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Wir haben den Krieg gewonnen

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Academic year: 2022

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M

itte November schlug Chris Gent eine Welle der Empörung entge- gen. Damals kam der Chef der bri- tischen Firma Vodafone zum ersten Mal nach Düsseldorf, um sein Anliegen vorzu- tragen. Mit einem Mal hatten Politiker und Gewerkschafter, Manager und Malocher

* Am vergangenen Donnerstagabend in Düsseldorf.

anscheinend nur noch ein Ziel: Der Aus- verkauf des Düsseldorfer Traditionskon- zerns Mannesmann an den britischen Han- dy-Riesen Vodafone sollte unbedingt ver- hindert werden.

Melodramatisch warnte DIHT-Präsident Hans Peter Stihl vor der „Zerschlagung ei- nes erfolgreichen Unternehmens“, und FDP-Chef Wolfgang Gerhardt ahnte „ge- 78

Wirtschaft

F U S I O N E N

„Wir haben den Krieg gewonnen“

Mit Härte und Cleverness schaffte Vodafone-Chef Chris Gent

den Durchmarsch bei Mannesmann: Erstmals konnte ein ausländischer Konzern ein deutsches Unternehmen gegen den Widerstand des Managements schlucken.

d er sp i eg el 6 / 2 0 0 0 Partner Gent, Esser*: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“

AFP / DPA

fährliche Machtzusammenballungen zu Las- ten des Verbrauchers“. Düsseldorfs Ober- bürgermeister Joachim Erwin (CDU) be- fürchtete einen „Rückschritt für die Han- dystadt“, und Bundeskanzler Gerhard Schröder sah sogar die Gefahr eines neuen Manchester-Kapitalismus. Vodafone, be- hauptete NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD), „spielt Monopoly gegen alle, die den Mannesmann-Erfolg tragen“.

Eilig riefen Mannesmann-Betriebsräte die Belegschaft zu Protestmärschen auf.

Zornig skandierten tausende Mannesmän- ner: „Wir lassen uns nicht verhökern.“

„Völlig unakzeptabel“ sei das Angebot der Briten, tönte derweil Mannesmann- Chef Klaus Esser und wies Gent nach kur- zem Gespräch die Tür. „Man will uns Knüppel zwischen die Beine werfen“, gif- tete der Finanzexperte.

Am vergangenen Donnerstag war alles ganz anders. Gut gelaunt stürmte der einst verhasste Engländer am späten Nachmittag in die Mannesmann-Zentrale. Kein Protest prallte ihm entgegen, keine Transparente störten seinen Blick.

Wenige Stunden später genoss der Herr der Handys den größten Triumph seines Lebens: „Wir haben uns über die Bedin- gungen eines Zusammenschlusses geei- nigt“, musste Mannesmann-Chef Esser lächelnd verkünden und fügte allen Ernstes hinzu: „Ich freue mich auf die Zusam- menarbeit mit Chris Gent.“

Mit der schlecht gespielten Harmonie endete die größte Übernahmeschlacht der Wirtschaftsgeschichte. Keine Jubelfeiern, keine knallenden Sektkorken nach dem 400-Milliarden-Mark-Deal, einfach nur Business as usual, so sollte es scheinen.

Doch hinter den nüchternen Sätzen, die Esser und sein englischer Kontrahent im Blitzlichtgewitter der Kameras und Foto- grafen verkündeten, verbirgt sich ein Vor- gang von historischer Tragweite. Der Deal wird die deutsche Wirtschaft nachhaltig verändern. Und das nicht nur, weil mit dem britisch-amerikanisch-deutschen Gemein- schaftsunternehmen der fünftgrößte Kon- zern der Welt entsteht. Sicher ist: Mit rund 42 Millionen Kunden und einem Umsatz von geschätzten 90 Milliarden Mark wird der neue Gigant die europäische Telekom- munikations- und Medienbranche kräftig durcheinanderwirbeln.

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INFOSTRADA 100% 2,5 Mio.

Festnetz Italien Deutschland

ARCOR 74,9% 224 700

Festnetz

ORANGE 100% 5 Mio.

Groß- britannien

Vodafone 91% 1,1 Mio.

Australien

EUROPOLITAN 71,1%

0,6 Mio.

