtungsfrist mit dem Zeitpunkt, in dem der

Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Betriebsrat hatte Kenntnis von möglichen Täuschungshandlungen aufgrund des E-Mail-Verkehrs vom 29.06.2015/16.07.2015 erlangt.

Nach den Behauptungen des Betriebsrats soll die Arbeitgeberin ihm trotz gegenteiliger Kenntnis vorgespiegelt haben, dass sich bei Anwendung der BV Variable Vergütung das Gehalt der betreffenden Mitarbeiter im Vergleich zu ihren arbeitsvertraglichen Regelungen nicht verschlechtern werde. Aufgrund der E-Mails vom 29.06.2015 und 16.07.2015 wusste der Betriebsrat, dass dies nicht der Fall war.

40

Die dortige Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden X., „Die Rechtsstreit(e) mit mehrere(n)

Lagermitarbeiter(n) über die Einführung der Anwesenheitsprämie setzt uns in eine unangenehme Position und problematische Lage“, belegt, dass der Betriebsrat über die Klagen der verschiedenen Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht München Bescheid wusste. Da es vor Inkrafttreten der BV Variable Vergütung nach Auffassung des Betriebsrats keine Kürzungen wegen krankheitsbedingter Abwesenheit gegeben hatte, war dem Betriebsrat damit auch bekannt, dass sich entgegen den angeblichen Versicherungen der

Arbeitgeberin die Gehälter der betroffenen Mitarbeiter in Abhängigkeit zu krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten verschlechtert haben. Dies wird bestätigt durch die abschließende Aussage, die Arbeitgeberin werde bei Start einer Neuregelung „ausreichende Zeit haben die Krankheitsquote zu bewerten.“

41

(2) Der Betriebsrat hat nicht ausreichend Tatsachen vorgetragen, die auf eine Täuschung des Betriebsrats durch die Arbeitgeberin schließen lassen.

42

Soweit die Arbeitgeberin den Betriebsrat zudem darüber getäuscht haben soll, dass die Arbeitsverträge eine (wirksame) Regelung enthielten, die die Arbeitgeberin zur Kürzung der L+ A Prämie bei krankheitsbedingter Abwesenheit der Arbeitnehmer berechtigt hätte, hat der Betriebsrat trotz Bestreitens durch die Arbeitgeberin nicht substantiiert vorgetragen. Es ist offen, wann der Geschäftsführer Herr S. konkret welche Aussage mit

(9)

welchem Inhalt getroffen hat, die diese Täuschung des Betriebsrats begründet hätte. Im Übrigen hätte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin mit einer der solchen Aussage eine Rechtsauffassung geäußert, die keine Behauptung von Tatsachen im Sinne von objektiv nachprüfbaren Umstände darstellt und Gegenstand des Anfechtungsrechts sein kann (vgl. Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, BGB, § 123 Rn. 3). Schließlich hat der darlegungs- und beweisbelastete Betriebsrat nicht vorgetragen, dass die behauptete Täuschung - Aussage der Arbeitgeberin, die Arbeitsverträge enthielten eine wirksame Kürzungsregelung bei

krankheitsbedingter Abwesenheit - kausal für seine Willenserklärung zum Abschluss der BV Variable Vergütung gewesen sei. Dies ist auch nicht anzunehmen. Ausweislich der Präambel sowie § 2 Ziff. 3 sowie den Regelungen in § 3 Ziff. 1, § 5 Ziff. 1 und 2 sowie § 6 Ziff. 1 BV Variable Vergütung war es das Ziel der Betriebspartner, mit der variablen Vergütung zukünftig auch „eine durchgängige Anwesenheit von

Mitarbeitern im jeweiligen Geschäftsjahr entsprechend (zu) honorieren.“ Mit dieser Minderung „erkaufte“

sich der Betriebsrat die in § 10 BV Variable Vergütung geregelte Beschäftigungssicherung sowie die Erweiterung des Lagers am Standort A-Stadt (§ 12 Nr. 2 BV Variable Vergütung). In Anbetracht dieser Regelungen musste es dem Betriebsrat klar sein, dass es bei arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeitern zu entsprechenden Entgeltminderungen in Abweichung zu ihren früheren Arbeitsverträgen kommen würde.

