2 Folgen und Reihen
2.1 Folgen
Betrachten Sie folgende Liste von Zahlen:
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 . . .
Erkennen Sie ein Gesetz, mit dem man die Liste sinnvoll fortsetzen kann?
Offenbar können Sie mit diesem Gesetz zu jeder vorgegebenen Position das zugehörige Element der Liste ausrechnen. Jeder natürlichen Zahl (“Position“) wird also eine reelle Zahl (“Listenelement“) zugeordnet – es entsteht eine Abbildung a : N→R .
Solche Abbildungen heißen “Zahlenfolgen“. Sie spielen in vielen Anwendungen eine große Rolle und liefern uns den Schlüssel zum Verständnis des Grenzwerts - des wohl wichtigsten Begriffs der Analysis.
89
Definition 2.1 (Zahlenfolge).
Eine Abbildung a, die jeder natürlichen Zahl n eine reelle Zahl a
nzuordnet, heißt (unendliche reelle) Zahlenfolge.
Statt a : N→R schreibt man (a
n)
n∈Noder kurz (a
n).
a
n= a(n) heißt n − tes Folgenglied dieser Zahlenfolge.
Anmerkung:
Wie schon beim Induktionsprinzip kann man als Indexmenge auch jede Menge der Form { n ∈ Z : n ≥ n
0} für festes n
0∈ Z benutzen.
Insbesondere ist N
0zulässig.
Notation für diesen Fall: (a
n)
n≥n0.
90
Die Beschreibung von Folgen erfolgt i. d. R. durch Angabe von Bildungsgesetzen.
Explizites Bildungsgesetz
Der Wert a
nwird mittels einer Gleichung in Abhängigkeit von n angeben (Funktionsvorschrift).
Beispiel: Die Bildungsvorschrift a
n= ( − 1)
nn12erzeugt die Folge
− 1, 1 4 , − 1
9 , 1 16 , − 1
25 , 1 36 , − 1
49 , 1 64 , . . .
Das 42-te Glied kann man direkt berechnen: a
42= ( − 1)
42 1422=
17641. Man gebe die ersten 7 Glieder der Folgen (
21n) und ( √
nn) (ggf.
näherungsweise) an. Wie lautet das 1000-te Folgenglied?
91
Rekursionsvorschrift
Der Wert a
n+1wird in Abhängigkeit von a
nund n ausgedrückt.
Zusätzlich wird a
1angegeben (vgl. Induktionsprinizip).
Beispiel: Die Rekursionsvorschrift a
n+1= a
n+ n erzeugt die Folge 1, 2, 4, 7, 11, 16, 22, 29, . . .
Das Glied a
42= 903 über diese Vorschrift zu berechnen ist mühsam.
(Später werden wir sehen, wie dies explizit besser geht).
Man gebe die ersten 7 Glieder der durch a
n+1=
a2nund a
1= 1 gegebenen Folge an. Können Sie eine explizite Bildungsvorschrift finden?
92
Gelegentlich greift man in Rekursionsformeln auch auf mehrere vorhergehende Glieder zurück. Drückt man dabei a
n+müber a
n, . . . , a
n+m−1aus, muss man m Startwerte angeben.
Beispiel: Die Rekursionsvorschrift für die Fibonacci-Zahlen a
n+2= a
n+1+ a
n, a
1= 1, a
2= 1 erzeugt die Folge
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, . . .
Diese Folge wurde von Leonardo da Pisa (Fibonacci), ca. 1180-1241, bei der mathematischen Modellierung einer Kaninchenpopulation entdeckt.
Fibonacci gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker des Mittelalters.
93
Exkurs: Fibonacci-Zahlen in der Natur
Fibonacci-Zahlen finden sich häufig an Pflanzenteilen wieder. Grund ist die damit erreichbare hohe Lichtausbeute:
Die Anzahl von Blütenblättern ist oft eine Fibonacci-Zahl (Ringel- blume 13, Aster 21, Sonnenblume, Gänseblümchen 21/34/55/89) Die Anzahl gewisser Spiralen in Blütenkörbchen (Sonnenblumen- kerne) oder bei Zapfen (Kiefer) ist häufig eine Fibonacci-Zahl
Bilder alle aus Wikimedia Commons, links: André Karwath aka Aka, Mitte: KENPEI, rechts: Dr. Helmut Haß, Koblenz / Wolfgang Beyer
94
Anmerkung:
Die Umwandlung von expliziter in rekursive Vorschrift und zurück kann schwierig sein. Es gibt Folgen, bei denen nur eine Form oder sogar gar kein Bildungsgesetz bekannt ist.
Beispiel: Folge der Primzahlen
2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, 29, . . .
