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Konrad Lotter. (Alb-)Träume vom ewigen Leben

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Konrad Lotter

(Alb-)Träume vom ewigen Leben

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Konrad Lotter

(Alb-)Träume vom ewigen Leben

Das Versprechen der Unsterblichkeit

Tectum Verlag

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Konrad Lotter

(Alb-)Träume vom ewigen Leben Das Versprechen der Unsterblichkeit

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017

E-PDF 978-3-8288-6867-0

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4046-1 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung des Bildes

# 123584568 von Visions-AD, www.fotolia.de

Besuchen Sie uns im Internet:

www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Für Monika

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„Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen … ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu tun haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, lässt die künftige Welt auf sich beruhen und ist tätig und nützlich in dieser. Ferner sind Unsterblichkeits-Gedanken für solche, die in Hinsicht auf Glück hier nicht zum Besten weggekommen sind.“

Goethe im Gespräch mit Eckermann, 25. Februar 1824

„Der Mensch soll an Unsterblichkeit glauben, er hat dazu ein Recht, es ist seiner Natur gemäß, und er darf auf religiöse Zusagen bauen;

wenn aber der Philosoph den Beweis für die Unsterblichkeit unserer Seele aus einer Legende hernehmen will, so ist das sehr schwach und will nicht viel heißen.

Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag.“

Goethe im Gespräch mit Eckermann, 4. Februar 1829

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Inhalt

Einleitung � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 1 Kapitel 1

Vermutungen über den Ursprung

der Idee vom ewigen Leben � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 17 Kapitel 2

Religion, Totengericht und ewiges Leben

als Machttechnologien im Alten Ägypten � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 33 Kapitel 3

Gilgameschs gescheiterte Suche nach dem ewigen Leben: ein archaischer Erziehungs-

und Bildungsroman � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 49 Kapitel 4

Erleuchtung und Unsterblichkeit durch innere

und äußere Alchemie im Taoismus � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 59 Kapitel  5

Die Unsterblichkeit der olympischen Götter:

Wunschbild und Stimulans sterblicher Menschen � � � � � � � � � � � � � � 67 Kapitel 6

Der Verlust des ewigen Lebens und die prometheische Hoffnung auf Rückkehr

ins goldene Zeitalter � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 79

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X Inhalt

Kapitel 7

Seelenwanderung und Reinkarnation als Erklärung und Rechtfertigung

sozialer Differenzen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 89 Kapitel 8

Auferstehung der Toten als christliche Utopie

der Mühseligen und Beladenen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 103 Kapitel 9

Vom Wasser des Lebens

zum Märchen vom Jungbrunnen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 121 Kapitel 10

Orientalische Verheißungen

von Reichtum und ewiger Jugend � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 133 Kapitel 11

Die Suche nach Jugend und Potenz

auf den Bimini-Inseln und anderswo � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 143 Kapitel 12

Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Gesundheit

– das lange Leben in Utopia � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 151 Kapitel 13

Makrobiotik: die selbstbestimmte Ökonomie

mit der eigenen Lebenskraft � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 165 Kapitel 14

Die Idee des ewigen Lebens

in den Systemen deutscher Philosophie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 175

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XI Inhalt

Kapitel 15

Lebensverlängerung durch die Fortschritte

der Medizin, Sozialgesetzgebung und Biopolitik � � � � � � � � � � � � � � � 191 Kapitel 16

Ewiges Leben und Reanimierung der Toten

als Projekt des „neuen Menschen“ in Russland � � � � � � � � � � � � � � � � � 201 Kapitel 17

Das futuristische Ideal des unsterblichen Kriegshelden

aus Metall � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 211 Kapitel 18

Biokosmismus: Immortalität als Privileg

für die Vorkämpfer des gesellschaftlichen Fortschritts � � � � � � � � � 219 Kapitel 19

Ruhm und Geld für Therapien der Verjüngung und Lebensverlängerung – neue Hoffnungen

für betuchte Patienten � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 227 Kapitel 20

Das unsterbliche Gen oder Warnung an diejenigen,

die nach der Unsterblichkeit des Menschen forschen � � � � � � � � � � 239 Kapitel 21

Künstliche Intelligenz, Robotik und Nanotechnik:

der transhumanistische Fahrplan zur Unsterblichkeit � � � � � � � � � � 249 Kapitel 22

Suche nach Sponsoren für die Biogerontologie

und die „Abschaffung des Sterbens“ � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 263

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XII Inhalt

Ausblick

Ewiges Leben als politisches Programm,

Public-Relation-Maßnahme und Spekulationsobjekt � � � � � � � � � � 273 Ausgewählte Literatur � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 283 Anmerkungen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 295