Schweden Deutschland

MANNESMANN Mobilfunk D2 65,2% 6 Mio.

OTELO 100% 740 000

Festnetz Deutschland

MANNESMANN Mobilfunk D2 34,8% 3,2 Mio.

Deutschland

Feste Bindung

Wichtige Mannesmann- und Vodafone-Beteiligungen

Nutzer, anteilig

jeweils letztes Geschäftsjahr Umsatz:

9,1

Milliarden Mark

Gewinn:

1,9

Milliarden Mark Mitarbeiter:14 100

Umsatz:

10,9

Milliarden Mark Gewinn:

2,2

Milliarden Mark Mitarbeiter:12 600 Mannesmann Mobilfunk

Konzernumsatz:

37,3

Milliarden Mark Gewinn:

2,7

Milliarden Mark Mitarbeiter:116 100

Die Bereiche Engineering (Umsatz 12,9 Mrd. Mark) und Automotive (Umsatz 10,7 Mrd. Mark) sollen als eigenständige Unternehmen an die Börse gehen. Der Bereich Tubes (Umsatz 4,6 Mrd. Mark) bleibt vor- erst im Konzern.

SFR 20% 1,2 Mio.

Frankreich

TELERING 53,8% k.A.

Österreich USA

CELLULAR ONE, PRIMECO 9,2 Mio.

je 50%

LIBER TEL 70% 1,4 Mio.

Niederlande

OMNITEL 55% 5,7 Mio.

Italien

Die Einigung von Düsseldorf markiert gleichzeitig das Ende des Rheinischen Ka- pitalismus. Mit diesem auf Konsens und Mitbestimmung basierenden System hat- ten sich die deutschen Konzerne bisher er- folgreich gegen Angriffe aus dem Ausland gewehrt. Gents Sieg hat diesen Wall durch- brochen. Der Standort Deutschland, glau- ben Investmentbanker nun, wird sich auf weitere Übernahmen einstellen müssen.

Und schließlich geht mit der Einigung der beiden Konzernchefs, die vergangenen Freitag im Aufsichtsrat sogar mit den Stim- men der IG Metall gebilligt wurde, auch die über 110-jährige Geschichte eines stolzen Konzerns zu Ende. Denn was Esser als ei- nen „Erfolg für die Aktionäre“ darzustel- len versuchte, war in Wahrheit die Kapi- tulation vor einem übermächtigen Gegner.

Den allerdings hatte Esser selbst im ver- gangenen Oktober mit dem Kauf der bri- tischen Mobilfunkgesellschaft Orange her- ausgefordert.

Der Vodafone-Chef tobte damals – und schlug zurück. Zug um Zug trieb der hemdsärmlige Gent den schöngeistigen Schachspieler Esser in die Ecke und lan- dete am Sonntag vorvergangener Woche schließlich den alles entscheidenden Coup.

Da nämlich musste Esser vom fernen Düsseldorf aus zusehen, wie in Paris ein strahlender Gent zusammen mit Jean-Ma- rie Messier, dem Chef des französischen Mischkonzerns Vivendi, vor die Kameras der Weltpresse trat und die Gründung ei- ner Internet-Allianz verkündete.

„Die Bilder“, so ein Berater des Man- nesmann-Chefs, „haben uns förmlich den Stuhl unterm Hintern weggerissen.“ Denn mit dem Auftritt der beiden Manager brach die bis dahin erfolgreiche Abwehrstrate-

gie Essers wie ein Kartenhaus zusammen.

Monatelang hatte der Mannesmann-Chef selbst mit Messier verhandelt. Immer wie- der hatten sich die beiden Manager in Pa- ris und Düsseldorf getroffen.

Ziel der geheimen Zusammenkünfte war ein Plan, der die Medien- und Telekom- munikationslandschaft in Europa nachhal- tig verändern und Mannesmann vor einer feindlichen Übernahme durch Vodafone retten sollte. Gemeinsam wollte man eben- falls einen Internet-Pakt schließen, ein deutsch-französisches Bündnis, in dem Fernseh-, Handy- und Festnetzdienste bei- der Konzerne ver- schmelzen sollten.

Stand: 3. Feb. 2000

Okt. Nov. Dez. Jan. Feb.