Die Bestimmung z. B. des 42-ten Folgenglieds (181) ist hier ohne eine betreffende Liste sehr aufwändig.
95
Visualisierung von Folgen
Darstellung des Graphen in der Ebene:
Der Graph einer Zahlenfolge (a
n) besteht aus den diskret liegenden Punkten (n, a
n), n ∈ N .
Mitunter ist es auch zweckmäßig, lediglich die Folgenglieder auf dem Zahlenstrahl darzustellen:
− 2 0 2 4 6 b 1 b 2 b 4 b 6 b 5 b 3
96
Beschränktheit und Monotonie
Definition 2.2.
Eine Folge (a
n) heißt beschränkt, wenn es eine reelle Zahl C ≥ 0 gibt, so dass
| a
n| ≤ C für alle n ∈ N . Eine Folge (a
n) heißt
(streng) monoton wachsend, wenn a
n≤ a
n+1(bzw. a
n< a
n+1) für alle n ∈ N,
(streng) monoton fallend, wenn a
n≥ a
n+1(bzw. a
n> a
n+1) für alle n ∈ N,
(streng) monoton, falls sie (streng) monoton wachsend oder fallend ist.
97
Beispiele
(
n1) ist streng monoton fallend und beschränkt (C = 1).
(
(−1)nn) ist nicht monoton, aber beschränkt (C = 1).
( −
45+
101n) ist streng monoton wachsend und unbeschränkt.
Bilder zu den drei Folgen:
98
Spezielle Folgen
Definition 2.3 (Arithmetische Folge).
Eine Folge (a
n) heißt arithmetische Folge, falls die Differenz zweier aufeinanderfolgender Glieder immer den gleichen Wert ergibt, d. h.
a
n+1− a
n= d für eine Konstante d ∈ R .
Satz 2.4.
Sei (a
n) eine arithmetische Folge mit a
n+1− a
n= d (n ∈ N). Dann lautet die explizite Bildungsvorschrift:
a
n= a
1+ (n − 1)d. (1)
Beispiel: Mit a
1= 3 und d = − 2 erhält man die Folge 3, 1, − 1, − 3, − 5, − 7, − 9, . . .
99
Graphische Darstellung
Nach Satz 2.4 kann man eine arithmetische Folge als Einschränkung der affin linearen Funktion
f : R→R, f (x) = a
1+ d(x − 1) = a
1− d + dx auf die natürlichen Zahlen auffassen. Die Punkte des Graphen liegen somit auf einer Geraden mit Anstieg d:
a1=−107, d= 101 a1= 25
,
d= 0 a1= 1,d=−16100
Definition 2.5 (Geometrische Folge).
Eine Folge (a
n) heißt geometrische Folge, falls der Quotient zweier aufeinanderfolgender Glieder immer den gleichen Wert ergibt, d. h.
a
n+1a
n= q für eine Konstante q ∈ R, q 6 = 0.
Satz 2.6.
Sei (a
n) eine geometrische Folge mit a
n+1/a
n= q (n ∈ N ). Dann lautet die explizite Bildungsvorschrift:
a
n= a
1q
n−1. (2)
Beispiel: Mit a
1= 1 und q =
12erhält man die Folge 1, 1
2 , 1 4 , 1
8 , 1 16 , 1
32 , 1 64 , . . .
101
Graphische Darstellung
Nach Satz 2.6 kann man für q > 0 eine geometrische Folge als Einschränkung der Funktion
f : R→R, f(x) = a
1q
x−1= a
1q q
xauf die natürlichen Zahlen auffassen. Die Punkte des Graphen liegen für q > 0 somit auf dem Graphen einer Exponentialfunktion mit Basis q.
a1= 1, q=12
(·)
a1=101,
q= 1.25(·)
a1= 1,q=−23 a1=−1, q= 34(+)
a1=−101,
q= 1.2(+)
102
Folgen und Wachstumsprozesse
Arithmetische Folgen werden häufig verwendet, wenn es um einen konstanten Zuwachs (lineares Wachstum) geht.
Geometrische Folgen benutzt man, wenn das Wachstum proportional zur Grundmenge erfolgt (exponentielles Wachstum).
Ein typisches Beispiel ist die Zinseszinsformel K
n= K
0(1 + p)
n(K
0Anfangskapital, p Zinssatz, K
nKapital nach n Jahren).
An einer für Mitteleuropa typischen Stelle beträgt die Temperatur in 25 m Tiefe etwa 10
◦C. Schätzen Sie die Temperatur in 10 km Tiefe, indem Sie von einem Zuwachs von 3 K pro 100 m ausgehen.
