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ST. GALLEN RETOUR

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Academic year: 2022

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M o n at sz ei ts ch ri ft f ü r L u ze rn u n d d ie Z en tr al sc h w ei z m it K u lt u rk al en d er N

O

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ST. GALLEN RETOUR

VIER GESPRÄCHE, VIER ZWISCHENSTOPPS – EINE GEMEINSAME AUSGABE MIT DEM  

«OSTSCHWEIZER KULTURMAGAZIN SAITEN»

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GET IN. GET OUT. GET AWAY.

EIN NICOLAS WINDING REFN FILM

5. Januar im Kino BourBaKi

“VErWEGEN, kühN UNd UNVOrhErsEhbAr.

dEr mOmENTAN cOOlsTE FIlm übErhAUpT.”

The New York Times

So, 22. Jan.

Claude Diallo

«

Situation»

17 h Mit Massimo Buonanno, drums, Laurent Salzar, e-bass. Agil, treibend, differenziert und expressiv. Jazz «unplugged

»

Sa, 11. Feb.

Moscow Rachmaninov Trio

20 h Beethoven Trio c-moll, Schubert Notturno und Brahms Trio H-Dur.

Eines der grossen internationalen Trios.

Sa, 03. Mär.

Harold Pinter

«

a kind of alaska»

20 h Eine Theaterstück über den Verlust der Zeit.

Mit Liveklang- und Lichtinstallation von Michael Saegesser. Florian Rexer, Regie.

9404 Rorschacherberg Reservation 071 858 62 62 Nähere Infos: warteggkultur.ch

k l a n g v o l l e s b e r ü h r e n d e s

m e i s t e r h a f t e s

kultur verein

sc h l o s s w a r t e g g

VonAh

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EDITORIAL

Die Verbindung Luzern–

St.Gallen steht. Einerseits in Form des Voralpen-Express, dieser etwas exotischen, nos- talgisch anmutenden, aber landschaftlich angeschmieg- ten Direktverbindung zwi- schen den beiden Städten.

Aber sie existiert auch in Form der beiden Kultur- magazine, die in den vergangenen Monaten verblüf- fend ähnliche Themen aufs Tapet brachten. Ohne Absprache, wohlverstanden. Insofern war es höchs- te Eisenbahn, dass die Redaktionen vom Luzerner

«041» und dem St.Galler «Saiten» zusammen etwas anreissen.

Also setzten wir uns eines Herbsttages in den Vor- alpen-Express, sinnierten und parlierten und waren uns schnell einig: Die Ausgabe soll über Gemeinsam- keiten und Unterschiede von St.Gallen und Luzern

sein, aber auch den Raum da- zwischen ausloten und genau hier, im Zug, entstehen.

Provinzielle Regionen mit städtischen Zentren, voral- pine Gegenden, dominanter Katholizismus, politische Aus- richtungen oder vergleichbare Kulturlandschaften etwa im Museums- oder Thea- terbereich – man kommt schnell auf Parallelen zwi- schen der Ost- und der Zentralschweiz.

Wir luden zur Begegnung Expertinnen und Experten ein und sprachen irgendwo in den Weiten zwischen Romanshorn, St.Gallen, Rapperswil, Arth Goldau und Luzern über lebendige Städte, das religiöse Mi- lieu, Auswirkungen der Krise und die Landschaft.

Ivan Schnyder und Jonas Wydler, vom «041 – Das Kulturmagazin»

Johannes Stieger und Andrea Kessler, vom «Ostschweizer Kulturmagazin Saiten»

HÖCHSTE EISENBAHN

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GUTEN TAG, KANTONSRAT

Um Ökonomisierung der Bildung und Kul- tur wird es in diesem Heft später noch ge- hen (Seite 24). Ein Paradebeispiel dafür, wie ökonomisches Denken die Bildung unterwandert, habt ihr Kantonsparlamen- tarierinnen und -parlamentarier im De- zember geliefert: Die dringend sanierungs- bedürftige Zentral- und Hochschulbiblio- thek soll nun doch nicht renoviert werden, dafür sind euch die 19 Millionen zu scha- de. SVP, CVP, Grünliberale (!) und Teile der FDP wollen den denkwürdigen Bau von Otto Dreyer (unverkennbar ein ehe- maliger Mitarbeiter von Armin Meili) lie- ber ausradieren und das Gelände einem Investor überlassen, der dann wiederum der Bibliothek Raum zur Verfügung stellen soll. So fordert es eine deutlich angenom- mene Motion. Damit wendet sich der Kan- tonsrat nicht nur gegen die Regierung, sondern gegen den eigenen Entscheid von 2010.

«Der Zufall leitet nicht. Der Zufall dümpelt.

Oder rotzt drauflos. Er ist sprunghaft planlos frech und rücksichtslos. Der Zufall ist eine Zumutung.»

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JENS NIELSEN, SEITE 34

Studiengang 2012 - 2014, Beginn Oktober 2012 Informationsveranstaltung

Dienstag, 24. Januar 2012, 18.30 bis 20 Uhr Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal 118 www.kulturmanagement.org

Masterprogramm Kulturmanagement

SCHÖN GESAGT

GUTEN TAG AUFGELISTET

Auch schon mal daran gedacht, dass das Ensemble «Vögeligärtli», Lukaskirche, Spielplatz und Hochschulbibliothek schüt- zenswert sein könnte, dass es ein öffentli- ches Gut ist und darum von unschätzbarem Wert? Soll dieser herausragende Biblio- theksbau aus den 50ern aus Renditegrün- den und aufgrund wendehalsiger Politiker weichen? Schon mal daran gedacht, dass die Tiefsteuerpolitik gescheitert sein könn- te? Bei euch Parlamentariern, die nicht mal Gnade vor der Bildung kennen, wird einem Angst und Bange, wenn man an die Zu- kunft der Kantonsschule am See denkt … PS: Die Salle modulable sucht immer noch einen Standort. Ach nein, die hat ja keinen Investor mehr …

Meiliweit voraus: 041 – Das Kulturmagazin MC Graeffs sieben unoriginellsten

Ausreden, weshalb er die Kolumne nicht rechtzeitig abliefern konnte:

1. Mein Modem war kaputt. (2011!, Anm. d. Red.)

2. War zwischenzeitlich mal wieder kurz überlastet.

3. Muss noch so viel für die Lesung morgen fertig machen.

4. War vor der Abreise nach Dütsch- land noch kurz und heftig malad.

5. Mail geht nicht – komme gleich mit dem Stick vorbei.

(Per Mail gesendet!)

6. Musste noch auf Fukushima warten.

7. Dachte, es wäre sowieso schon zu spät.

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KOLUMNEN

31 Georg Anderhubs Hingeschaut 32 Hingehört: Indra Schneider 33 Olla Podrida! – Die Letzte!

34 Nielsen/Notter

35 Unterm Messer: Wurstneid 83 Vermutungen

SERVICE

36 Bau. Hinter den Geleisen …

37 Kunst. Spiegelungen, Grenzübertritte 41 Wort. Der Gast aus dem Osten 44 Kino. Tyrannei auf der Teufelsinsel 47 Musik. Field Studies, remixed 49 Bühne. Mathematik auf der Bühne 52 Kids. Kra wie? Krawuri!

53 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz KULTURKALENDER

55–71 Veranstaltungen 75–79 Ausstellungen

Titelbild: Manuel Stahlberger

INHALT

PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 54 ACT / Kleintheater Luzern

56 Théâtre la Fourmi / Südpol 58 LSO / Luzerner Theater 60 Romerohaus 62 ACT / Stattkino

64 Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau 68 HSLU Musik / Zwischenbühne Horw 70 Kulturlandschaft

74 Natur-Museum Luzern / Historisches Museum 76 Kunstmuseum Luzern

78 Kunsthalle / Museum im Bellpark

Bilder: Aquarell Godi Hofmann (zvg) / Mischa Christen

33 MC GRAEFF ZUM LETZTEN Unser Kolumnist verabschiedet sich – im März gehts weiter mit einer neuen Kolumne.

37 EIN GROSSARTIGER  KÜNSTLER UND MENSCH

Zum Tod von Godi Hofmann 6–30 IM VORALPEN-EXPRESS

Vier Gespräche zwischen Luzern und St.Gallen

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ST.GALLEN RETOUR

Quer zur Logik der üblichen  Verbindungen

Sie ist die Strecke noch nie gefahren. Er kennt sie wie seine Hosentasche. Eine Filmemacherin und ein Autor reden über die Faszination des Zugfahrens, den Sound von Handorgeln und sie

schlagen immer wieder einen Bogen zur eigenen Arbeit.

Alice Schmid und Peter Weber im Gespräch mit Ivan Schnyder und Johannes Stieger

Bild Daniel Ammann

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ST.GALLEN RETOUR

Peter Weber steigt in St.Gallen in den Voral- pen-Express. In Herisau stossen die Delegati- on aus Luzern mit Alice Schmid und der Fo- tograf dazu. Bis Degersheim müssen die Bil- der geschossen sein. Der Fotograf hetzt durch den Zug, wirft sich auf der Suche nach dem Winkel flach in den Sitz. Blitzlicht flackert.

Die Fahrgäste schauen. Derweil haben sich Alice Schmid und Peter Weber in ein Abteil gesetzt. Sie sind bereits ins Gespräch vertieft.

Peter Weber: Der Voralpen-Express fährt oft entlang der Nebelgrenze.

Alice Schmid: Ah, ich hatte mich nämlich bereits auf der Herfahrt gefragt, auf welcher Höhe wir uns bewegen.

Peter Weber: Es wechselt dauernd, im Mo- ment sind wir relativ hoch, auf gut 700 Me- tern. Später geht es wieder runter Richtung Rapperswil. Und wieder hoch. Wenn der Nebel tief liegt, taucht die Zugskomposition laufend ein und auf. Das ist sehr eindrück- lich! Ein Lokomotivführer hat mir einmal gesagt, es sei für ihn eine der schönsten Strecken der Schweiz.