Andernfalls wäre der wirtschaftliche Vorteil, der die Arbeitgeberin zur Beschäftigungssicherung sowie Standortsicherung und -erweiterung veranlassten, nicht eingetreten.

43

b) Die BV Variable Vergütung ist weder im Ganzen noch in Bezug auf die genannten Regelungen unwirksam.

44

aa) Die BV Variable Vergütung ist in Kraft getreten.

45

Nach § 12 Ziff. 1 Satz 1 BV Variable Vergütung tritt die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung für alle Mitarbeiter in Kraft, wenn 80% der abgegebenen Stimmen der Mitarbeiter bis zum Ablauf der vom

Unternehmen jeweils gesetzten Frist der Betriebsvereinbarung einzelvertraglich zugestimmt haben. Hierzu sollten die Mitarbeiter nach § 12 Nr. 1 Satz 2 BV Variable Vergütung ein schriftliches Angebot der

Arbeitgeberin erhalten.

46

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmern mit dem als Anlage K13 vorgelegten Formular ein schriftliches Angebot mit Fristsetzung unterbreitet, dem die Arbeitnehmer zugestimmt haben. Auf eine Annahme der Zustimmungserklärung durch die Arbeitgeberin kam es nach § 12 Ziff. 1 Satz 1 BV Variable Vergütung nicht an. Sie ist auch nicht nach § 182 BGB erforderlich, da eine Zustimmung die Einverständniserklärung zu dem von einem anderen vorgenommenen Rechtsgeschäft - hier die von den Betriebspartnern vereinbarte BV Variable Vergütung - ist und als einseitig

empfangsbedürftige Willenserklärung nicht der Annahme bedarf (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., vor § 182 Rn. 1 und 3).

47

Unstreitig ist das nach § 12 Ziff. 1 BV Variable Vergütung erforderliche Quorum auf der Grundlage der abgegebenen Zustimmungserklärungen der Arbeitnehmer erreicht worden.

48

bb) Die BV Variable Vergütung ist eine Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 BetrVG.

49

Eine Betriebsvereinbarung ist nach herrschender Meinung ein schriftlich niedergelegter, privatrechtlicher Normenvertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Regelung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sowie über Inhalt, Abschluss und Bedeutung von Arbeitsverträgen (§ 77 Abs. 2 und Abs. 4 BetrVG) (ErfK/Kania, 18. Aufl. 2018, § 77 BetrVG Rn. 4; Fitting u.a. BetrVG, 29 Aufl. 2018, § 77, Rn. 13, jeweils m.w.N.). Demgegenüber wirkt die formfreie Regelungsabrede der Betriebspartner nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein, sondern bindet die Betriebspartner nur schuldrechtlich, sich entsprechend der getroffenen Abrede zu verhalten. Damit die Regelungen einer Regelungsabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirken, müssen sie in die einzelnen Arbeitsverträge transformiert werden (Fitting u.a., a.a.O., § 77 Rn. 217 m.w.N.).

(10)

Ob eine Regelungsabrede oder eine Betriebsvereinbarung geschlossen wurde, ist erforderlichenfalls durch Auslegung festzustellen, wobei die für die Betriebsvereinbarung geltenden Grundsätze gelten (vgl. BAG, Urteil v. 19.06.2007 - 1 AZR 541/06 - Rn. 12 ff.). Maßgeblich ist, ob die Regelung nach ihrem Inhalt unmittelbar und zwingend wirken soll (vgl. BAG, Urteil v. 09.12.1997 - 1 AZR 330/97 - II 2 der Gründe).