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1 Einleitung

Einleitung

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2

Einleitung

Dass die Menschen sterblich sind, ist keine neue und überraschende Erkenntnis. Was dagegen immer aufs Neue überrascht, ist die große Zahl derjenigen, die das nicht wahrhaben wollen und von einem ewi- gen Weiterleben träumen: entweder in einer jenseitigen Welt nach ihrem Tod oder (und immer häufiger) in der realen, der diesseitigen Welt, in der Krankheit, der Prozess des Alterns und der Tod besiegt sind. Der Traum vom ewigen Leben – von einem ewigen Leben ohne Not und Sorge – ist einer der ältesten Träume der Menschheit. Er wird in den gegenwärtigen Manifesten des Transhumanismus genauso geträumt, wie dies schon vor Jahrtausenden der Fall war. Belege dafür lassen sich aus allen Epochen der Geschichte, aus allen Ländern und Kulturen anführen. Verändert hat sich nur die Form dieser Träume;

sie hat sich von den Mythen, den Religionen und Märchen zur Phi- losophie und Utopie, später zur Wissenschaft und zur Technologie verschoben.

Als „Kritik der Unsterblichkeit“ kann dieses Buch insofern ver- standen werden, als es die Motive und Interessen aufdeckt, die in den „Erzählungen“ vom ewigen Leben zum Ausdruck kommen.

Dabei geht es um ein Doppeltes: zum einen um die Interessen jener, die ein Bedürfnis nach einem nicht endenden Leben haben, zum anderen um die Interessen derjenigen, die Mittel und Wege anbie- ten, um dieses Bedürfnis zu befriedigen, oder die dies zumindest versprechen. Auf dem Markt der Unsterblichkeit tummeln sich Mythen- und Märchenerzähler, Religionsstifter, Philosophen, Seelen- tröster und Erzieher, aber auch Betrüger und Scharlatane, Geschäf- temacher und Machtmenschen, die persönliche Vorteile anstreben und die Menschen unter ihre Kontrolle bringen möchten. Wo die Grenzen zwischen ihnen verlaufen, ist im Einzelfall oft nicht genau zu bestimmen. Je größer die Angst vor dem Tod und das Bedürfnis nach Unsterblichkeit, desto größer ist die Bereitschaft, sich über das Faktum der Sterblichkeit hinwegzutäuschen und zum Opfer falscher Verheißungen zu werden. Da die vorliegende Abhandlung auf die Interessen der Angebotsseite konzentriert ist, möchte ich zunächst

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3 Einleitung

die Frage streifen, aus welchen Motiven und Interessen heraus über- haupt das Bedürfnis nach einem ewigen Leben entsteht.

Versuche, den Wunsch nach dem ewigen Leben zu erklären Allein aus den Instinkten der Selbsterhaltung oder dem Zurückschre- cken vor Lebensgefahren, die die Menschen mit anderen Lebewesen teilen, ist der Wunsch nach Unsterblichkeit nicht zu erklären. Eine zen- trale Voraussetzung ist vielmehr das Bewusstsein des Todes, das Wis- sen um die eigene Endlichkeit, das die Menschen vor anderen Lebe- wesen auszeichnet. Dieses Bewusstsein hat nicht immer existiert. Es ist im Laufe der Evolution, im Prozess der „Menschwerdung des Affen“

entstanden: durch Erfahrung und Erinnerung, durch das Vermögen, Rückschlüsse zu ziehen (vom Tod anderer auf den eigenen Tod), und die Fähigkeit, in die Zukunft hinein zu planen und zu handeln.

Am einfachsten (und in positiver Hinsicht) wäre der Wunsch nach einem ewigen Leben durch ein gesundes, sorgenfreies und erfülltes Leben zu erklären, das man in aller Zukunft fortsetzen möchte. Damit aber wäre er auf einige wenige vom Glück Begünstigte beschränkt, zumindest jedoch auf jene Lebensspanne, in der die Lebensfreude überwiegt und das Leben nicht infolge physischer und psychischer Beschwerden als Last empfunden wird. Nicht zuletzt nährt sich der Traum vom ewigen Leben aus der Verklärung der Vergangenheit, die im Alter oft stattfindet. Aus den Elegien über den Verlust golde- ner Zeiten, zumal der Kindheit und Jugend, erwächst der Wunsch, dorthin zurückzukehren und sie für immer festzuhalten. Umgekehrt (und also in negativer Hinsicht) wäre der Wunsch nach dem ewigen Leben aus der Furcht vor dem Tod abzuleiten, von der tatsächlich alle Menschen betroffen sind – verbunden mit der Ungewissheit, was nach dem Tod kommt. Von dieser Todesfurcht berichten schon die ältesten schriftlichen Überlieferungen. So ist es die Panik, die Gil- gamesch beim Tod seines Freundes Enkidu ergreift, die ihn veran- lasst, sich auf den Weg zu Uta-napischti zu machen, um von ihm das

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4

Einleitung

Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren. Auch Achilles, dem Odys- seus auf seiner Heimreise aus Troja in der Unterwelt begegnet, schil- dert den Schrecken des Todes:

„Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.