Redaktion: Bei diesem Hudelwetter schaffen wir es aber kaum bis zum blauen Himmel.

Peter Weber: Schlechtes Wetter ist doch das beste Schreibwetter … Der Voralpen-Ex- press ist mein Lieblingszug, er fährt eine Linie quer zur Logik der üblichen Verbin- dungen. Weder Nord–Süd noch richtig Ost–

West, sondern Nordost–Südwest, er be- schreibt sozusagen eine Diagonale. Er tan- giert mehrere Seen. Als Kind war ich von den Karten auf den Ablageflächen beein- druckt, von der roten Linie.

Alice Schmid: Ich habe nächste Woche in Arbon eine Lesung. Automatisch habe ich mir den Weg dorthin über Zürich gesucht.

Dass ich diese Linie fahren könnte, war mir nicht bewusst.

Peter Weber: Sehen Sie, wir verlassen das Appenzellerland, jetzt folgt das Toggenburg, zunächst das kleinere Neckertal, nach dem Tunnel das Thurtal. Man quert auf dieser Strecke in kurzer Zeit viele Welten. Das Ne- ckertal zum Beispiel hat etwas stark Eigen- weltliches; der Zug scheint vorbeizuschwe- ben.

Alice Schmid: Wunderschön, eine Gegend wie der Napf.

Peter Weber, als wir auf den Zug gewartet haben, brachten Sie den Satz des Rapperswiler Schrift- stellers Gerold Späth ins Spiel, der besagt, dass man über das schreiben soll, was man genau kenne.

Peter Weber: Ja, mir wurde beim Lesen von Alice Schmids Buch «Dreizehn ist mei- ne Zahl» klar, dass bei ihr dieser Satz zu- trifft. Durch ihr profundes Wissen über das Napfgebiet kann sie Dinge weglassen oder nur andeuten, und doch bleibt alles an- schaulich, die Proportionen stimmen.

Obacht, bald passieren wir den Wasserfluh- Tunnel, da hinten, neckertalaufwärts, wür- de man kurz den Säntis sehen.

Peter Weber, Sie haben gewünscht, dass wir in St.Gallen abfahren. Was erwartet uns hinter dem Ricken?

Peter Weber: Die Strecke öffnet sich nach Westen. Ich bin in Wattwil aufgewachsen, der Westhorizont ist hier hoch. Kaum in den Zug gestiegen, sticht er bereits in das Ricken- tunnel, Schwärze, man spiegelt sich in der Scheibe. Dort, wo er aus dem Tunnel kommt, sagen dann die Leute nicht mehr fööf, sondern foif. Plötzlich ist man in einem anderen Raum. In der nächsten Wetterkam- mer. Man sieht oft die Sonne nochmals, sieht sie ein zweites Mal untergehen. Als ich

noch in Wattwil lebte, hat mich dies faszi- niert, auch, dass der fast neun Kilometer lange Tunnel stetig hinunterführt. Hinun- ter, hinaus.

Alice Schmid: Das ist sehr schön erzählt:

durch das Dunkle hindurch, dann kommt das Licht, etwas Neues.

Peter Weber: Es hat uns nach Zürich, west- wärts gezogen, und nicht nach St.Gallen, nicht in den Osten.

Und wie ist Ihr Verhältnis zum Osten?

Alice Schmid: Ich habe alle meine Filme im Ausland gedreht. Ich habe mir aber nie überlegt, ob ich in den Osten oder in den Westen gehe. Aber die Aussage, dass man damit arbeiten soll, was man kennt, stimmt jedenfalls. Darum ist mir mein letzter Film vermutlich gut gelungen.

Haben Sie sich in der Jugend auch nach Zürich orientiert?

Alice Schmid: Ich habe dreissig Jahre lang in Zürich gelebt. In Luzern konnte man nur im Tourismus arbeiten. Ich konnte mich be- ruflich nicht vielfältig entwickeln. Ich war zwar immer unterwegs, aber über all diese Jahre wusste ich auch, dass ich auf dem Napf einen Film machen will. Jetzt, wo ich die Arbeit intuitiv angegangen bin, hat es endlich geklappt.

Sind Sie heimgekommen?

Alice Schmid: Ja, das könnte man so sagen.

Ein gutes Stichwort für Peter Weber: Wir fahren in Wattwil ein.

Peter Weber: Schauen Sie, gleich dort hin- ten gibt es ein Seitenbachtobel. Man muss nicht weit laufen und es wird bereits wild und man steht zwischen eindrücklichen Na- gelfluhwänden. Der «Waldlehrpfad» be- ginnt gleich hinter dem Bahnhof … Alice Schmid: Es ist wirklich wie im Napf- gebiet.

Um auf Späths Satz und Ihren Film zurückzu- kommen. Hat es ganz simpel damit zu tun, Ge- schichten nicht in der Ferne zu suchen?

Alice Schmid: Nein, man muss älter wer- den. Vielleicht hat man früher an Sachen vorbeigelebt. Mir haben die Projekte in

«Dort, wo der Zug aus dem Rickentunnel

kommt, sagen die Leute nicht mehr

fööf, sondern foif.

Plötzlich ist man in einem anderen

Raum.»

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ST.GALLEN RETOUR

der Ferne den Boden dafür bereitet, was ich jetzt mache. War das bei Ihnen auch so?

Peter Weber: Ja, der Wechsel. Ich schreibe über einen Ort, nachdem ich abgereist bin.

Über Istanbul jüngst konnte ich erst in Zü- rich schreiben. Die Dinge müssen sich ver- dichten. Ich kann sie nicht sofort aufschrei- ben, nur Skizzen. Der Abstand ist notwendig – vergessen und wieder auftauchen lassen.

Pedro Lenz hat seinen Roman «Der Goalie bin ig»

mit über Vierzig geschrieben. – Eine Geschichte aus einem Milieu, das er als junger Mann mitbe- kam.

Alice Schmid: Man behauptet in der Psy- choanalyse nicht umsonst, dass man sehr viel verdrängt, jedoch alles irgendwann wieder hochkommt. Mir sagte eine Psycho- analytikerin, wir würden das gesamte Le- ben hindurch jene Zeit leben, wo wir zwi- schen ein und sechs Jahre alt waren.

Peter Weber: Dürrenmatt sagte sinnge- mäss, alles, was er schreibe, beschäftige sich mit jenem Moment, da er als Kind zum ers- ten Mal vom Elternhaus bis zum nahen Bach gelaufen sei. Der Bach als Grenze der Welt.

Können Sie sich an solche Initialzündungen erin- nern?

Alice Schmid: Nein. Bei mir kam immer alles explosiv. Ich wusste plötzlich, dass ich dieses Buch schreiben muss. Ich hatte richti- ge Adrenalinschübe.

Peter Weber: Beim Schreiben?

Alice Schmid: Nein, bis es so weit war. Ich musste einen Ort finden, wo ich schreiben kann; ein alter Rossstall. Dann ging alles ganz schnell, innerhalb dreier Monate war das Buch geschrieben. Ich konnte nicht an- ders.

Peter Weber: Wenn ich Ihren Text lese, Atemsätze, kann ich mir gut vorstellen, dass bei der Entstehung die Handorgel wichtig war.

Alice Schmid: Das stimmt! Im Alter von neun Jahren fing ich an, wie eine Verrückte zu spielen. Mit gefällt am Handorgelspiel das Zusammenkommen der Bewegungen, die Koordination. Das hat ein bisschen was von Autofahren.

Peter Weber: Achtung, schaut, jetzt kommt gleich der Moment, wo wir aus dem

Tunnel fahren …, jetzt …, sehr schön! Dort hinten würde man ins Glarnerland sehen, jenes Tal, das wahrscheinlich die meisten Schreibenden pro Kopf hervorgebracht hat.

Alice Schmid: Wo sind wir denn?

Peter Weber: In Kaltbrunn.

Alice Schmid: Was, und hier sieht man das Glarnerland?

Peter Weber: Und hier in der Linth-Ebene war vor Jahrhunderten der Tuggenersee.

Der ist aber verlandet.

Alice Schmid: Beginnt dort das Moor?

Peter Weber: Nein, nein, wir fahren erst über den Seedamm und dann steigt die Strecke an zum Hochmoor.

Um auf die Faszination dieser Zugstrecke zurückzukommen: Anfang der Neunziger- jahre hatte ich in einem abgelegenen Tal im Tessin ein Haus mitgemietet. Ich bin damals oft mit diesem Zug über Rothenthurm nach Arth Goldau und dann ins Tessin gefahren.

Die Hochebene kann im Winter etwas Glei- ssendes haben. Ein kleines Engadin. Nach- mittags waren die Züge leer. Es hatte einen Kaffeeautomaten, man konnte die Fenster öffnen und tippen, es störte niemanden. Es war, als wäre man bereits weit weg. In der ersten Ferne.

Alice Schmid: Sobald ich in einem Zug sitze, kommen mir Ideen.

Peter Weber: Ideen, oder können Sie im Zug schreiben?

Alice Schmid: Schreiben kann ich nur, wenn es ruhig ist. Am liebsten gegenüber ei- ner Wand.

Wie ist das bei Ihnen?

Peter Weber: Ich brauche einen Punkt:

Raum, Tisch oder Wohnung. Wenn ich mei- nen Winkel gefunden habe, geht es vor- wärts. Das Unterwegssein ist aber gut zum Nachdenken. Ideal ist es, zwei Punkte zu haben; beide zu bewirtschaften, immer wie- der aufzubrechen, die Arbeit mitzunehmen.

Sich die Sache unterwegs durch den Kopf gehen lassen.

Was hat das Musikmachen für einen Einfluss auf Ihre Arbeit?