50

Danach ist die BV Variable Vergütung, die unstreitig als Vereinbarung zwischen den hiesigen Beteiligten schriftlich niedergelegt worden ist, wegen ihrer unmittelbaren und zwingenden Wirkung als

Betriebsvereinbarung i.S.d. § 77 BetrVG anzusehen. Schon § 2 Ziff. 1 Satz 2 BV Variable Vergütung bestimmt: „Die variable Vergütung … richtet sich zukünftig nach den zwischen den Betriebsparteien gemäß den in der vorliegenden Betriebsvereinbarung geregelten Voraussetzungen.“ § 2 Ziff. 3 BV Variable Vergütung verweist für die anwesenheitsbezogene Komponente auf die Regelungen in § 3 und für die leistungsbezogene Komponente auf diejenigen in § 4. Darüber hinaus sind die (prozentuale) Höhe (§ 2 Ziff.

3 und § 3 Ziff. 1, 4) und die Fälligkeit (§ 6) der variablen Vergütung in der BV Variable Vergütung geregelt.

Es bedurfte daher keiner weiteren Vereinbarung zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmern, um Arbeitnehmern Ansprüche auf variable Vergütung zu vermitteln. Soweit der Betriebsrat eine

Regelungsabrede behauptet, stützt er sich auf eine Regelung einer Vereinbarung, die Gegenstand der Entscheidung des LAG Düsseldorf im Urteil vom 20.11.2015 - 6 Sa 474/15 - war. Diese findet sich in der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung nicht wieder. Schließlich steht § 12 Ziff. 1 S. 1 BV Variable Vergütung, wonach die Betriebsvereinbarung unter der Bedingung in Kraft treten sollte, dass 80% der abgegebenen Stimmen der Mitarbeiter bis zu einer bestimmten Frist der Betriebsvereinbarung

einzelvertraglich schriftlich zugestimmt haben sollten, ihrer unmittelbaren und zwingenden Geltung nicht entgegen. Mit Erreichen des Quorums trat die BV Variable Vergütung gem. § 12 Ziff. 1 Satz 1 „für alle Mitarbeiter“ mit Wirkung ab dem 01.07.2007 in Kraft. Im Übrigen hatten die Betriebspartner bei Nichterreichen des Quorums in § 12 Ziff. 2 BV Variable Vergütung geregelt, dass und wie BV Variable Vergütung in diesem Fall gelten sollte.

51

cc) Die BV Variable Vergütung ist zudem nicht nach § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.

52

§ 77 Abs. 3 BetrVG, wonach Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung seien können, stand dem Abschluss der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung nicht entgegen. Im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung, die im vorliegenden Fall wegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gegeben ist, gilt der Tarifvorbehalt des § 77 Satz 1 BetrVG nach herrschender Meinung nicht (vgl. Fitting u.a. a.a.O., § 77 Rn. 78 und Rn. 109 ff. m.w.N.). Damit ist eine uneingeschränkte Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 BetrVG möglich, wenn und soweit dem Arbeitgeber in sozialen Angelegenheiten wegen fehlender eigener Bindung an einen konkreten Tarifvertrag ein Mitbestimmungsrecht verbleibt (vgl. ErfK/Kania, a.a.O.,

§ 77 Rn. 56). Unstreitig ist die Arbeitgeberin nicht tarifgebunden, so dass eine Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 im vorliegenden Fall nicht besteht.

53

dd) Schließlich wäre die BV Variable Vergütung nicht deshalb unwirksam, weil Arbeitsverträge günstigere Regelungen zu Anwesenheitsprämien enthielten. Diese arbeitsvertraglichen Regelungen gingen

belastenden Regelungen einer Betriebsvereinbarung vor, ohne die Betriebsvereinbarung in ihrer Wirksamkeit zu berühren (vgl. BAG, Urteil v. 05.03.2013 - 1 AZR 417/12 - Rn. 55).

54

Auf die in diesem Zusammenhang weiter problematisierten Fragen kommt es im hiesigen Beschlussverfahren nicht an

III.

55

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 2 Abs. 2 GKG.

IV.

56

(11)

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

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