Lieber möchte ich fürwahr dem unbegüterten Meier, Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun, Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.“1

So fürchterlich war, was die Griechen im Hades erwartete, dass sie sogar das Leben als elende Tagelöhner dem Tod vorzogen. Dabei hat- ten sie vor dem Tod selbst, den sie sich, wie man aus Lessings Trak- tat Wie die Alten den Tod gebildet (1769) weiß, als „Schlafes Bruder“

vorstellten, keine Furcht. Ihre Sorge war vielmehr darauf gerichtet, nach ihrem Tod ordnungsgemäß bestattet und nicht etwa von streu- nenden Hunden zerfleischt zu werden. Darauf ist die letzte Bitte des sterbenden Hector an Achilles gerichtet, der ihn im Zweikampf vor den Toren von Troja besiegte2 – die Seelen der Unbestatteten fanden nach griechischer Überzeugung im Jenseits keine Ruhe.

„Leben“ heißt für viele Menschen, ein Ziel zu verfolgen, ein (Lebens-)Werk zu vollenden. Ein weiteres Motiv für den Wunsch nach Unsterblichkeit wäre daher die Absicht, eine angefangene Auf- gabe zu einem (unbestimmten, offenen) Ende zu bringen. Denkbar ist aber auch das bloße Warten auf ein ultimatives Ereignis, das dem Leben Sinn zu geben (also es lebenswert zu machen) verspricht, aber noch nicht eingetreten ist. Auf eine verquere und ins Christliche gewendete Weise liegt dieser Gedanke der Forderung Kants nach der Unsterblichkeit als einem „Postulat der praktischen Vernunft“3 zugrunde: Sein Ausgangspunkt ist nicht der konkrete Wille, ein Werk zu vollenden, sondern die Unsterblichkeit selbst, ohne die die unend- liche Annäherung an die Erfüllung der Pflicht, die dem Menschen in Form des kategorischen Imperativs auferlegt ist, nicht stattfinden kann. Das menschliche Leben ist einfach zu kurz, um das höchste

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5 Einleitung

Gute, die „völlige Angemessenheit des Willens … zum moralischen Gesetz“ zu erreichen.

Oftmals ist der Wunsch nach einem ewigen Leben mit der Hoff- nung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit verknüpft: Was im Diesseits an Elend und Ungerechtigkeit erfahren wird, soll im Jenseits kom- pensiert werden – man will nicht umsonst gelitten haben. Manch- mal rührt der Wunsch, sein Leben über alle natürlichen Grenzen hinaus zu verlängern, auch einfach aus dem Unvermögen, sich ein Leben und eine Welt vorzustellen, in der man nicht mehr dabei ist.

„Im Grunde“, schreibt Sigmund Freud, „glaube niemand an seinen eigenen Tod oder, was dasselbe ist: im Unbewußten sei jeder von uns von seiner Unsterblichkeit überzeugt“4. Damit zusammen hängt wohl auch die Überzeugung mancher Menschen, speziell von „Führungs- kräften“, die in die nachfolgende Generation kein Vertrauen haben, dass es ohne sie „nicht geht“.

Neueren Datums ist der Wunsch nach Selbstbestimmung, der ebenfalls zu einem Motiv für den Traum vom ewigen Leben gewor- den ist. Die Herrschaft der Natur über die Vernunft, die im Tod so offensichtlich zutage tritt, wird als eine „Demütigung“ erlebt. Wie wir aus ärztlicher Diagnose wissen, sterben die Menschen an Herz- versagen, Lungenkrebs oder Gehirnschlag, nicht aber, weil sie prin- zipiell sterblich sind. Dass gerade diese speziellen Ursachen noch nicht ausreichend erforscht sind und keine entsprechenden Mittel bereitstehen, um sie zu bekämpfen, wird als Mangel empfunden. Es liegt in der Logik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, dass mit dem Mangel auch die Demütigung überwunden und die Ent- scheidung über die Dauer des eigenen Lebens in die Hand des Men- schen gelegt wird. Der Sieg über den Tod wäre gewissermaßen der Endsieg des Menschen in seinem Kampf zur Beherrschung der Natur.

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6

Einleitung

Varianten des Traums vom ewigen Leben

Es gibt verschiedene Varianten, in denen der Traum vom ewigen Leben geträumt wird. Zum einen geschieht dies in der Form eines nicht endenden irdischen Lebens, in dem die Menschen immer älter werden, der Tod also keine Macht mehr über sie hat. Zweitens gibt es die Vorstellung einer Wiederauferstehung, bei der der Tod die Grenze zwischen endlichem und unendlichem Leben bildet, das irdische nur die Einleitung oder das Vorspiel zum außerirdischen Leben darstellt.