Alice Schmid: Für meinen Roman begann ich morgens um vier Uhr zu schreiben, am Nachmittag ging ich spazieren, am Abend spielte ich Handorgel. Das Instrument hielt mich auf Kurs, es ging mir gut. Ich war drei Monate allein und ich vermisste nichts.

Peter Weber: Während des Schreibens ist der Reiz der Unmittelbarkeit von Musik sehr hoch. Es kann passieren, dass ich zu spielen anfange und dann nicht weiterschreibe. Ich bin beim Schreiben umgeben von Musik, höre oft dasselbe, immer wieder. Repetitio- nen, die Musik, die Tagesabläufe. Ich begin- ne auch sehr früh, nach fünf Uhr.

Alice Schmid: Mich unterstützt die Musik beim Schreiben. Als ich den Roman schrieb, dachte ich bereits an den Film. Ich spielte mit der Handorgel den Soundtrack zu mei- nem Buch.

Peter Weber erzählte, wie er früher im Zug mit der Schreibmaschine arbeitete. Wie schreiben Sie?

Alice Schmid: Ich schreibe mit der linken Hand, bin aber Rechtshänderin. Ein Script Doctor hat mir dazu geraten. Es war mir damals unmöglich, über den Napf zu schrei- ben. Anfangs war es mit Links ein Geknor- ze. Aber was dabei herauskommt, ist gewal- tig.

Peter Weber: Etwas anderes?

Alice Schmid: Nein, genau das, was man schreiben will. Es hat mit den Gehirnhälf- ten zu tun. Als Rechtshänder aktiviert man die linke Hirnhälfte viel mehr. Wenn man dann links schreibt, wird Schlummerndes aktiviert. Das geht eher langsam voran, aber

«Sehen Sie diese Mauer? Diese Strasse? Diese Wiese?

Diese Kargheit? Das ruft bei mir Bilder

hervor. Bei Ihnen

auch?»

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ST.GALLEN RETOUR

wenn ich dann den ganzen Satz im Kopf ha- be, schreibe ich ihn mit Rechts fertig.

Peter Weber: Ich bin Linkshänder. Da es mit dem Fülli schmierte, musste ich mir ei- ne Technik des Aufwärtsschreibens ange- wöhnen. Ich schreibe mit Druck und nicht mit Zug. Mit der Schreibmaschine komme ich in einen anderen Modus. Das Motivati- onsglöckchen am Zeilenende. Ich wechsle auf den Computer, wenn ich mit der Schreibmaschine mehrere Fassungen ge- schrieben habe.

So, jetzt passieren wir den Seedamm. Hier könnte man beobachten, wie die unterge- hende Sonne das Wasser färbt. Hier wäre der späthsche Kosmos.

Wenn man sagt, man solle beschreiben, was man kennt. Ist es einfacher, über die Region zu schrei- ben als über die Stadt?

Peter Weber: Die Grösse des Ausschnitts macht es aus. Je kleiner der Ausschnitt, des- to konkreter wird es.

Alice Schmid: Ich habe es anders erlebt.

Ich kenne jede Ecke des Napfgebiets. Aber die Geschichte, die ich dort ansiedelte, ist ein Sammelsurium von vielen Geschichten.

Robert McGee sagte mir in einem Work- shop, es brauche Klüfte. Es muss runterge- hen, wieder rauf. Ins Dunkle, ins Helle, po- sitiv, negativ, Aktion, Reaktion.

Sehen Sie diese Mauer dort? Diese Strasse?

Diese Wiese? Die Kargheit? Das ruft bei mir Bilder hervor. Bei Ihnen auch?

Peter Weber: Die Wiese vor der Lärm- schutzwand der Autobahn erinnert mich an den Todesstreifen hinter der Berliner Mauer.

Dort gab es eine Hasenkolonie. Die Tretmi- nen machten den Hasen nichts aus, sie wa- ren zu leicht. Sie lebten in paradiesischen Zuständen und vermehrten sich maximal.

Wenn wir schon bei den Bildern sind: Fiel es Ihnen immer leicht, diese aufzuschreiben?

Alice Schmid: Bis ins Lehrerseminar schrieb ich keinen einzigen Aufsatz. Ich gab immer leere Blätter ab. Schwitzte Blut. Ich dachte, ich könne nicht schreiben. Glückli- cherweise verfassten Freunde die Arbeiten für mich. Deshalb machte ich vermutlich so viele Workshops. Meine Filme sind ja alle- samt Geschichten, die mir von Kindern er- zählt wurden. Ich erfand nichts, ich schrieb auf, was mir die Kinder erzählten.

Peter Weber: Aber nun haben Sie eine Ge- schichte erfunden.

Alice Schmid: Ja, jetzt ist es aus mir her- ausgekommen.

Peter Weber: Da, das Moor! Bei diesem Wetter sieht es aus wie in Nord-Schottland.

Alice Schmid, 1951, wurde in Luzern geboren und liess sich zur Drehbuchautorin und Regis- seurin ausbilden. Ihre preisgekrönten Filme be- schäftigen sich mit Geschichten rund um Kin- der, Jugendliche und Gewalt. Aktuell ist in den Kinos «Die Kinder vom Napf», der eben in die Kinder- und Jugendfilmsektion der Berlinale 2012 aufgenommen wurde, zu sehen. Anfang dieses Jahres wurde vom Hanser Verlag ihr Romandebüt «Dreizehn ist meine Zahl» veröf- fentlicht.

Peter Weber, 1968, wuchs in Wattwil auf.

1993 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag Webers ersten Roman «Der Wettermacher».

Zuletzt erschien vor vier Jahren im selben Verlag sein viertes Buch «Die melodielosen Jahre». Weber wurde mit zahlreichen Preisen gewürdigt. Er ist Mitherausgeber der Bücher

«Fluoreszierende Nebelmeere» (2007) und

«Himmel» (2011) mit Bildern des Künstlers und Klimatologen Andreas Züst, beide in der Edition Patrick Frey.

Landschaftsbilder aus dem Zug von Mischa Christen

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ST.GALLEN RETOUR

Der Voralpen-Express Romanshorn–St.Gallen–Herisau–Rappers- wil–Pfäffikon hält um 14.23 Uhr – auf die Sekunde pünktlich – in Biberbrugg. Während am Bahnsteig Gedränge herrscht, steigen zwei Herren als Einzige aus dem Zugwaggon: Robert Walser, der in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau einsitzt, und sein Vormund Carl Seelig. Beide sind sie für unser Vorhaben übertrieben gut ge- kleidet, mit Hut und Dreiteiler. Wir haben uns für einen Spazier- gang über die Rothenthurmer Hochebene verabredet, eine der schönsten Etappen der Strecke.

Ich winke und gehe auf sie zu. Man begrüsst sich und geht wort- los der Schwyzerstrasse entlang, bis man in den Almigweg ein- biegt, der durch die Hochebene führt. Weiter vorne in der Altmatt wollte man in den 80er-Jahren einst einen Waffenplatz für die Schweizer Armee hinpflastern. Eine Idee, die nach heftigem Wi- derstand der Bevölkerung in der eidgenössischen Volksinitiative

«zum Schutz der Moore – Rothenthurm-Initiative» gebodigt wurde. Seither nämlich ist das Gebiet als «Hochmoor von natio- naler Bedeutung» geschützt.

Walser bleibt stehen und zündet sich eine «Maryland»-Zigarette an, hält sie sich schnuppernd unter die Nase.

«Der Schriftsteller Peter Weber», unterbreche ich die Stille, «kam im Interview für dieses Heft auf ein Zitat des Rapperswiler Schrift- stellers Gerold Späth zu sprechen, der einst bemerkte, dass man über das schreiben soll, was man kennt. Wie stehen Sie dazu?»

Walser zieht an seiner Zigarette, geht schweigend und im gleichen Tritt weiter. Nach einiger Zeit setzt er an: «Je weniger Handlung und einen je kleineren regionalen Umkreis ein Dichter braucht, umso bedeutender ist oft sein Talent. Gegen Schriftsteller, die in

Handlungen exzellieren und gleich die ganze Welt für ihre Figu- ren brauchen, bin ich von vornherein misstrauisch. Die alltägli- chen Dinge sind schön und reich genug, um aus ihnen dichteri- sche Funken schlagen zu können.»

Wir gehen weiter, die Ebene scheint ausgestorben. Ein paar Höfe stehen da wie hingeworfen. Aus dem schwarzen Himmel blästs einzelne Schneeflocken. Die Unterhaltung geht in Geplauder über, wobei ich Stichworte gebe, Seelig zuweilen etwas einwirft.

Ansonsten bavardiert Walser vor sich hin.

Über Wedekind, den er oft in München getroffen habe und des- sen erstes erfolgreiches Drama «Frühlings Erwachen» anschei- nend von seiner Zeit in Aarau und Lenzburg inspiriert war. Aber den Schweizern sei er damals wohl zu ungemütlich gewesen, zu dämonisch, zu vagantenhaft. Einzig als ich den jüngsten Mund- art-Boom in der Schweizer Literatur anspreche, echauffiert sich Walser.

«Ich habe absichtlich nie im Dialekt geschrieben. Ich fand das im- mer eine unziemliche Anbiederung an die Masse. Der Künstler muss zu ihr Distanz halten. Sie muss vor ihm Respekt empfinden.

Es muss schon ein rechter Tschalpi sein, wenn er sein Talent dar- auf aufbaut, volksnaher zu schreiben als die anderen.»

Auf was ein Schreibender sein Talent denn aufbauen soll, hake ich nach.

«Die Dichter sollten sich grundsätzlich verpflichtet fühlen, edel- männisch zu denken und zu handeln und nach dem Hohen zu streben.»

Pablo Haller

Ein Spaziergang mit Robert Walser

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ST.GALLEN RETOUR

Eine Stadt  darf kein  Museum sein

Die Herausforderer der lebendigen Stadt sind mächtig: steuergünstige Residenzdörfer, Standortmarketing und ein vereinnahmender Tourismus.

