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Archiv "Diabetes mellitus: Kinder und Jugendliche bedürfen einer engmaschigen Betreuung" (14.12.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 50

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14. Dezember 2012 A 2523 DIABETES MELLITUS

Kinder und Jugendliche bedürfen einer engmaschigen Betreuung

Durch moderne Therapieverfahren im Rahmen multidisziplinärer Konzepte und strukturierter Betreuungsstrategien lässt sich die Erkrankung inzwischen auch im jungen Alter gut behandeln.

D

er Diabetes mellitus ist in Deutschland schon jetzt die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes-und Jugendalter. Doch seine Inzidenz nimmt weiterhin ra- pide zu und übertrifft alle bisheri- gen Vorhersagen. Betroffen sind vor allem jüngere Kinder. In Bezug auf den Typ-1-Diabetes, der durch genetische Faktoren, Umweltein- flüsse, aber auch Kaiserschnittent- bindung oder frühes Abstillen be- günstigt wird, schätzt man, dass

etwa 30 000 Kinder und Ju- gendliche unter 19 Jahren erkrankt sind

sich die Diabetesinzidenz bei Kindern unter fünf Jahren bis 2020 verdoppeln wird

12 000 Kinder mit Insulinana- loga und mehr als 3 000 mit Insu- linpumpen behandelt werden.

Die Betreuung pädiatrischer Pa- tienten mit Diabetes unterscheidet sich deutlich von der Betreuung Er-

wachsener. Aber auch innerhalb der pädiatrischen Altersgruppe (Säug- linge, Kleinkinder, Schulkinder, Ju- gendliche und junge Erwachsene) ist je nach Entwicklungsstand ein differenziertes Konzept notwendig.

Die körperlichen und psychologi- schen Besonderheiten des Kindes- und Jugendalters (Wachstum, häu- fig auftretende Infektionskrankhei- ten und hormonelle Veränderungen) erfordern eine stark individualisier- te Behandlung.

Ketoazidose ist Ursache für erhöhte Sterblichkeit

Diese labile Stoffwechselsituation ist auch der Grund dafür, dass die Erkrankung nach dem Auftreten der ersten Symptome einen raschen Verlauf nimmt – mit dem Risiko ei- ner diabetischen Ketoazidose. Die- se potenziell lebensbedrohliche Stoffwechsellage, gekennzeichnet durch Dehydrierung, vertiefte At-

mung, Erbrechen und/oder Be- wusstlosigkeit, ist die Ursache für eine erhöhte Sterblichkeit von dia- beteskranken Kindern.

Als Leitfaden für die Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter steht seit 2009 eine S3-Leitlinie zur Verfügung. Die Gültigkeit dieser Empfehlungen wurde erst kürzlich bis zum Jahr 2014 verlängert. Ein zuverlässiges Bild über die aktuelle Versorgungs- situation der pädiatrischen Diabeto- logie und ihre Veränderungen über die Zeit gibt eine seit 1995 laufende Initiative zur Qualitätssicherung.

Im Rahmen der DPV-Initiative (Diabetes-Patienten-Verlaufsdoku- mentation) werden bundesweit Da- ten zu Patientencharakteristika, Be- handlungsformen und ihre Ergeb- nisse gesammelt (www.d-p-v.eu).

Wurde die Mehrheit der Typ- 1-diabeteskranken Kinder und Ju- gendlichen bis Mitte der 90er Jahre noch mit einfacheren Behandlungs- schemata behandelt (ein bis drei In- sulininjektionen täglich), setzte sich danach die intensivierte Insulinthe- rapie (ICT) mit vier bis sechs Injek- tionen rasch auch in der Pädiatrie durch. Inzwischen werden immer mehr Kinder und Jugendliche mit einer Insulinpumpe behandelt, 2011 waren es insgesamt 42 Prozent. Vor allem für kleine Kinder mit sehr ge- ringem Insulinbedarf eignet sich die Pumpe, da sie sehr fein dosiert;

76 Prozent der unter Fünfjährigen sind damit „ausgestattet“ (Quelle:

Deutscher Gesundheitsbericht Dia- betes 2013, 121–40).

