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Archiv "Mißhandlung Minderjähriger: Man sieht nur, was man kennt" (13.07.1992)

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Mißhandlung Minderjähriger:

Man sieht nur, was man kennt

„Kindesmißhandlung im umfassenden Sinn kommt derart häufig vor, daß es sich um ein wirklich großes Problem handelt." Das betonte Dr.

med. Ingeborg Retzlaff, Vorsitzende der Bundesärztekammer-Kom- mission „Probleme der Mißhandlung Minderjähriger", in Bonn. Dort stellte sie deren Konzept zum Umgang mit diesem Thema vor, daß im Auftrag des 94. Deutschen Ärztetages in Hamburg entwickelt wurde.

AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ziel ist, „die Aufmerksamkeit der gesamten Ärzteschaft auf die Be- deutung der ärztlichen Tätigkeit bei der Erkennung und Betreuung der Mißhandlung Minderjähriger zu len- ken sowie auf die Notwendigkeit der Kooperation mit anderen Berufs- gruppen." Denn noch gilt: Ärzte dia- gnostizieren eine Kindesmißhand- lung viel zu selten, scheuen die Zu- sammenarbeit mit nicht-ärztlichen Organisationen und sorgen sich um die rechtlichen Folgen bei Aufdek- kung einer Mißhandlung.

„Man sieht nur, was man kennt"

— mit diesen Worten unterstrich Dr.

med. Ingeborg Retzlaff, weshalb Ärzte und Ärztinnen erst einmal mehr wissen müßten über Symptome der Kindesmißhandlung, um Ver- dacht schöpfen zu können. Unter- stützt wurde sie von Prof. Dr. med.

Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Hamburg: Er wies darauf hin, daß mehreren Untersuchungen zufolge nur bei rund 10 Prozent der in Kran- kenhäusern untersuchten, mißhan- delten Kinder die Verletzungen auch als Mißhandlung erkannt worden seien. Grund: „Ärzte sind einfach unsicher bei der Diagnosestellung."

Erschwert wird die Diagnose

„Mißhandlung" generell sicherlich dadurch, daß es keine verbindliche Definition dessen gibt, was darunter zu verstehen ist. Die Bundesärzte- kammer-Kommission hat sich in ih- rem Konzept dafür entschieden, pragmatisch zu trennen zwischen

körperlicher Mißhandlung,

(9

Vernachlässigung,

• emotionaler Mißhandlung sowie

sexueller Mißhandlung.

Unmöglich ist es auch, sich einen zu- verlässigen Überblick über die Häu- figkeit von Mißhandlungen gegen- über Minderjährigen zu verschaffen.

Schwere körperliche Mißhandlungen scheinen häufiger in Familien aus unteren sozioökonomischen Schich- ten vorzukommen Nach Einschät- zung der Kommission kann man je- doch davon ausgehen, daß Mißhand- lungen insgesamt kein typisches „Un- terschichtsproblem" sind, sondern in gutsituierten Familien der Mittel — und Oberschicht nur weniger auffal- len: „Insbesondere seelische Miß- handlungen und sexueller Miß- brauch kommen in allen Schichten in erheblichem Umfang vor."

So komplex und kompliziert das Thema sein mag — im konkreten

Manche Kinder sind so schwer mißhandelt, daß die Diagnose eindeutig ist. Oft erhärten jedoch erst mehrere Auffälligkeiten den Ver- dacht auf Mißbrauch. Foto: dpa

Fall müsse sich ein Arzt seiner sozia- len und medizinischen Verantwor- tung bewußt sein und sich Gedanken über das Schicksal des Kindes ma- chen, forderte Rechtsmediziner Pü- schel. Entscheidend sei, daß ein Arzt oder eine Ärztin bei kindlichen Ver- letzungen stets die Möglichkeit einer Mißhandlung einbezögen. „Be- stimmte Verletzungsmuster sind er- kennbar", betonte Püschel. Folge- richtig hat sich die Kommission in ih- rem Konzept auf mehreren Seiten diesem Aspekt gewidmet.

