Vorlage Stadtparlament
Interpellation Daniel Bosshard: Öffentliches Geld für die Erdgaslobby gegen die Kli- maschutzziele der Stadt St.Gallen?; schriftlich
Daniel Bosshard sowie 33 mitunterzeichnende Mitglieder des Stadtparlaments reichten am 4. Mai 2021 die beiliegende Interpellation «Öffentliches Geld für die Erdgaslobby gegen die Klimaschutzziele der Stadt St.Gallen?» ein.
Der Stadtrat beantwortet die Interpellation wie folgt:
1 Ausgangslage
Mit dem Energiekonzept 2050 und der Roadmap Null Tonnen CO2 zeigt die Stadt St.Gallen einen Weg auf, wie die energiebedingten CO2-Emissionen bis 2050 auf null reduziert werden können. Der Weg ist ambitiös und das Ziel ist nur erreichbar, wenn alle erneuerbaren Technologien berücksichtigt werden. Es sind aber auch massgebliche Eingriffe auf regulatorischer Ebene und nicht zuletzt ein ent- sprechender politischer Wille auf allen Staatsebenen notwendig.
Die zentralen Massnahmen der Roadmap sind:
▪ Rascher und konsequenter Ausbau des Fernwärmenetzes
▪ Steigerung der Energieeffizienz durch Gebäudesanierungen
▪ Förderung von Erdsonden-Wärmepumpen
▪ Massiver Zubau von Photovoltaik-Anlagen
▪ Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs
▪ Wechsel von Verbrennungsmotoren hin zur Elektromobilität (bzw. Wasserstoff im Güterschwer- verkehr auf langen Strecken)
▪ Ausbau des Velo- und Fussverkehrs
▪ Realisierung von Nahwärmeverbünden mit WKK-Anlagen (Wärme-Kraft-Kopplung)
Datum 22. Juni 2021
Beschluss Nr. 640
Aktenplan 152.15.12 Stadtparlament: Interpellatio- nen
Für die Wärmeversorgung mit WKK-Anlagen und die lokalen Industriebetriebe sind aus heutiger Sicht kaum Alternativen zu Gas (Methan) erkennbar. Gemäss den Modellberechnungen wird sich der Be- darf an Gas in der Stadt St.Gallen bei etwa 210 GWh/a im Jahr 2050 einstellen (2020 ca. 400 GWh).
Spätestens ab 2050 ist dieser Bedarf ausschliesslich mit erneuerbarem Gas zu decken. Davon kön- nen voraussichtlich knapp 30 % (60 GWh)1 mit Biogas gedeckt werden. Entsprechend resultiert ein Bedarf an synthetischem Gas von jährlich rund 150 GWh, welches – im In- oder Ausland – mit über- schüssigem erneuerbarem Strom produziert werden muss.
Das Gasnetz wird auch über das Jahr 2050 hinaus seine Berechtigung haben. Es wird allerdings redi- mensioniert und an die zukünftigen Bedürfnisse angepasst. Im Energieplan der Stadt St.Gallen sind die Gebiete, in welchen das Gasnetz zurückgebaut wird, gekennzeichnet. Dies sind hauptsächlich Ge- biete, in denen Wärmepumpen als zukünftige Wärmelösung vorgesehen sind, aber auch Fernwärme- gebiete, in welchen Gas weder für Prozessanwendungen noch für Wärmezentralen benötigt wird.
2 Beantwortung der Fragen
1. Wie hoch sind die gesamten direkten und indirekten Zahlungen (inklusive aller Beiträge und Beteili- gungen), die die St.Galler Stadtwerke jährlich im Durchschnitt der letzten drei Jahre an den VSG ausgerichtet haben?
Direkte Zahlungen in CHF
2020 2019 2018
Absatz in GWh (Durchschnitt letzte vier Jahre, Grosskunden gedeckelt bei 50 GWh)
730,29 711,12 689,82
Jahresbeitrag in CHF 1'500 1'500 1'500
Distributionsbeitrag in CHF 97'129 94'579 91'746
Biogasfonds in CHF 73'029 71'112 68'962
Indirekte Zahlungen in CHF als integrierter Kostenbestandteil im regionalen Transportnetz
2020 2019 2018
Absatz in GWh 797,76 785,84 737,79
Basisabgaben in CHF (Importabgabe) 115'676 113'947 106'980
Beiträge für den Forschungsfond Gas (FOGA)
7'978 7'858 7'378
Total 295’311 288’996 276'586
1 Es wird dannzumal nur inländisches Biogas eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass europäische Länder ihr Biogas selber benötigen, um die globalen Klimaziele zu erreichen und es ist davon auszugehen, dass europaweit die Nachfrage nach Biogas das Angebot übersteigt. Das maximal eingesetzte schweizerische Biogas entspricht dem heutigen Verhältnis des Gasverbrau- ches der Stadt St.Gallen zum Gasverbrauch der Schweiz (1,5 % des schweizerischen Biogaspotenzials). Bei einem angenom- menen Biogaspotenzial im Jahr 2050 von 4-5 Mio. MWh/a ist ein Wert von 60 GWh/a im Jahr 2050 eingestellt.
