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Baigas und Briten

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Baigas und Briten

Bewar im kolonialpolitischen Kontext von 1861-1900 im Mandla Distrikt (Central

Provinces/ Indien)

Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften

der Freien Universität Berlin am Institut für Ethnologie

eingereicht von Stephan Beutner

bei Prof. Dr. Georg Pfeffer (Erstgutachter) und Prof. Dr. Uwe Skoda (Zweitgutachter)

Berlin, 2009

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung………....1

2. Brandrodung………....6

2.1. Brandrodung allgemein………....6

2.2. Baigas und Bewar…………..………..8

2.3. Literatur………..11

2.3.1. Verrier Elwin: “The Baiga“……….12

2.3.2. Stephen Fuchs: “The Gond and Bhumia of Eastern Mandla”..………...13

3. Archers theoretischer Ansatz………14

3.1. Ontologische Vorbestimmtheit………..17

3.2. Wirkende Eigenschaften………19

3.2.1. Strukturell wirkende Eigenschaften (s.w.E.)...………....20

3.2.2. Kulturell wirkende Eigenschaften (k.w.E.)...…………...………...21

3.2.3. Materielle und ideelle Interessengruppen (Agency)………....22

3.3. Vorgehen………22

4. Bewar Analyse………..24

4.1. Jat………...24

4.2. Bidri………...29

4.3. Ghar………...40

4.4. Dorf………43

4.5. Bewar……….45

4.6. Beschreibung………….……….52

4.7. Vorstellung der Baigas .………53

5. Analyse der Kolonialpolitik 1861-1900………...54

5.1. Landpolitik……….55

5.2. Forstpolitik……….63

5.3. Briten und Bewar………...70

5.4. Beschreibung………..74

5.5. Vorstellung der Briten ..………76

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6. Baigas und Briten………...78

6.1. Beopferung und Eigentum……….78

6.2. Bewar und Pflug……….83

6.3. Beopferung vs. Eigentum………...85

7. Literaturverzeichnis………...93

8. Glossar………102

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1. Einleitung

„(…) [D]ie Ansiedlung Bewar schlagender Baigas zum Feldbau wird eine viel schwierigere Aufgaben werden, als bisher angenommen worden ist. Es wird Baigas geben, die Land nehmen. Aber es werden selten die Bewar schlagenden sein.“1 (Fuller, Sir Bampfydle zitiert in Elwin [1986 (1939)]: 128). Mit dieser Einschätzung sollte Fuller Recht behalten und eine Problematik vorhersehen, die bis heute von Relevanz ist. Im Mittelpunkt dieser Arbeit wird die den Baigas eigene Form der Brandrodung – Bewar – stehen, die heutzutage noch vereinzelt betrieben wird.2 Seit der britischen Kolonialzeit besteht eine ablehnende und gering schätzende Meinung gegenüber Brandrodung. Diese Auffassung wird bis heute aufrechterhalten, weswegen es in der Vergangenheit und Gegenwart zu Maßnahmen der Einschränkung und des Verbots gekommen ist (Down to Earth [1995]; Pioneer [1998]; Down to Earth [2002]). Die indische Regierung hat Brandrodung mit dem 1980 erlassenen Forest Conservation Act für illegal erklärt (Down to Earth [2003]).

Bewar bezeichnet sowohl die Brandrodungstechnik an sich, als auch die durch sie geschaffene Anbaufläche (Elwin [1986 (1939)]: 539). Die Baigas schlagen die Bäume auf den Abhängen und Bergen in denen sie leben mit der Axt, um auf der durch Verbrennen geschaffenen Freifläche Anbau zu betreiben. Diese Art des Anbaus ist ihnen einer Legende nach von ihrem Schöpfergott Bhagavan gegeben worden (ebd.: u.a. 108f.), wodurch sich die Baigas als Beschützer des Waldes und Bodens sehen (McEldowney [1980]: 422).

Die Baigas sind eine Stammesgesellschaft in Mittelindien, die v.a. in den Maikal Hills lebt, welche sich heute auf der Grenze der indischen Unionsstaaten Madhya Pradesh und Chhattisgarh befinden. Sie leben in den Wäldern der Berge und sammeln Waldprodukte wie Holz, Bambus, Früchte, Honig, Wurzeln, Kräuter usw., die sie selber zur Ernährung, medizinischen Behandlung oder als Baumaterial nutzen oder auf den Märkten der Umgebung verkaufen (Malaviya [2006]; Down to Earth [2007]).

Das Ziel der Briten ist es gewesen, die Baigas als Pflugbauern in den Tälern anzusiedeln (McEldowney [1980]: 445; Elwin [1986 (1939)]: 111f.). Ein Umstand der bis heute in vielen Fällen nicht erfolgreich umgesetzt werden konnte, da sich die Baigas der über sie ausgeübten Kontrolle versuchen zu entziehen und sich den ausgeübten Maßnahmen widersetzen. Es gibt heute wenig pflügende Baigas. Die Mehrzahl betreibt keinen Pflugbau und hat kein Interesse an diesem (Shah [2003]; Malaviya [2006]).

1 Eigene Übersetzung; im Original:“(…) the settlement of bewar-cutting Baigas to cultivation will be far more difficult task than has sometimes been anticipated. Baiga will be found to take land. But they will rarely be of the bewar-cutting class.“ (ebd.: 128).

2 Persönliche Mitteilung von Philip McEldowney.

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Bis heute werden Maßnahmen erlassen, durch welche die „nomadisierenden“ Baigas angesiedelt werden sollen. Brandrodung wird zumeist als eine nomadische Anbauweise angesehen (Down to Earth [2004]). Im Gegensatz zu dieser Sichtweise wird in dieser Arbeit das Konzept der Beopferung des Bodens herausgearbeitet, welches das Vorgehen der Baigas bei Bewar bestimmt und diesem zu Grunde liegt. Man kann daher nicht von einer nomadischen Lebensweise sprechen, auch wenn Dörfer und Bewars in bestimmten temporären Abständen gewechselt werden. Dies geschieht um den Zugang zum Boden und dadurch den Anbau in einem bestimmten Gebiet zu sichern.

Die indische Regierung versucht die Baigas durch das Zahlen eines finanziellen Ausgleichs und der Bereitstellung eines Stück Land für den Pflugbau permanent anzusiedeln (Down to Earth [1995]; Down to Earth [2002]). Zur Zahlung dieser finanziellen Unterstützung ist ein Fond eingerichtet (ebd. [2002]) und die Organisation Baiga Development Authority gegründet worden (Shah [2003]). Diese administrative Einrichtung soll Entwicklungsprojekte aufbauen und die Baigas mit Nahrungsmitteln unterstützen. Diese Projekte erreichen nicht ihre Ziele, da die Finanz- und Nahrungsmittel auf Grund von Misswirtschaft sowie Desinteresse der administrativen Institutionen ihre Adressaten oft nicht erreichen (ebd. [2003]). Dies ist einer der Gründe weswegen viele Baigas die Zusammenarbeit mit der Regierung und anderen Institutionen verweigern (Malaviya [2006]).

Des Weiteren werden die Nutzungsrechte der von den Baigas genutzten Waldprodukte, Minor Forest Produce (MFP) genannt, an Unternehmen, wie die Madhya Pradesh Minor Forest Produce Cooperation (MPMFPC) verkauft, wobei die Rohstoffe und Nutzung dieser von ihr monopolisiert sind (Akerbar [1995]). Den Baigas wird die Nutzung und der Verkauf dieser Produkte untersagt, worüber das Forest Department wacht. Bei Missachtung werden die Baigas angezeigt, inhaftiert, ihre Ernten vernichtet, Produkte beschlagnahmt und sie werden körperlich misshandelt (Shah [2003]).