Eine dritte Variante ist die Seelenwanderung, bei der das ewige Leben auf die Seele beschränkt bleibt, die immer wieder geboren wird und sich in immer neuen Wesen verkörpert. Viertens findet sich die Form der Rückkehr zur Jugend, so dass der Kreislauf von Jugend, Reife und Alter wiederholt durchlaufen wird. Sobald im Alter von 50 oder 60 Jah- ren die Krankheiten und Altersbeschwerden beginnen, baden die Menschen im Jungbrunnen und werden wieder 20 oder 30. Jüngeren Datums ist fünftens der Gedanke an Cyborgs, Hybridwesen oder vir- tuelle Wesen. Hier wird das menschliche Gehirn über eine Schnitt- stelle mit einem Computer verbunden, gescannt und auf einem digi- talen Medium gespeichert („Mind-Uploading“). In der Folge besitzen die Menschen dann eine ewige virtuelle Existenz, oder aber ihr gespei- chertes Gehirn wird in neue, unverwüstliche Maschinenkörper implan- tiert. Zuletzt begegnet uns der Traum vom ewigen Leben in Form der medizinischen Utopie, in der alle Krankheiten kuriert, der Prozess des Alterns gestoppt, die Menschen mit organischen Ersatzteilen ver- sorgt werden.

Anzumerken ist bei all dem, dass der Begriff des ewigen Lebens in aller Regel nur in einer metaphorischen Bedeutung verwendet wird. Umgangssprachlich heißt es schon von der Französin Jeanne Calment (1875–1997), die nach verlässlichen Urkunden ein Alter von 122 Jahren erreicht hat, sie habe „ewig“ gelebt. Methusalem, von dem das Alte Testament berichtet, brachte es immerhin auf 969 Jahre.

Von der Ewigkeit ist diese Zahl freilich ebenso weit entfernt wie die

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7 Einleitung

122. Selbst die (menschlichen) Gene, denen der Evolutionsbiologe Richard Dawkins „potentielle Unsterblichkeit“5 zuspricht, da sie sich über Hunderte und Tausende von Generationen hinweg vererben, besitzen kein ewiges Leben. Ewig in einem exakten Sinne ist nur die Bewegung, das heißt die Metamorphosen der Materie oder der Natur.

Davon aber ist das Leben, zumal das menschliche Leben, nur ein ver- schwindend kleiner Teil.

Kultur- und Zivilisationstheorie der Unsterblichkeit Auf den symbolischen Begriff des ewigen Lebens hat sich der pol- nisch-britische Soziologie und Philosoph Zygmunt Bauman konzen- triert, der Kultur als das Streben „nach jener Dauer und Beständig- keit“ definiert, „die dem Leben selbst auf so schmerzliche Weise abgeht“6. Dabei formuliert er die These, dass es „wahrscheinlich … keine Kultur [gäbe], wären sich die Menschen nicht ihrer Sterblich- keit bewußt“. Positiv gewendet heißt dies: Erst das Bewusstsein der Sterblichkeit bringt die Kulturentwicklung in Gang. Von dieser Prä- misse aus sieht Bauman in der Kultur ein doppeltes Bestreben am Werk: erstens das Überleben, das „Hinausschieben des Todes, die Ver- längerung der Lebensspanne“, vor allem aber zweitens die Unsterb- lichkeit oder „die Möglichkeit, den Tod zu überleben“, was bedeutet, durch seine politischen, philosophischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen im kulturellen Gedächtnis weiterzuleben.7 Dass Bauman nicht das Leben (und also die Arbeit und die Befriedi- gung der materiellen Bedürfnisse), sondern das Überleben und die Unsterblichkeit (die Furcht vor dem Tod) zum Ausgangspunkt nimmt, zeigt sich auch in seiner Aussage, die Kultur sei „eine ausgefeilte … Einrichtung, um die Menschen vergessen zu machen, was ihnen [doch]

bewußt ist“8: die ständige Gegenwart des Todes.

Auch der Kulturtheorie des Ägyptologen und Kulturwissenschaft- lers Jan Assmann liegt, unter Berufung auf Bauman, die These vom Tod – genauer: vom Wissen um die Endlichkeit des Lebens – als

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8

Einleitung

„Ursprung und Mitte der Kultur“ zugrunde. Versteht man den Men- schen als ein „Mängelwesen“, wie es seit Platons Protagoras häufig (so etwa bei Martin Heidegger, Helmuth Plessner oder Arnold Geh- len) geschieht, so folgt daraus: Die Kultur ist ein „Projekt der ergän- zenden und kompensatorischen Nachbesserung“9. Welcher Mangel aber wäre größer als der der Sterblichkeit? Wohl teilen die Menschen diesen Mangel mit allen anderen Lebewesen, was sie aber über die anderen Lebewesen erhebt, ist das Wissen um das eigene Sterben-Müs- sen. Nur „in bezug auf die [unsterblichen] Götter“ ist der Mensch infolgedessen ein Mängelwesen, „in bezug auf die Tiere“, die nicht über das Wissen ihres Todes verfügen, ist er ein „Überschußwesen“.