In einer Nährlösung befinden sich 1000 Einzeller, bei denen es
durchschnittlich alle 20 min zur Teilung kommt. Schätzen Sie die Zahl der Einzeller nach 24 h bei ungebremstem Wachstum ohne Tod.
Aufgaben auf diesem Frame frei nach Bigalke/Köhler: Mathematik, Band 1, Analysis.
103
2.2 Grenzwerte und Konvergenz
In einigen unserer Beispiele konnten wir feststellen, dass sich die Folgenglieder für große n immer weiter an eine feste Zahl annähern.
Mathematisch wird dies mit den Begriffen “Konvergenz“ und
“Grenzwert“ gefasst.
Konvergenz ist ein grundlegendes Prinzip der Analysis. Der
Grenzwertbegriff in seiner modernen Form wurde erstmals durch L. A.
Cauchy formuliert.
Augustin Louis Cauchy (1789-1857), französischer Mathematiker,
entwickelte u. a. die durch Leibniz und Newton aufgestellten Grundlagen der Analysis weiter.
104
Definition 2.7 (Grenzwert).
Eine Zahl a heißt Grenzwert der Folge (a
n), wenn zu jedem ε > 0 ein Index n
0∈ N existiert, so dass
| a
n− a | < ε für alle n ≥ n
0.
Besitzt die Folge (a
n) einen Grenzwert, so heißt sie konvergent, anderenfalls divergent.
Schreibweisen:
a = lim
n→∞a
na
n→ a für n → ∞ , oder kürzer: a
n→ a.
Zum besseren Verständnis: Denken Sie vor allem an beliebig kleine ε > 0.
105
Graphische und sprachliche Illustration des Begriffs
a a+ε a−ε
n0=n0(ε)
Für hinreichend großes n liegen die Folgenglieder a
nbeliebig nahe am Grenzwert a.
(Bild unten: Wikimedia Commons; Matthias Vogelgesang (Youthenergy))
106
Beispiele:
a
n= c → c: Sei ε > 0 gegeben. Dann | a
n− c | = 0 < ε für alle n.
a
n=
n1→ 0: Sei ε > 0 gegeben. Wähle ein n
0∈ N mit n
0> 1/ε, dann gilt:
| a
n− 0 | = | a
n| = 1 n < 1
1 ε
= ε für n ≥ n
0. a
n=
n2n+12→ 1: Sei ε > 0 gegeben. Wähle ein n
0∈ N mit n
0> 1/ √
ε, dann gilt:
| a
n− 1 | =
n
2+ 1 n
2− 1
= 1
n
2< 1
√1ε
2= ε für n ≥ n
0.
Satz 2.8.
Der Grenzwert einer konvergenten Zahlenfolge ist eindeutig bestimmt.
107
Definition 2.9 (Nullfolge).
Eine Folge (a
n) heißt Nullfolge, wenn a
n→ 0 für n → ∞ .
Nullfolgen können für eine weitere Charakterisierung von Grenzwerten benutzt werden:
Satz 2.10.
Eine Folge (a
n)
n∈Nist genau dann konvergent, wenn (a
n− a)
n∈Neine Nullfolge ist.
Dabei vereinbaren wir, dass arithmetische Operationen auf Folgen immer gliedweise zu verstehen sind.
Beispiel: a
n=
n+1n→ 1, denn a
n− 1 =
n+1n− 1 =
n1→ 0.
108
Eng im Zusammenhang mit konvergenten Folgen steht folgender Begriff:
Definition 2.11 (Cauchy-Folge).
Eine Folge (a
n) heißt Cauchy-Folge, wenn zu jedem ε > 0 ein n
0∈ N existiert, so dass
| a
n− a
m| < ε für alle n, m ≥ n
0. (3) Bei einer Cauchy-Folge liegen also die Glieder für hinreichend große Indizes beliebig eng beisammen.
Der Bezug zur Konvergenz von reellen Zahlenfolgen lautet:
Satz 2.12 (Cauchysches Konvergenzkriterium).
Eine reelle Zahlenfolge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.
109
Die Konvergenz von Cauchy-Folgen in R resultiert aus der Vollständigkeit. Die umgekehrte Aussage benötigt jedoch nur die Definition des Grenzwerts:
Zeigen Sie, dass jede konvergente Zahlenfolge (a
n) die Cauchy-Eigenschaft (3) besitzt.
Der Nutzen von Satz 2.12 liegt nicht in der konkreten Berechnung von Grenzwerten, sondern eher in theoretischen Betrachtungen und
Entscheidungen über das Konvergenzverhalten einer Folge an sich.
Begründen Sie mit Satz 2.12, dass eine arithmetische Folge mit d 6 = 0 nicht konvergent sein kann.