Die Baigas sehen sich selbst als die Kinder der Erdgöttin, Dharti Mata, weswegen sie eine besondere Beziehung zu dieser und zum Boden haben (Fuchs [1960]: 415; Elwin [1986 (1939)]: u.a. 58f.). Aus diesem Grund sind sie befähigt, die Beopferung des Bodens, die Bidri Riten, in diesem Gebiet durchzuführen. Aus dieser Beziehung ergibt sich das Verbot des Pflugbaus für die Baigas. Sie weigern sich zu pflügen oder einen Pflug zu berühren. Dies würde die Brust ihrer Mutter, der Erdgöttin, verletzten und die gesamte Dorfgemeinschaft wäre von Krankheit und Verlust der magischen Fähigkeiten bedroht (ebd.: 107). Die Beopferung des Bodens ist für den Pflugbau ebenso notwendig, so dass die Baigas dieses

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Opfer nicht nur für sich, sondern für alle anbauenden Stämme und Kasten in dem jeweiligen Gebiet durchführen und dadurch den Anbau und Fruchtbarkeit des Bodens ermöglichen.

Der Gegenstand dieser Analyse ist die Praxis von Bewar, seine Rolle im Sozialkontext der Baigas und unter dem Einfluss der britischen Kolonialpolitik. Seit Ende der 1860er gingen die Briten in den Central Provinces gegen Bewar vor und versuchten die Baigas als Pflugbauern und später als Forstarbeiter anzusiedeln (McEldowney [1980]: 445, 465, 467; Elwin [1986 (1939)]: u.a. 111ff.). Trotz verschiedener Maßnahmen und Programme zur Durchsetzung dieses Vorhaben und Umsetzung der Interessen der Briten wird Bewar fortgesetzt. Wie ist es möglich, dass Bewar trotz Verbote, Einschränkungen und Ansiedlungsmaßnahmen bis heute durchgeführt wird und die indische Regierung versucht vergleichbare Maßnahmen wie die Briten zu erlassen, um ähnliche Interessen durchzusetzen?

Was liegt jeweils dem Verständnis der Baigas in Bezug auf Bewar kulturell auf der Ebene der Ideen und strukturell auf der Ebene der Regeln und materiellen Ressourcen zu Grunde?

Inwieweit unterscheidet sich das Verständnis der Baigas von dem der Briten? Was liegt der Kolonialpolitik der Briten strukturell und kulturell zu Grunde und welche Interessen versuchen sie umzusetzen? Was sind die Reaktionen der Baigas auf die Politik der Briten und ihre Umsetzung? Wie effektiv sind die von den Briten ergriffenen Maßnahmen und was sind die Reaktionen der Baigas darauf?

Die Analyse soll sich territorial auf den Mandla Distrikt der Central Provinces beziehen, da das empirische Material zu den Baigas von Elwin (1986 [1939]) und Fuchs (1960) sich auf diese Region beziehen. Des Weiteren wird der zu untersuchende Zeitraum auf den Abschnitt von 1861-1900 eingeschränkt. Im Jahr 1861 werden die Central Provinces gegründet und gelangen unter die Verwaltungshoheit der Briten (Grant [1870]: 285). In den folgenden Jahren werden die Institutionen und die Politik der Briten in den Central Provinces eingeführt und umgesetzt (McEldowney [1980]: 434). Für diesen Zeitraum existieren eine Analyse ermöglichende zugängliche Materialien und Dokumente.

In der Arbeit wird das Konzept der wirkenden Eigenschaften von Margaret Archer angewandt, auf deren Grundlage eine angemessene Beschreibung der Realität ermöglicht wird. Archer geht davon aus, dass aus der Kombination von Eigenschaften neue wirkende Eigenschaften hervorgehen, die in ihrem Wirken nicht mehr auf die Eigenschaften zu reduzieren sind, aus denen sie hervorgegangen sind. Es werden die Ebenen von Struktur, Kultur und Agency berücksichtigt, welche nach Archer analytisch voneinander zu trennen sind. In der Realität sind sie miteinander und ineinander verwoben, da sie sich jedoch auf unterschiedliche Entitäten beziehen, ist es auf einer analytischen Ebene möglich, sie

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voneinander zu trennen und zu untersuchen. Es findet immer ein Zusammenspiel von Struktur und Agency sowie Kultur und Agency statt, da in jedem dieser Prozesse handelnde Menschen als reflektierende Wesen involviert sind, welche nicht von Struktur oder Kultur determiniert werden, sondern an diesem Prozess als aktive Wesen teilhaben (Archer [1995]; Archer [1996 (1988)]).

Im Folgenden sei kurz der Aufbau der Arbeit mit einem kurzen inhaltlichen Abriss der Kapitel wiedergegeben. Das zweite Kapitel (Bewar und Baigas) wird thematisch und regional in den Gegenstand der Brandrodung und Bewar einführen. Es erfolgt ein allgemeiner Abriss und Einführung in das Phänomen Brandrodung, wobei Bewar in diese vielfältige und differenzierte Anbauweise eingeordnet wird. Des Weiteren sollen Ansichten sowie politische Darstellungen und Meinungen zu Brandrodung im Allgemeinen und Bewar im Besonderen aufgearbeitet werden. Neben Bewar soll in die Region Mittelindien mit einigen Besonderheiten der Stammesgesellschaft in dieser, den Baigas und den ihnen eigenen Form der Brandrodung Bewar dargestellt werden. Daran anschließend wird die verwendete empirische Literatur für Bewar kurz vorgestellt und eingeordnet. Für die Analyse von Bewar dienen insbesondere die Monographien “The Baiga“ von Verrier Elwin (1986 [1939]) und

“The Gond and Bhumia of Eastern Mandla“ von Stephen Fuchs (1960).

Das dritte Kapitel (Archers theoretischer Ansatz) stellt den von mir verwendeten theoretischen Rahmen vor. Es wird in dieser Arbeit Margaret Archers Konzept der wirkenden Eigenschaften angewendet. Zuerst soll Archers Anliegen und Ziel ihrer Arbeit dargestellt werden, bevor es in den Rahmen der Arbeiten Pierre Bourdieus und Michel Foucaults kurz eingeordnet wird und in welchem Bezug diese Werke zueinander stehen insbesondere unter Archers Auffassung der ontologischen Vorbestimmtheit jeglicher theoretischer und methodologischer Vorgehensweise. Danach werden die Verhältnisse von Struktur und Agency sowie Kultur und Agency nach Archer vorgestellt, was diese Termini bedeuten und wie die Ebenen der Realität zusammenhängen. Daran schließt das Konzept der wirkenden Eigenschaften mit seiner Unterscheidung in strukturell und kulturell wirkende Eigenschaften sowie materiellen und ideellen Interessen an. Abschließend wird die Vorgehensweise in dieser Arbeit erläutert.

Im vierten Kapitel (Bewar Analyse) wird die Brandrodung der Baigas ausführlich untersucht, unter Berücksichtigung der materiellen Voraussetzungen sowie der kulturellen Ideen. Auf Grundlage der Ergebnisse der Analyse soll eine Beschreibung Bewars geliefert werden, die der Realität nach Archer gerecht wird. Am Ende dieses Kapitel wird das Konzept der Beopferung des Bodens herausgearbeitet, welches sich als das allgemein zu Grunde liegende

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Konzept von Bewar in struktureller wie kultureller Hinsicht erweist: Was meint und umfasst diese Beopferung des Bodens genau? Inwieweit folgt Bewar diesem Prinzip und wie bestimmt es das soziale Leben der Baigas? In diesem Zusammenhang soll eine Opferanalyse der Bidri Zeremonie nach Hubert und Mauss (1981 [1898]) durchgeführt werden.