Myriam Baumeler, Sam Pirelli und Peter Röllin im Gespräch mit Jonas Wydler und Johannes Stieger

Redaktion: Herzlich willkommen im Voralpen- Express. Peter Röllin, Sie kennen Luzern und auch St.Gallen sehr gut. Was sind die offensicht- lichsten Parallelen?

Peter Röllin: Die Grösse und auch die Distanzen zu den grossen Metropolitanräu- men wie Zürich. Wobei Luzern stärker an Zürich angebunden ist als St.Gallen. Und natürlich die einzigartige Direktverbindung St.Gallen–Luzern. Beide Städte sind kultu- rell und touristisch interessant, es sind zwei gesetzte Städte mit einer grossen Geschichte.

Und natürlich haben beide Städte mit ähnli- chen Problemen und Konkurrenten zu kämpfen. Wir werden demnächst durch das steuergünstige Meggen fahren und werden uns der Probleme des Standortwettbewerbs bewusst.

Wir fahren Richtung St.Gallen – was wissen die Luzerner von St.Gallen?

Sam Pirelli: Naja, ich habe keinen grossen Draht zu St.Gallen. Ou, werft schnell einen Blick auf den See … Wie auch immer, ich habe mit St.Gallen wenig zu tun, wir orien- tieren uns tatsächlich Richtung Zürich.

Myriam Baumeler: Für mich ist das Klos- ter ein prägendes Element des Stadtbildes.

Und natürlich St.Gallen als Textilstadt:

Meine Grossmutter wuchs in Gossau auf und arbeitete in der Textilindustrie. St.Gal- len ist für mich zudem ein Tor zum Boden- see, zu Deutschland und zu Österreich.

Hat St.Gallen gar einen schlechten Ruf?

Myriam Baumeler: Ich empfinde Sympa- thien, es sind in vielerlei Hinsicht ähnliche Städte.

Peter Röllin: St.Gallen wurde ja nicht wie Luzern gegründet, sondern entstand quasi aus der Einsamkeit jenes Ortes heraus, wo der Mönch der Gallus …

Sam Pirelli: … der auch der Ortsheilige von Kriens ist, das sich nicht eingemeinden lassen will!

Peter Röllin: Heilige multiplizieren sich!

Dieser christliche Mönch Gallus lebte in der früheren Wildnis von St.Gallen, nur ein Jahrhundert später wurde das bedeutende Kloster gegründet. Durch das Kloster und seine Wirtschaftlichkeit entstand ein Markt- flecken, später die Stadt. Und das

völlig abseits wichtiger Verkehrslinien.

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Was sind für Sie ganz generell die Ansprüche an einen funktionieren Stadtraum?

Peter Röllin: Es ist wichtig, dass eine ge- sellschaftliche Konstante besteht. – Die durch den Zuzug von auswärtigen Leuten jedoch stark bereichert wird. Diese Kons- tanz existiert in den beispielhaften Steuer- paradiesen links und rechts unserer Strecke, hier im Kanton Schwyz, nicht mehr. Viele Familien, Vereinswesen und angestammtes Gewerbe haben einen schweren Stand in Residenzdörfern wie Feusisberg oder Wol- lerau.

Myriam Baumeler: Städte sind multifunk- tionale Gebilde und müssen auf engem Raum viele Nutzungen ermöglichen. Die Austauschbeziehungen zwischen Nutzun- gen und Nutzern sind wichtig und erzeugen eine Ortsbindung.

Sam Pirelli: Die Anforderungen sind mitt- lerweile so hoch, dass eine Stadt nur noch mit einem Wust von Verordnungen zu funktionieren scheint. Die Bewegungsfrei- heit ist eingeschränkt. Stichwort Wegwei- sungsartikel.

Ist die Toleranz der Leute gesunken oder sind die Ansprüche höher?

Sam Pirelli: Ich denke, eines der grössten Probleme liegt in der Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes. Der Luzerner Mühlenplatz beispielsweise ist nun autofrei.

Die Beizen stellen jetzt ihre Tische raus. Vor- her konnten sich dort Jugendliche aufhal- ten, nun wollen die Leute ihre Ruhe beim Kaffeetrinken.

Peter Röllin: Gerade Tourismusorte wie Luzern laufen Gefahr, dass die Topplätze in der Innenstadt vom raschen und oberfläch- lichen Tourismus eingenommen werden und dass eine Monopolwirtschaft die Stadt bestimmt.

Sam Pirelli: Ja, denn seit bei uns Kurt H.

Illi den Eintagestourismus forciert hat, wer- den die Leute vermehrt mit Cars in die Stadt chauffiert und in zwei Stunden durch die Stadt getrieben. In der Innenstadt gibt es keine einzige Metzgerei mehr, und sogar die Warenhäuser schliessen ihre Lebensmittel- abteilungen.

Myriam Baumeler: Beim Tourismusauf- kommen muss man sich fragen, wo die Grenze liegt. In Spitzenzeiten fühle ich mich

von den Massen an Touristen als Stadtbe- wohnerin etwas verdrängt.

Diese Probleme hat St.Gallen weniger … Peter Röllin: Ja, denn St.Gallen wird ge- zielter von Kulturinteressierten besucht. Der Tourismus in St.Gallen ist regional auch ins Appenzellerland eingebunden und umge- kehrt. Es ist ein anderer Tourismus als in Luzern.

Was kann die Städteplanung unternehmen, um die angesprochenen Probleme in Angriff zu neh- men?

Peter Röllin: Eine Massnahme wäre, Plätze von Parkplätzen zu befreien. Das ist aber nur sinnvoll, wenn in den Nahbereichen Leute und Familien wohnen, die das Quartierle- ben ausmachen und diese Plätze einneh- men.

Myriam Baumeler: Sonst werden Städte zu Museen.

Sam Pirelli: Durch diese Verschönerungen steigen aber die Mietpreise. Ich bin deswe- gen mittlerweile eher gegen verkehrsberuhi- gende Massnahmen: Wenn zum Beispiel in Luzern die Bernstrasse beruhigt wird, kann ich mir meine dortige Wohnung bald nicht mehr leisten.

Peter Röllin: Es gibt Bevölkerungsteile, die sich nur an solch unwirtlichen Orten entfal-

ten können. Da bekommt man schnell ein schlechtes Gewissen: Ist es überhaupt zuläs- sig, dass in derart engen Durchgangsstrassen Leute wohnen? Oder sagt man, sie fühlen sich dort wohl und man achtet darauf, dass das Preisniveau gehalten wird.

Sam Pirelli: Jetzt machen Sie ein Wir und ein Sie, das so nicht mehr existiert: Die Zei- ten sind vorbei, als an Durchgangsstrassen siebzig Prozent Ausländer wohnten. Da der Raum immer teurer wird, ziehen die Kreati- ven dorthin. Leute wie ich, die Teilzeit ar- beiten, damit sie ihren kulturellen Aktivitä- ten nachgehen können. Eine marktübliche Wohnung kann ich mir schlicht nicht leis- ten. Wir verdrängen damit – was Sie vorher nicht sagen wollten – die Ausländer. An der Baselstrasse erkennt man die ersten Schritte der Gentrifizierung, etwa an den Clubs und Bars, die neu eröffnen.

Diese Probleme sind doch bekannt und das Stand- ortmarketing kennt den Nutzen der Kultur, war- um wird politisch nichts unternommen?

Myriam Baumeler: Ich denke, solange es Ausgleichsräume und Nischen gibt, ist der Leidensdruck zu wenig hoch. Dann wech- seln sich Pioniere und Gentrifizierer weiter- hin ab, eine Stadt ist von Erneuerungs- und Abwertungsprozessen geprägt.

Sam Pirelli: In Luzern haben wir keine in- dustrielle Vergangenheit und somit auch keine Nischen. Oder sie sind mit Schwerme- tall verseucht wie das Von-Moos-Gelände.

Was müsste passieren?

Sam Pirelli: Es würde besser, wenn man endlich den Steuerwettbewerb abschaffte.

Dieses Land ist extrem kleinräumig und ein- gebettet in die Megastruktur EU. Dennoch hat man das Gefühl, dass Regiönli für Regi- önli funktionieren müsse.

Peter Röllin: Der Steuerwettbewerb ist tat- sächlich absurd. Städte müssen sich ernst- haft damit beschäftigen, wo das mittel- und langfristig hinführen wird. Ich war 2007 in die Revision der Bau- und Zonenordnung (BZO) eingebunden, die Gedanken über die künftige Stadt Luzern entwickelte, und wir stellten uns der Frage, ob sie sich eher in ei- ne Gross-, Tourismus- oder Wohnstadt ent- wickeln soll. Sie ist jetzt von allem etwas und es ist wirklich entscheidend, wo die

«Eine gesellschaftli- che Konstanz existiert in den Steuerparadie-

sen links und rechts unserer Strecke nicht

mehr. Vereinswesen und Gewerbe haben hier einen schweren

Stand.»

ST.GALLEN RETOUR

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ST.GALLEN RETOUR

Reise hinführen soll. Die Frage nach den Ni- schen muss eine starke Position haben, aber es existieren eben auch übergeordnete Fak- ten im harten Standortwettbewerb.

Myriam Baumeler: In diesem Kontext sind Städte immer mehr zu unternehmeri- schem Denken gezwungen. Es ist verständ- lich, dass eine Stadt Interesse hat, an zentra- len Lagen Arbeitsplätze zu schaffen. Ein ge- sunder Finanzhaushalt wirkt sich positiv auf öffentliche Leistungen aus …

Sam Pirelli: … genau, die Steuern werden gesenkt.

Myriam Baumeler: Ja, aber es ist doch verständlich, dass die Stadt hochwertige Arbeitsplätze an guten Lagen fördert.