Eine Insulinpumpe ist jedoch kostenintensiver als die ICT. Bei Kindern unter sechs Jahren erfolgt die Genehmigung durch die Kran- Die intensivierte

Insulintherapie mit vier bis sechs Injektionen pro Tag hat sich in der Pädiatrie etabliert.

Foto: picture alliance

M E D I Z I N R E P O R T

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14. Dezember 2012 kenkassen meist problemlos, mit

zunehmendem Alter aber gestalten sich die Anträge auf Kostenerstat- tung schwieriger. Erst wenn die Kinder und Jugendlichen trotz aller Bemühungen hohe Langzeitblutzu- ckerwerte (HbA1c-Werte) aufwei- sen, wenn häufig Hypoglykämien auftreten oder ein „Dawn-Phäno- men“ besteht (hohe Blutzuckerwer- te in den frühen Morgenstunden), sind die Voraussetzungen für einen Wechsel auf eine Insulinpumpe er- füllt, heißt es im Gesundheitsbe- richt Diabetes 2013.

Aufgrund der ausgeprägteren Neigung zu Blutzuckerschwankun- gen und der größeren Gefahr von Hypoglykämien bei Kindern wird nach internationaler Übereinkunft in der Pädiatrie ein HbA1c-Wert un- ter 7,5 Prozent als „gute Stoffwech- seleinstellung“ eingestuft, ein Wert von mehr als neun Prozent dagegen als „ungenügend“. Bis zum Eintritt in die Pubertät haben viele Betrof- fene ihre Erkrankung gut „im Griff“.

Dann verschlechtert sich die Stoff- wechsellage zunehmend, so dass die HbA1c-Werte bei Jugendlichen im Mittel 8,4 Prozent betragen.

Viele Faktoren wirken destabili- sierend auf die Stoffwechsellage:

Infolge der Sekretion von Wachs- tums- und Sexualhormonen sowie der veränderten Körperzusammen- setzung (Fett-Wasser-Relation), än- dert der Bedarf an zu injizierendem In sulin ständig. Letztlich führt auch der Wunsch der Jugendlichen nach uneingeschränkter Flexibilität – oh- ne die notwendige Dosisanpassung – gehäuft zu Therapiefehlern.

Eltern haben eine

schwierige Doppelaufgabe

Bis weit in das Jugendalter hinein tragen Eltern die Verantwortung für die tägliche Diabetestherapie ihres Kindes. Dabei müssen sie der schwierigen Doppelaufgabe als lie- bevolle Erzieher einerseits und kon- sequente Therapeuten andererseits gerecht werden. Besonders for- dernd ist dabei die Situation für Mütter und Väter sehr junger Kin- der, die den Sinn der vielen thera- peutischen Maßnahmen noch nicht verstehen und sich ihnen deshalb oft mit aller Kraft widersetzen.

Viele Familien überfordert die Krankheit, bei der sie mehrmals täglich den Blutzuckerspiegel ihres Kindes kontrollieren und jede Mahlzeit berechnen müssen. Die Betreuung ist so zeitintensiv, dass manche Mütter ihre Berufstätigkeit aufgeben – mit den entsprechenden finanziellen Nachteilen. Unver- ständlich ist für viele Familien da- her, warum bei kindlichem Diabe- tes Typ 1 – im Gegensatz zu ande- ren chronischen Erkrankungen – kein Pflegegeld gewährt wird.

Auch der Schulalltag gestaltet sich schwierig. Viele Lehrer scheu- en aus mangelndem Wissen Verant- wortung für ein Kind mit Diabe- tes Typ 1 zu übernehmen. Manche empfinden auch die Rechtslage als unklar. Sie versuchen deshalb, schwierige Situationen von vornhe- rein zu vermeiden und befreien in manchen Fällen Kinder und Ju- gendliche sogar von bestimmten Aktivitäten wie Klassenfahrt, Wan- dertag oder Ferienlager.