Das fünfte Kapitel (Analyse der Kolonialpolitik von 1861-1900) untersucht, inwieweit die britische Kolonialpolitik gegen Bewar vorgeht, mit welcher Argumentation und Absicht die verschiedenen Maßnahmen durchgeführt werden und was diesen zu Grund liegt. Dabei werden insbesondere die Landpolitik mit ihrem Ziel der Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und die Forstpolitik mit dem Aufbau einer kommerziellen Forstindustrie untersucht. Im Vordergrund stehen die Absichten der Briten, was diesen zu Grunde liegt sowie die daraus hervorgehenden Auswirkungen, insbesondere die Beziehungen der Institutionen der Kolonialpolitik untereinander und ihren Maßnahmen gegen Bewar. Die Ergebnisse der Analyse werden in einer Beschreibung zusammengefasst, an welche sich eine Darstellung der zentralen Konzepte von Eigentum und Besitz sowie deren Folgen anschließt.

Im abschließenden sechsten Kapitel (Baigas und Briten) werden die Ergebnisse der beiden in dieser Arbeit durchgeführten Analysen zu Bewar und zur Kolonialpolitik der Briten miteinander verglichen und ausgewertet. Insbesondere die Konzepte der Beopferung des Bodens und das Konzept von Eigentum und Besitz werden einander gegenübergestellt sowie die unterschiedlichen in diesem Zusammenhang auftretenden Anbautechniken von Bewar und Pflug dargestellt. Diese Beziehung soll mit Archers Ansatz analysiert und ausgewertet werden. Die Zusammenführung der Ergebnisse der beiden Analysen bildet den Abschluss der Arbeit, wobei die Konzepte von Beopferung des Bodens sowie Eigentum und Besitz aufeinandertreffen.

Die Problematik dieser Arbeit besteht folglich in der Beschäftigung mit Brandrodung und dem Vorgehen gegen diese im spezifischen Fall von Bewar. Besonders berücksichtigt werden dabei die Land- und Forstgesetzgebung der Briten, von welcher Bewar und die Baigas direkt oder indirekt betroffen sind. Von zentraler Bedeutung ist das Konzept der Beopferung des Bodens, welches als für Bewar grundlegend herausgearbeitet wird und anschließend charakterisiert und definiert wird. Dabei ist die von mir durchgeführte Analyse eine historische, welche aktuelle Relevanz besitzt, da die Meinungen zu sowie das Vorgehen gegen Bewar sich seit fast 150 Jahren nicht verändert haben. Die indische Regierung übernimmt die Argumentation gegen Brandrodung und verfolgt ein ähnliches Vorgehen gegen diese Anbauform mit ähnlich negativem Erfolg wie die Briten (Rangarajan [1995]).

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2. Brandrodung

Zuerst soll eine allgemeine Einführung in das Phänomen Brandrodung und seine Differenzierungen gegeben werden sowie die wirtschaftlichen und politischen Aspekte die in der Erforschung dieser Anbaumethode im Fokus stehen. Anschließend wird Bewar, als eine spezifische Form der Brandrodung, kurz vorgestellt. Daneben sollen die Baigas, das Gebiet in welchem sie leben und einige sozial-anthropologische Besonderheiten Mittelindiens betrachtet werden. Das Kapitel versteht sich als eine kurze kritische Einführung in das Phänomen Brandrodung und spezifiziert diese Problematik auf die für diese Arbeit relevante Thematik des Bewar der Baigas in Mittelindien.

2.1. Brandrodung allgemein

Für die Bezeichnung des Phänomens der Brandrodung werden unterschiedliche Begriffe verwendet. Im Deutschen werden die Ausdrücke Wanderfeldbau, Schwendwirtschaft und Brandrodung synonym verwendet. Im Englischen bezeichnen “shifting cultivation“, “swidden agriculture“ oder “slash-and-burn“ diesselbe Erscheinung. Diese Anbauform besteht in der Zerstörung eines Teils der lokalen Vegetation durch Feuer, woraufhin auf der so geschaffenen Fläche Nutzpflanzen gesät und gepflanzt werden. Auf Grund der geringen Bodenbearbeitung und des hohen Bedarfs an Land wird die Brandrodung als extensive Landwirtschaft klassifiziert. Dieser Bodenbautyp ist ein universal auftretendes Phänomen (Elwin [1986 (1939)]: 100)3, welches auf Grund verschiedener Differenzierungen sehr vielseitig ist (Fürer- Haimendorf [1945]: 5; Wolf [1966]: 24; Ramoulin [1987]: 188, 190; Rössler [2006 (1983)]:

108). Nach Eric Wolf (1966) bestehen die Unterschiede zwischen den Typen der Brandrodung v.a. in der Länge der Regenerationszeit des Bodens sowie der Anbauperiode, der Verfügbarkeit von Land und Arbeitskraft (ebd.: 24).4 Hinzukommt die Art der Vegetation und ob oder wie diese bearbeitet wird. Z.B. unterscheiden die Bhuiyas Orissas zwischen dahi und koman.5 Bei dahi werden die Bäume auf einem Abhang gefällt und Büsche entfernt.

Anschließend werden die übereinander platzierten Baumstämme verbrannt und die Erde mit der entstehenden Asche umgegraben. Dagegen werden bei koman die Büsche und Sträucher entfernt und an den Baumstämmen verbrannt, so dass die Baumstämme stehen bleiben (Roy

3 Elwin (1986 [1939]) bringt Beispiele aus Afrika, Amerika, Asien sowie Europa, um seine These zu bestätigen (ebd.: 100-106).

4 Wolf (1966) beschreibt, wie in Gegenden mit Landmangel und Bevölkerungsdruck Brandrodung in Verbindung mit permanenter Ansiedelung stattfindet (ebd.: 25).

5 Es gibt nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Bezeichnung für die Anbaumethode der Brandrodung, sondern ebenso in der Bezeichnung durch die Einheimischen. In Indien wird Brandrodung u.a. als tungia, jhum, podu, pama, koman, brinja, gudia, dongarchas, chena, taunga, bewar bezeichnet (Patel [1969]: 64, Fn. 1).

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[1935]: 69f.).6 Neben diesem Vorgehen ist die Ertragsfähigkeit des bebauten Bodens von großer Bedeutung, wie lange er bebaut werden kann und wie lange die Fläche zur Regeneration benötigt. Brandrodung sowie die Länge der Bodennutzung geschieht mit einem großen Wissen über die Natur und einer Anpassung an die jeweiligen ökologischen Umstände (Wolf [1966]: 23; Elwin [1986 (1939)]: 4; Ramoulin [1987]: 188; Sharma [2008]).

Demzufolge ist die Nahrungsproduktion durch die Brandrodung effizient an die lokalen Umweltbedingungen angepasst. Dieses Verhältnis ist meist labil, da es u.a. durch Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Notlagen schnell aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Die daraus resultierenden Folgen sind die Erweiterung der Anbaufläche und kürzere Brachzeiten für den Boden, was auf Dauer meist zum Zusammenbruch des Ökosystems führt. Diese Konsequenzen treten unter stabilen Bedingungen nicht auf, doch werden sie dieser Anbauform an sich unterstellt (Rössler [2000 (1983)]: 108).

Die für einige Jahre oftmals hochproduktive Anbauweise wird meist durch jagen, sammeln, fischen und das Halten domestizierter Tiere ergänzt (Ramoulin [1987]: 188; Rössler [2000 (1983)]: 108). Dabei ist das wirtschaftliche Handeln auf die Familie und ihre Bedürfnisse konzentriert, wobei es nicht zum Tausch oder Verkauf eines eventuell produzierten Überschusses kommt (ebd.: 108f.).