110
Bezug zu Monotonie und Beschränktheit
Satz 2.13.
Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Jede beschränkte monotone Folge ist konvergent.
Finden Sie eine Folge die konvergent, aber nicht monoton ist.
Beweisen Sie Satz 2.13. Sie benötigen nur die Grenzwertdefinition und die Tatsache, dass jede beschränkte Menge in R ein Supremum besitzt.
Begründen Sie mit Satz 2.13, dass die Folge (q
n)
n∈Nfür q > 1 divergiert.
111
Rechnen mit konvergenten Folgen
Wir beginnen mit einigen Vergleichskriterien für Grenzwerte.
Satz 2.14.
Gilt a
n→ a, b
n→ b, und ist fast immer a
n≤ b
n(d. h. durchweg ab einem bestimmten Index), so gilt auch a ≤ b.
Achtung: Aus a
n< b
nfolgt dagegen i. a. nicht die strenge Beziehung a < b. Betrachte zum Beispiel die Folgen a
n= 1 −
n1und b
n= 1 +
1n.
Folgerung 2.15 (Sandwichsatz, Prinzip der zwei Milizionäre).
Gilt a
n→ a und b
n→ a, und gilt ferner fast immer a
n≤ c
n≤ b
n, so gilt auch c
n→ a.
112
Folgerung 2.16.
Ist (b
n) Nullfolge und gilt fast immer | a
n| ≤ | b
n| , so ist auch (a
n) eine Nullfolge.
Visualisierungen zu Folgerung 2.15 und 2.16:
bn cn an
|bn|
|an|
Für Nullfolgen gilt noch ein weiteres Ergebnis:
Satz 2.17.
Ist (a
n) Nullfolge und (b
n) beschränkt, so ist (a
nb
n) wieder eine Nullfolge.
113
Für die Berechnung von Grenzwerten hilft meist auch folgender Satz:
Satz 2.18 (Rechenregeln für Grenzwerte).
Seien (a
n) und (b
n) Zahlenfolgen mit a
n→ a und b
n→ b. Dann gilt (1) a
n+ b
n→ a + b,
(2) a
n− b
n→ a − b, (3) a
nb
n→ ab,
(4) λa
n→ λa für jede Konstante λ ∈ R.
Ist weiterhin b 6 = 0, so gibt es ein n
0∈ N , so dass b
n6 = 0 (n ≥ n
0).
Die Folge (b
n)
n≥n0konvergiert mit (5)
abnn
→
ab.
Beispiel: Aus
1n→ 0 folgt z. B. 2 +
n5−
n33→ 2 + 5 · 0 − 3 · 0
3= 2.
Man beweise Aussage (1) mit Hilfe der Grenzwertdefinition.
114
Bestimmte Divergenz
Definition 2.19.
Eine Folge (a
n) heißt bestimmt divergent gegen + ∞ (Schreibweise a
n→ ∞ oder lim
n→∞a
n= + ∞ ), wenn zu jeder Zahl C ∈ R ein n
0∈ N existiert, so dass
a
n≥ C für n ≥ n
0.
Entsprechend heißt (a
n) bestimmt divergent gegen −∞ (Schreibweise a
n→ − ∞ oder lim
n→∞a
n= −∞ ), wenn zu jeder Zahl C ∈ R ein n
0∈ N existiert, so dass
a
n≤ C für n ≥ n
0.
Beispiele: Es gilt n + 4 → + ∞ und − n
2+ 3n → − ∞ für n → ∞ .
115
Einige Rechenregeln aus Satz 2.18 lassen sich teilweise auf bestimmt divergente Folgen übertragen. Dazu definiert man:
c + ∞ = ∞ + ∞ = ∞ für c ∈ R, c − ∞ = −∞ − ∞ = −∞ für c ∈ R ,
c · ∞ = ∞ · ∞ = ( −∞ ) · ( −∞ ) = ∞ für c > 0, c · ∞ = ( −∞ ) · ∞ = ∞ · ( −∞ ) = −∞ für c < 0, c · ( −∞ ) = −∞ für c > 0,
c · ( −∞ ) = ∞ für c < 0,
c
±∞
= 0 für c ∈ R.
Achtung: Ausdrücke wie ∞ − ∞ , −∞ + ∞ ,
±∞±∞, 0 · ( ±∞ ),
±∞0sind unbestimmt und können nicht sinnvoll definiert werden.
Man finde Beispiele für Folgen vom Typ “0 · ∞ “ mit Grenzwert 0, 1, − 42, bestimmter Divergenz in beide Richtungen sowie nicht bestimmter Divergenz.