Quelle: Datastream 2000

1999

Marktkapitalisierung

in Milliarden Dollar seit dem 1. Oktober 1999

Microsoft USA 534,7

General Electric USA 456,4

Cisco Systems USA 403,1

Intel USA 348,1

Vodafone/Mannesmann GB/D 339,2

DoCoMo Japan 335,1

Exxon Mobil USA 285,1

Wal-Mart USA 260,0

Deutsche Telekom D 255,2

NTT Japan 242,1

Die größten Konzerne der Welt

nach Marktkapitalisierung in Milliarden Dollar 40 60 80 100 120 140 160 180 200

Esser war sicher, sein Coup werde gelin- gen: Es gäbe, hatte der Manager im kleinen Kreis verkündet, tausend Gründe für Vi- vendi, ein Bündnis mit Mannesmann ein- zugehen. Und auch die PR-Truppen beider Konzerne versorgten Journalisten und Ana- lysten hinter vorgehaltener Hand mit ein- deutigen Informationen: „Ein Abschluss“, so hieß es, sei „in greifbarer Nähe“.

Umso größer der Schock, als Gent den Mannesmännern den begehrten Partner in einer Blitzaktion wegschnappte. Mit wach- sendem Argwohn hatte Gent die Nach- richten aus Paris verfolgt. Ihm war klar, dass er das Rennen verlieren könnte, wenn die Allianz zu Stande käme. Kurzent- schlossen griff Gent zum Telefon und ver- abredete sich mit Messier zu einem gehei- men Treffen – der nun von beiden Seiten umworbene Franzose wechselte das Lager.

Innerhalb einer Woche erarbeiteten Engländer und Franzosen ein Strategiepa- pier, das der zaudernde Esser und seine Truppe nach Monaten nicht zu Stande ge- bracht hatten. Der Vivendi-Chef fühlte sich von Esser hingehalten, er fürchtete um sein Renommee. So kam Gent zum Zuge. Eine entscheidende Schlacht, so ein beteiligter Investmentbanker, war damit gewonnen.

Und das nicht wegen des Inhalts der Ver- einbarungen, die Messier und Gent Ende Januar in der französischen Hauptstadt un- terzeichneten. Denn das Papier entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als reine Ab- sichtserklärung: Vereinbart wurde ledig- lich, bis Juli unterschriftsreife Verträge für die gemeinsame Firma auszuarbeiten.

Schlimmer war die psychologische Wir- kung des Deals. Seit Mitte November hat- ten sich Gent und Esser ein verbissenes Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Fast zwei Milliarden Mark wurden in vielköpfige Beraterteams und riesige Anzeigenkam- pagnen gepumpt.

Immer wieder verblüfften der anfangs als „Haifisch“ („Bild“) angefeindete Gent und der als „Superhirn“ („Bild“) vergöt- terte Esser ihr staunendes Publikum mit generalstabsmäßig geplanten Tricks, Finessen und Rede- duellen. Vodafone, polter-

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SPIEGEL: Nach einem fast dreimonatigen Gefecht gegen Ihren Konkurrenten Klaus Esser haben Sie am Donnerstag die Mehrheit am Mannesmann-Kon- zern übernommen. Haben in der Vodafone-Konzernzentrale danach die Sektkorken geknallt?

Gent: Ein einziger ist beim Rückflug nach London im Flugzeug geknallt.

Aber ich denke, der Abschluss, den wir jetzt erzielt haben, ist wirklich ein Grund zu feiern. Für uns, für Mannes- mann und für deren Aktionäre. Inso- fern sollten überall in den nächsten Ta- gen möglichst viele Sektkorken fliegen.

SPIEGEL: Mit Ihrer Attacke auf Man- nesmann haben Sie die erste un- freundliche Übernahme in Deutschland geschafft. Fühlen Sie sich nun als ein Held?

Gent: In erster Linie fühle ich mich sehr hungrig und müde. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und die gesamte Woche nur wenige Stun- den geschlafen. Aber ernsthaft: Es gibt keinen Grund, sich als Held zu fühlen.

Wir sind stolz, weil wir eine hervorra- gende Geschäftsidee umgesetzt haben, und froh, dass Klaus unseren Plänen vergangenen Donnerstag doch noch zugestimmt hat.