2. Wie hoch sind allenfalls zusätzliche direkte und indirekte Zahlungen an regionale Verbände der Gasbranche (wie z.B. Verband der Gaswirtschaft der Ostschweiz, der Zentralschweiz und des Tes- sins, VGOZT), die die St.Galler Stadtwerke jährlich im Durchschnitt der letzten drei Jahre an den VSG ausgerichtet haben?
Die Jahresbeiträge für den Verband der Gaswirtschaft der Ostschweiz, der Zentralschweiz und des Tessins (VGOZT) betragen:
ab 2021 2020 2019 2018
in CHF 3'000 4'875 4'875 4'875
3. Wofür genau werden die Beiträge an den VSG eingesetzt? Welcher Anteil der Beiträge fliesst in klassische Service-Angebote wie Schulungen, Normenarbeit, Innovationsförderung etc. Welcher Anteil fliesst in Imagekampagnen, Abstimmungskampagnen, Lobbyarbeit und andere Aktivitäten, die letztlich Ausbau und Erhalt der immer noch nahezu vollständig fossilen Gasversorgung zum Ziel haben?
Die Mitgliederbeiträge werden den allgemeinen Mitteln des VSG und keinen spezifischen Aktivitäten zugeschrieben. Der VSG finanziert daraus seine Geschäftsstelle, Kurse und Tagungen, seine Öffent- lichkeitsarbeit und so weiter.
Die zusätzlich für den Forschungs-, Entwicklungs- und Förderungsfonds (FOGA) und den Biogas För- derfonds erhobenen Beiträge werden diesem direkt zugewiesen. Mit diesen Mitteln werden Projekte im Bereich der erneuerbaren Gase unterstützt, insbesondere auch neue Anlagen gefördert, die erneu- erbare Gase ins Netz einspeisen2.
4. Wofür werden die Zahlungen an regionale Verbände eingesetzt? Zu welchem Zweck existieren diese zusätzlichen Strukturen?
Damit im VSG eine ausgewogene Meinungsbildung und Entscheidungsfindung erfolgen kann, werden die Gremien paritätisch aus den Regionen nominiert. Der VGOZT ist einer der drei Regionalverbände, der diese Funktion wahrnimmt.
5. Kann der Stadtrat ausschliessen, dass städtische Gelder an den VSG und die regionalen Gasver- bände de facto gegen die Klimaschutzziele der Stadt St.Gallen eingesetzt werden?
Der VSG bezieht keine Position gegen die Energie- und Klimaziele der Schweiz oder der Stadt St.Gal- len. Im Gegenteil: Der VSG nimmt in seinen Auftritten und Referaten das Energiekonzept der Stadt St.Gallen regelmässig als gutes Beispiel auf, wie die Energieversorgung sektorübergreifend transfor- miert werden kann. Die Schweizer Gaswirtschaft und der Verband, in dem sie organisiert ist, beken- nen sich zum Ziel des Bundesrats, im Rahmen des Pariser Übereinkommens bis zum Jahr 2050 die
2 https://gazenergie.ch/de/news-events/medienmitteilungen/detail/news/gaswirtschaft-erweitert-ihren-foerderfonds-auf-alle-er- neuerbaren-gase/
Klimaneutralität (Netto-Null-Emissionen) zu erreichen3. Die Aktivitäten des Verbands sind entspre- chend auf die Erreichung dieser Ziele ausgerichtet. Die St.Galler Stadtwerke sind im Verwaltungsrat des VSG, in der Fachkommission Marketing und in weiteren Arbeitsgruppen vertreten. Dort bringt ein Kadermitglied der St.Galler Stadtwerke die Sichtweise der Stadt ein, die auf den aktuell gültigen ener- giepolitischen Zielsetzungen aus dem Energiekonzept 2050 der Stadt St.Gallen (Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 bzw. Null Tonnen CO2) basiert. Die Mitgliedschaft im VSG dient den St.Galler Stadt- werken im Übrigen v. a. auch zum Austausch und zur Einflussnahme im Hinblick auf die notwendige Umgestaltung der Wärmeversorgung sowie auf die regulatorischen Rahmenbedingungen z. B. im Zu- sammenhang mit der anstehenden Öffnung des Gasmarktes.