Aus dieser Stellung zwischen Tier und Gott leitet Assmann den

„Unsterblichkeitstrieb“ des Menschen ab, das heißt den Trieb, „die Grenzen des Ich und der Lebenszeit zu transzendieren“10 und dabei kulturelle Leistungen der Kunst, der Religion, der Philosophie, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit zu erbringen.

Zuletzt hat der britische Diplomat und Philosoph Stephen Cave den Tod als „Triebkraft“ des menschlichen Fortschritts dargestellt.

Auch er beruft sich dabei auf Bauman, obwohl er, ebenso wie Ass- mann, eine von diesem abweichende Position einnimmt. Hat Bau- man die Entwicklung der Menschheit vor allem negativ, als Abwehr, Überwindung und Verdrängung des Todes erklärt, so verstehen sie Assmann und Cave positiv: als Streben nach dem ewigen Leben. Für sie ist der Wunsch nach Selbst-Transzendierung und Unsterblich- keit die „Grundlage aller menschlicher Errungenschaften“, sei es der Religion, der Philosophie, des Städtebaus oder der Kunst, mithin der

„Ausgangspunkt dessen, was wir Zivilisation nennen“11. Insbeson- dere den zivilisatorischen Fortschritt begreift Cave als „eine Folge unseres Drangs nach einem endlosen Leben“12.

Dass Bauman und Assmann von „Kultur“ sprechen, Cave dage- gen von „Zivilisation“, erscheint unerheblich, da die beiden Begriffe (wie das angeführte Zitat belegt) in ähnlicher Bedeutung verwendet werden. Große Ähnlichkeit besteht auch hinsichtlich ihres psycho-

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9 Einleitung

logischen oder existenzialistischen Ansatzes, der die Kultur bzw.

Zivilisation nicht aus der Arbeit und den materiellen Bedürfnissen, sondern aus den Grundbefindlichkeiten der Furcht oder der Sehn- sucht erklärt. Nicht der Hunger ist es Cave zufolge, der die Menschen veranlasst, Nahrung zu sich zu nehmen, sondern die Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Nicht der Instinkt treibt die Menschen an, gefähr- liche Situationen zu meiden oder sich fortzupflanzen, sondern der Wunsch nach Unsterblichkeit. Dabei beschränkt sich Cave nicht, wie Bauman, auf die symbolische, auf Nachruhm zielende Unsterblich- keit (die er „Vermächtniserzählung“ nennt). Auf ebenso informative wie anregende Weise diskutiert er (unter den Bezeichnungen „Wei- terlebens-“, „Auferstehungs-“ oder „Seelenerzählungen“) auch, was ich oben die Träume des „wirklichen“ Fortlebens genannt habe.

Durchwegs beschränken sich die folgenden Überlegungen auf Erzählungen eines „wirklichen“ Fortlebens. Ausgeklammert bleiben die Träume eines „symbolischen“ Fortlebens im Gedächtnis einer Gemeinschaft, einer Nation oder der ganzen Menschheit, so wie etwa Horaz mit seinen Gedichten glaubte, ein monumentum aere peren- nius, ein „Denkmal beständiger als Erz“, geschaffen und für sich und den besungenen Gegenstand ein ewiges Leben erworben zu haben.

Kritik der psychologisch-existenzialistischen Kulturtheorien Folgt man dem Ansatz von Bauman, Assmann oder Cave, so bleibt doch unerklärt, weshalb aus dem Wissen um die Sterblichkeit, das ja bei allen Menschen weltweit ein und dasselbe ist, so vielgestaltige Reli- gionen und Kulturen entstanden sind. Hier fehlen überzeugende, argumentative Zwischenschritte. Ebenso unerklärt oder zumindest unberücksichtigt bleibt, weshalb sich die Religionen und insbeson- dere die darin ausgebildeten Vorstellungen vom ewigen Leben so eng an die Erfahrungen des wirklichen Lebens anschmiegen. In vielen Fällen ist das ewige Leben nur ein Spiegelbild des wirklichen Lebens,

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10 Einleitung

das lediglich um die unschönen Flecken des Mangels, der Krankheit, des Leidens, der erfahrenen Ungerechtigkeit etc. bereinigt worden ist.