116
Wichtige Beispiele Für α
k, β
l6 = 0 gilt
k
P
j=0
α
jn
jl
P
j=0
β
jn
j= α
0+ α
1n + . . . + α
kn
kβ
0+ β
1n + . . . + β
ln
l→
0, falls k < l;
αk
βl
, falls k = l;
∞ , falls k > l,
αβkl
> 0;
−∞ , falls k > l,
αβkl
< 0.
Beweisen Sie die Aussage, indem Sie jeweils die höchste in Zähler und Nenner vorkommende Potenz von n ausklammern und dann die Grenzwertsätze anwenden.
Wie lauten die Grenzwerte der Folgen (
n2+4n−1n+3), (
5n2n−4n+12+3) und (
−8n+14n3+1)?
117
Geometrische Folge:
q
n→
0, für | q | < 1;
1, für q = 1;
+ ∞ , für q > 1.
Für q ≤ − 1 ist die Folge (q
n) divergent, aber nicht bestimmt divergent (alternierendes Vorzeichen).
Man führe den Beweis für 0 < q < 1 mit Hilfe der Bernoulli- Ungleichung (vgl. S. 49) aus.
Für | q | < 1 gilt im übrigen sogar n
kq
n→ 0 für alle k ∈ N. Das
polynomielle Wachstum von n
kist also schwächer als das exponentielle Abklingen von q
n.
118
Weitere Beispiele:
n
r→
+ ∞ , falls r > 0;
0, falls r < 0.
√
nc → 1 für jede Zahl c > 0,
√
nn → 1,
(1 +
n1)
n→ e = 2.71828 . . . (1 +
nx)
n→ e
x.
119
2.3 Unendliche Reihen
Addieren wir von einer gegebenen Zahlenfolge (a
k) die jeweils ersten Glieder, so entstehen “Partialsummen“:
s
1= a
1, s
2= a
1+ a
2, s
3= a
1+ a
2+ a
3,
.. .
s
n= a
1+ a
2+ . . . + a
n=
n
X
k=1
a
k, .. .
Diese Partialsummen bilden eine neue Folge (s
n) und führen uns zum Begriff der (unendlichen) Reihe.
120
Definition 2.20 (Reihe).
Sei (a
k)
k∈Neine Zahlenfolge. Dann heißt s
n:= P
nk=1
a
kdie n-te Partialsumme von (a
k).
Die Folge (s
n)
n∈Nwird Reihe mit den Gliedern a
kgenannt. Man verwendet für sie die Schreibweise P
∞k=1
a
k. Eine Reihe P
∞k=1
a
kheißt konvergent, wenn die zugehörige Partialsummenfolge konvergiert, andernfalls divergent.
Gilt s
n→ s für n → ∞ , so schreibt man
∞
X
k=1
a
k= s
und bezeichnet s auch als Wert oder Summe der Reihe P
∞ k=1a
k. Anmerkung: Wie bei Folgen ist man bei den Indizes auch hier nicht auf den Startwert 1 festgelegt.
121
Beispiel:
Die Reihe P
∞ k=11
2k
konvergiert gegen 1, wie folgende geometrische Betrachtung deutlich macht:
12
14 18
161 321
Man schreibt also P
∞ k=1 12k
= 1.
Es handelt sich hierbei um einen Spezialfall der “geometrischen Reihe“, die uns später noch beschäftigen wird.
122
Beispiel:
Die Partialsummen zur Folge (a
k) mit a
k=
k(k+1)1sind gegeben durch s
n= a
1+ a
2+ . . . + a
n= 1
1 · 2 + 1
2 · 3 + . . . + 1
n(n + 1) = 1 − 1 n + 1 . Damit gilt s
n→ 1 für n → ∞ ; wir schreiben also
∞
X
k=1
1
k(k + 1) = 1.
Beweisen Sie die Formel für die Partialsummen mittels vollständiger Induktion (Hausaufgabe).
123
Beispiel:
Die zur Reihe
∞
X
k=0
( − 1)
k= 1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + . . . (4) gehörige Partialsummenfolge ist (1, 0, 1, 0, 1, 0, 1, . . .) und die Reihe damit divergent.
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass Reihen nicht einfach als
“unendliche Summen“ aufgefasst werden können:
Paarweises Zusammenfassen benachbarter Glieder (1 − 1 = 0) in (4) könnte zum Beispiel zu völlig falschen Schlüssen führen!