Was sind denn aber die Visionen der Subkultur?

Sam Pirelli: Innerhalb der Szene herrscht Ohnmacht. Mit Besetzungen erhält man schnell Aufmerksamkeit, aber richtig vor- wärts geht es nicht. Die Szene ist heterogen, es gibt keine Hierarchie und man zieht ge- genüber einer straff organisierten Stadt im- mer den Kürzeren.

Myriam Baumeler: Aber es ist für die Stadt auch schwierig, auf die diversen, teils divergierenden Ansprüche einzugehen.

Sam Pirelli: Die Stadt zeigt schon sehr we- nig Interesse. Es heisst, das Gespräch würde verweigert werden. Hallo? Das sind gute junge politisch engagierte Leute, denen man keine Chance gibt … So kommt es zum Exo- dus einer ganzen Kulturgeneration.

Luzern erarbeitet eine neue Bau- und Zonenord- nung, die den Städtebau langfristig plant. Es zeigt sich, dass Visionen sehr schwierig sind und auf grossen Widerstand stossen.

Peter Röllin: Handelt es sich um Visionen oder einseitiges Stadtmarketing?

Sam Pirelli: Alles, was die Lebensqualität ausmacht, wird unter dem Begriff Standort- marketing angeschaut. Nur schon die Ver- wendung dieses Managerdeutsch verändert die Diskussion – auch inhaltlich, nicht nur im Stil.

Über Verdichtung im städtischen Raum ist man sich aber einig.

Myriam Baumeler: Sie muss jedoch in ers- ter Linie an städtebaulichen und funktional geeigneten Orten passieren, mit Rücksicht

auf die bestehenden Strukturen. Qualitäts- volle Verdichtung ist eine Chance zur Schaf- fung von Freiräumen.

Peter Röllin: Verdichtung ist ein richtiger Ansatz, der aber auch viele gewachsene Räume zerstören kann. Man muss also sehr differenziert vorgehen. Luzern hat sehr gute Beispiele für Verdichtung. Oberhalb des Ver- kehrshauses im Bellerive-Quartier hat es qualitativ gute, bestimmt auch teure Terras- senbauten in Zonen, wo früher Einfamilien- häuser standen. Das wäre eine Vision: Ge- wisse Siedlungstypen wie Einfamilienhäu- ser sind kein Zukunftsmodell mehr.

Das Gegenteil von Verdichtung sieht man hier draussen, in Wollerau.

Peter Röllin: Wollerau ist ein extremes, schweizweit negativ belegtes Beispiel!

Sam Pirelli: Sieht man von hier aus den Federer oder den Ospel?

Sind kleinere Städte noch nicht so weit wie etwa Zürich, was die Eingemeindung von Vororten an- belangt?

Sam Pirelli: In Zürich ist das etwa hundert Jahre her, in Luzern sind Fusionen wieder aktuell und sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Man muss die kommunale Klein-

räumigkeit endlich überwinden. Das Kon- kurrenzverhalten hinter sich lassen und grossräumiger denken.

Myriam Baumeler: Zahlreiche Herausfor- derungen sind nur noch mit verstärkter Ko- operation und Arbeitsteilung unter Regio- nen, Städten und Gemeinden zu meistern.

Voraussetzung dazu ist jedoch ein Bewusst- sein für die spezifischen Rollen innerhalb eines Raumes.

Peter Röllin: Jetzt kommen wir über den Seedamm nach Rapperswil, wo die Tren- nung der Kantone Schwyz und St.Gallen ei- ne regionale Verkehrsplanung erschwert.

Die föderalistischen Strukturen, der durch- schlagende Standort- und Steuerwettbewerb verunmöglichen die dringend nötige gross- räumige Planung.

Szenenwechsel in Rapperswil: Die Rei- segruppe  hat  beschlossen,  einen  Stopp  einzulegen. Sie macht sich auf den Weg,  um  in  Peter  Röllins  Wohnzimmer  bei  Kaffee  und  Kuchen  das  Gespräch  wei- terzuführen.

Peter Röllin: Das spricht für die Mitte:

St.Gallen ist nicht erreicht. Aber das sollten wir nachholen. Ich habe schon Hunderte von Studenten durch St.Gallen geführt. Eine ideale Stadt für Führungen und Analysen, weil sie schmal ist und die Gegensätze zwi- schen Sonnen- und Nordhang augenschein- lich sind. Zudem die Altstadt, die die Talbreite ausfüllt und die Entwicklung West/Ost – und natürlich die Mülenen- schlucht, die archaisch und einmalig mitten in der Stadt Millionen Jahre Erdgeschichte eröffnet.

Myriam Baumeler: Die Drei Weieren sind auch sehr schön, idyllisch wie ein Park.

Peter Röllin: Ich bin relativ früh von St.

Gallen weggezogen und möchte nicht zurück. Ich habe historische und aktuelle Arbeiten über die Stadt geschrieben, so auch über aktuelle Veränderungserfahrungen der Einwohner zwischen City und Agglomerati- on. Sich Wohlfühlen im «grünen Ring» und die Seiten der Mobilität halten sich die Waa- ge. Aber ich habe das Gefühl, Rapperswil sei offener – Zürich ist nahe und mit der Bahn bist du schnell in Italien. Es hat einfach mehr Durchzug hier.

«Alles, was Lebens- qualität ausmacht in der Stadt, wird unter dem Begriff Standort- marketing angeschaut.

Nur schon die Verwen- dung dieses Manager-

deutsch verändert die

Diskussion.»

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ST.GALLEN RETOUR

Myriam Baumeler: Das schätze ich auch an Luzern, es ist ein Dreh- und Angelpunkt.

Winterthur und St.Gallen sind auch wun- derschöne Städte, aber nicht so zentral und ohne See …

Dort hat es dafür einen richtig grossen See, der Bodensee ist nahe. Wenn du willst, hast du den Durchzug, du kannst nach München, Wien … Nun, wir haben im Zug ja alle etwas lamentiert.

Was können wir tun?

Sam Pirelli: Das Problem ist, dass man die Notwendigkeit von Vielfalt in einer Stadt nicht fassbar vermitteln kann. Ich las kürz- lich in der Zeitung, dass die gesamte Krea- tivwirtschaft mehr zum Bruttoinlandpro- dukt beiträgt als die Landwirtschaft. Jeder Rappen Subvention kommt also mehrfach zurück. Gerade jetzt, wo die Budgets be- schnitten werden, muss man sich das vor Augen führen.

Es wird schon investiert, Luzern baute eine neue Uni, in Zukunft eine neue Musikhochschule … Sam Pirelli: Klar, aber es gibt in Luzern kaum günstige Unterkünfte, wo das Unile- ben stattfinden kann. Die Altstadt ist abge- sehen von zwei, drei Beizen nach Laden- schluss tot.

Sie jammern auf recht hohem Niveau. Die St.Gal- ler haben die HSG, die zum städtischen Leben sehr wenig beiträgt.

Sam Pirelli: Ausser zum schlechten Ruf der Stadt …

Ist Luzern eine offene Stadt? Viele, die nach St.

Gallen kommen, klagen, es sei schwierig, An- schluss zu finden.

Peter Röllin: Luzern ist viel offener.

Myriam Baumeler: Bestimmt auch durch den Tourismus.

Peter Röllin: St.Gallen ist schon historisch als merkantil ausgerichtet beschrieben.

Aber nochmals, wo sind die Visionen?

Peter Röllin: Der Architekt Matthias Wehrlin hatte mal eine gute Hochhausstu- die für Zug und Baar erarbeitet mit Schwer- punkten an den Stadtbahn-Stationen. Ge- nau das, was St.Gallen immer verpasst hat.

Dabei wäre sie als Schlauchstadt prädesti- niert für eine Schnell- oder Hochbahn mit

den bestehenden Bahnhöfen St.Fiden, Hag- gen und Bruggen als neue Stadtzentren.

Myriam Baumeler: Das Projekt Südbahn- hof in Horw geht in diese Richtung. Um die S-Bahn-Station herum soll in den nächsten Jahren eine urbane Entwicklung stattfin- den. Solche Knoten sollen vermehrt ver- dichtet werden.

Peter Röllin: Die müssen aber so attraktiv werden, dass man kein Auto mehr braucht.

Myriam Baumeler: Wie sind zunehmend eine Pendlergesellschaft. Doch Pendeln macht viele krank. Zu Fuss zur Arbeit zu ge- hen, hat heute einen unschätzbaren Wert.

Peter Röllin: Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs hat – grossräumig gesehen – dazu geführt hat, dass du in Zürich wohnen und in Bern arbeiten kannst. Das ist ein Riesen- problem.

Myriam Baumeler: Peter Röllin, arbeiten Sie eigentlich viel für die Stadt Rapperswil- Jona?

Peter Röllin: Ja, ich bin Dozent an der Fachhochschule Rapperswil, bin engagiert in der Kultur und entsprechenden Planun- gen und einfach als Bürger. Ich bin aber viel auswärtig tätig in Schweizer Städten, für die Expo.02 in Neuenburg durfte ich am Was- ser-Pavillon der Ostschweizer Kantone mit- wirken.

Sam Pirelli: Das war eine feine Arteplage!

Sowieso, diese Expo! Die unglaubliche Grosszügigkeit, mit der angerichtet wurde!

Obwohl man eine Stunde anstehen musste, liessen sich die Leute den Vortritt, das war wie früher. Abgesehen davon kenne ich so viele Künstler, die konkret davon profitiert haben. Alle haben für einmal direkt Geld erhalten und wurden von Hunderttausen- den gesehen. Das war eine Möglichkeit, wie man auch im etablierten Rahmen Kultur- förderung machen kann.

Myriam Baumeler: Uns Schweizern fehlt sonst der Mut für Grosses, wir sind immer etwas verhalten. Aber da war es anders.