Über Brandrodung wird eine kontroverse Diskussion geführt, in welcher die evolutionistische Auffassung vorherrscht, dass diese Anbaumethode „primitiv“ sei und im Laufe der menschlichen Zivilisation verschwinden wird (Ramoulin [1987]: 186). Die UNO beschreibt im Jahr 1976 Brandrodung als eine rückständige Stufe der Kultur, die durch autonome Gemeinschaften mit einfacher Sozialorganisation gekennzeichnet sei (ebd.: 188). Die damit verbundene nomadische Lebensweise behindere die Formation eines Staates und den Fortschritt der Kultur. Dabei sei Brandrodung unproduktiv und mit einer geringen Bevölkerungsdichte verbunden (ebd.: 186, 188). Des Weiteren wird in dieser Anbauform eine zerstörerische Praxis gesehen, welche in der Kombination mit unkontrollierter Landbesiedelung und zunehmendem Bevölkerungsdruck die Hauptursache für die Zerstörung des Tropischen Regenwaldes sei (ebd.: 185; Down to Earth [1995]).

Im heutigen Indien wird versucht, gegen Brandrodung durch verschiedene Maßnahmen vorzugehen. Die dabei verwendeten Argumente sind dieselben, welche die Briten während der Kolonialzeit formuliert haben. Aus diesem Grund spricht Mahesh Rangarajan (1995) von der Fortführung des „kolonialen Mythos“. Schon in der Kolonialzeit existieren

6 Edmund Leach (1954) beschreibt in “Political Systems of Highland Burma“, dass die Kachin zwischen hkaibhang – Graslandbrandrodung – und taungya – Dschungelbrandrodung – unterscheiden (ebd.: 116).

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wissenschaftliche Erkenntnisse, die beweisen, dass die von den Briten hervorgebrachten Einwände wie Zerstörung des Waldes, Beeinflussung der Wasserversorgung und Destabilität der Landwirtschaft nicht von der Anbautechnik, sondern der verfolgten Politik der Briten verursacht worden sind. Es gehe v.a. um den Schutz des Wachstums der einkommensstarken Ebenen, wobei konkurrierende Interessen um das Land existieren: Landübertragung auf Bauern und der Aufbau einer Forstwirtschaft unter kommerziellem Interesse (Elwin [1986 (1939)]: 126; Rangarajan [1995]).

Beruhend auf diesen Auffassungen wird das Vorgehen der Briten gegen die Brandrodung v.a.

in den Forest Acts von 1878 und 1927 manifestiert. Die indische Regierung nimmt diese Argumentation u.a. in den Forest Conversation Acts von 1980 und 1994 auf, in welchen Brandrodung verboten wird und Ansiedlungsmaßnahmen7 durchgeführt werden sollen (ebd.

[1995]; The Hindu [2002]; Down to Earth [2003]). Es wird dieselbe Argumentation reproduziert, obwohl es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die dieses Vorgehen und diese Sichtweise widerlegen.

2.2. Baigas und Bewar

Die Baigas sind eine Stammesgesellschaft, die auf dem indischen Subkontinent in der Region Mittelindien lebt. Dieses Gebiet erstreckt sich im Norden von der Ganges Ebene bis zum Fluss Godavari im Süden, dem Golf von Bengalen im Osten und der Sindh Wüste im Westen (Pfeffer [1982]: 1; Pfeffer [1998]: 81).8 Mittelindien ist neben dem Norden, dem Nordosten und dem Süden eine der Regionen Indiens, in denen ein hoher Bevölkerungsanteil den Stammesgesellschaften zugerechnet wird. Zwischen diesen Regionen existieren allerdings große kulturelle Differenzen (ebd.: 79).

Der indische Präsident hat in einem Verwaltungsakt die administrative Kategorie Scheduled Tribes9 ausgerufen, unter die etwa 50 Millionen Menschen gefasst werden (Pfeffer [1997]: 3).

Die Kategorie Scheduled Tribes ist ein administrativer Term (Pfeffer [1982]: 1), der durch eine spezielle Behandlung gekennzeichnet ist, wobei eine Politik der Reservierung von Studienplätzen, Jobs und Institutionen verfolgt wird (Pfeffer [1998]: 78f.).10 Daneben existiert

7 Für das Jahr 2002 wird berichtet, dass 10% der Baigabevölkerung wie „Nomaden“ leben und Maßnahmen ergriffen werden sollen, sie anzusiedeln (The Hindu [2002]). In dieser Arbeit soll es u.a. darum gehen zu zeigen, dass die Baigas nicht „nomadisieren“ oder „umherschweifen“, sondern das sie den Boden und die Erdgöttin beopfern, was ihnen die Bewirtschaftung des Landes ermöglicht.

8 Mittelindien umfasst die heutigen Bundesstaaten Andhra Pradesh, Madhya Pradesh, Maharashtra, Gujarat, Bihar, West-Bengalen, Orissa, Jharkhand und Chhattisgarh mit einer Stammesbevölkerung von etwa 75 Millionen Menschen (Pfeffer [1998]: 81).

9 Abgekürzt mit ST.

10 Pfeffer (1997) spricht von einer schützenden Diskriminierung (Eigene Übersetzung; im Original: “protective discrimination“) (ebd.: 3).

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die administrative Kategorie der Scheduled Castes11. Das Besondere in Mittelindien ist die Symbiose zwischen den Scheduled Tribes, die meist als Bauern in den Bergen leben, Landbesitzer sind und eine besondere Beziehung zur Erdgöttin haben, und den Scheduled Castes, welche eine Vermittlerrolle einnehmen in dem sie den Außenkontakt wie z.B. den Handel ermöglichen und handwerkliche Tätigkeiten ausüben. Durch diese Vermittlerrolle, Pfeffer (1998) spricht von Klienten12 (ebd.: 82), wird die Reinheit der Stammesgesellschaften, welche u.a. den Handel als unrein ansehen, gewährleistet (Pfeffer [1997]: 7; Pfeffer [1998]:

82f.). Diese interdependente Beziehung wird in der ethnologischen Literatur oft nicht erwähnt oder sie wird als negativer Einfluss für die Stammesgesellschaft angesehen.13

Mit dem administrativen Term der Scheduled Tribes ist v.a. ein politisches Programm gemeint, welches den Umgang, Behandlung und Situationsverbesserung der Menschen festlegt und zu regeln versucht. Dagegen ist die Stammesgesellschaft nach Marshall Sahlins (1968) ein segmentiertes System, welches sich gegenseitig umschließende Segmente bezeichnet, deren Kohärenz nicht durch eine öffentliche politische Institution oder Autorität gewährleistet wird. Dabei werden kleinere Einheiten wie z.B. ein Haushalt von einem anderen Segment, das eine größere Gruppe wie z.B. ein Dorf umfasst, eingeschlossen. Sahlins nennt dies segmentäre Hierarchie (ebd.: 15). Der Stamm, als das Segment, welches alle anderen umfasst, ist gleichzeitig, das am wenigsten zu bestimmende Glied. An sich ist der Stamm nicht mit absoluter Präzision zu definieren. An kleinen, lokalen und autonomen Gruppen zeigt sich die extreme Dezentralität (ebd.: 15f., 20). Dementsprechend besitzen die Baigas keine starke tribale Organisation (Fuchs [1960]: 193; Elwin [1986 (1939)]: 22), sondern es existiert auf lokaler Ebene ein Dorftribunal, um Streitigkeiten anzuhören und diese zu disputieren (Fuchs [1960]: 193f.; McEldowney [1980]: 441). Die Kategorie des Stamms an sich ist für sie kaum von Bedeutung. Elwin (1986 [1939]) schreibt zwar, dass der Stamm für jeden Baiga die höchste Bezugseinheit darstellt, erwähnt dabei jedoch nicht, in welchem Zusammenhang dies geschieht und was der Stamm als solches bezeichnet bzw. wer sich auf ihn bezieht (ebd.: 5).14

11 Abgekürzt mit SC.

12 Eigene Übersetzung; im Original “clients“ oder “culture broker“ (Pfeffer [1998]: 82).

13 U.a. verschweigt Verrier Elwin eine derartige Beziehung und beschreibt den Einfluss der Scheduled Castes, welche er als Hindu Einwanderer wahrnimmt, als negativ für die Stämme. Die Stammesgesellschaft charakterisiert er als von den Hindus unabhängig und eigenständig (Elwin [1955]; Elwin [1986 (1939)]; Pfeffer [1997]: 7; Guha [1999]: 41, 130). In seinem Artikel “Baiga and their weavers“ (2003) beschreibt Sopan Joshi die Beziehung der Baigas zu ihren Webern den Pankas. Die Relation zwischen den Gruppen lässt sich als Klienten Beziehung charakterisieren, was Joshi nicht explizit herausarbeitet.