124
Beispiel:
Seit Ihrer frühen Schulzeit verwenden Sie für reelle Zahlen auch die Dezimaldarstellung. Betrachtet man zum Beispiel die Zahl π, so gilt:
π = 3.141529265 . . . = 3 + 1 10 + 4
10
2+ 1 10
3+ 5
10
4+ . . . Allgemein lässt sich die Zifferndarstellung einer Dezimalzahl mit einer Vorkommastelle und Ziffernfolge (z
k) (z
k∈ { 0, 1, . . . , 9 } ) als folgende Reihe auffassen:
z
1, z
2z
3z
4z
5. . . = z
110
0+ z
210
1+ z
310
2+ z
110
3+ . . . =
∞
X
k=1
z
k10
k−1. Die Basis 10 ist übrigens willkürlich gewählt (Anzahl der Finger).
Computer verwenden intern zumeist die Basis 2 (Dualzahlen), in Babylon verwendete man 60; bei den Indianern Südamerikas waren 4, 8 und 16 als Basis gebräuchlich (Rechnen ohne Daumen).
125
Partialsummen arithmetischer Folgen
Erinnerung: Eine arithmetische Folge ist gekennzeichnet durch immer gleiche Differenz ihrer Folgenglieder.
Satz 2.21.
Sei (a
k) eine arithmetische Folge mit a
k+1− a
k= d (also mit a
k= a
1+ (k − 1)d, vgl. Satz 2.4). Dann gilt
s
n=
n
X
k=1
a
k= n
2 (a
1+ a
n) = n
a
1+ 1
2 (n − 1)d
. (5)
Die zugehörige Reihe P
nk=1
a
kist daher immer divergent – mit Ausnahme des Falles a
k= 0 (k ∈ N) (d. h. a
1= 0 und d = 0).
Bei arithmetischen Folgen sind also nur die Partialsummen, aber nicht deren Grenzwerte interessant.
126
Exkurs: Gaußsche Summenformel
Einen Spezialfall von (5) bildet die Formel (“Kleiner Gauß“):
n
X
k=1
k=1
2n(n+ 1).
Sie war bereits den Babyloniern bekannt und wurde vom 9-jährigen C. F. Gauß bei der Schulaufgabe, die natürlichen Zahlen von
1bis
100zu addieren, wiederentdeckt.
Schema:
1 2 3 4 . . . 99 100
100 99 98 97 . . . 2 1
101 101 101 101 . . . 101 101
⇒
100
X
i=1
i=1
2·100·101 = 5050.
Carl Friedrich Gauß (deutscher Mathematiker, Astronom, Geodät und Physiker, 1777-1855).
U. a. ermöglichte die von ihm entwickelte Ausgleichsrechnung die Wiederentdeckung des Kleinplaneten Ceres (1801).
127
Geometrische Reihe
Die Reihe zur geometrischen Folge ist eine der wichtigsten in der Mathematik überhaupt. Auch hier beginnen wir wieder mit einer Aussage über die Darstellung der Partialsummen:
Satz 2.22.
Sei (a
k) eine geometrische Folge mit a
k+1/a
k= q (also mit a
k= a
1q
k−1, vgl. Satz 2.6). Dann gilt
s
n=
n
X
k=1
a
k= (
a
1qq−1n−1, falls q 6 = 1;
na
1, falls q = 1. (6)
Man beweise Satz 2.22 mittels vollständiger Induktion über n.
128
Mittels Grenzübergang n → ∞ erhält man aus Formel (6):
Satz 2.23 (Geometrische Reihe).
Eine Reihe der Form P
∞k=1
a
1q
k−1heißt geometrische Reihe. Die geometrische Reihe konvergiert für | q | < 1, in diesem Falle gilt
∞
X
k=1
a
1q
k−1= a
11
1 − q . (7)
Für | q | ≥ 1 ist die Reihe divergent.
Man berechne die Summen der Reihen P
∞ k=1 37k−1
und P
∞ k=1 12k
.
Bemerkung:
In Tafelwerken finden Sie auch häufig die Formeln
∞
X
k=1
a1qk=a1
q 1−q
und
∞
X
l=0
a0ql=a0
1 1−q.
Diese erhält man aus (7) durch Multiplikation von
a1mit
qbzw. durch
Indexverschiebungl=k−1.129
Harmonische Reihe Eine Reihe der Form P
∞k=1 1
kα
mit α > 0 wird harmonische Reihe genannt. Es gilt:
P
∞ k=1 1kα
ist konvergent für alle α > 1.
P
∞ k=1 1kα
= + ∞ , d. h. die Reihe divergiert, für alle α ≤ 1.
Insbesondere sind also die Reihen P
∞ k=11k
und P
∞ k=1 √1k
divergent, während P
∞k=1 1
k2
konvergiert.