In der Interpellation wird die Finanzierung von «Image-Kampagnen für die fossil dominierte Gasver- sorgung und massive Lobbyarbeit für gasfreundliche Gesetze» kritisiert. Bei den Schweizer Gasver- sorgern und auch beim VSG ist die Zeit nicht stehen geblieben. Es ist mittlerweile allgemein aner- kannt, dass der Anteil des in der Energieversorgung verwendeten Gases deutlich sinken muss, wenn zunehmend und dereinst ausschliesslich erneuerbares Gas eingesetzt werden soll. Als wertvoller Energieträger soll Gas in Zukunft dort eingesetzt werden, wo kaum Alternativen bestehen. Aus Sicht des St.Galler Energiekonzepts sind dies die Verwendung als Prozessenergie in der Industrie sowie der Einsatz in Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK) zur Produktion von Wärme und Strom vorab im Winterhalbjahr. Der Einsatz in Gas-Direktheizungen soll demnach durch WKK-Anlagen abgelöst wer- den. Kampagnen für gewöhnliche Direkt-Gasheizungen würden dem Energiekonzept widersprechen.
Ein Inserat, in dem noch für «eine einfache Gasheizung» geworben wurde, wird vom VSG inzwischen nicht mehr verwendet.
6. Wie will der Stadtrat künftig gewährleisten, dass die Zahlungen der St.Galler Stadtwerke aus- schliesslich im klimapolitischen Interesse der Stadt St.Gallen eingesetzt werden: Einfluss via Ver- waltungsrat VSG? Zweckbindung der Beitragsmittel? Anteilige Kürzung der Beiträge? Ruhen der Mitgliedschaft, bis der VSG und regionale Gasverbände sich glaubwürdig für eine realistische Gas- versorgung im Einklang mit der Klimapolitik der Stadt St.Gallen und des Bundesrats einsetzen?
Austritt aus dem VSG und/oder regionalen Gasverbänden?
Wie erwähnt unterstützt die Schweizer Gaswirtschaft das Ziel des Bundesrats, im Rahmen des Pariser Übereinkommens die Klimaneutralität (Netto Null-Emissionen) bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Die Energieversorgung der Zukunft muss dekarbonisiert, aber auch sicher und wirtschaftlich tragbar sein.
Die Branche ist überzeugt, dass dies nur mit einem breiten Mix an Energieträgern und Infrastrukturen möglich ist, auch weil sich angesichts des Umbaus der Energieversorgung und der verstärkten Elektri- fizierung bereits heute zunehmend Stromengpässe in den Wintermonaten abzeichnen.
Die Gasversorgungsunternehmen in der Schweiz möchten den Prozess des Umbaus der Energiever- sorgung mitgestalten und haben, grossmehrheitlich als Querverbundunternehmen, stets die Notwen- digkeit einer Gesamtversorgungsperspektive betont. Und sie unterstreichen ihr Bekenntnis aus dem Jahr 2016, in einem ersten Schritt bis zum Jahr 2030 einen erneuerbaren Anteil von 30 % im gasver- sorgten Wärmemarkt für Haushalte zu garantieren. Nach diesem Zwischenschritt soll der Anteil im Ge- samtmarkt bis zum Jahr 2040 auf 50 Prozent steigen, bevor bis zum Jahr 2050 eine CO2-neutrale Gasversorgung anvisiert wird. Erdgas soll sukzessive durch erneuerbare bzw. klimaneutrale Gase,
3 https://gazenergie.ch/fileadmin/user_upload/e-paper/GE-Positionspapier/GE-Positionspapier-2020-A4-DE.pdf
neben Biogas auch synthetisches Methan (Power-to-Gas) und Wasserstoff (hergestellt mit erneuerba- rem Strom), ersetzt werden.
Die Mitgliedschaft im VSG ist für die St.Galler Stadtwerke nützlich, insbesondere auch für die Erarbei- tung eines Regelwerks zur geordneten Gasmarktöffnung. Der Verband arbeitet schon länger an der Dekarbonisierung der Gasversorgung. Der Verband unterstützt Forschungsprojekte im Bereich erneu- erbarer Gase und fördert dessen Produktion (Förderfonds für Produktionsanlagen der Branche). Mit- gliedsunternehmen profitieren von diesen Dienstleistungen und den Ergebnissen dieser Forschung.
Auch bei der Einspeisung von Biogas ins Gasnetz ist die Schweizer Gasindustrie Vorreiterin. Europa- weit die erste Einspeisung erfolgte im Jahr 1997 in der Schweiz. Auch im Energiekonzept 2050 der Stadt St.Gallen spielt eine erneuerbare Wärmeversorgung mit Biogas und synthetischen Gasen eine wichtige Rolle.
Die St.Galler Stadtwerke überprüfen ihre Mitgliedschaften in Branchenverbänden und Organisationen regelmässig im Hinblick auf Zweckmässigkeit und Nutzen. Dies gilt auch für den VSG. Da sich die St.Galler Stadtwerke im VSG derzeit so einbringen können, dass die Interessen der Stadt St.Gallen gebührend vertreten werden, steht eine Kündigung der Mitgliedschaft vorderhand nicht im Raum.
Die Stadtpräsidentin:
Maria Pappa
Der Stadtschreiber:
Manfred Linke
Beilage:
▪ Interpellation vom 4. Mai 2021