SPIEGEL: Die Einigung, die Sie nun er- zielt haben, wäre wohl auch schon vor

einigen Wochen möglich ge- wesen. Warum mussten erst Milliarden für aufwendige Werbekampagnen und das vielköpfige Beraterteam ver- pulvert werden?

Gent: Klaus wollte sehen, was seine Aktionäre von einer Fusion mit Vodafone Airtouch halten. Er hat sie gefragt, auf sie gehört und

entsprechend reagiert. Das war übri- gens nur möglich, weil die gesamte Übernahmeschlacht äußerst zivilisiert abgelaufen und zu keiner Zeit in persönliche Diffamierungen abgeglit- ten ist. Nur so konnten wir wieder mit- einander sprechen und schließlich eine Einigung für unsere beiden Unterneh- men erzielen.

SPIEGEL: Trotzdem wurde die Schlacht in den letzten Wochen mit aller Härte geführt. Besonders die Arbeitnehmer von Mannesmann sind nun über die Niederlage enttäuscht. Erwarten Sie böse Überraschungen?

Gent: Nein. Wir werden uns alle Mühe geben, die Arbeitnehmer von den her- vorragenden Chancen des Konzerns zu überzeugen. Die Zusammenlegung bei- der Unternehmen wird ein hartes Stück Arbeit. Schon nächste Woche bin ich wieder in Düsseldorf, um mit den Spitzenmanagern Einzelheiten zu be- sprechen. Dabei wird es auch eine Zusammenkunft mit Arbeitnehmer- vertretern geben.

SPIEGEL:Wird es bei den von Vodafone gegebenen Arbeitsplatzgarantien blei- ben?

Gent: Ja, auf jeden Fall. Wir haben große Aufgaben vor uns. Wir wollen die Stellung als eines der führenden Telekommunikationsunternehmen in der Welt weiter ausbauen und schon bald ganz massiv in das boomende Datengeschäft einsteigen. Dafür brau- chen wir wirklich jeden einzelnen Mann.

SPIEGEL: Das gilt auch für den bisheri- gen Mannesmann-Chef Klaus Esser?

Gent: Unbedingt. Klaus hat uns das Le- ben in den letzten drei Monaten sehr schwer gemacht und bewiesen, dass er ein äußerst fähiger Manager ist. Jetzt freuen wir uns auf eine konstruktive Zu- sammenarbeit. I n t e rv i e w: Fr a n k D om e n , K l au s - P e t e r K e r b u s k

„Gefragt, gehört, reagiert“

Vodafone-Chef Chris Gent über

seinen Sieg in der Übernahmeschlacht um Mannesmann

d er sp i eg el 6 / 2 0 0 0

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Wirtschaft

Konzernstratege Gent

„Kein Grund, sich als Held zu fühlen“

DPA

Schmerzhafte Trennung

Enttäuschung und Ohnmacht drücken die Stimmung in der Mannesmann-Belegschaft.

N

och zwei Tage vor der Einigung der Konzernchefs erklärte der Festnetz-Ingenieur Markus Ja- ners „jeden für verrückt“, der ihm die- sen Ausgang prophezeite. Als ihm Kol- legen am Donnerstagnachmittag berich- teten, was sich da abzeichnete, rief er spontan seine Bank an. „Aus Protest“

verkaufte er seine Mannesmann-Aktien.

Der 36-Jährige glaubte am Donners- tagabend, dass seine Kollegen spätestens am Freitagmorgen auf die Straße gehen würden, zum Protestieren, um mitzure- den, wo es doch nichts mehr mitzureden gab. Aber nichts geschah.

Eine lähmende Ohnmacht bedrückt die Mitarbeiter, die beim Fusionspoker nur Zuschauer waren. In Zeitungs- anzeigen und TV-Interviews mussten sie sich informieren. Der Flurfunk übermittelte nur bruchstückhaft das Geschehen in den Chefetagen, oft herrschte tagelang Funkstille.

te Esser, wolle die Mannesmann-Aktionä- re „verführen“, ihre wertvollen Papiere ge- gen „künstlich aufgeblähte“ Vodafone- Aktien einzutauschen.

„Klaus“, wie Gent seinen Kontrahenten stets freundlich nannte, sei dabei, sich mit seinem Starrsinn „selbst aus dem Dreh- buch zu streichen“, konterte der Vodafone- Chef kühl.