Die Divergenz von P
∞ k=1 1k
erfolgt dabei extrem langsam; hier einige Zahlenwerte zur Illustration:
n 1 2 5 10 100 10
410
8s
n1 1.5 2.2833 2.9290 5.1874 9.7876 18.9979
130
Exkurs zur Divergenz von P
∞ k=1 1k
Die Divergenz von P
∞ k=11
k
zeigt man durch Abschätzung der Partialsummen für n = 2
m:
s2m = 1+1 2+
1 3+1
4
+ 1
5+1 6+1
7+1 8
+. . .+
1
2m−1+ 1+. . .+ 1 2m
≥ 1+1 2+
1 4+1
4
| {z }
2mal
+ 1
8+1 8+1
8+1 8
| {z }
4mal
+. . .+
1
2m+. . .+ 1 2m
| {z }
2m−1mal
= 1 +1
2m → ∞
für
m→ ∞.Die Partialsummenfolge enthält also eine divergente Teilfolge und ist damit selbst divergent.
Dieser Beweisansatz findet sich übrigens bereits in mittelalterlicher Literatur (um 1350).
131
Rechnen mit konvergenten Reihen
Wendet man die Grenzwertsätzen (Satz 2.18) auf Partialsummenfolgen an, erhält man:
Satz 2.24.
Sind P
∞k=1
a
kund P
∞k=1
b
kbeide konvergent, so gilt:
∞
X
k=1
(a
k+ b
k) =
∞
X
k=1
a
k+
∞
X
k=1
b
k∞
X
k=1
(a
k− b
k) =
∞
X
k=1
a
k−
∞
X
k=1
b
k∞
X
k=1
(λa
k) = λ
∞
X
k=1
a
kfür λ ∈ R
132
Berechnen Sie den Grenzwert der Reihe P
∞ k=11 5k
+
34kMachen Sie sich anhand der Partialsummen klar, dass Aussagen analog zu Satz 2.24 für P
∞k=1
(a
k· b
k) nicht gelten können.
Absolut konvergente Reihen
Definition 2.25 (Absolute Konvergenz).
Eine Reihe P
∞k=1
a
kheißt absolut konvergent, wenn P
∞ k=1| a
k| konvergiert.
Absolut konvergente Reihen sind besonders komfortabel – zum Beispiel darf man nur bei ihnen die Glieder beliebig umordnen, ohne den Grenzwert zu verändern.
133
Der folgende Satz liefert den Bezug zur “gewöhnlichen“ Konvergenz:
Satz 2.26.
Eine absolut konvergente Reihe P
∞k=1
a
kist erst recht konvergent. Für sie gilt die verallgemeinerte Dreiecksungleichung
∞
X
k=1
a
k≤
∞
X
k=1
| a
k| .
Beispiele:
P
∞ k=1(−1)k+1
k
ist konvergent (Nachweis später), aber nicht absolut konvergent. Es gilt P
∞k=1
(−1)k+1
k
= ln 2.
P
∞ k=1(−1)k+1
k2
ist absolut konvergent. Es gilt 0 ≤ P
∞k=1
(−1)k+1
k2
=
π122≤
π62= P
∞ k=11 k2
.
134
Konvergenzkriterien
Mitunter stellt man lediglich die Frage nach der Konvergenz einer Reihe, ohne deren konkreten Grenzwert berechnen zu wollen.
Hierbei helfen sogenannte Konvergenzkriterien.
Einen ersten Satz erhalten wir aus dem Cauchy-Kriterium für die Partialsummenfolge zu einer konvergenten Reihe P
∞k=1
a
k. Es gilt
| a
n| = | s
n− s
n−1| < ε für großes n und daher
Satz 2.27 (Notwendiges Konvergenzkriterium).
Bei einer konvergenten Reihe P
∞k=1
a
kbilden die Glieder eine Nullfolge, d. h. a
k→ 0 für k → ∞ .
Kann die Reihe P
∞ k=1k
2k+1
konvergieren? Gilt die Umkehrung von Satz 2.27? Wenn nicht, finden Sie Gegenbeispiele.
135
Für alternierende Reihen (d. h. mit wechselndem Vorzeichen der Glieder) ist das folgende Kriterium häufig hilfreich:
Satz 2.28 (Leibniz-Kriterium).
Eine alternierende Reihe P
∞k=1
( − 1)
ka
kkonvergiert, wenn (a
k) eine monotone Nullfolge ist.
Was lässt sich über die Konvergenz der Reihen P
∞ k=1(−1)√ k k
, P
∞k=1
(−1)k+1
k
und P
∞ k=1(−1)k
2k3
sagen? Konvergieren diese Reihen auch absolut?
136
Nach Satz 2.13 ist eine Reihe mit nichtnegativen Gliedern genau dann konvergent, wenn ihre Partialsummenfolge beschränkt ist. Daraus folgen:
Satz 2.29 (Majorantenkriterium).