Plausibler als die psychologisch-existenzielle Theorie erscheint die materialistische Theorie, die die Kultur und damit auch die Religion mit ihren Vorstellungen vom ewigen Leben aus der Arbeit und der Befriedigung der primären Bedürfnisse ableitet. „Zum Leben aber“, schreiben Marx und Engels in der Deutschen Ideologie, „gehört vor Allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges Andere. Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mit- tel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materi- ellen Lebens selbst, und zwar ist dies … eine Grundbedingung aller Geschichte, die noch heute, wie vor Jahrtausenden, täglich und stünd- lich erfüllt werden muß, um die Menschen nur am Leben zu erhal- ten“13. Damit ist zugleich der Etymologie des Wortes Kultur (von lat.

colere: bearbeiten, bebauen) Rechnung getragen. Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist demnach nicht so sehr das Wissen um den eigenen Tod, sondern, in einer viel ursprünglicheren und grund- legenderen Weise, das Faktum, dass er arbeitet, also seinen Stoffwech- selprozess mit der Natur plant, mit Überlegung und zweckmäßig aus- führt. „Die Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut.

Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß“14. Indem er die Natur verändert, um sie sich in einer für sein Leben brauchbaren Form anzueignen, verändert der Mensch zugleich seine eigene Natur,

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11 Einleitung

aktualisiert die in ihr schlummernden Potenzen und entwickelt neue Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten, verbunden mit der Verwendung von Werkzeugen, zunehmender Arbeitsteilung und einem wachsenden Wissen über die Gesetzmäßigkeiten der Natur, bilden die Produktiv- kräfte, die die Produktionsverhältnisse, das heißt die Eigentumsver- hältnisse und die Art des Zusammenlebens (in Familie, Clan, Stamm, Staat etc.), bestimmen. Zuletzt, in Abhängigkeit von der Arbeit und seiner Lebensweise, bilden die Menschen auch ein Bewusstsein aus, in dem sich ihre geschichtliche Situation widerspiegelt und religiöse, philosophische, rechtliche oder künstlerische Vorstellungen noch ganz undifferenziert beieinander liegen.

Erste religiöse Praktiken (Jagdmagie, Totemismus, Venusfiguren, rituelle Handlungen) sind aus der Zeit des Jungpaläolithikums (35000–9700 v. u. Z.) überliefert. Im Zuge der neolithischen Revolu- tion, die in Ägypten und Mesopotamien zwischen 11000 und 8000 v. u. Z. einsetzt, vollzieht sich der Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit. Aus Jägern und Sammlern werden Ackerbauern und Viehzüchter. In der Folge erleben auch die religiösen Vorstellungen, die ursprünglich nur „Erklärungen“ von Naturphänomenen und natürlicher Gesetzmäßigkeiten waren und aus der Ohnmacht des Menschen gegenüber den Naturmächten entsprangen, eine revolu- tionäre Veränderung. Aus den neuen Arten der Bestattung sowie der Art und Vielfalt der Grabbeigaben kann zweierlei geschlossen wer- den: der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod und die Differen- zierung der Menschen in Höher- und Niedergestellte. Vor allem Wis- sen um die eigene Sterblichkeit hat der Wunsch des Menschen, die eigene Lebenszeit zu überdauern, somit die Sesshaftigkeit und die Aufhebung der ursprünglichen Gleichheit der Menschen zur Vor- aussetzung – Näheres dazu im nachfolgenden ersten Kapitel, das

„Vermutungen über den Ursprung der Idee vom ewigen Leben“

anstellt. Wie sich an der ägyptischen Religionsgeschichte zeigen lässt, war das Weiterleben nach dem Tod überhaupt zu Beginn ein Privi-

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12 Einleitung

leg des Herrschers gewesen: eine Eigenschaft, die ihm zugleich zur Legitimation seiner Herrschaft zugeschrieben wurde.

Eine Analyse von Lügengeschichten

Setzt man voraus (wie es im Folgenden geschieht und näher begrün- det wird), dass das ewige Leben, sei es im Jenseits oder im Diesseits, weder existiert noch überhaupt möglich ist, so kann man die Erzäh- lungen, die davon handeln, als „Lügen“ bezeichnen. Gemeint ist dies nicht im Sinne der einfachen Falschaussage, um sich (persönlich) vor Strafe zu schützen oder einen Vorteil zu verschaffen, sondern der Ideologie oder der Lebenslüge, die von vielen akzeptiert und für wahr gehalten wird. Absicht der vorliegenden Arbeit ist es somit nicht nur, an die facettenreichen Träume und Geschichten vom ewigen Leben zu erinnern, wie sie in allen Teilen der Welt anzutreffen sind. Es geht vielmehr auch gerade darum zu zeigen, was hinter diesen Träumen steckt: welche belehrenden, erzieherischen, tröstenden, kompensie- renden, ermutigenden, warnenden, stimulierenden, ernüchternden oder wegweisenden Aussagen und Botschaften durch sie unter ver- schiedenen geschichtlichen Umständen vermittelt werden.