14 Der Begriff Stamm ist im lokalen Kontext und dessen indigenen Kategorien nur beschränkt angebracht, da es sich um einen fremden Begriff handelt, der keine indigene Kategorie darstellt (Skoda [2005]: 50, 52).

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Die Baigas sind durch kleine, dezentrale, lokalgebundene Gruppen, die v.a. in den Bergen der Maikal Hills (Rudman [1995 (1912)]: 41) im Bundesstaat Madhya Pradesh15 sowie in den angrenzenden Gebieten Bihars, Maharashtra, Orissas und Westbegalens leben.16 Nach dem Zensus von 1981 leben ungefähr 250.000 Baigas in diesen Gebieten (Singh [1998]: 188), die heute einen der Dialekte Awadhi, Bagheli, Chhattisgarhi oder Marathi sprechen (Elwin [1958]: 185; Elwin [1986 (1939)]: 53). Das Ethnikon der Baigas ist Bhumijan, Bhumiaraja oder Bhumia (Russell & Hiralal [1969 (1916)]: 78; Elwin [1986 (1939)]: 2, 197, 318). Bhumia bedeutet Herr des Bodens17, was die Verbundenheit der Baigas mit dem Boden aufzeigt (Hiralal [1924]: 273; Elwin [1986 (1939)]: 197). Die Bezeichnung Baigas ist eine Fremdbezeichnung, die von Außenstehenden verwendet wird und in erster Linie ein Priesteramt bezeichnet (Fuchs [1960]: 3; Elwin [1986 (1939)]: 3). Baiga bedeutet nach Elwin (1986 [1939]) Zauberer oder Medizinmann (ebd.: 3). Dieser führt die Verehrung der Erdgöttin durch (Fuchs [1960]: 229f.) und muss selbst kein Angehöriger des Baiga Stammes sein (ebd.:

3).18 Im östlichen Mandla Distrikt wird diese Priestertätigkeit von einem Baiga ausgeführt (ebd.: 56). Da die Baigas sich als Kinder der Erdgöttin, Dharti Mata, verstehen (Elwin [1986 (1939)]: 197), wodurch sie eine besondere Beziehung zu dieser haben, wird ihnen die Verehrung der Göttin ermöglicht (vgl. Pfeffer [1997]: 7). Von anderen Stämmen und Kasten19 im Mandla Distrikt werden die Baigas und ihre Beziehung zum Boden und das daraus resultierende Wissen über diesen sowie ihre magischen Fähigkeiten anerkannt (Fuchs [1960]:

9f.; Elwin [1986 (1939)]: 4, 338). Die Baigas sehen sich als Kinder des Waldes (Rudman

15 Insbesondere in den Distrikten Mandla und Balaghat sowie Seoni, Chindwara, Bilaspur, Shadol und Durg (Singh [1998]: 188).

16 Nach den Gebietsreformen und der Bildung der Unionsstaaten von Jharkhand (2000 von Bihar ausgegliedert) und Chattisgarh (2000 von Madhya Pradesh abgespalten) muss die Liste um diese beiden Bundesstaaten erweitert werden.

17 Eigene Übersetzung; im Original “lord of the soil“ (Hiralal [1924]: 273; Elwin [1986 (1939)]: 197).

18 Baigas soll im Folgenden die Stammesgesellschaft und nicht das Priesteramt bezeichnen. Für das Priesteramt wird entsprechend der Begrifflichkeit der Baigas die Bezeichnung Dewar für den obersten Priester, welcher die Verehrung der Erdgöttin durchführt, benutzt werden.

19 Der Begriff Kaste stammt vom portugiesischen „casto“ und bedeutet soviel wie „rein oder „keusch“. Die Kategorie Kaste ist eine Fremdzuschreibung und wird auf die zwei indischen Kategorien varna und jati angewandt. Varna (mit „Farbe“ zu übersetzen) meint die vier mythologischen Kasten, welche der brahmanischen Ideologie entstammen: Brahmanen (Priester), Kshatriya (Krieger), Vaishya (Händler) und Shudra (Bediensteten). Ist varna eine mythologische Kategorie, bezieht sich jati (mit „Art“, „Gattung“ oder „Wurzel“ zu übersetzen) auf empirische Gruppen. Es existiert eine Beziehung zwischen jati und varna, insofern, dass sich jede jati einer der vier varna zuordnet (Skoda [2003]).

Der französische Soziologe Célestine Bouglé (1997 [1957]) stellt drei Prinzipien von Kaste heraus:

Zurückweisung bzw. Separation, Hierarchie und erbliche Arbeitsteilung (ebd.: 65). Nach der Auffassung des französischen Indologen Louis Dumont (1980 [1966]) liegt diesen drei Prinzipien die gemeinsame fundamentale Opposition von rein und unrein zu Grunde. Dumont untersucht v.a. die Ebene der Werte und Ideen, wobei für ihn Hierarchie, insbesondere die Kastenhierarchie, verstanden wird als: “the principle by which the elements of a whole are ranked in relation to the whole, it being understood that in the majority of societies it is religion which provides the view of the whole, and that the ranking will thus be religious in nature” (ebd.: 66).

(14)

[1995 (1912)]: 110) und als Prashupati die Herren der Tiere (Elwin [1986 (1939)]: 197, 351).

Des Weiteren können die Dewars der Baigas vor Krankheiten schützen, diese heilen, das Wetter beeinflussen und Liebesmagie ausführen (ebd.: 197, 349). Neben ihrer besonderen Beziehung zur Erdgöttin haben sie von ihrem Schöpfergott Bhagavan die Gabe des Bewar erhalten (ebd.: 106f.).

Bewar ist die Form der Brandrodung, wie sie die Baigas praktizieren. In dem dicht bewachsenen und bewaldeten Gebiet, insbesondere der Maikal Hills, wird auf den Berghängen oder –kuppen eine geeignete Fläche ausgewählt. Diese 12.000-20.000 m2 große Fläche20 in der Nähe des Dorfes wird mit der Sichel von Gras sowie Unterholz befreit und die Bäume werden mit der Axt gefällt. Nach ein bis zwei Monaten Trockenzeit für die geschlagene Vegetation wird diese in Brand gesteckt und vom beginnenden Monsun gelöscht.

In die beim Feuer entstehende Asche wird ohne weitere Bodenbearbeitung das Saatgut in den Boden gesät. Die Anbauzeit beträgt in etwa von Ende Juni bis Dezember und die so genutzte Fläche wird ungefähr zwei bis drei Mal bebaut, bevor ein neuer Bewar geschlagen wird.

Nebenbei jagen, sammeln und fischen die Baigas, um die Ernährung zu gewährleisten, da die Erträge eines Bewar nicht ausreichend sind und nach dem ersten Anbaujahr stark nachlassen.