Ist P
∞k=1
b
keine konvergente Reihe mit nichtnegativen Gliedern, und gilt fast immer | a
k| ≤ b
k, so konvergiert P
∞k=1
a
k, und zwar sogar absolut.
Die Reihe P
∞k=1
b
kwird dabei Majorante von P
∞k=1
a
kgenannt.
Beispiel:
P
∞ k=1 1k2+k
konvergiert, denn
k21+k≤
k12für alle k ∈ N , und P
∞k=1 1
k2
konvergiert.
137
Satz 2.30 (Minorantenkriterium).
Ist P
∞k=1
b
keine divergente Reihe mit nichtnegativen Gliedern, und gilt fast immer a
k≥ b
k, dann ist auch P
∞k=1
a
kdivergent.
Die Reihe P
∞k=1
b
kwird dabei Minorante von P
∞k=1
a
kgenannt.
Beispiel:
P
∞ k=1 1k+√
k
divergiert, denn
1k+√
k
≥
k+k1=
2k1für alle k ∈ N , und P
∞k=1 1
2k
divergiert (harmonische Reihe).
138
Durch Verwendung von geometrischen Reihen als Majoranten bzw.
Minoranten erhält man zwei Kriterien, die häufig bei Reihengliedern mit Quotienten-/Potenzstruktur greifen:
Satz 2.31 (Quotientenkriterium).
Gilt mit einer festen positiven Zahl q < 1 fast immer
a
k+1a
k≤ q, so konvergiert die Reihe P
∞k=1
a
k, und zwar sogar absolut. Gilt jedoch
fast immer
a
k+1a
k≥ 1, so ist P
∞k=1
a
kdivergent.
Dabei ist natürlich vorauszusetzen, dass fast immer a
k6 = 0 ist.
139
Satz 2.32 (Wurzelkriterium).
Gilt mit einer festen positiven Zahl q < 1 fast immer p
k| a
k| ≤ q, so konvergiert die Reihe P
∞k=1
a
k, und zwar sogar absolut. Gilt jedoch fast immer
p
k| a
k| ≥ 1, so ist P
∞k=1
a
kdivergent.
Achtung: Es reicht nicht, lediglich p
k| a
k| < 1 bzw.
ak+1
ak
< 1 nachzuweisen, um auf Konvergenz zu schließen!
Testen Sie dies am Beispiel P
∞ k=1 k+1k
.
140
Folgende Version von Quotienten- und Wurzelkriterium ist besonders handlich und wird in der Praxis am häufigsten verwendet:
Folgerung 2.33 (Quotienten- und Wurzelkriterium).
Konvergiert die Quotientenfolge (
ak+1
ak
) oder die Wurzelfolge ( p
k| a
k| ) gegen einen Grenzwert α, so ist die Reihe P
∞k=1
a
k(absolut) konvergent, wenn α < 1,
divergent, wenn α > 1.
Bemerkung: Im Falle α = 1 liefern die Kriterien kein Ergebnis. Eine nähere Untersuchung wird notwendig.
Warum ist Folgerung 2.33 eine unmittelbare Konsequenz der Sätze 2.31 und 2.32?
141
Beispiele:
P
∞ k=1 k22k
konvergiert, denn
ak+1
ak
=
(k+1)k2 2 2k2k+1
=
12(1+
1k)
2→
12. P
∞k=1 k
kk
konvergiert, denn
kq
kkk
=
k√ k
k
→ 0 (da √
kk → 1).
P
∞ k=0 1k!
konvergiert, denn
ak+1
ak
=
(k+1)!k!=
k+11→ 0.
Dabei ist k! := 1 · 2 · . . . · k(k ∈ N ), 0! := 1 (“k-Fakultät“).
Es konvergiert sogar P
∞ k=0xk
k!
für beliebiges x ∈ R , denn
ak+1 ak
=
xk+1
xk
·
(k+1)!k!=
k+1|x|→ 0.
Wir werden diese Reihe später nutzen, um damit die Exponentialfunktion zu definieren: e
x:= P
∞k=0xk k!
.
142
Ausblick: Anwendungen in den Naturwissenschaften In den Naturwissenschaften tauchen Reihen häufig in der Gestalt von Potenz- und Fourierreihen auf (spezielles Kapitel in HM 2).
Desweiteren werden wir im Kapitel Differentialrechnung den Satz von Taylor kennenlernen, welcher mit solchen Reihenentwicklungen im Zusammenhang steht.
Diese Sätze begründen u. a. folgende häufig verwendeten Näherungen für betragsmäßig kleine x ∈ R :
sin x ≈ tan x ≈ x, cos x ≈ 1 −
12x
2,
1
1−x