„Nicht selten leiden Kinder mit Diabetes Typ 1 unter einem Außen- seiterstatus, weil sie in der Schule re- gelmäßig Blutzucker messen und In- sulin spritzen müssen“, sagt Prof. Dr.

med. Stefan Wudy, Kinderendokri- nologe und -diabetologe am Univer- sitätsklinikum Gießen und Marburg, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. „Viele Kinder ziehen sich zur Insulininjektion auf die Toilette zurück, um nicht aufzufallen, gleich- zeitig fürchten sie, als Drogenkon- sument abgestempelt zu werden.“

Regelmäßige Schulungen sind nach wie vor die Basis der komple- xen Diabetestherapie. Die gesamte Familie und alle Betreuer müssen je nach Alter und Reife des Kindes in die Behandlung eingewiesen wer- den. Erforderlich sind unterschied- liche Schulungsangebote (Struktur, Inhalte, didaktisches Konzept) für Vorschulkinder, Grundschulkinder, Jugendliche in der Pubertät und Adoleszente beim Übergang in die internistische Betreuung.

Aber gerade in ländlichen Gebie- ten sind häufig keine wohnortnahen Schulungsangebote vorhanden. Und auch der Übergang von der pädiatri- schen Versorgung in die Erwachse- nenmedizin funktioniert nicht rei-

bungslos: Die ärztliche Betreuung findet dann nur noch sporadisch, in manchen Fällen gar nicht mehr statt.

Doch nicht nur der Typ-1-Diabe- tes, sondern auch der Typ 2 wird durch die Zunahme von Überge- wicht, Fehlernährung und Bewe- gungsmangel immer häufiger dia - gnostiziert. So hat sich die Zahl der pädiatrischen Typ-2-Neuerkrankun- gen in den letzten zehn Jahren ver- fünffacht und liegt Schätzungen zu- folge in Deutschland bei 5 000. Be- troffen sind meist adipöse Jugend - liche, wobei das weibliche Ge- schlecht mit 67 Prozent überwiegt.

Diese Zahlen spiegeln allerdings nur die Spitze des Eisbergs wider, denn circa zehn Prozent der adipö- sen Jugendlichen weisen bereits ei- ne gestörte Glukosetoleranz auf.

Bei ihnen schreitet die Erkrankung schneller fort, es treten früher Kom- plikationen auf, und die Betroffe- nen werden schneller insulinpflich- tig als die Erwachsenen.

Die Folgeerkrankungen sind vorprogrammiert

Dies belegt eindrucksvoll die TODAY-Studie (Treatment Options for Typ-2-Diabetes in Adolescents and Youth) des US-National Insti - tute of Health mit 699 jugendlichen Typ-2-Diabetikern im Alter zwi- schen zehn und 17 Jahren. Alle Teilnehmer lagen über der 85. Per- zentile des BMI ihrer Altersgruppe.

Nach nur vierjähriger Diabetesdau- er hatte sich bei fast einem Drittel eine Hypertonie entwickelt, 17 Pro- zent schieden Albumin im Urin aus, und 13 Prozent wiesen Veränderun- gen an der Retina auf (NEJM 2012;

doi: 10.1056/NEJMoa 1109333).

„In zehn bis 20 Jahren werden viele dieser Kinder ernsthafte gesund- heitliche Probleme bekommen – dann sind sie über 30 Jahre alt“, so Studienleiter Prof. Dr. med. Philip Zeitler von der University of Colo- rado in Denver.

Andere Studien zeigen, dass Dia- betes Typ 2 besonders häufig un- ter Migrantenkindern auftritt. Man nimmt an, dass durch den Wechsel der Esskultur das Risiko für metabo- lische Erkrankungen als Folge der Gen-Umwelt-Interaktion steigt.

Dr. med. Vera Zylka Menhorn

M E D I Z I N R E P O R T

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