Damit sich der Boden regenerieren kann und so erneuter Anbau ermöglicht wird, benötigen Erdreich und Vegetation in der Regel einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren (Fuchs [1960]: 81- 83; McEldowney [1980]: 423-428; Ward zitiert in Elwin [1986 (1939)]: 108f.; Elwin [1986 (1939)]: 109f.; Rudman [1995 (1912): 43, 110f.).

2.3. Literatur

Das mir für die Analyse von Bewar zur Verfügung stehende ethnographische Material stammt weitestgehend aus Verrier Elwins Monographie “The Baiga“ aus dem Jahr 1939 und Stephen Fuchs Monographie “The Gond and Bhumia of Eastern Mandla“ von 1960. Dieses Material wird von Ausführungen Philip McEldowneys aus seiner Dissertation von 1980 “Colonial Administration and Social Developments in Middle India: The Central Provinces, 1861- 1921“, in welcher er ein Kapitel den Baigas widmet und ansonsten die koloniale Administration in den Central Provinces untersucht, ergänzt. Es ist viel über Bewar geschrieben und ein Diskurs über diese Anbauform, insbesondere von den Briten und daran anschließend von der indischen Regierung, geführt worden (u.a. Grant [1870]; Russell &

Hiralal [1969 (1916)]; Patel [1969]; Sinha [1992]; Rudman [1995 (1912)]; Rangarajan [1995];

Down to Earth [1995; 1998; 2003]; Sharma [2008]), doch existiert relativ wenig elaboriertes

20 Im Original werden 3-5 acre angegeben (McEldowney [1980]: 425).

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Material, welches für eine eingehende Analyse verwendet werden kann. Eine Ausnahme bilden die beiden von mir ausgewählten Monographien, insbesondere Elwins “The Baiga“

deren zentrale Problematik u.a. Bewar und dessen Bedeutung ist.

Das für die Analyse der Kolonialpolitik im Zeitraum von 1861-1900 zur Verfügung stehende Material liefern v.a. die von den Briten verfassten “Imperial“ und “Distrikt Gazetteers“ sowie Zensus Berichte aus dem entsprechenden Zeitraum. Ergänzt werden diese Daten durch Arbeiten zur kolonialen Land- und Forstpolitik, wobei die Arbeiten Ramachandra Guhas (1983a; 1983b; Gadgil & Guha [1989]; ebd. [2000]) hervorzuheben sind.

Die Autoren Verrier Elwin und Stephen Fuchs werden im Folgenden gemeinsam mit ihren Monographien genauer vorgestellt, da ich in meiner Analyse von ihrem ethnographischen Material abhängig bin. Die Autoren sollen kurz biographisch eingeordnet und das Vorgehen und Anliegen ihrer Arbeit dargestellt werden.

2.3.1. Verrier Elwin:21 “The Baiga“

Verrier Elwin (1902-1964) ist ein in Oxford ausgebildeter britischer Theologe,22 welcher 1926 England verlässt, um sich in Indien humanitären Arbeiten zu widmen. Er lässt sich 1932 mit seinem Freund und Assistenten Hamrao Hivale in dem Dorf Karanjia im Mandla Distrikt der Central Provinces nieder, wo sie in den folgenden Jahren eine Schule, Apotheke, Medizin- und Leprastation unterhalten (Elwin [1964]: 105; Guha [1999]).23 Durch den Umgang mit den Menschen in und um Karanjia entsteht Elwin`s anthropologisches Interesse. 1932 beginnt er seine Arbeiten zu “The Baiga“, die bis 1939 andauern (Mishra [1971]: 17f.). Im Laufe der darauffolgenden Jahre schreibt Elwin mehrere Monographien über Stammesgesellschaften in den Central Provinces, Orissa, den Nord-Ost Provinzen, arbeitet im Auftrag der Regierung Orissas und wird später der “Deputy Director of the Department of Anthropology of the Government of India“ (Fürer-Haimendorf [1964]: 115)

Elwins Anliegen ist es, auf die Situation der Stammesgesellschaften und deren Probleme hinzuweisen. Er sieht den Schreibstift als seine „Waffe“ an, um auf die existierenden Mißstände aufmerksam zu machen (Guha [1996]: 2379). In “The Baiga“ steht für ihn die Problematik Bewar und das Ermöglichen der Fortführung dieser Anbauform im Vordergrund

21 Eine ausführliche Biographie zu Elwin liefert Ramachandra Guha (1999) mit seinem Buch “Savaging the Civilized“ sowie Elwins Autobiographie (1964) “The Tribal World of Verrier Elwin“. Eine kurze biographische Zusammenfassung findet sich im Nachruf geschrieben von Fürer-Haimendorf (1964) oder Mandelbaum (1965).

22 Später entfernt er sich von den Vorstellungen der anglikanischen Kirche und tritt im Jahr 1935 aus dieser aus (Elwin [1958]: XXVIII). Zu Elwins Verhältnis zur Kirche und missionarischer Tätigkeit vgl. Guha (1996), (1999) und Subba & Som (2004).

23 Eine genaue Darstellung von Elwins Arbeit und Vorstellungen in dieser Zeit in den Central Provinces geben die Bücher “Leaves of the Jungle“ (1958) von Elwin und “Scholar Gypsy“ (1946) von Hamrao Hivale, welche Tagebuchnotizen und Kommentare zur eigenen Arbeit und Vorhaben enthalten.

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(Hivale [1946]: 198), wofür er seiner Monographie ein Programm anhängt, das sich mit möglichen Ideen und Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Ziele beschäftigt (Elwin [1986 (1939)]: 511-521).24 Elwins humanitären Bias, sich für das Wohlergehen und die Interessen der Menschen einzusetzen, beeinflusst dabei seine wissenschaftliche Methode (Mishra [1971]: 6, 18; Mishra [1973]: 98).25

“The Baiga“26 ist Elwins erste Monographie, für die er 1944 den Doctor of Science der Universität Oxford bekommt (Guha [1999]: 161). 7 Jahre arbeitet er an diesem Buch, für das er unzählige Interviews und Beobachtungen durchführt, um seine Daten zu verifizieren (Elwin [1986 (1939)]: XXVIIff.; Mishra [1971]: 17f.). Es ist ihm möglich mit den Baigas in ihrer Sprache zu kommunizieren (Elwin [1986 (1939)]: XXVIII). Bei seiner Arbeit steht für Elwin das empirische Material im Vordergrund, wobei er sich nicht von einer Theorie leiten lässt (Mishra [1971]: 5). Die Baigas kommen in unzähligen Zitaten, Beschreibungen, Legenden und Erzählungen selbst zu Wort, wodurch ein reichhaltiges empirisches Material geliefert wird. Bewar steht im Fokus der Monographie und erhält ein eigenes Kapitel (Elwin [1986 (1939)]: 100-131). Hier gibt er einen globalen Abriss der Brandrodung, eine Darstellung von Bewar sowie eine ausführliche Zusammentragung der Ereignisse im Zusammenhang mit Bewar in den Central Provinces v.a. im Mandla Distrikt, weshalb es eine gute Quelle für meine Analyse ist.

2.3.2. Stephen Fuchs: “The Gond and Bhumia of Eastern Mandla“

Stephen Fuchs (1902-2000) ist ein Österreicher, der 1927 Mitglied der katholisch- missionarischen Institution “Society of the Divine World“ wird, wo er Professor Wilhelm Schmidt kennen lernt. Bei diesem Vertreter der Wiener Schule27 belegt er mehrere Seminare in Anthropologie und Linguistik, bevor er 1934 zum Priester geweiht nach Indien geht. Einen Großteil seines Lebens verbringt Fuchs in Indien, wo er mehrere Feldforschungen durchführt.