Da die Geschichten vom ewigen Leben nicht nur in verschiede- nen Formen (Mythen, Religionen, Märchen, Utopien, Philosophien, Wissenschaften) oder in verschiedenen Varianten (Sieg über das Altern, Wiederauferstehung, Seelenwanderung etc.), sondern auch als gelingende oder scheiternde Unternehmungen erzählt werden, liegt es nahe, dass in ihnen nicht nur unterschiedliche, sondern tat- sächlich gegensätzliche Interessen zum Ausdruck kommen. So kön- nen sie vom Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit zeugen, aber auch eine Technologie der Herrschaft darstellen. Sie können das Leben der Menschen stimulieren und das Fundament bilden, auf dem alle anderen Hoffnungen auf ein besseres Leben errichtet sind, aber auch zur Erzeugung von Kriegshelden anstacheln oder zur Aus- übung von Terroranschlägen motivieren. Sie können die wissen-

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13 Einleitung

schaftliche Forschung und den Wunsch nach der Beherrschung der Natur beflügeln, aber auch (insbesondere dort, wo die Suche nach der Unsterblichkeit scheitert) als ein Mittel zur Selbstbesinnung und Erziehung dienen, als Aufforderung, sich von Illusionen zu verab- schieden und sich den Realitäten des Lebens zuzuwenden. Zuletzt können die Erzählungen vom ewigen Leben auch den Zweck haben, die Menschen zu motivieren, das goldene Zeitalter der Unsterblich- keit, das sie (angeblich) einmal besessen, dann aber verloren haben, durch Arbeit, Fleiß und Erfindungsgabe zurückzuerobern.

All diesen unterschiedlichen Interessen, die hinter dem Traum vom ewigen Leben stehen, widmet sich die folgende Untersuchung.

Von Bedeutung ist dabei nicht nur, ob die Träume in Erfüllung gehen oder enttäuscht werden; von Bedeutung ist auch, dass die Träume nicht selten anders in Erfüllung gehen, als beabsichtigt war, dass aus Enttäuschungen neue Träume entstehen oder Wunschträume in Alb- träume umschlagen. Auch in diesem Fall, in dem das ewige Leben als unendliches Leid und unendliche Einsamkeit vorgestellt wird, vermittelt die Erzählung eine Botschaft.

Der Wunsch, den Zeitpunkt des Todes selbst zu bestimmen Aus Japan ist das schöne Märchen von Sentaro überliefert, der Xu Fu (der auf dem Gipfel des Fuji über das Lebenselixier wacht) mit seiner penetranten Bitte um Unsterblichkeit derartig belästigt, dass er beschließt, ihm eine Lehre zu erteilen.15 Er schickt ihm einen Kra- nich, auf dessen Rücken Sentaro auf die ferne Insel der Unsterblichen fliegt. Die Menschen, auf die er dort trifft, sind über ihre Unsterblich- keit allerdings gar nicht glücklich. Im Gegenteil, sie suchen bestän- dig nach Mitteln, mit deren Hilfe sie Tod und Erlösung finden kön- nen, und verzweifeln darüber, dass die gefundenen Gifte nur wenig bewirken und ihnen allenfalls ein bisschen Kopf- und Bauchschmer- zen bereiten. Sentaro lässt sich auf dieser Insel nieder, eröffnet ein kleines Geschäft und lebt zunächst glücklich und zufrieden. Doch

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14 Einleitung

nach 300 Jahren ist er von der Arbeit, dem Streit mit den Nachbarn und der Langeweile so zermürbt, dass er Xu Fu bittet, ihn ins Land der Sterblichen zurückzubringen. Auch diese Bitte wird ihm gewährt.

Doch auf dem Rückflug gerät er in einen Sturm und stürzt vom Rücken des Kranichs ins Meer. Sofort nähert sich ein Haifisch und hat das Maul schon aufgesperrt, um ihn mit Haut und Haar zu verschlingen.

Da fleht Sentaro seinen Wohltäter an, ihn vom Tode zu erretten … Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte als eine Parabel oder ein Lehrstück über die widersprüchliche Einstellung der Menschen zum Tod: Sie möchten unsterblich sein, aber doch nicht für immer;

sie möchten sterblich sein, aber doch nicht gerade jetzt. Bei genaue- rer Betrachtung aber erzählt sie vom Wunsch der Menschen, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen. Weder auf der Insel der Unsterblichen noch bei der Begegnung mit dem Hai wird Sentaro dieser Wunsch erfüllt; in beiden Fällen wird ihm die Entscheidung über Leben und Tod von außen aufgenötigt – und genau dies scheint es zu sein, was er nicht zu akzeptieren vermag.