Peter Röllin: Ja, etwa der Kubus von Jean Nouvel im Murtensee, Martin Heller hatte wirklich freie Hand und hat es durchgeboxt.

Sam Pirelli: Und kaum war die Expo fertig, wurde jede Arteplage gesprengt. Die Bürger- lichen konnten es nicht verputzen, dass das Grosszügigkeit und Erfolg ausstrahlte.

Peter Röllin: Es gab Tendenzen, die Arte-

plages zu behalten, aber das wäre falsch ge- wesen. Das Vergangene bleibt schön in den Köpfen derer, die es gesehen haben.

Myriam Baumeler: Ich war aus Zeitgrün- den leider nicht an der Expo.

Sam Pirelli: Uh, da hast du ganz viel ver- passt!

Peter Röllin: Es gibt ja wieder eine, viel- leicht sogar in der Bodenseeregion.

Sam Pirelli: Die Expo hatte sich für alle ge- rechnet, obwohl man lange versuchte, sie schlechtzureden. Wir können uns doch alle fünfzehn Jahre eine Milliarde für eine Lan- desausstellung leisten!

Peter Röllin: Es gab ja unglaublich viel Op- position der rechtsbürgerlichen Seite, was der Nutzen der Expo sei.

Sam Pirelli: Das ist ein grundsätzliche Pro- blem. Wie willst du die Wichtigkeit einer vielfältigen Kultur vermitteln, ohne an den Profit zu denken? Theater beispielsweise kann so viel schneller auf Strömungen der Zeit reagieren als etwa der Film, trotzdem teilen sich in Luzern die Freie Szene und das Laientheater eine halbe Million im Jahr – für den ganzen Kanton. Die Expo war ein Paradebeispiel, wie es laufen müsste.

Sie mögen doch einfach Sachen auf dem See, oder?

Peter Röllin: Ein gutes Stichwort. Jetzt könnten wir auf dem Holzsteg nach Hurden, Schwyz, ein paar Schritte laufen.

Sam Pirelli, 1968, ist freischaffender Kor- rektor und Kulturtäter. Seit 25 Jahren macht er Kultur: organisiert Anlässe, ist DJ, Musiker, Gelegenheitsschauspieler, moderiert Veran- staltungen und setzt sich in verschiedenen Belangen für Kultur ein, insbesondere die nicht etablierte.

Myriam Baumeler, 1978, ist Dozentin und Projektleiterin an der Hochschule Luzern, Ab- teilung Wirtschaft im Bereich Regionalökono- mie, im Speziellen zur Stadt-, Gemeinde- und Regionalentwicklung. Von Haus aus ist sie Um- weltwissenschaftlerin.

Peter Röllin, 1946, in St.Gallen geboren, seit vierzig Jahren in Rapperswil, ist Kultur- und Kunstwissenschaftler. Er doziert an der Fach- hochschule, ist Forscher, Publizist, Ausstel- lungsmacher und Experte in städtebaulichen Fragen.

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ST.GALLEN RETOUR

Von aussen sieht das Bahnhofbuffet in Arth-Goldau schrecklich unsympathisch aus. An den Glasfronten des eigentlich charman- ten Gebäudes kleben Folien, auf denen sich riesige Kaffeetassen, Sandwichs oder Brote aufeinandertürmen. Unzählige Werbeta- feln fordern zum cleveren Kaufen auf, zum Probieren der besten Muffins oder preisen «Hot snacks to go!» an. An jeder Tür erfährt man, dass hier täglich während sechzehn Stunden gemampft werden kann (am Sonntag eine Stunde weniger) und dass Hunde und Zigaretten nicht erwünscht seien, wohl aber Kreditkarten.

Drinnen hole ich mir erst mal einen Kaffee, der ziemlich günstig und ganz ordentlich ist. An der Kasse werde ich freund- lich angelächelt. Die Atmosphäre ist um ein Vielfaches herzlicher, als man es erwarten dürfte. Hie und da kommt eine Familie her- ein, um sich vor dem Tierparkbesuch zu stärken, und an einem Tisch müht sich ein bärtiges Mannli, vor der Brust ein Herrgöttli (es ist 10.15 Uhr), mit der kleinen Schrift im Sportteil des «20 Minuten» ab. Das Mannli hat bald ausgetrunken und ein anderer Biertrinker nimmt seinen Platz ein. Vielleicht ist der reserviert für diese Art von Kundschaft? Ich traue mich nicht zu fragen. Eine der Bedienungen nimmt sich Zeit, mit einem zwischen den Ti- schen herumrasenden Mädchen, das anscheinend Martina heisst, zu plaudern oder ein bisschen herumzublödeln, und ich beginne mich ziemlich wohlzufühlen an meinem gusseisernen Tisch- chen, auf dem langbeinigen Stuhl, der an einen aufgeschreckten halben Zimmermann erinnert. Es dauert nicht mehr lange, bis auch ich mich für den reservierten Platz qualifiziert habe.

Um die Mittagszeit kommt Bewegung in den Laden. Es gibt einen regelrechten Run auf die Hot Dogs («Hot snacks to go! Hot Dog 3.50»), dem ich mich anschliesse: zwei Wienerli in einem halben Baguette. Während draussen lustige Kiffer mit Rastas vor- beigehen und ein ruhiges Plätzchen suchen, sind im Inneren die drei grundsätzlichen Besuchertypen schnell ausgemacht: Es gibt die herumhockenden Biertrinker, die auf nichts warten (ich kann das beurteilen, ich gehöre dazu), die herumhockenden Kaffee- trinker, die auf ihren Zug warten, und diejenigen, die nur auf ei- nen schnellen Happen vorbeigekommen sind. Letztere sind übri- gens auch die einzigen, die Konversation machen.

Entgegen aller Äusserlichkeiten, trotz Werbebombardement und nervigem Gedudel aus dem Radio: das Bahnhofsbistro Arth- Goldau ist ein guter Platz um nachzudenken. Als dann aber nach ein paar weiteren Bieren plötzlich einer auf meinem Platz sitzt und: «Tierpark, Tiiierpark, spieled Tiiierpark!» ruft, beschliesse ich zu gehen. Auf dem Weg in die Dorfbeiz, die verwirrenderwei- se auch noch ein Pub und ein Ristorante zu sein scheint, kommen mir die Klischeekiffer entgegen, um sich im Bistro mit Süsswaren einzudecken. In der Dorfbeiz werde ich wiederum derart unan- ständig freundlich aufgenommen, dass es mir langsam unheim- lich wird, und ich denke: Momoll, dieses Arth-Goldau ist ein nettes Plätzchen. Vielleicht sollte ich mal wieder in den Tierpark gehen.

Patrick Hegglin

Ein unanständig freundliches Plätzchen

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ST.GALLEN RETOUR

Bild Daniel Ammann

Sexy Priester und gesperrte  Strassen – von Fakten und 

Vorurteilen

Ein Luzerner Schriftsteller und Katholik trifft auf einen Zürcher Juden, der die Israelitische Kultusgemeinde St.Gallen

betreut. Sie diskutieren auf der Strecke St.Gallen–Rapperswil Heiliges und Politisches.

Beat Portmann und Noam Hertig im Gespräch mit Ivan Schnyder und Andrea Kessler

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ST.GALLEN RETOUR

Beat Portmann steht in Luzern am Bahnhof und zündet sich vor der Abreise nach St.

Gallen noch eine Drina-Zigarette an. Vor drei Monaten reiste er durch Bosnien und deckte sich mit einem Vorrat ein. Auch in diesem Land könne man beobachten, wie die muslimischen Fundamentalisten an Bo- den gewinnen. Immer noch eine kleine Minderheit, doch mit zunehmendem Ein- fluss. In Sarajevo verwehrte man ihm als Katholik den Zugang zur Begova-Moschee.

Enttäuscht stand er den Rest des Nachmit- tags vor den Toren. Mit Ivo Andri ´cs «Travni- ker Chronik» unter dem Arm. Sozusagen als Mahnmal der Toleranz.

Es ist der 8. Dezember, Mariä Empfängnis, und am Bahnhof merkt man nichts davon.

Das Volk braucht nicht mehr ins zwingliani- sche Zürich zu pilgern, um dem vorweih- nächtlichen Shopping zu huldigen, sondern kann seine Einkäufe nun auch im katholi- schen Luzern verrichten. Was noch vor we- nigen Jahren undenkbar gewesen wäre.

Der Voralpen-Express rollt an. Rattert aus dem Bahnhof, über die Brücke über die Reuss, unter der altehrwürdigen Hofkirche durch, dem Vierwaldstättersee entlang, ost- wärts. Portmann hat sich für seinen neusten Roman «Alles still» intensiv mit der Ge- schichte der Stadt Luzern beschäftigt, ihrer katholischen Seele, dem Trauma dieser Stadt, weil sie nach dem verlorenen Sonder- bundskrieg endgültig der Bedeutungslosig- keit anheimfiel. Etwas Priesterhaftes hat er an sich, Portmann, der Sakristanensohn. In der Bedacht seiner Wortwahl, dem Tonfall seiner Stimme liegt etwas Verkündendes, etwas Mysterienhaftes auch, wie bei dem von ihm hochgeschätzten Bob Dylan.

Im reformierten St.Gallen ist Mariä Emp- fängnis erst recht kein Feiertag. Selbst Ka- tholiken wundern sich, dass Maria erst jetzt schwanger geworden sei, es ist ja gar nicht mehr lange hin bis Weihnachten. – Dass es Maria selber ist, die heute von ihrer Mutter Anna empfangen wurde, wissen wenige.

Warum sollte man auch? Es ist unwichtig geworden.