Er arbeitet v.a. zu den Nimar Balahis, einer unberührbaren Weberkaste sowie den Gonds und

24 Für eine detaillierte Aufarbeitung der politischen Ansätze und Diskussionen in welche Elwin involviert ist v.a.

mit Thakkar und Ghurye bezüglich der Tribalen und der Missionierung unter ihnen, vergleiche Guha (1996) sowie eine kritische Aufarbeitung dieser Debatten findet sich in Skoda (2005): “The Aghria“: 52f.

25 Eine ausführliche Analyse der wissenschaftlichen Vorgehens- und Arbeitsweise Elwins liefert Bhabagrahi Mishras Artikel “Verrier Elwin´s Field Methods and Fieldwork in India“ (1971) und “Verrier Elwin. A Pioneer Indian Anthropologist“ (1973).

26 Zur Aufnahme, Reaktion und Rezension der Monographie vgl. Grigson (1941) und Mandelbaum (1942).

27 Eine von Pater Wilhelm Schmidt und Wilhelm Koppers weiter entwickelte kulturhistorische Schule, welche die Idee der Kulturkreise von Frobenius aufnimmt und weiterentwickelt. Kulturkreise bezeichnen Gebiete, von wo aus sich bestimmte Kulturelemente über die Erde verbreitet hätten (ebd.: 146). Die Annahme bei diesem Ansatz ist, dass Erfindungen und Innovationen relativ selten auftreten und sich von dem Gebiet, wo sie hervorgehen weiterverbreiten. Um die gegenwärtigen Eigenschaften einer Gesellschaft zu verstehen, muss man daher die jeweilige Geschichte zurückverfolgen.

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Bhumias im Mandla Distrikt der Central Provinces. Für die aus diesen Forschungen resultierenden Arbeiten erhält Stephen Fuchs 1950 den Doktortitel der Universität Wien. In weiteren Studien spezialisiert er sich auf Kulturanthropologie, Sanskrit und indische Philosophie. Im Jahr 1950 wird er Direktor des Anthropos Instituts28 in Mumbai (Ferreira [1984]: Vf.).29

Im Zeitraum von 1945-1951 forscht Fuchs im Mandla Distrikt zu den Gonds und Bhumias.

Jedoch führt er keine langfristige Feldforschung durch, sondern sammelt seine gesamten Daten während dreier Aufenthalte in den Jahren 1945, 47 und 51, wobei er insgesamt über ein Jahr an drei verschiedenen Orten lebt (Fuchs [1960]: Vf.). Die Mehrzahl seiner Informationen erhält er von seinen Gond und Bhumia Informanten, welche ihm von katholischen Missionaren in Mandla vermittelt werden (ebd.: VI). Fuchs selbst ist nach eigenen Angaben in der Lage, sich mit seinen Informanten in ihrer Sprache zu unterhalten (ebd.: V). 30

In seiner Monographie “The Gond and Bhumia of Eastern Mandla“ geht es Fuchs um die Erweiterung der Erkenntnisse von Elwins Monographie (1939) “The Baiga“. Er untersucht nach eigenen Angaben andere Aspekte der Baigas. Sein Fokus liege insbesondere auf der interdependenten Beziehung der Bhumias und Gonds, welche er untersuchen möchte und die von Elwin nicht berücksichtigt worden wäre (Fuchs [1960]: VIf.). Zudem versucht Fuchs die hinduistischen Einflüsse auf die Gonds und Bhumias herauszuarbeiten. Dies geschieht im Rahmen einer Monographie, welche die Aspekte der materiellen Ausstattung, sozialen Organisation, Lebenszyklen und religiösen Vorstellungen behandelt. Es gelingt dem Autor nicht immer, die Interdependenzen von Gonds und Bhumias herauszuarbeiten, bzw. er stützt sich auf Vermutungen und Spekulationen. Trotz dieses Umstandes und des Fakts, dass Bewar nur eine kurze Ausführung erhält, sind die von Fuchs gelieferten empirischen Daten, v.a. in Verbindung mit Elwins Erkenntnissen eine gute Grundlage für eine eingehende Analyse von Bewar.

3. Archers theoretischer Ansatz

Margaret Scotford Archer, eine britische Soziologin, geht von einer stratifizierten Natur der Realität aus. Dabei werden verschiedene Ebenen differenziert, die unterschiedlich auftretende Eigenschaften und Kräfte besitzen (Archer [1995]: 9f.; Archer [2005]: 18). Der Ansatz will

28 Später “Institute of Indian Culture“ (Ferreira [1984]: VI)

29 Für eine komplette Bibliographie Stephen Fuchs´ vgl. Ferreira (1984): XVII-XIX.

30 Fuchs führt weder näher aus, welche Sprachen vor Ort gesprochen werden, noch welche Sprachen er beherrscht bzw. in welcher Sprache er mit den Gonds und Bhumias kommuniziert.

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der stratifizierten Realität gerecht werden und diese in einem offenen System beschreiben, ohne dabei die Wirklichkeit zu vereinfachen oder einzuschränken (Archer [1995]: 190ff.;

Archer [1996 (1988)]: XIV, 75, 274). Die von Archer [1996 (1988)] unterschiedenen Ebenen sind die von Struktur, Kultur und Agency. Die Ebenen treten immer in den Paaren Struktur und Agency, bzw. Kultur und Agency auf, da in ihnen immer handelnde Menschen involviert sind (ebd.: 190, 193). Die Strata sind eng miteinander verwoben, trotzdem sind sie analytisch voneinander verschieden und unterscheidbar (ebd.: XIV). Durch ihre substantiellen Unterschiede sind die Ebenen nicht aufeinander reduzierbar und lassen sich in der Analyse voneinander trennen (ebd.: XI; Archer [1995]: 217). Unter Struktur versteht Archer insbesondere materielle Ressourcen, den Zugang zu diesen, Institutionen und Rollen sowie die Beziehungen zwischen ihnen (ebd.: 175ff.). Kultur umfasst Ideen, dazu ihre logischen Relationen von Widerspruch und Übereinstimmung untereinander (Archer [1996 (1988)]:

107). Agency meint die handelnd und reflektierend involvierten Menschen, wobei zwischen materiellen und ideellen Interessengruppen unterschieden wird. Die materiellen Interessengruppen gehören zur Relation von Struktur und Agency, wohingegen die ideellen Interessengruppen der Beziehung von Kultur und Agency zugehören (Archer [1995]: 217, 258ff.).

Durch diese substantielle Verschiedenheit der einzelnen involvierten Ebenen können sie analytisch voneinander getrennt werden, wodurch die Untersuchung des Zusammenspieles von Struktur und Agency sowie Kultur und Agency gewährleistet wird (ebd.: u.a. 194; Archer [1996 (1988)]: u.a. XIII). Die strukturelle und kulturelle Ebene sind relativ autonom voneinander. Auf Struktur und Kultur angewandte Konzepte müssen diese Eigenschaften der Verschiedenheit und der Autonomie berücksichtigen. Ansonsten werden materielle und ideelle Aspekte des sozialen Lebens miteinander verwechselt (ebd.: XI). Die Untersuchung des Zusammenspiels der Strata wird durch den Einbezug der Zeit ermöglicht, da die Ebenen zeitlich weder gleichzeitig existieren, noch Abweichungen voneinander sind, weil jede seine eigenen autonom wirkenden Eigenschaften besitzt (Archer [1995]: 66; Archer [1996 (1988)]:

XXIV; Cruikshank [2003]: 112f.).