* Bei einer Pressekonferenz in Paris am Sonntag vorver- gangener Woche.

Berater in der Mannesmann-Zentrale, Vodafone-Chef Gent,

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Doch entscheidende Vorteile konnte lan- ge Zeit weder der hemdsärmlige Engländer noch der schmächtige, kühl kalkulierende Zahlenmensch Esser erringen.

Besonders die Manager der großen Fonds in Deutschland, den USA und in England, die mit ihren riesigen Aktien- paketen letztlich über den Ausgang einer Übernahmeschlacht entscheiden, warteten gelassen ab, wie sich die Kurse der beiden Unternehmen entwickelten. „Das Ren- nen“, räumten selbst beteiligte Invest-

mentbanker ein, „war lange Zeit völlig of- fen.“ Mit der Allianz zwischen Messier und Gent änderte sich die Situation dramatisch.

Dass ausgerechnet der Vivendi-Chef die Fronten wechselte, wirkte an den Finanz- märkten wie ein Adrenalinstoß.

Analysten und Fondsmanager, die sich zuvor vornehm mit ihrer Meinung zurück- gehalten hatten, sprachen sich nun offen für eine Annahme des Vodafone-Angebo- tes aus. In der sicheren Erwartung einer Übernahme trieben Börsianer und Speku-

Der Übernahmekampf ist vorbei – die Unsicherheit ist geblieben. „Was wird jetzt aus uns?“, fragt Stephan Zimrick, der Zuspannungsmecha- niker in der Düsseldorfer Werk- zeugdreherei. Er ist den Tränen nahe, als er beim Schichtwechsel das Düsseldorfer Röhrenwerk verlässt.

„Natürlich“, sagt Zimrick, „habe ich Angst um meinen Job.“

Vielen seiner Kollegen geht es genauso. Doch „so richtig ein- gesunken“, sagt Zimrick, sei das Großereignis bei vielen noch nicht. Der „Wirbelsturm der Veränderung“ („Financial Times“), der über Düsseldorf tobt, wird in dem betroffenen Traditionskonzern, der nun aufhört, eine deutsche Firma zu sein, mit stillem Entsetzen re- gistriert.

„Ich finde das alles richtig beschissen“, sagt Winfried Winkels, und die Fassungs- losigkeit ist ihm anzumerken. So viel Tra- dition, diese Energie beim Start in die Mobilfunkzeit, und jetzt die feindliche Übernahme. Winkels schüttelt den Kopf:

„Mannesmann, das hat einem doch noch etwas gesagt. Und dann kommt da der Herr Gent – und das war’s dann.“

Mit seinen Kollegen war sich der Schlosser im Düsseldorfer Röhrenwerk am Freitag in endlosen Gesprächen einig: Das alles sei ganz seltsam gelaufen. Warum hat

ihr Firmenchef Klaus Esser jetzt aufgehört zu kämpfen? Welche Rolle spielt eigentlich der Aufsichtsrat? Und wer sind die Bosse der Investmentfonds, denen doch ein Großteil von Mannesmann gehört?

Viele Mannesmänner haben am Freitag die Aktien ihrer Firma verkauft, die meis- ten verstanden es auch als Akt der Rebel- lion. „Was sollen wir noch damit?“, sagt Winkels enttäuscht.

Auch Gudrun Schäfer hat verkauft. Die Angestellte in der Personalabteilung ist seit 35 Jahren bei Mannesmann – und in ihrer Enttäuschung mit den anderen vereint. Was jetzt kommt, daran mag sie

nicht denken: „Wir sind alle noch ziemlich bedröppelt“, sagt sie.

Selbst der Betriebsrat wirkt hilflos. Es gab keine Krisensit- zung, keine Betriebsversamm- lung, nicht einmal ein Flugblatt.

Nur gelegentlich klingelte bei Peter Schumacher, Mitglied der Arbeitnehmervertretung, das Te- lefon. Einige der Kollegen woll- ten wissen, was das alles zu be- deuten hat. Schumacher weiß es doch selbst nicht. „Was sollen wir machen, da ändert sich nichts mehr. Egal, was wir tun.“

Friedrich Apfelbaum, Be- triebsratschef der Konzern-Zen- trale, weiß, dass jetzt alle auf In- formationen warten, auf Details der Einigung, auf möglicherweise geplan- te Umstrukturierungen. Er hofft, den Mit- arbeitern bald irgendwie irgendwas sagen zu können: „Das würde einige Leute viel- leicht etwas beruhigen“, hofft Apfelbaum – und glaubt es selbst nicht ganz.