Häufigste Verletzungsart ist demnach die Einwirkung stumpfer äußerer Gewalt, so daß Abschürfun- gen, intrakutane und subkutane Hä- matome sowie Riß-, Quetsch- und Platzwunden entstehen. Aufmerk- samkeit ist geboten, wenn ein Kind oberhalb der sogenannten Hutkrem- penlinie verletzt ist oder geschützt liegende Gesichtspartien wie Augen und Wangen betroffen sind. Da es sich bei Kindesmißhandlung um ein typisches Wiederholungsdelikt han- delt, ist das Nebeneinander frischer, älterer und ganz alter Verletzungen ein wichtiges Kriterium.

Generell rät die Kommission Ärzten, bei Verdacht auf körperliche Mißhandlung stets den ganzen Kör- per des Kindes zu untersuchen und eventuell radiologische und nuklear- medizinische Untersuchungen sowie Fotodokumentationen anzuschlie- ßen. Schwieriger sei die Diagnose bei „passiver Kindesmißhandlung", das heißt, bei Vernachlässigung oder emotionalem Mißbrauch. Dies gilt in gewissem Sinn auch für sexuelle Mißhandlung: Zwar sei diese Form häufiger als früher angenommen, je- doch fehlten oft eindeutige körperli- che Hinweise.

Prof. Dr. med. Klaus Püschel empfahl in Bonn, stets auch die An- gaben der Eltern über das Zustande- kommen der Verletzungen kritisch zu prüfen. Aussagen wie „Sturz vom Wickeltisch" oder „Auseinanderset- zung mit anderen Kindern" seien ty- pische Schutzbehauptungen. Miß- handelnde Eltern fallen, so der Kommissionsbericht, durchaus auf:

Tendenziell werden körperlich miß- brauchte Kinder verzögert zum Arzt gebracht — in ein Krankenhaus „oft erst spät am Abend, wenn sich die Dt. Ärztebl. 89, Heft 28/29, 13. Juli 1992 (17) 211-2437

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Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch

Mit der Frist leben

Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU und der Freistaat Bay- ern beabsichtigen, die vom Bundestag am 26. Juni in 2. und 3.

Lesung verabschiedete Neufassung der

§§

218 ff vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen. Notfalls soll, so der Plan, die Anwendung der neuen Rechtsvorschriften durch einstweilige Verfügung ausgesetzt werden. Vorausset- zung dafür ist es, daß tatsächlich ein Gesetz vorliegt. Dazu bedarf es noch der Zustimmung des Bundesrates und der Unterschrift des Bundespräsidenten.

D

er Bundestag hat am 26. Juni mit 356 Stimmen den soge- nannten Gruppenantrag an- genommen. Die Stimmen kamen aus allen Fraktionen, vorwiegend aus der SPD und FDP; aber auch 32 CDU- Abgeordnete stimmten für den Gruppenantrag, 282 Abgeordnete lehnten ihn ab. Das Abstimmungser- gebnis spiegelt die Meinungsbildung

~ Fortsetzung

"Mißhandlung Minderjähriger"

medizinische Situation verschlech- tert. Säuglinge und Kleinkinder kommen dann häufig als Notfälle und werden primär nur vom dienst- habenden Arzt und nicht immer vom Pädiater gesehen. Typischerweise werden dabei Erklärungen für das Zustandekommen der Verletzungen angegeben, die mit den Verletzungs- spuren nicht übereinstimmen."

Im Fall eines Verdachts auf eine Mißhandlung muß ein Arzt oder ei- ne Ärztin nach Auffassung der Kom- mission andere Institutionen ein- schalten, beispielsweise Ortsverbän- de des Kinderschutzbundes, Kinder- schutzzentren, Beratungsstellen, So- ziale Dienste. Nur so könne ein Ver- dacht erhärtet und das weitere Vor- gehen festgelegt werden. Erst wenn ein Verdacht fundiert abgesichert und die Interventionsmaßnahmen festgelegt worden seien, dürfe man den Eltern die Diagnose mitteilen.