Deshalb muss die Theorie es ermöglichen, die Bestandteile der Realität so zu konzeptionalisieren, dass das Zusammenspiel der Ebenen untersuchbar ist. Das Zusammenspiel ist die Grundlage sozialer Dynamiken von Veränderung und Stabilität bestehender, vergangener und zukünftiger Konfigurationen. In bisherigen Ansätzen verhinderten die von Archer als Vermischungstheorien charakterisierten Dogmen, dass das Zusammenspiel der Ebenen konzeptionalisiert und untersucht wird (Archer [1996 (1988)]:

(19)

XV). Daher bearbeitet Archer (1996 [1988)] in “Culture and Agency“ das Verhältnis von Kultur und Agency, wobei sie drei Variationen der Vermischungstheorien herausstellt und im Einzelnen aufarbeitet:

(I) Abwärtsvermischung:31 Die Ideenebene (Kultur) determiniert die Handlungsebene und deren Akteure (Agency) durch Sozialisation und Regulierung (ebd.: 97f.).

(II) Aufwärtsvermischung:32 Die Akteure und Handlungsebene determinieren die Ideenebene auf Grund von Dominierung und Manipulation (ebd.: 97f.).

(III) Zentrale Vermischung:33 Die beiden Ebenen sind unlösbar miteinander verbunden und konstituieren sich gegenseitig (ebd.: 97f.).

In ihrem Buch “Realist Social Theory“ untersucht sie das Verhältnis von Struktur und Agency, dabei arbeitet sie folgende Relationen der etablierten Theorien heraus:34

(I) Individualismus:35 Struktur wird als bloße Anhäufung individueller Handlungen gegenwärtiger Akteure angesehen. Agency bestimmt die Strukturebene (Archer [1995]: 58).

(II) Kollektivismus:36 Bietet eine fragmentierte Konzeption von Struktur und ein ebenso unvollständiges Konzept von Agency und den sie beeinflussenden sozialen Kontext (ebd.: 58).

(III) Zentrale Vermischung:37 Struktur und Agency werden als untrennbar und sich gegenseitig konstituierend angesehen (ebd.: 93f.).

31 Eigene Übersetzung; im Original “downward conflation“, für eine ausführliche Darstellung vergleiche Archer (1996 [1988]: 25-45). Ein kurze Zusammenfassung gibt Archer in (1996 [1988]: 97-100) oder in ihrem Text

“Structure, Culture and Agency“ (2005: 21).

32 Eigene Übersetzung; im Original “upward conflation“, für eine ausführliche Darstellung vergleiche Archer (1996 [1988]: 46-71). Eine kurze Zusammenfassung findet sich in Archer (1996 [1988]: 97-100) oder in Archer (2005: 22).

33 Eigene Übersetzung; im Original “central conflation“, für eine ausführliche Darstellung vergleiche Archer (1996 [1988]: 72-96). Eine kurze Zusammenfassung findet sich in Archer (1996 [1988]: 97-100) oder in Archer (2005: 23f.).

34 Die aus dem Verhältnis von Struktur und Agency hervorgehenden Schwierigkeiten und Einschränkungen in Beschreibung und Theorie bzgl. der Varianten Kollektivismus und Individualismus, stellt Jeanne Berrenberg in

„Eine Sache der Ehre“ (2002) an Hand der von ihr verwendeten Literatur zu den Paschtunen und der von den Autoren gewählten Methodologie dar. Für einige Autoren steht die individuelle Handlung (Individualismus) im Vordergrund für andere wiederum die Strukturzusammenhänge (Kollektivismus) (ebd.: 14ff.): „Wie deutlich diese unterschiedlichen Ansätze auf die Resultate einwirken, ist unschwer an jeder Debatte zu erkennen und wird auch im den folgenden Kapiteln zur Sprache kommen. Letztendlich aber stellt sich die Frage, ob es nicht manchmal die etwas zu undifferenzierte Anwendung der Grundlagen ist, die zu kontroversen Resultaten führt.“

(ebd. [2002]: 15; vgl. die auf Seite 17f. dieser Arbeit folgenden Ausführungen zur ontologischen Vorbestimmtheit).

35 Für eine detaillierte Darstellung vergleiche Archer (1995: 34-45).

36 Für eine detaillierte Darstellung vergleiche Archer (1995: 46-56).

37 Eigene Übersetzung; im Original “central conflation“, für eine detaillierte Darstellung vergleiche Archer (1996: 93-134).

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Diese Wissenschaftskritik dient Archer als Grundlage für ihren eigenen Ansatz, der eine Konzeptionalisierung der sozialen Realität ermöglichen soll, in welcher das Zusammenspiel der Ebenen untersuchbar ist. Sie entwickelt in “Realist Social Theory“ den morphogenetischen Ansatz38, dem das Konzept der wirkenden Eigenschaften und Kräfte zu Grunde liegt, welches in dieser Arbeit angewandt wird. Im Folgenden wird Archers Ansatz der ontologischen Vorbestimmtheit als theoretischer Ausgangspunkt und die von ihr gemachten Vorannahmen für ihren Ansatz dargestellt. Im Anschluss daran wird auf das Konzept der wirkenden Eigenschaften sowie dessen Anwendung in dieser Arbeit eingegangen.

3.1. Ontologische Vorbestimmtheit

Der zentrale Ausgangspunkt für Archers “The Realist Social Theory“ (1995) ist die Verbindung und gegenseitige Beeinflussung von Ontologie39, Methodologie40 und praktischer Sozialtheorie41. Dabei hat jede zu Grunde liegende Ontologie Auswirkungen auf die zu erklärende Methodologie (ebd.: 2f.). Man muss sich in der Sozialanalyse über die notwendigen Komponenten und deren Relationen im Klaren sein. Archer sieht in der Methodologie die notwendige Beziehung, welche eine Sozialontologie und die praktische Theorie miteinander verbindet. Die Methodologie wird als ein erklärendes Programm aufgefasst, das beschreibt, wie etwas passiert (ebd.: 4f.).

Um die soziale Realität zu analysieren, muss man wissen, was diese ist und wie man beginnt sie zu erklären (ebd.: 5). Die zu beschreibende soziale Realität steht immer in Beziehung zu der Art und Weise, wie sie untersucht wird (ebd.: 16). Ein Gegenstand wird durch seine Beschreibung bestimmt, folglich können Beschreiben und Erklären nicht voneinander getrennt werden. Das, was als soziale Realität aufgefasst wird und wie man sie beschreibt, ist Grundlage dessen, was erklärt werden soll (ebd.: 17). Die Sozialontologie bestimmt die Beschreibung auf deren Grundlage der Prozess des Erklärens stattfindet. Durch die Definition

38 Eigene Übersetzung; im Original “morphogenetic approach“. Der Begriff Morphogenese wird benutzt, um den Prozess sozialer Strukturierung zu beschreiben. „Morpho“ bezieht sich dabei auf die Form und „genese“ meint, dass diese Form das Resultat sozialer Beziehungen ist. Dabei wird zwischen den beiden Varianten Morphogenesis und Morhostasis unterschieden. Die beiden konträren Begriffe bezeichnen entweder einen transformativen – Morphogenesis – oder einen reproduktiven – Morphostasis – Prozess (Archer [1995]: 166).

Struktur und Agency sowie Kultur und Agency sind zeitlich voneinander verschieden. Struktur und Kultur müssen den Handelnden notwendigerweise vorausgehen. Man wird in ein System aus bestehenden Strukturen und Ideen hineingeboren. Durch diese temporäre Verschiedenheit lässt sich das Zusammenspiel der Ebenen untersuchen. Das Zusammenspiel beruht auf der analytischen Geschichte der Emergenz und wird im morphogenetischen Zirkel, bestehend aus Anpassung, Interaktion und Reproduktion oder Transformation, konzeptionalisiert (ebd.: 66).

39 In diesem Zusammenhang verstanden als, was ist soziale Realität und wie muss sie konzeptionalisiert werden?

40 Verstanden als, wie untersucht man die soziale Realität?

41 Verstanden als, was für Erkenntnisse und Theorien lassen sich aus der Analyse ableiten?

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