Der Verlust der juristischen Eigenstän- digkeit wird erkennbar als Verlust von per- sönlicher Identität erlebt, als schmerzhaf- te Trennung, die das Ende eines bis dahin gepflegten Wir-Gefühls bedeutet.

„Ich bin traurig und wütend“, sagt der Festnetz-Ingenieur Janers: „Das hier, das war doch mal eine Familie.“

Wol f ga ng R e u t e r

lanten den Mannesmann-Kurs in der ver- gangenen Woche fast täglich auf neue Höchststände. Am Donnerstag wurde kurzfristig sogar die Rekordmarke von 340 Euro überschritten.

Da half es auch nichts, dass Esser in letz- ter Bedrängnis versuchte, eine Allianz mit Bertelsmann zu schmieden. Als Replik auf die französisch-englische Internet-Partner- schaft wollte Esser Anteile am größten eu- ropäischen Online-Dienst AOL überneh- men. Doch statt das vorliegende Angebot

Mitarbeiter Janers: Aktien aus Protest verkauft

B. THISSEN

FOTOS:DPA (li.); REUTERS (re.)

Vivendi-Chef Messier*: „Den Stuhl unterm Hintern weggezogen“

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schon mal in die eigene Tasche geleitet worden.

Die Mannheimer Staatsanwälte ermit- teln gegen den ehemaligen ABB-Deutsch- landchef Michael Pohr und andere. Der Vorwurf: Angestellten-Bestechung.

ABB hat „keine Kenntnis vom Stand der Ermittlungen“, sagt Unternehmensspre- cher Martin Büllesbach: „Uns sind auch keine Überweisungen auf Nummernkon- ten bekannt.“

Die Fahnder dagegen können den Weg des Geldes bis in die Schweiz gut nach- vollziehen. Millionen wurden von der ABB Kraftwerke AG über deren Konten bei der Deutschen Bank (017383100), der Com- merzbank (431620236000) und der Dresd- ner Bank (688685100) in Mannheim über- wiesen, unter anderem auf die Nummern- konten 18010 und 46391942 bei der Privat- bank Julius Bär in Zürich.

Seit ein ABB-Manager den Ermittlern Details zu Protokoll gab, sind sie sich auch sicher, dass von den Schweizer Nummern- konten Schmiergeld für die unterschied- lichsten Aufträge gezahlt wurden. So soll unter anderem für die Aufträge bei den Müllverbrennungsanlagen Böblingen, Pir- masens und Fürstenfeldbruck, beim Heiz- kraftwerk Bonn und dem Kraftwerk Ros- tock geschmiert worden sein.

Auf die Spur der 300 Millionen Mark stießen die Fahnder bei Ermittlungen zur Affäre „Netzwerk“. So wird ein angebli- cher Schmiergeldring in der Autoindustrie bezeichnet, der von Zulieferern Provisio- nen kassiert haben soll. Die Ermittlungen

D

ie Milchglasscheiben öffnen sich automatisch, mit leisem Summen.

Drinnen werden Besucher von ei- nem Herrn in dunkelblauem Zweireiher freundlich begrüßt und in die oberen Eta- gen begleitet. Fast ebenso freundlich weist der Empfangsherr Touristen zurück, die im Bankhaus Julius Bär in der Züricher Bahn- hofstrasse mal eben Geld wechseln wol- len: „Das geht leider nicht. Wir sind eine Privatbank.“

Julius Bär legt Wert auf Diskretion und einen erlesenen Kundenstamm. Und beide Grundsätze haben dem Bankhaus in vielen Jahren einen hervorragenden Ruf einge- bracht.

Von der Verschwiegenheit der Privat- banker fühlen sich nach Einschätzung deutscher Strafverfolger aber auch Unter- nehmen angezogen, die über ein Num- mernkonto Geschäfte am Rande oder jen- seits der Legalität abwickeln wollen: Pro- visions- oder Schmiergeldzahlungen. Ei- nes dieser Unternehmen gehört zu den ers- ten Adressen der deutschen Industrie, die deutsche Tochter des schweizerisch-schwe- dischen Technologiekonzerns ABB.