Prof. Dr. med. Klaus Püschel verwies darauf, daß viele Ärzte im- mer noch Bedenken hätten, wegen einer Verletzung der ärztlichen

in der Bevölkerung wider. Denn laut einer repräsentativen "Spiegel"-Um- frage aus jüngster Zeit sprechen sich 54 Prozent der Befragten für eine Fristenlösung oder eine Streichung des § 218 aus. Unter den Ostdeut- schen sind es gar 71 Prozent, unter den Westdeutschen 50 Prozent. Be- merkenswert ist auch die konfessi- onelle Verteilung: 53 Prozent der

Schweigepflicht b~langt zu werden.

Dabei könnten Arzte auch gegen den ausdrücklichen Willen der El- tern ihre Schweigepflicht brechen, wenn sie den Schutz des Kindes hö- her bewerteten. Andererseits könn- ten sie gegenüber Polizei und Ge- richt vom Zeugnisverweigerungs- recht Gebrauch machen, sofern es um die Offenbarung von Wissen ge- he, das ihnen in Ausübung ihres Be- rufs bekannt geworden sei. ..

Probleme bereitet vielen Arzten offenbar die notwendige Kooperation mit nicht-ärztlichen Organisationen.

Dr. Ingeborg RetzlaJf plant deshalb in ihrer Funktion als Arztekammerprä- sidentin von Schleswig-Holstein, in- nerhalb ihres Kammerbereichs ganz konkret zusammenzutragen, an wel- che Einrichtungen und Personen sich Ärzte bei einem Mißbrauchsverdacht wenden können. Außerdem sollen die beteiligten Berufsgruppen zusam- mengebracht werden, denn: "Es ist wichtig, sich individuell bekannt zu machen." Frau Müller vom Kinder- schutzbund rufe man nun einmal leichter an als "den Kinderschutz-

bund". Sabine Dauth

Ar2438 (18) Dt. Ärztebl. 89, Heft 28/29, 13. Juli 1992

Protestanten sind für Straffreiheit oder Fristenlösung, aber nur 40 Pro- zent der Katholiken.

Dem Bundestag lagen sieben höchst unterschiedliche Gesetzesan- träge vor. Sie deckten die gesamte Spannbreite der Lösungsmöglichkei- ten ab: Von der Streichung der Straf- rechtsbestimmungen, ja, dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zu einer engen Indikationenregelung.

Die ganz freizügigen Vorschläge ka- men vom Bündnis 90/Grüne sowie der PDS/Linke Liste. Sie hatten kei- ne Chance; jeweils 17 Abgeordnete sprachen sich dafür aus. Auch der Antrag von der entgegengesetzten Seite des Spektrums, eine von dem Ulmer CDU-Abgeordneten Heribert Werner vertretene Initiative, war von vornherein aussichtslos. Immer- hin bekam dieser Antrag, der das geltende westdeutsche Recht noch verschärft hätte, 104 Prostimmen.

Fristenregelung und Pflichtberatung

Jeweils eigene Anträge der SPD und der FDP konnten im wesentli- chen nur Stimmen der eigenen Frak- tionen auf sich versammeln. Damit hatten SPD und FDP auch gerech- net, denn letzten Endes favorisierten sie mehrheitlich den Gruppenantrag als den ihren Vorstellungen am nächsten kommenden Kompromiß.

Der Gesetzesvorschlag der CDU/ CSU-Fraktion schließlich erhielt 272 Stimmen, 369 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen. Die CDU/CSU hatte in ihrem fraktionsoffiziellen Antrag eine relativ weitgefaSte Indikatio- nenlösung, einschließlich einer psy- chosozialen Indikation vorgeschla- gen.

Der vom Bundestag bechlossene Gesetzestext sieht vor, daß ein Schwangerschaftsabbruch dann nicht strafbar ist, wenn er mit Einwil- ligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, wenn seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind, und wenn die Schwangere dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Die

~ Fortsetzung übernächste Seite

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