Noam Hertig quert gemütlich das Gewühl von Bussen und Menschen vor dem Bahn- hof. Er trägt Brille und einen Wochenbart, einen knielangen, braunen Wollmantel und einen farblich passenden Hut. Den lässt er auf, als er dem Drina-rauchenden Beat Port- mann beim Meetingpoint die Hand schüt- telt. Die Kippah liegt in seiner Manteltasche verborgen. Am Bahnhof in St.Gallen trägt er das kleine rundgehäkelte Käppchen nicht mehr gerne. «Mir hat ein Jugendlicher hier schon mal den Hitlergruss gemacht deswe- gen.» Er sagt es ohne Empörung. Ein dum- mer Junge, der angeben wollte vor seinen Freunden. Trotzdem ist es befremdlich.

Der Luzerner Beat Portmann und der Zür- cher Noam Hertig sehen sich das erste Mal, aber finden den Faden zueinander augen- blicklich. Durch die regennassen Dezember- strassen gehen sie hinauf zum pipilottiroten Platz, zu den Raiffeisenbank-Komplexen.

Auf der Rückseite der Vadianstrasse sperrt Noam Hertig eine hölzerne Tür auf und ein Schmuckkästchen öffnet sich. Die Synagoge ist mit einem tiefblauen Teppich ausgelegt und zarter Ornamentik bemalt. «Der Bau ist den christlichen Kirchen angelehnt. Ende des 19. Jahrhunderts hat die jüdische Ge- meinschaft endlich die Anerkennung erhal- ten, für die sie so lange gekämpft hat. Das drückt sich auch in der Architektur aus.

Aber abgesehen davon – ich finde neben Basel ist das die schönste Synagoge der Schweiz», erklärt Noam Hertig, der seit März mit Rabbiner Schmelzer zusammen die jüdi- sche Gemeinde in St.Gallen leitet. Er selber ist kein Rabbiner. Er hat Psychologie und Religionswissenschaften studiert, gibt den Kindern Religionsunterricht, macht für das Schweizer Fernsehen Sendungen zu religiö- sen Festen und zeigt ab und an Interessierten die Synagoge. «Die alten Frauen sitzen im- mer noch gerne wie früher oben in der Syn- agoge anstatt unten bei den Männern, wie es heute erlaubt wäre. ‹Da oben bin ich näher bei Gott›, hat mir mal eine erklärt.» Beat Portmann und Noam Hertig lachen laut. Das darf man in der Synagoge. Auf der Heimreise im Zug nach Rapperswil reden sie darüber, warum man das darf.

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ST.GALLEN RETOUR

Beat Portmann: Jeder darf sich in eine Kirche setzen und die Ruhe geniessen. Sie ist ein öffentlicher Raum.

Noam Hertig: In der Synagoge ist es nie ruhig. Das ist hier ein bisschen anders. Ne- ben Gebeten und Lernen wird darin auch gegessen und diskutiert. Kürzlich war ich für eine Sendung bei thailändischen Bud- dhisten. Erst haben sie Mantras gelesen und dann gab es einen Schönheitswettbewerb mit leicht bekleideten Frauen.

Beat Portmann: Da hätte ich schon etwas Mühe, wenn sie das bei uns machen wür- den.

Naom Hertig: Es gab aber auch schon Ka- lender mit sexy Priestern. Ich glaube in Itali- en.

Beat Portmann: Der gekreuzigte Jesus wird ja auch oft sehr erotisch dargestellt. Ein Vorteil des Katholizismus ist sicher seine Sinnlichkeit, das Wissen, wie man etwas in Szene setzt. Denken wir an die Papstwahlen in Rom. Journalisten aus der ganzen Welt warten tagelang und starren gebannt auf diesen Kamin, bis endlich ein Räuchlein aufsteigt. Dieses sinnliche Element könnte die katholische Kirche noch einmal in ein nächstes Jahrhundert hinüberretten.

Noam Hertig: Es ist wichtig, das Profane ins Heilige zu integrieren und den Leuten ein emotionales Erlebnis zu bieten. Die Leu- te haben Freude, wenn sie gutes Essen be- kommen und wissen, dass man auch in der Synagoge lachen, tanzen und singen kann.

Beat Portmann: Mit einem Apéro alleine bringst du bei uns die Leute nicht in die Kir- che.

Noam Hertig: Heute sollte die Religion mehr auf den Individualismus zugeschnit- ten werden. Nicht, dass die Leute das Gefühl haben: Ich muss jetzt zahlen, ich muss jetzt etwas machen. Sondern, dass die Leute das Gefühl haben, ich bekomme etwas, ich pro- fitiere etwas. Trotzdem wird Religion nicht sterben – da ist das 20. Jahrhundert das bes- te Beispiel dafür, mit dem Kommunismus und dem Faschismus. Gut, es waren an sich keine religiösen, sondern säkulare Bewe- gungen, aber sie haben die gleiche Funktion erfüllt.

Redaktion: Sie sagen, Religion wird nicht ster- ben, und trotzdem nimmt die jüdische Gemein-

Heute versucht man bestimmt weniger mittels ar- chitektonischer Angleichungen als religiöse Ge- meinschaft anerkannt zu werden, sondern mehr über das Gespräch. Wie steht es mit dem interreli- giösen Dialog in St.Gallen?

Noam Hertig: Es gibt einen christlich-jüdi- schen Arbeitskreis, es gibt die IDA, die In- terreligiöse Dialog- und Aktionswoche, und am 1. August feierten alle öffentlich-recht- lich anerkannten Religionsgruppen einen gemeinsamen Gottesdienst. Nur sind die Muslime hier beispielsweise gar nicht öf- fentlich-rechtlich anerkannt.

Beat Portmann: Ihr seid es auch nicht in jedem Kanton. Bei uns in Luzern ist die jü- dische Gemeinde auch nicht rechtlich aner- kannt.

Warum nicht?

Noam Hertig: Ich glaube, es ist mehr eine formale Angelegenheit. Die Gemeinde muss gewisse formale Dinge erfüllen: Gemeinde- steuer und Vorstand und so weiter. Die Mus- lime sind anders organisiert.

Beat Portmann: Ich kann mir vorstellen, dass der Aufwand für kleine Gemeinschaf- ten einfach zu gross ist. In einem anderen Land würde das national geregelt, bei uns muss das in jedem Kanton separat erfolgen.

Von den Muslimen weiss ich, dass sie die Gleichstellung mit den Landeskirchen an- streben. Dass der Staat für sie auch Kirchen- steuer einzieht. Das wird natürlich auf hefti- gen Widerstand stossen.

In der katholischen Kirche werden Austritte übrigens oft so argumentiert: Ich will doch den Vatikan nicht unterstützen. Nur geht von der Kirchensteuer kein Rappen nach Rom, sondern es bleibt alles da. Eigentlich wird so den progressiven Kräften die Unter- stützung entzogen. Wer wirklich den Vati- kan und die konservativen Kräfte schwä- chen möchte, der sollte weiter die Kirchen- steuern zahlen und an der Basis Einfluss nehmen.

Noam Hertig: Mit den Steuern ist das bei uns kein Problem. Das kann die Gemeinde selber einziehen. Für uns ist es schön, dass wir durch die öffentlich-rechtliche Aner- kennung auch an Anlässe eingeladen wer- den wie beispielsweise zum Olma-Umzug.

Oder eben an diese 1.-August-Feier. So gese- hen läuft die Zusammenarbeit gut.

schaft in St.Gallen zahlenmässig stetig ab.

Warum?

Noam Hertig: Viele Orthodoxe sind nach Zürich abgewandert, da St.Gallen von An- fang an eine liberale Gemeinde war. In Zü- rich gibt es ein vielfältigeres jüdisches Le- ben. Es gibt koscheres Fleisch, eine grössere Gemeinschaft, jüdische Schulen, ein Ritual- bad. Ausserdem gingen viele aus wirtschaft- lichen Gründen. Zürich ist attraktiver. Auch für mich kommt es nicht infrage, nach St.

Gallen zu ziehen, es gibt nur wenig junge Leute und ich bin nicht sicher, ob es in zehn bis zwanzig Jahren die Gemeinde noch ge- ben wird.

Beat Portmann: Du bist also sozusagen der Totengräber!

Noam Hertig: Ja, das könnte sein. Ich wer- de aber mein Bestes versuchen, dass die Ge- meinde fortbestehen kann.

«Mit einem Apéro alleine bringst du bei

uns die Leute nicht

in die Kirche.»

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ST.GALLEN RETOUR

Wie sieht der interreligiöse Dialog denn in Luzern aus?

Beat Portmann: Ich bin in einer weltoffe- nen Kirche aufgewachsen, in der wir öku- menische Gottesdienste selbstverständlich mit Kommunionsausteilung feierten, was eigentlich verboten wäre. Luzerns Theologi- sche Fakultät gilt als eine der aufgeschlos- sensten in ganz Europa. Sie schlägt nun so- gar ein Institut vor, in dem Imame ausgebil- det werden können. Der interreligiöse Dialog ist sehr lebendig und offen, aber das wird viel zu wenig wahrgenommen.

Noam Hertig: Wie überall. Das Problem mit dem interreligiösen Dialog gibt es nicht nur in Luzern, sondern es ist auf der ganzen Welt das gleiche. Es reden immer die mitein- ander, die sowieso daran interessiert sind. Es ist immer ein kleiner, intellektueller Kreis, und oft ist es ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber ich finde es trotzdem gut. Man müsste versuchen, den Dialog breiter zu ma- chen.

Könnte man sagen, dass katholische Gebiete grundsätzlich offener auf andere religiöse Ge- meinschaften reagieren?

Beat Portmann: Die Erfahrung der eige- nen Marginalisierung sollte die Schweizer Katholiken zumindest dazu prädestinieren.