„Unsterblichkeit“ der Gattung

Wer die individuelle Unsterblichkeit (auf die sich die vorliegende Untersuchung beschränkt) relativieren und in der Unsterblichkeit eines größeren Ganzen aufheben möchte, dem bieten sich das eigene Geschlecht (die Familie), das Volk, die eigene Nation oder die gesamte Menschheit an. Er findet Trost in der Aussicht darauf, zwar als Ein- zelner unterzugehen, durch sein Leben aber zum Fortleben der Gemeinschaft beizutragen und Glied in einer unendlichen Kette von Vor- und Nachfahren zu sein. Nicht selten allerdings kippt die tröst- liche Zuversicht, in dem größeren Ganzen weiterzuleben, und wird zur Forderung, sich für dieses Ganze zu opfern, für die gemeinsame Sache der Religion, der Rasse, der nationalen Identität oder des Clans sein Leben hinzugeben.

(28)

15 Einleitung

Selbst das Aufgehoben-Sein im Fortleben der Menschheit hat aber, wie uns die Paläontologie lehrt, nur eine begrenzte Dauer. Ihr zufolge beginnt die Geschichte des Menschen mit dem Homo sapiens, der vor etwa 200 000 bis 300 000 Jahren in Afrika entstanden ist16 und sich vor 60 000 oder 70 000 Jahren über den Nahen Osten nach Süd- asien, später nach Australien, nach Zentral- und Ostasien und Europa ausgebreitet hat. Über viele Jahrtausende teilte er seinen Lebensraum im Nahen Osten mit dem Neandertaler, der sich (ebenfalls ein Nach- fahre des Homo erectus und aus Afrika stammend) parallel zum Homo sapiens vor etwa 130 000 Jahren in Europa entwickelt hat und vor etwa 30 000 Jahren ausgestorben ist.17 Das „ewige Leben“ des Neandertalers war somit auf etwa 100 000 Jahre begrenzt; das des Homo sapiens, der heute durch atomare Aufrüstung, den Ausstoß von Treibhausgasen, Übervölkerung und Ressourcenverschwendung eifrig an seinem Aussterben arbeitet, dauert nach neuesten Erkennt- nissen seit 300 000 Jahren. Verglichen mit dem Dinosaurier, der die Erde von vor 235 Millionen bis vor 65 Millionen, also etwa 170 Mil- lionen Jahre lang bevölkerte, gleicht die Lebensdauer der Gattung Mensch bislang noch eher der einer Eintagsfliege.

Unendlichkeit des Willens bzw. der Materie und ihrer Bewegung

Denkt man in dieser Richtung weiter, so scheint die einzige „Unsterb- lichkeit“, an der der Mensch als Individuum wie als Gattung teilhat, das Leben der Materie oder der Natur zu sein, die in ihren unendli- chen Bewegungen oder Metamorphosen immer neue Gattungen und Arten hervorbringt. Auf die Frage nach der Fortdauer des Menschen nach dem Tod gibt Arthur Schopenhauer die klare Antwort: „(N)ach deinem Tode wirst du seyn, was du vor deiner Geburt warst“18, und meint damit ein Element des „Willens“ oder des ewigen Umwälzungs- prozesses der Natur. Mit dem Tod des Menschen, heißt es an einer

(29)

16 Einleitung

anderen Stelle, geht „zwar das Bewußtseyn [und damit das Ich oder die Identität des Menschen] verloren, nicht aber das, was das Bewußt- seyn hervorbrachte und erhielt: … das Princip des Lebens“19. Das wäre auch für einen Materialisten eine befriedigende Antwort, sprä- che Schopenhauer statt vom Formwandel der Materie oder vom Umwälzungsprozess der Natur nicht vom „Willen“ der Natur. „Wille“

unterstellt immer eine Absicht oder Zielrichtung; beides ist bei der Materie oder der Natur aber nicht vorhanden. Wenn das menschli- che Gehirn auch aus Materie besteht und das Denken einen materi- ellen (physiologischen oder elektrochemischen) Vorgang darstellt, so ist die Materie selbst doch nicht mit Bewusstsein begabt. Nur in die- ser Form, als bewusstlose Natur oder Materie, hat der Mensch Anteil am ewigen Leben: Sein Körper zerfällt in seine Atome und geht damit wieder ein in die allgemeine Bewegung der Materie, das heißt, er lebt in anderen Formen der Materie weiter. Zugrunde geht nur das Bewusst- sein, die Individualität und Singularität des Menschen.

(30)

Kapitel 1

Vermutungen über den Ursprung

der Idee vom ewigen Leben

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