Um an Aufträge in der Autoindustrie und im Anlagenbau zu kommen, so glaubt die Staatsanwaltschaft Mannheim, habe ABB zwischen 1993 und 1997 insgesamt mehr als 300 Millionen Mark auf Num- mernkonten bei elf Schweizer Banken überwiesen und mit dem Geld ein System schwarzer Kassen eingerichtet. Aus diesen seien die Schmiermittel in die unter- schiedlichsten Richtungen verteilt und auch anzunehmen, verhaspelte sich der Man-

nesmann-Chef in endlosen Diskussionen über Bewertungsfragen. Die Gegenseite empfand den Mann als kleinkariert.

Am vergangenen Montag machten auch die Aufsichtsräte dem Mannesmann-Chef unmissverständlich klar, dass das Rennen gegen Vodafone gelaufen sei. Besonders DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, per Videokonferenz zugeschaltet, und Jo- sef Ackermann, bei der Deutschen Bank verantwortlich für das Investmentgeschäft, drängten Esser, eine friedliche Lösung für beide Konzerne herbeizuführen. Esser, so der Auftrag, solle mit Gent möglichst eine gleichberechtigte Partnerschaft mit einem Anteil von 50 Prozent für die Mannes- mann-Aktionäre heraushandeln.

Esser glaubte aber offensichtlich immer noch an seinen Sieg und pokerte hoch: 52 Prozent der Gemeinschaftsfirma müssten den Mannesmann-Aktionären zufallen, forderte er von Gent bei einem Treffen am vergangenen Mittwoch in Düsseldorf.

Noch wenige Tage zuvor hätte Gent, so heißt es in Vodafone-Kreisen, der vom Auf- sichtsrat geforderten 50:50-Lösung sogar zugestimmt. Doch am Mittwoch hatte er of- fensichtlich von den Banken bereits klare Signale, dass sich eine Mehrheit der Ak- tionäre für das Vodafone-Angebot ent- schieden habe. Kühl beschied er sein Ge- genüber: 49,5 Prozent und nicht mehr.

Esser gab sich endgültig geschlagen.

Zwar habe Gent das ursprüngliche Ange- bot um zwei Prozentpunkte erhöht, be- richtete er seinem Vorstand am nächsten Morgen. Die erhoffte 50-Prozent-Beteili- gung lasse sich jedoch nicht durchsetzen.

Dennoch empfahl Esser dem Aufsichtsrat die Annahme – und der stimmte zu.

In Siegerlaune verkündete Gent am spä- ten Donnerstagabend, dass sein Gegen- spieler bis zur Abspaltung der Maschinen- bautochter und des Geschäfts mit Auto- mobilzubehör im Amt bleibe. Danach wer- de er ohne operative Verantwortung in den Aufsichtsrat des fusionierten Konzerns wechseln. Auch wenn sich Gent bemüht, den Schein zu wahren („Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“), heißt das de facto, dass Esser nichts mehr zu sagen hat.

Wenige Stunden später, auf dem Rück- flug nach London, knallten beim Vodafone- Team erstmals die Sektkorken (siehe In- terview Seite 80). Vielleicht ein wenig früh, denn noch ist die Schlacht nicht endgültig gewonnen. In den nächsten Wochen muss Gent zunächst die Brüsseler Kartellbehör- den überzeugen, dass der neue Gigant den Wettbewerb nicht behindert.

Vor allem aber muss der Brite die ver- bitterten Arbeitnehmer bei Mannesmann motivieren und von den angeblich glän- zenden Zukunftsaussichten überzeugen.

„Den Krieg haben wir gewonnen“, so ein enger Gent-Berater, „jetzt müssen wir den Frieden gewinnen.“

Fr a n k D oh m e n , K l au s - P e t e r K e r b u s k

82

K O R R U P T I O N

Nummernkonto 18010

Schwarze Kassen bei ABB: Mit über 300 Millionen Mark, geparkt bei Schweizer Banken, wurden

offenbar auch Kunden in Deutschland geschmiert.

F. STOCKMEYER / ARGUM

ABB Kraftwerke AG (Mannheim): „An die Gepflogenheiten halten“

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