Man hätte eigentlich erwarten können, dass sie der Minarettinitiative nicht zustimmen, so wie das die Bischofskonferenz empfohlen hat. Aber das Volk stimmte letztlich gleich, egal ob Protestanten oder Katholiken. Wenn man die erste Volksinitiative über das Schächtverbot von 1893 anschaut, dann kann man da zum Teil konfessionelle Unter- schiede feststellen. Je nördlicher und protes- tantischer die Kantone waren, je näher also an Deutschland, desto deutlicher wurde sie angenommen. Das Wallis, das Tessin und Genf hingegen verwarfen sie wuchtig.

Noam Hertig: Interessant ist ja, dass es da- mals weniger um den Tierschutz ging als um die Angst vor Überfremdung durch die Ost- juden.

Beat Portmann: Ganz ähnlich war es ja auch mit den Diskussionen um die Aufhe- bung des Jesuitenartikels 1973. Zürich und Bern stimmten dagegen – da war immer noch das alte Misstrauen spürbar, nur dies- mal im Zeichen der Rekatholisierung, der

Überfremdung durch die Gastarbeiter aus den südlichen Ländern. Aber das hat ja letztlich nur zur Folge, dass sich eine Min- derheit abgrenzt. Ab dem Moment, wo man akzeptiert ist, hört die konfessionelle Zuge- hörigkeit auf, eine bedeutende Rolle zu spie- len. Heute beruft sich ja sogar die SVP auf Bruder Klaus, lange Zeit das Symbol des ka- tholischen Patriotismus. Wenn man wirk- lich möchte, dass sich die Muslime integrie- ren, sollte man sie also anerkennen und in den Staat einbinden.

Zürich, wo viele Muslime wohnen, lehnte die Mi- narettinitiative ab, genauso wie St.Gallen. Der Abstimmungsgraben verläuft also nicht entlang katholischer und protestantischer Einflüsse, son- dern zwischen Land und Stadt.

Noam Hertig: Das ist auch die Erfahrung, die wir Juden oft machen. An Orten, wo keine Juden mehr sind, wie heute etwa in Polen, da ist der Antisemitismus am stärks-

ten. Genau darum finde ich Begegnungen wichtig. Dass man zusammenkommt, um den Menschen dahinter zu sehen.

Vom Islam hört man momentan sehr viel, von der jüdischen Gemeinde weniger. Könnte das nicht auch ein gutes Zeichen der Etablierung sein?

Noam Hertig: Grundsätzlich ist es ein gu- tes Zeichen, wenn man nichts Negatives hört. Aber ich weiss nicht, was in den Köp- fen der Leute vorgeht. Es gibt noch immer Vorurteile, wie zurzeit eines in Zürich die Runde macht. Es heisst, die Juden hätten ei- ne Strasse sperren lassen. Dabei ist das eine Transit-Strasse, die jeden Abend wegen dem Lastwagenlärm abgesperrt wird. Dass an dieser Strasse eine ultraorthodoxe Synagoge und ein koscheres Geschäft stehen, hat ab- solut nichts damit zu tun. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin froh, wenn es einfach normal ist, dass ich jüdisch bin.

Wenn ich mit christlichen Kollegen zusam- mensitze, möchte ich nicht, dass ich ständig den Stempel auf der Stirn habe: der Jude – sondern: Noam, ein Freund von uns.

Beat Portmann: Ich verstehe das, und trotzdem muss ich nachfragen! Das Juden- tum hat diese Aura der Exklusivität, und lei- der kenne ich nicht viele Juden. Nervig wirds wohl vor allem, wenn du dauernd auf Israel angesprochen wirst?

Noam Hertig: Vor allem, wenn jeder Jude als Botschafter dieser Regierung gesehen wird. Judentum ist eine Religion, aber nicht gleich Israel. Es gibt auch Israeli, die nicht jüdisch sind. Oder bei der Siedlerproblema- tik: Einige sind tatsächlich religiös motiviert, andere aber auch eher pragmatisch. Nur weil ich Jude bin, bin ich doch nicht unkri- tisch gegenüber Israel.

Beat Portmann, 1976, wuchs in Luzern und Emmenbrücke auf. 2008 erschien sein Ro- mandebüt «Durst», das mittlerweile ins Albani- sche übersetzt wurde, 2011 der Zweitling «Al- les still». Heute lebt Portmann als freier Autor und Singer/Songwriter in Emmenbrücke.

Noam Hertig, 1984, wuchs in Zürich auf, wo er noch heute lebt. Seit März 2011 arbeitet er als Kultusbeamter und Religionslehrer in der jüdischen Gemeinde in St.Gallen und wirkt als Reporter beim Schweizer Fernsehen für die Sendung «Bilder zum Feiertag» mit.

«Es ist wichtig, das Profane ins Heilige

zu integrieren und den Leuten ein emotionales Erlebnis

zu bieten.»

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ST.GALLEN RETOUR

Der Voralpen-Express ist auch ein Pilgerzug. Abgesehen davon, dass er über weite Teile parallel zum Jakobsweg fährt, befördert er die Wallfahrenden fast auf direktem Weg in die beiden katholi- schen Nationalheiligtümer Einsiedeln und Flüeli-Ranft. Zwi- schen Bodensee, Toggenburg und Luzern stehen auch auffallend viele Klöster. So, als ob sie auf der horizontalen geografischen Li- nie zwischen Ost- und Zentralschweiz die vertikale Verbindung zwischen Erde und Himmel herstellen wollten.

Auf dieser Strecke findet man den Grossteil der Schweizer Ka- puzinerinnenklöster. Es sind Schwesterngemeinschaften, die dem Vorbild des Franz von Assisi folgen, mit klingenden Namen wie St.Scholastika in Tübach, Maria vom Guten Rat, Notkersegg in St.Gallen, St.Anna, Gerlisberg in Luzern (mit Filiale in Tansa- nia); auch Mariä Rosengarten in Wonnenstein bei Teufen, Leiden Christi in Gonten, St.Maria der Engel in Wattwil (vor Kurzem aufgelöst).

Auf halbem Weg zwischen Bodensee und Vierwaldstättersee, im Kloster Rapperswil, wagten die Kapuziner 1992 ein damals einzigartiges Projekt. Anstatt wegen Nachwuchsmangel zu schliessen, leben Ordensbrüder, Schwestern aus anderen Orden und weltliche Langzeitgäste eine offene Form der Gemeinschaft.

Dann sind da die Klöster benediktinischer Prägung: Die Zis- terzienserinnen von Magdenau, versteckt im Wald bei Degers- heim, die Prämonstratenserinnen im Kloster Berg Sion bei Gom- miswald, die wie im Adlerhorst über der Linthebene thronen, die Missionsbenediktiner in Uznach und die Zisterzienserinnen des

Klosters Wurmsbach in Rapperswil-Jona. Mit ihrer fortschrittli- chen Impulsschule sind sie der Beweis, dass eine jahrhunderteal- te, gelebte monastische Tradition nicht im Widerspruch stehen muss zu einem weltoffenen Geist.

Auf der Hochebene von Rothenthurm, in Biberbrugg, steigen die Pilgerinnen und Pilger um nach Einsiedeln, wo die Benedik- tiner seit Jahrhunderten das Heiligtum der Schwarzen Madonna hüten. Weniger bekannt am Dorfrand leben die Benediktinerin- nen vom Kloster Au.

Nähert man sich Luzern, ist vom Zug aus das Mutterhaus der Bethlehem Mission in Immensee zu sehen. Sie setzt sich mit Ba- sisprojekten für Solidarität und Gerechtigkeit in der Kirche und politischen und gesellschaftlichen Bereichen ein. Das bekanntes- te, das seit 25 Jahren bestehende Romero-Haus in Luzern, bietet dafür ein eigentliches aktivierungstherapeutisches Programm an.

Die Liste der Klöster und Gemeinschaften ist nicht abschlies- send. Und egal, was man von Religionen und Kirchen hält: Ihre Bewohner sind wie gute Geister am Wegrand. Sieht man vom Zug aus oder im Gewusel einer Stadt wie Luzern oder St.Gallen so ein Chlösterli, dringt sein Glockengeläut durch den Verkehrslärm, ist das wie ein Gruss aus einer anderen Welt. Vielleicht steht gerade eine Schwester am Fenster, wie es eine der Kapuzinerinnen auf der Notkersegg ab und zu tut, denkt an die Menschen da draussen und betet für sie.

Monika Slamanig

Gute Geister am Wegrand

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ST.GALLEN RETOUR

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Lukas Lötscher (22), Meggen–Rapperswil:

studiert an der Hochschule für Technik.

Ralph (41), Luzern–Küssnacht am Rigi:

fährt zum Arzt.

Werner Wüthrich (79), Luzern–Siebnen:

auf dem Heimweg von seiner Freundin in Luzern.

Marischa Hegglin (20), Uznach–St.Gallen:

ist im dritten Lehrjahr als Pharmaassistentin und auf dem Weg zur Berufsschule.

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E. L. (ca. 80), Luzern–Pfäffikon:

fährt in die Ferien.

Yvonne Heierli (69), Luzern–Herisau: hat in Ebikon ihre Schwester zum 70. Geburtstag besucht.

Mercedes  Wandel  (72), Luzern–Küssnacht am Rigi:

auf dem Rückweg vom Besuch ihrer Tochter in Luzern.

Martin Moser (22), Sattel–Pfäffikon:

muss einrücken zur Durchdiener-RS.

Irgendwo zwischen Romanshorn und

Luzern waren sie unterwegs – von einer

Verabredung kommend, auf dem Weg

zur Schule oder ins Militär. Zugfahrende,

eingefangen von Mischa Christen

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«Ohne Kultur ist  

Ökonomie nicht möglich»

Der selbstregulierende Markt hat sich als kulturelle Idee des Westens enttarnt und die Kunst bietet keine alternativen

Weltbilder mehr. Aber so hoffnungslos ist es nicht.

Susanne Brüggen und Stefan Aschwanden im Gespräch mit Andrea Kessler und Jonas Wydler

Bild Jonas Wydler ST.GALLEN RETOUR

Referenzen

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